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Selige Kinderweihnacht
Wer schon die Siebzig hinter sich gelassen hat und - wie die Jugend
sooft meint - zu den „altmodischen Alten" gehört, der denkt gern -
und immer, immer wieder - an die Kindheit zurück.
Denkt ihr noch zurück, liebe Landsleute, als in der
Vorweihnachtszeit in unseren Dörfern des Oderlandes der Ruprecht von
einem Hause zum anderen ging, um nachzusehen, ob die Kinder brav und
in der Schule fleißig waren? Und immer wurden die Kinder von Knecht
Ruprecht reichlich mit Nüssen und Äpfeln bedacht, und die Äpfel
durften wir dann in der Ofenröhre braten, so dass ihr Duft die Küche
durchzog.
Und wie schön war es an den Abenden vor dem Weihnachtsfest, wenn die
Erwachsenen draußen in der Wirtschaft noch ihrer Arbeit nachgingen,
wir Kinder .aber in der Stube saßen und „lichteln" durften. Wir
saßen hinter dem Ofen in der „Hölle" und sahen dem knisternden Feuer
zu. Auf der Ofenbank stand ein Leuchter, in dem ein hohes Talglicht
brannte, das damals nur fünf Pfennig kostete.
Von den Weihnachtsvorbereitungen bekamen wir Kinder fast nichts zu
spüren. Deshalb waren wir immer in einer schrecklichen Spannung, die
- je näher der Weihnachtsabend kam - immer quälender wurde. Unser
ältester Bruder - er war zehn Jahre älter als ich - durfte den
Weihnachtsbaum schmücken, der in Neusalz auf dem Markte gekauft
worden war und den wir erst am Heiligen Abend nach dem Gang in die
Christnacht zu sehen bekamen.
Stellte sich der Winter rechtzeitig ein, so dass es noch vor dem 24.
Dezember geschneit hatte, dann konnten wir - wenn wir am
Weihnachtsabend zur Kirche gingen - durch den Schnee stapfen. Und
ich erinnere mich, was es für eine Freude für mich war, wenn ich vor
unserem Kirchlein stand und von dort über den Oderwald hinweg nach
Beuthen oder gar nach Glogau blicken konnte.
In der Kirche steckten wir unser Wachsstöckel an, das wir vor uns
auf der Bank
stehen hatten. Hatte aber der Kirchvater die Kerzen an den beiden
hohen Weihnachtsbäumen entzündet, dann war für uns der Höhepunkt der
Christnacht gekommen. Auch hinter dem Transparent, das die Geburt
Christi zeigte und über der Kanzel an der zweiten Empore aufgestellt
war, waren die Kerzen angebrannt. Es war eine unaussprechliche
Freude, die uns erfüllte. Die Glocken läuteten, und unser
langjähriger Kantor Feder spielte das Eingangslied, wozu der Chor
der Schulkinder sang.
Pastor Schulz, der in Carolath amtierte, folterte uns Kinder nicht
mit einer zu langen Predigt, denn am Weihnachtsabend waren es
meistens Schulkinder - und neben diesen einige ältere Personen -,
die zum Gottesdienst gekommen waren. Für die Erwachsenen fanden die
Festgottesdienste an den beiden Weihnachtsfeiertagen statt, und
diese waren dann auch immer gut besucht. Die Bewohner der
entfernteren Dörfer kamen sogar mit dem Fuhrwerke gefahren und
nahmen dann am Gottesdienst teil.
Beendete das Geläute der Glocken unserer evangelischen Kirche die
Christnacht, dann - so war es in den Dörfern Carolath und Reinberg
üblich - wurden an den Christbäumen, die in den Stuben der Bauern
und Landarbeiter, der fürstlichen Beamten und Angestellten standen,
die Kerzen entzündet. Die brennenden Lichter strahlten dann in die
Dunkelheit des Weihnachtsabends hinaus.
Zu Hause angekommen, führte uns die Mutter erst an den
Weihnachtsbaum, bei dessen Anblick unsere Kinderaugen gewiss
gestrahlt haben, denn wir sahen ja unseren Weihnachtsbaum nach der
Christnacht zum ersten Male. Unser Baum war stets mit roten Äpfeln
und Nüssen geschmückt und mit Baumbehang, einer Art Pfefferkuchen,
wie er von den Pfefferküchlern hergestellt wurde, rot glasiert und
weiß und grün verziert.
Hatten wir den Eltern unser Weihnachtsgedicht aufgesagt, dann
durften wir
unsere Geschenke besehen, und nachdem wir unserer lieben Mutter eine
Weihnachtsgabe in die Hände gelegt und ihr mit einem Kuss gedankt
hatten, wurde die Heilig-Abend-Mahlzeit aufgetragen, es gab
selbstgeräucherten, mageren Schinken oder auch Rauchfleisch, dazu
Sauerkraut und Kartoffeln. Hinterher - wie hätte es in unserem
schlesischen Dorfe und in meinem schlesischen Elternhause anders
sein können - gab es Mohnklöße. Wir bauten den Mohn dazu ja selbst
an und brauchten also nicht zu sparen. Unsere Mohnklöße schmeckten
deshalb am Weihnachtsabend immer besonders gut.
