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Ein
kleiner bescheidener Bauernhof am Ende des Dorfes war mein Zuhause.
Im Tal gelegen, von einem Bach durchflossen. Vor dem Haus ein
Blumen- und Gemüsegarten mit Beerensträuchern, Pfirsichbäumen und
Wein an den Hauswänden; hinter dem Hof Obstbäume aller Art. Vor dem
Hof führte die Dorfstraße, eine Durchgangsstraße, vorbei. In einem
Plan lagen Felder, Wiesen und Wald. Kiefern-, Birken- und
Eichenwälder umgaben die Fluren des Dorfes in Hufeisenform. Hügel
umrahmten die Parklandschaft.
Der Hausgarten bot uns das ganze Jahr über Abwechslung. Schwarze,
weiße und rote Johannisbeeren eröffneten den Reigen. Erdbeeren
folgten. Im Juli reiften süße und saftige Frühbirnen, Weizen- und
Flachsbirnen folgten, später Flaschenbirne, Gute Graue, Williams
Christ, bunte Blanschau und andere. Dazwischen Süßkirschen und
Sauerkirschen.
Vom Sommer an bis in den Herbst hinein reiften aber auch die Äpfel:
Frühäpfel, Welsche Weinlinge, dicke Stramel, Porstendorfer (Mönche
aus Porstendorf bei Jena sollen diese hartwüchsige Apfelsorte
eingeführt haben) u. a. Trotzdem schickte Großvater noch ein Paket
von seinen Karthäuser Zwillingsäpfeln. Im Frühjahr konnten wir noch
einmal Äpfel verkaufen. Aber schon im Sommer und Herbst fand das
Obst im Dorf Abnehmer. Händler brachten es auf die Märkte.
Das köstlichste Obst aber waren die Pfirsiche aus dem geschützten
Vorgarten. An den blauen und gelben Weintrauben erfreuten sich außer
uns auch noch Wespen und Hornissen. Aus beiden Früchten -
„Eigenheimer Wein" und eingeweckten Pfirsichen - bereitete meine
Schwester ihre Spezialität: Pfirsichbowle. Auch aus Hagebutten- und
Birkensaft wurde ein guter Wein bereitet.
Mühelos reifte im Garten jede Menge Tomaten. Am Feldwege standen auf
sandigem Lehm süß-saftige Pflaumenbäume. Die Früchte waren zum
Muskochen, Einlegen, Trocknen und Verkaufen da - und zum
Unterpflügen, denn nicht zu allen Zeiten waren sie verkäuflich. Aber
wer des Weges kam, weiß noch nach Jahrzehnten, wo am zum Teil
öffentlichen Wege die süßtesten Pflaumen wuchsen.
Würzige Waldfrüchte bot der erweiterte Garten. Vielseitig war das
Angebot der Natur an Feld-, und Waldrändern. Hier wuchsen Erdbeeren
in verschiedenen Arten: zum Teil hatten sie festsitzende
Kelchblätter. Auf einem nachbarlichen Gelände des Dominiums gab es
dicke Brombeeren und Himbeeren. Oft war es eine Streitfrage, in
welchem Forst- oder Bauernwald die besten Blaubeeren reiften: in
einem Wald mehr und besser als in anderen.
Aber zum Pflücken musste man außer der Kanne auch einen Korb
mitnehmen, denn der Wald bot auch Pilze. Pfifferlinge, Steinpilze,
Birkenpilze und Grünlinge waren die bekanntesten. Auf den Wiesen
wuchsen Champignons. Vornehmlich Sonntagfrüh war in den Wäldern
Hochbetrieb aus den umliegenden Dörfern. Nicht nur für den
Eigenbedarf wurde gesammelt, sondern auch zum Verkauf. Kinder und
auch zum Teil die Älteren wollten ihre Finanzen aufbessern. „Das
Geld lag auf der Straße", man musste sich nur bemühen, es
aufzuheben.
