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Das
Wasser der Oder blieb unser Element, auch später noch, als ich mit
einem selbstgebauten Segel, das ich im Vorschiff eines Paddelbootes
takelte, auf den überschwemmten Oderwiesen kenterte. Dieses Manöver
ging nur deshalb gut aus, weil die Wiesen, je nach Bodenstruktur,
meist nur knietiefes Wasser bedeckte - jedenfalls bei folgender
Geschichte. Ein bodenloser Leichtsinn war es schon allein deshalb,
weil ich nur eine, wenn überhaupt, ungenaue Vorstellung von der
Kraft eines Segels, insbesondere aber vom Segeln überhaupt hatte.
Mein Liege- und Startplatz war das Floß vor der Oderterrasse,
welches auch dem Besitzer, Herrn Wieland, gehörte. Ich driftete
also, ganz euphorisch gestimmt, weil das Segel gut stand, zunächst
über die Stromoder, aus dem toten Flussarm kommend. Es war, wie
gesagt Hochwasser, und die Strömung drückte mich wie eine Walze in
Richtung Brücke. Da kam schon ein leichtes Schlucken auf, denn ich
sah mich mutterseelenallein auf der Wasserfläche, die mir plötzlich
aus der Perspektive des winzigen Paddelbootes unübersehbar schien.
Ob ich Oberau noch wahrgenommen habe, scheint mir fraglich.
Da passierte es, denn Unsicherheit ist ein schlechter Steuermann und
Angstgefühle haben an Bord wenig Sinn, wenn der Wind um die Ohren
pfeift. Und er pfiff, denn es war Herbst! Eine Bö erfasste mein
Segel, und anstatt die Schot aus der Hand zu lassen hielt ich gegen.
Das Boot schlug um und ich stand - Neptun sei Dank - auf den
Oderwiesen, bis zum Bauch im Wasser, nicht ohne vorher auch einen
„Taucher' gemacht zu haben, also durch und durch. Im Oktober hatte
die Oder jedoch keine Badetemperatur mehr! Als ich das Notwendige
geborgen hatte, zum Glück auch das Paddel, zog ich nass und
frierend, und ganz klein, wieder an das andere Ufer zurück, mit Kurs
auf die Wieland'schen Terrassen.
>Die Eisenbahnbrücke über die Oder<
Eigentlich stellte ich mich gar nicht so dumm an im Umgang mit einem
Boot, musste wohl aber - meine Erfahrungen am Objekt machen, und,
weil es ja so einfach schien - welch' ein Irrtum - blieb es nicht
bei dieser einen Kenterung. Nein es wurde noch gefährlicher als ich
eines sonntags mit meinem Freund Rudi und seinem Koffergrammophon in
die Oder stach. Bei schönstem Sonnenschein legten wir von besagtem
Floß ab und paddelten mit kräftigem Schlag in Richtung Weidisch,
also gegen die Strömung. Das erste Stück des in leichtem Linksbogen
verlaufenden Durchstichs, bis wir die ersten Buhnen erreichten, war
immer recht kräftezehrend. Weiter oberhalb, etwa ab dem Stichkanal,
der rechts zur Schiffswerft führte, durchfuhren wir das meist stille
Wasser in Ufernähe zwischen den Buhnen. Nur an den Buhnenköpfen
musste man kraftvoll in die Paddel greifen und schnell reagieren,
weil sonst die Bugspitze nach Steuerbord abdrehte. Diesen Trick
hatte man aber schnell heraus, spätestens nach dem dritten Anlauf.
