Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 9, September 2019

 

Erinnerungen an das Heimatdorf Kuttlau


mit Kolonie Neukranz, Vorwerk Schuhmacherhof, Gaststätte Zeiskekrug, Gut Neuhof und der Butterberg







>ol: Bahnhof, or: Dorfstrasse, ul: Kriegerdenkmal, ur: Kirche<

Kuttlau

mit Kolonie Neukranz, Vorwerk Schuhmacherhof, Gaststätte Zeiskekrug, Gut Neuhof und der Butterberg

Kuttlau, ein Marktflecken des nördlichen Kreisteiles Glogau, zählte 1945 etwa 1500 Einwohner und war ein langgestrecktes Bauerndorf an der Bahnstrecke Glogau — Schlawa, zwischen dem östlich gelegenen „Stadtforst" und der westlich gelegenen Carolather Heide. Es ist alter Kulturboden mit wichtigen wandalischen Grabfunden. Beachtenswert ist das Sühnekreuz in der Friedhofsmauer. Der als „Weinberg" benannte Hügel ist slawischen Ursprungs. Der Name des Ortes wird hergeleitet von Kotl = Kessel, 1318 Codla, 1399 Kottla. Kuttlau gehörte zum Archipresbyteriat Glogau, dem 26 Pfarreien angehörten. Unter den Gemeinden im Kreise Glogau stand Kuttlau hinsichtlich seiner Einwohnerzahl an dritter Stelle hinter Lerchenberg (Zerbau) und Oberquell (Quaritz).
Für den Ort war der landwirtschaftliche Charakter bestimmend. Das Rittergut Kuttlau, später staatliche Domäne, gehörte zuletzt dem Oberamtmann Franz Klawiter. Zu dem Rittergut gehörten auch die Vorwerke Schuhmacherhof und Neukranz, insgesamt 3000 Morgen groß. Von weiteren Gütern sind zu nennen: Gut Oberhof (500 Morgen), Gut Neuhof (400 Morgen). Neben den vielen ansässigen Landwirten war aber auch Handel, Handwerk und Gewerbe gut vertreten, die Industrie durch eine Brennerei, eine Ziegelei, ein Sägewerk und eine Dampfmühle. Kuttlau hatte sechs Gaststätten mit zwei großen und zwei kleinen Sälen, zwei Fleischereien, drei Bäckereien, drei Kolonialwarengeschäfte, einen Bauunternehmer, eine Gärtnerei, ein Schuhgeschäft, zwei Schreinerwerkstätten, Frisör und Drogerie, Sattler und Korbmacher, zwei Schmiede, Schlossereien und Fahrradhandlungen, drei Schuhmacher, mehrere Schneider und Schneiderinnen. Ferner übten ein prakt. Arzt, zwei Dentisten und ein Tierarzt hier ihre Praxis aus. Neben dem Bahnhof, der etwas abseits lag, hatte Kuttlau auch ein Postamt.
1678 erwarb der Kaiserliche Hofkriegsrat Freiherr von Neydinger das Gut Kuttlau und erhielt vom Kaiser die Erlaubnis, drei Ross- und Viehmärkte daselbst abzuhalten. Es kam deswegen zu einem Streit mit der Kreisstadt Glogau, die den Glogauer Handwerkern und Handelsleuten den Besuch des Kuttlauer Jahrmarktes untersagte. Im Siebenjährigen Kriege hatten die Russen 1759 bei Kuttlau ein Lager errichtet. Durch die Plünderungen und Requisitionen hatten die Bewohner Kuttlaus viel zu leiden. Am 8. Mai 1893 verursachte ein Schadenfeuer in der Gemeinde großen Schaden. Es brannten die Lauben in der Mitte des Ortes, und sechs Besitzungen wurden ein Raub der Flammen. Noch verheerender wütete ein Schadenfeuer am 25. April 1899, das 42 Gebäude in Asche legte. Die Einwohnerzahl von Kuttlau betrug 1756 = 890, 1845 = 1533, 1858 = 1675, 1890 = 1502, 1910 = 1502, 1936 = 1531 und 1943 = 1448 Personen.