Unsere Natur ist auch ein Heilgarten. Gegen jede Krankheit ist ein
Kraut gewachsen. Man muss nur ein Auge dafür, Sinn und Verständnis
haben. Von der Vielzahl unserer Heilkräuter und -mittel nur die
wesentlichsten: Wermuth (Artemisia), Tausendgüldenkraut, Baldrian,
Huflattig, Kümmel, Schafgarbe, Dreiblatt, Johanniskraut und viele
andere wuchsen in der freien Flur. (Am besten am Johannistag von 12
bis 13 Uhr zu pflücken!) Auch Lindenblüten und Holunderblüten und
-beeren waren wertvoll und begehrt. Daneben gab es im Garten
Pfefferminze und Kamille, ebenso Würzkräuter. Brunnenkresse und
Schnittlauch fand man wildwachsend. Aber auch viele unserer Früchte
wurden zu Heilzwecken verwandt und boten eine gesunde Ernährung.
Ein schönes Bild boten in der Vormittagssonne die blau blühenden
Flachsfelder. Deren Samen und Stengel boten viel für das tägliche
Leben, dem Menschen ebenso wie dem Vieh. Auf den Wiesen und Feldern,
an Wegrainen, erfreute im Frühjahr eine
bunte Blumenpracht, im Herbst die Büsche mit ihren Früchten. Sie
ergänzten und beinhalteten die vielseitig geschaffene Natur. In
einem großen Kreislauf ergänzt ein Lebewesen das andere, von
Mikroorganismen bis zum Bussard, über allem steht der Mensch als
Hüter, der leider oft versagt. Die fleißigen Bienen fliegen von
Blüte zu Blume und sammeln für den Winter ihre Vorräte, die wir
nutzen.
Das Leben in bäuerlich-dörflicher Umgebung bot in allem eine
natürliche Lebensgrundlage. Das eigene Korn wurde vom Wind- oder
Wassermüller gemahlen, das tägliche Brot selbst gebacken. Die Milch
wurde im Hause zu Butter und Käse verarbeitet. Das Backobst von
allen Früchten, in Leinensäcken aufbewahrt, war zum Naschen für die
Kinder gesünder als Bonbons. Fremde Färb- und Konservierungsstoffe
waren unbekannt wie Giftstoffe. In der Räucherkammer hingen Fleisch-
und Wurstwaren. Die Glaskonservierung wurde erst allmählich
eingeführt. „Weck" ist weg!" wurde bei fehlender Routine gesagt.
Aber der größte Teil der Obst- und Fleischwaren wanderte dennoch
zunehmend in Gläser. — Mutters Spezialitäten bleiben in steter
Erinnerung: Schweinebraten mit Klößen und Sauerkraut, schlesischer
Streuselkuchen, Mohn-, Quark- und Obstkuchen und anderes. Aber all
das war mit Mühe und Arbeit verbunden, mit Sorge für Familie und
Besitz.
So vielseitig unser dörfliches Leben auch war, es wurde noch
übertroffen von der Heimatlandschaft. Es war eine abwechslungsreiche
Landschaft: magere, eintönige Kiefernwälder, fruchtbare
Schwarzerdegebiete, sumpfige Moorlandschaften, unübersehbare
Fischteiche, Sandboden, Hügellandschaften, Laubwälder und am
Horizont die Kette der Sudeten. An deren Fuß lagen wie Perlen an
einer Schnur kleine und weltbekannte Bäder im Bäderland Schlesien.
Historische Bauten — Schlösser, Klöster, Kirchen und Burgruinen —,
geräumige Gutshöfe und langgestreckte Bauerndörfer waren prachtvoll
anzusehen. Oft reihten sich kilometerlange Dörfer hintereinander.
Für die Ergänzung sorgte eine vielseitige Industrie; vornehmliche
Erzeugnisse waren Eisen, Kohle, Holz, Glas, Ton, Stein (Basalt,
Granit), Zucker und Konserven.
Maria Theresia sagte einst:
„Schlesien ist der köstlichste Edelstein in meinem Diadem."
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