Wir paddelten also unserem Sonntagsvergnügen entgegen bis uns die
Landschaft zwischen zwei Buhnen gefiel. Dort gingen wir ins
Sonnenbad, mit viel „Nivea-Nußöl“ und lauschten den Klängen des
damals beliebtesten Vokalsextetts, den Comedian Harmonists oder
vielleicht auch der nicht weniger populären Rosita Serrano mit der
fast ein wenig frivolen Stimme. „Wochenend und Sonnenschein" so
schepperte es bei aller Mühseligkeit eines Koffergrammophons
damaliger Technik bis in den frühen Abend. Dann aber düsterte eine
schwarze Wand aus der Richtung des Klautscher Lochs über den
Oderwald und mahnte zum Aufbruch. Möglichst schnell musste es gehen
und in der Hektik der ersten Paddelschläge schlugen auch schon
einige unsanfte Böen über unsere Köpfe und als wir das Fahrwasser
erreicht hatten, machte der Wind sein Spiel mit uns, die Tour wurde
zur Tortur. Ein abwärts unter Motor fahrendes Schiff mit einem
Lastkahn im Schlepp schien uns die Rettung. Mit hohem Tempo kam er
heran und wir gingen in Position, am Beiboot des Schleppkahns
festzumachen. (!) Welch' wahnwitzige Idee es war, wussten wir
Sekunden später. Wir schafften zwar das Andockmanöver und konnten
uns beide an der Bordwand des Beiboots festhalten aber der Sog des
sehr schnell dahin-gurgelnden Motorkahnes war so stark, dass uns
unser Paddelboot wie eine schlecht sitzende Unterhose vom Körper
glitt. Wir retteten uns in das verzurrte Beiboot und sahen das
kieloben schwimmende Gefährt in das rauschende Kielwasser des
Schleppers abschaukeln, Paddel, Sitzkissen und -lehnen und alles,
was das umschlagende Boot von sich gab, schwamm daneben oder
dahinter, soweit es schwimmfähig war.
Mit einem Sprung ins Wasser versuchten wir zu retten, was zu retten
war. Dabei wurden wir von einigen Wassersportlern, die von Land aus
die Katastrophe bemerkt hatten, unterstützt. Sie waren ebenfalls in
den Strom gesprungen, um zu helfen!
>Die Oder mit Blick auf das Schloss und die Hindenburgbrücke.
Zeichnung: Hans-J. Gatzka<
Innerhalb ganz kurzer Zeit war unser Boot geborgen und viele Teile
seiner Innereien. Das Grammophon blieb jedoch auf dem Grund der Oder
liegen als Wegezoll an Neptun entrichtet. Sein Plattenteller dreht
sich noch heute zu seinem Pläsier und von der alten Schellackscheibe
gurgelt noch immer Rosita ihren Hit von der Musik, die dazu spielt.
Des Dramas Höhepunkt sollte allerdings erst später zur wahren
Horrorszene finden. Meines Freundes Schlüsselbund mit den Wohnungs-
und Geschäftsschlüsseln, die ihm über das Wochenende anvertraut
waren, mussten gleichfalls zum Treibgut geworden sein. Auch letzte
Hoffnungen, sie hier oder dort noch aufzufinden, zerstoben im
Abendwind. Den Gang der Geschichte, insbesondere am Montagmorgen
auszumalen erübrigt sich, denn ich schreibe ja über unsere Oder.
Die Oderterrassen, der Ruderclub „Neptun" und ein Stück weiter des
Weges, der Glogauer Segelclub, sollten bei dem wasserreichen Thema
nicht unerwähnt bleiben. Bei den Ruderern und Seglern war ich leider
nur Gast oder Zuschauer. Voller Bewunderung sah ich die schlanken
Ruderboote in ihren Halterungen im Bootslager des Clubgebäudes
hängen und so manche Crew vom Schwimmsteg ablegen.
Einige „Schläge" mit einer Jolle habe ich auch mit Rudi Wieland
„über den Teich geschoben", aber so richtiges Segelvergnügen ließ
wohl die Oder kaum zu. (?) - Man möge mir verzeihen, wenn ich das so
schreibe. Ich habe nach dem großen Treck nach Westen schönere, fast
klassische Reviere kennengelernt, auf denen die Kreuz- oder
Holstrecke nicht durch Dammböschungen zu Wende oder Halse zwangen.
Die Oderterrasse lernte ich schon als kleiner Bub kennen. Bei einem
Feuerwerk war es, dessen schreckliche Knallerei, so schön diese auch
anzusehen ist, mir ein für allemal die Lust daran verdarb. Noch
heute vermag mich so ein pyrotechnisches Spektakel nicht einmal aus
dem Sessel zu heben, um bis ans Fenster zu gehen. Vielleicht liegt
das ja aber auch daran, dass mir die eisenhaltige Variante noch
immer in den Knochen sitzt.