Die Gemeindeverwaltung setzte sich 1943 wie folgt zusammen:

Bürgermeister: Bauer Wilhelm Welack

Beigeordnete: Kaufmann Konrad Holzapfel, Bauer Bruno Kliche, Bauführer Paul Woitschitzke

Gemeinderäte: Tierarzt Dr. Engelbert Bonn, Landwirt Franz Klawiter, Bauer Erich Pätzold, Bauer Otto Schulz, Arbeiter Richard Simmank, Betriebsleiter Paul Homuth

Kassenwalter: Sattlermeister Alwin Kinzel

Schiedsmann: Bauer Emil Schulz

Standesamt: Kaufmann Konrad Holzapfel

Amtsvorsteher: Buchdruckmeister Adolf Lange

Kirchen: Evangelische, Pfarrer Walter Brachmann; Katholische, Pfarrer Robert Lorke

Lehrer an der Schule waren: Max Menzel, Frl. Käthe Prohl und Frl. Ursula Knappe

Vereine im Ort: Kriegerkameradschaft, Schützengilde, Gesangverein, Radfahrerverein „Albatros" und Sportverein „Wacker"





Ein Gang durch Kuttlau

Wenn man von Glogau aus über die Ostlandbrücke die Straße nach Schlesiersee entlang kam, grüßte schon aus weiter Ferne unser liebes Kuttlau herüber. An der Anhöhe des Odertales gelegen, waren die beiden Türme weithin sichtbar. Am Anfang des Ortes rechter Hand der Weinberg, er hieß so, weil dort früher Wein angebaut wurde, der aber saurer war als der Grünberger und darum ist keiner mehr angebaut worden. Gegenüber lag der Butterberg, so genannt, weil er schönen buttergelben Sand lieferte, der sicherlich früher bei Oderüberschwemmungen dort angespült wurde. Auch prähistorische Funde, Urnen und Streitäxte, wurden dort gemacht. Hier ist auch die Zementwarenfabrik entstanden.
Nun wandern wir weiter, beim Gasthaus Kothe zweigte ein Strässlein ab, welches zum „Thum" führte; warum dieser Teil des Oberdorfes so hieß, weiß ich nicht. Vorbei an Deutschmanns Gut kommen wir zum Marktplatz. Hüben und drüben längs der Straße breite Grasflächen, wo bei Jahrmärkten die vielen Buden aufgebaut wurden.


Bis etwa 1900 war der Markt sehr gut besucht; 14-15 Schusterbuden standen da, die Langenbielauer kamen mit Textilwaren, die Pfefferküchler mit ihren Zuckerpüppchen, Bauerbissen und Pflastersteinen. Auch ein Karussell und eine Luftschaukel waren anwesend; da hatte man nun als Kind 2 Böhm (0,20 DM) in der Tasche, für 2 Pf konnte man einmal Karussell auf der Bank fahren, für einen Sechser auf dem Pferd, da blieb nicht mehr viel für ein Pfefferkuchenmändel übrig.
Nun gehen wir weiter, vorbei am Kriegerdenkmal. Der Adler streckte seine Flügel auch über die angebauten Teile mit den Namen der Gefallenen des ersten Weltkrieges. Nun begann das sogenannte Geschäftsviertel. Kuttlau hatte fünf Gasthäuser mit zwei großen und zwei kleinen Sälen, zwei Fleischereien, drei Bäckereien, drei Kolonialwarengeschäfte, einen Bauunternehmer, ein Schuhgeschäft, ein Elektrogeschäft, zwei Schreinerwerkstätten, Friseur und Drogerie, Sattler und Korbmacher, zwei Schmiede, Schlossereien und Fahrradhandlungen, drei Schuhmacher, mehrere Schneider und Schneiderinnen, eine Gärtnerei, eine Ziegelei, eine Brennerei und eine Dampfmühle. Ferner übten ein prakt. Arzt, zwei Dentisten und ein Tierarzt ihre Praxis aus. Windmühlen gab es noch drei, Josefs-Mühle, Kaminiarz- und Lange-Kurts-Mühle, letztere war als Motormühle umgebaut.