Während wir Kinder in der Christnacht gewesen waren, hatten die
Erwachsenen bereits unserem Vieh die Weihnachtsmahlzeit verabreicht.
Ich weiß nicht, ob es auch in anderen Häusern Carolaths so üblich
war; bei uns bekam jede Kuh, jedes Pferd, jedes Ferkel am
Weihnachtsabend eine Schnitte selbstgebackenen Brotes, eine gute
Tränke und reines Heu.
Unsere Familie war einst an einem Weihnachtsabend durch ein
trauriges, tragisches Ereignis heimgesucht worden, deshalb blieb es
nicht aus, dass unsrer guten Mutter - wenn sie sich am
Weihnachtsabend dieser Begebenheit erinnerte - die Tränen übers
Gesicht liefen. Wir Kinder versuchten deshalb, unserer sorgenden
Mutter mit besonderer Liebe zu begegnen. Und wir freuten uns
herzlich an den Geschenken, die wir nach dem Essen in die Hände
nehmen und bewundern und auch — soweit es sich um Spielzeug handelte
— damit spielen durften. Neben einem Spielzeug oder eine Puppe für
die Mädchen erhielten wir Kleidungsstücke, einen Rock, eine Bluse,
ein Kleid, einen Mantel, was wir eben benötigten. Wir Mädchen
bekamen auch einmal eine Handarbeit, mit der wir uns dann wochen-
und monatelang beschäftigten und unsere Handfertigkeit beweisen
konnten.
Meine Landsleute aus der schlesischen Heimat backen gewiss auch
heute wieder Mohnbabe und Rosinenstriezel. Möchten sie sich beides
auch in diesem Jahre recht gut schmecken lassen!
Und vergesst nicht
- liebe Freunde -, euren Kaffee aus „Bunzeltippeln" zu trinken, wie
wir sie einst in der Heimat hatten, dann schmeckt er viel, viel
besser!
Weihnachten
im Forsthause Ingersleben
Die Kolonie Ingersleben gehörte zur Gemeinde Tschepplau, wo mein
Vater als Revierförster des Grafen von Schlabrendorff amtierte. Ich
zählte zwei Jahre, als unsere Eltern mit uns Kindern aus der Provinz
Posen, wo mein Vater in Annamühle bei Tierschtiegel Förster gewesen
war, nach Ingersleben verzogen. Meine Kinderzeit also habe ich im
Forsthause verlebt, das anfänglich noch ein altes Fachwerkhaus war,
welches erst später - als ich etwa zehn Jahre alt war - umgebaut
wurde.
Stand das Weihnachtsfest vor der Türe, dann wanderte eine Liste in
Tschepplau und Ingersleben von Haus zu Haus. Jeder Bauer, jeder
Stellenbesitzer und Häusler, jeder Handwerker durfte auf diese Liste
seinen Namen schreiben und zugleich vermerken, was er für seine
Familie für einen Weihnachtsbaum benötigte und wie hoch er sein
sollte. Es waren immer etwa 100 Bäume, die zum Weihnachtsfeste
benötigt wurden. Unser Vater ließ sie durch unsere Waldarbeiter
schlagen. Ein Wagen des gräflichen Dominiums fuhr die geschlagenen
Bäume ins Dorf und lud sie vor den Häusern der Besteller ab. Das
geschah völlig kostenlos, die Tschepplauer brauchten also für ihren
Weihnachtsbaum keinen blanken Pfennig zu bezahlen. Sie hatten es
allerdings auch nicht nötig, in den Wäldern ihre Weihnachtsbäume zu
stehlen.
Damals - in meinen Kinderjahren - verkehrte zwischen Glogau und
Schlawa noch alltäglich die Postkutsche. Der Postillion Gabler war
ein freundlicher Mann und nahm uns Försterkinder - wenn schlechtes
Wetter war - in seiner Postkutsche von Ingersleben mit nach
Tschepplau zur Schule. Für seine Freundlichkeit bekam auch er von
unserem Vater auch stets einen Weihnachtsbaum und zum Weihnachtsfest
noch ein Wildkaninchen dazu. Der Vater erhielt alljährlich vom
Dominium Tschepplau 200 Zentner Kartoffeln als Deputat. Diese
Kartoffeln schickte er nach Weigmannsdorf im Kreise Fraustadt, wo
sich eine Brennerei befand. Für einen Zentner Kartoffeln bekam unser
Vater neunzig Pfennige, für die 200 Zentner also 180 Mark. Das war
stets das „Weihnachtsgeld". Der Vater nahm es, um damit vor dem Fest
in Glogau seine Einkäufe zu erledigen. Mit unserer Mutter fuhr er in
einem Glaswagen des Dominiums in die Stadt - meistens eine Woche vor
dem Weihnachtsfest - um Weihnachtsgeschenke einzukaufen,
Kleidungsstücke und Wäsche, für jedes Kind ein Spielzeug,
Pfefferkuchen beim „Honigkuchenfabrikant" Bittner auf der
Kupferschmiedstraße, Blockschokolade bei Robert Kahl am Glogauer
Markte, Kerzen und Glaskugeln für den Weihnachtsbaum bei Engwitz am
Markte.