Unbesehen solcher Erinnerungen gab sich der nächtliche Blick von der
erhöht liegenden Oderterrasse auf den Strom oftmals von
märchenhafter Schönheit. Dann nämlich, wenn ein ganzer Schleppzug im
leichten Bogen des Durchstichs vor Anker lag. Die Positionslichter
der Schiffe, nicht selten acht oder zehn an der Zahl, lagen wie eine
Lichterkette im spiegelnden Wasser. Wie ein Bühnenbild lag es vor
den Oderwiesen, bis hoch hinauf in Richtung Weidisch
In der Oderterrasse machte ich auch meinen „Fahrtenschein" auf dem
Tanzparkett. Irgendwann begann es, musste ja schließlich auch damit
begonnen werden! Auch hier war die Oder dabei, die man selbst beim
Tango nicht aus den Augen verlor. Die Synkopen des Saxophons, die
dann gratis über den Strom zogen, werden auch die Schiffer erfreut
haben, wenn sie ihren sommerlichen Feierabend vor Anker an Bord
erlebten.
>Die Glogauer Jugend beim Eislauf auf der Oder<
Das Leben und Treiben auf unserer Oder war bestimmt von der
Schifffahrt, die, so schien es, unaufhörlich berg- oder talwärts
unterwegs war. Der Strom war zu einer bedeutenden Wirtschaftsader
Deutschlands gewachsen.
1939 verkehrten 3202 Dampfer und Frachtschiffe auf der 650 Kilometer
langen Schifffahrtsstrecke zwischen Cosel und Stettin. Sie
beförderten ca. 1 Million to Güter, meist in Talfahrt. Das ergab
oftmals auch Gedränge auf dem Wasser, bei dem die Rudergänger auf
ihren Kähnen und Dampfern Maßarbeit leisten mussten, denn das
Längenmaß der Oderschiffe lag zwischen 34,5 und 67.0 Metern.
Havarien waren zwar die Seltenheit, aber nicht immer vermeidbar. So
verlangte eine Stelle im Oderlauf, auf dem Glogauer Stadtgebiet, bis
zu ihrer Beseitigung allerhöchste Aufmerksamkeit vom Mann am Ruder.
Ein Pfeiler der Eisenbahnbrücke war ein gefürchtetes Hindernis, an
dem, so erinnere ich mich, ein auf Talfahrt befindlicher, voll
beladener Frachtkahn zerbrach.
Schlimm genug, einzugestehen, dass dieses tragische Unglück für uns
Kinder eine Sensation war. Sowohl von der Brücke als auch vom Ufer
am Schützenhaus konnten wir den Folgen der Katastrophe und den
Rettungsarbeiten zuschauen. Der Kahn war regelrecht in zwei Stücke
zerbrochen und lag mit seiner Ladung auf Grund. Das Heckteil mit der
Kabine der Schiffersleute stand quer zum Flusslauf und war vom Druck
des auflaufenden Wassers hoch umspült. Ich sehe noch die
Schiffersfrau auf den Resten ihrer Habe stehen, ein Kind im Arm und
einen Hund zur Seite. Angst und Entsetzen im Gesicht.
Die Enge der Fahrrinne, durch Niedrigwasser zum besonderen Risiko
geworden, kostete des Schiffers Existenz. Auf diese oder ähnliche
Weise konnte die Oder ihre Opfer auch unter den Fahrensleuten
fordern.
Odergeschichten wie wir sie alle erlebten, die wir den Strom vor
über fünf Jahrzehnten unseren Heimatstrom nennen durften - von
Oderberg bis an das Stettiner Haff. […]
Oderschifffahrt
Freude soll die Schaffenden versöhnen,
fern von Alltag und Alltäglichkeit.
Ruht heut, ihr Maschinen, schweigt, Sirenen,
rede du allein, Vergangenheit!
Lob den Vätern, die den Anfang schufen
und die ruheloses Wanderblut
ferner Ahnen an den Fluß gerufen
und nur eins besaßen: Wagemut.
Treidler zogen ihre schweren Schuten
aus der Frühe in den Abend hin.
Doch aus Tagesmühn und Sonnengluten
wuchs der Söhne neuer Anbeginn.
Knirschend drehten sich die ersten Kräne,
Dampfer reckten ihre Schlote auf,
und die stillen Züge bunter Kähne
wandern flußab und flußhinauf.
Silos wuchsen aus dem Grund der Erde,
und die Werft erdröhnte in dem Lied
von des Menschen Mühsal und Beschwerde
und der Zeit, die wie der Strom entflieht.
Hans Niekrawietz
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