Und ich darf natürlich nicht vergessen zu berichten, dass
alljährlich in der letzten
Woche vor dem Weihnachtsfeste zu uns der Ruprecht kam. Meistens war
es ein Mann aus der Kolonie Ingersleben, der die Rolle des Ruprechts
spielte. Er trug stets auf dem Rücken einen Sack mit Äpfeln und
Nüssen, mit denen er uns Kinder beschenkte. Und ein solcher Ruprecht
hat mich einmal, weil ich ihm ein bissel zu kess geworden schien, in
den Sack gesteckt und mit mir im Sacke das Forsthaus verlassen und
mich etwa 100 Meter weit mitgenommen. Dann erst ließ er mich wieder
heraus und ich durfte nach Hause zu Vater und Mutter und den
Geschwistern laufen.
Unsere Mutter buk vor dem Feste stets Streuselkuchen, mindestens
fünfzehn Bleche voll. Wir hatten ganz in der Nähe in einem einstigen
Gasthause einen Backofen, wo unsere Mutter die Bleche mit dem Teig
hinbrachte und sie in dem Ofen schön braun und knusprig backen ließ.
Am Weihnachtsabend gingen wir Kinder - nur die Kleinen blieben
daheim - mit dem Vater nach Tschepplau in die Kirche zur
Christnacht. Meistens lag am Weihnachtsabend bereits Schnee, dann
mussten wir etwa eine dreiviertel Stunde laufen, um zur Kirche zu
kommen. Um fünf Uhr des Nachmittags begann die Christnacht. Unser
Kirchlein sah festlich aus, denn natürlich stand ein Baum neben dem
Altar, der mit Kerzen besteckt war, welche angebrannt waren. Unser
Kantor Karl Bock saß an der Orgel und spielte eine wunderschöne
Weihnachtsmusik. Unser Pastor Roye erzählte uns die wundersame
Geschichte von der Geburt des Jesuskindes im Stalle zu Bethlehem.
Und dann begann „der Quempas", diese wunderschöne, weihnachtliche
Hirtenmusik, die von den Schulkindern, die in vier Chöre aufgeteilt
waren, gesungen wurde.
Dass wir Kinder mit frohen Herzen an dieser Christnacht teilnahmen,
versteht sich von selbst. Nach der Kirche stapften wir durch den
Schnee heimwärts nach Ingersleben und freuten uns, wenn wir durch
die Fenster des Forsthauses das Licht der Petroleumlampe scheinen
sahen. Unsere Mutter nämlich war ja mit den kleineren Geschwistern
daheim geblieben, sie hatte im Wohnzimmer für jedes Kind die
Geschenke hingelegt und das Essen vorbereitet und wartete nun auf
unsere Rückkehr.
Daheim angekommen klopften wir uns den Schnee von den Stiefeln, und
während der Vater ins Wohnzimmer ging, um die Kerzen am
Weihnachtsbaume zu entzünden, warteten wir sehnsüchtig auf das
Klingelzeichen, das uns ins Wohnzimmer rief. Wie die Orgelpfeifen -
die Kleinen voran, die Größeren hinterher - marschierten wir in das
Wohnzimmer und sahen voll Staunen unseren schönen Weihnachtsbaum,
den der Vater immer selbst zu schmücken pflegte. Die Glaskugeln an
den Zweigen gleißten im Schein der brennenden Kerzen. Der Baum aber
stand in einem Ständer, in den ein Drehwerk und ein Uhrwerk
eingebaut waren. Betraten wir unser Wohnzimmer, dann begann sich der
Baum im Ständer zu drehen und leise erklang - von der eingebauten
Spieluhr - die Melodie „Stille Nacht, heilige Nacht" oder auch „O du
fröhliche, selige, gnadenbringende Weihnachtszeit". Wir Kinder
fanden - auf dem Tisch aufgebaut - unsere Weihnachtsgeschenke. Die
durften wir besehen, wir durften auch unsere Spielzeuge bewundern
und damit spielen. Ein Teller mit Süßigkeiten, Äpfeln und Nüssen
stand bereit, von dem wir nehmen und essen durften.
Es mag immer so gegen 9 Uhr gewesen sein, wenn unsere Familienfeier
beendet war. Dann trug die Mutter die Mohnklöße auf, die zu keinem
Weihnachtsfeste fehlten. Es gab auch „Semmelmilch", Semmelstückchen,
die in Milch gelegt, mit Zucker gesüßt und in den Keller getragen
wurde, um schön frisch und kalt zu sein, wenn wir sie essen wollten.
Dann aber gingen wir zu Bett. Der nächtliche Wind wehte ums
Forsthaus, die Sterne standen hoch und fern am Himmel und sahen auf
die wenigen Häuser von Ingersleben hernieder, wo die Menschen ein
schlichtes, arbeitsreiches Leben führten und doch glücklich waren.
[…]
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