Das Vorwerk Schuhmacherhof gehörte zur Domäne Kuttlau. Neukranz war ein kleiner Ort zwischen Langemark und Kuttlau, zur Gemeinde Kuttlau gehörend. Der Zeiskekrug war ein einsames Gasthaus (Zeiske) an der Schlawaer Straße, der frühere Besitzer hieß Zeiske-Röhr. Auch der Neuhof lag einsam an dieser Straße und gehörte zu Kuttlau. Nun sind wir auf unserer Wanderung bis zur katholischen Kirche gekommen. Eine dicke von Feldsteinen gebaute Mauer umgab die Kirche wie eine Festungsmauer, darauf das Sühnekreuz mit der eingemeißelten Axt. Nun kam noch die katholische Schule und dann begann das Niederende des Dorfes, welches vom Dominium Kuttlau, beschlossen wurde. Dahinter kam noch ein kleiner Dorfteil, die Raschine, die Ziegelei und etwas rechts waren die Mühlhäuser. Originell war, dass das Niederdorf mit dem Schloss höher lag als das Oberdorf. Der Bahnhof lag etwas abseits. Die evangelische Kirche mit Schul- und Pfarrhaus stand auf der Adelheidshöhe und war eine Stiftung einer Fürstin Adelheid von Carrolath, ganz in der Nähe stand auch die Post. Kirchturm, Schule und Pfarrhaus sollen 1945 vernichtet, die schöne Orgel ausgebaut und nach Warschau transportiert worden sein. Wie mag der Friedhof aussehen? Die Leichenhalle war früher die Gruft der Schlossbewohner Frank-Lindheim. Um 1900 hat es in der Gruft „gespukt". Niemand blieb bis abends dort in der Nähe, denn dann klapperte und polterte es unheimlich. Beherzte Männer untersuchten die Sache und siehe, eine Eule war durch ein zerbrochenes Fenster hineingeraten und wollte nachts gern heraus.
Nun noch eine Geschichte von unserem Friedhof. Einst hatte der Totengräber bei großer Hitze ein Grab ausgehoben. Da er müde geworden war, nahm er seine Jacke unter den Kopf, legte sich ins kühle Grab und schlief ein; seine Frau wartete mit dem Mittagessen. Weil er nicht heim kam, suche sie ihn und fing an zu schimpfen, verschlafen richtete er sich auf und stöhnte: „Nich amal im Grabe hat ma Ruhe vor Dir.“


Das Sühnekreuz von Kuttlau

In der steinernen Kirchhofsmauer ist ein altes, verwittertes Steinkreuz eingesetzt. Wenn man genau hinsieht, erkennt man die eingehauenen Umrisse einer Axt. Der greise Totengräber erzählte uns davon folgende Geschichte:
„Vor mehreren hundert Jahren arbeiteten einmal zwei junge Zimmerleute am Kirchturme, der eine hoch oben am Glockenfenster, der andere trug am Fuße des Turmes Bretter zusammen. Sie sprachen nicht miteinander. Sie hatten schweren Streit, denn sie liebten beide dasselbe Mädchen. Plötzlich fasste den einen, der oben am Glockenstuhle stand, die Wut. Er schleuderte die Axt nach seinem Mitarbeiter und traf ihn so unglücklich am Kopf, dass dieser tot niedersank. Als Sühne für seine unbedachte Tat musste er das Sühnekreuz setzen und wurde außerdem hart bestraft. Viele hundert Jahre steht das Sühnekreuz nun schon und erinnert an die einstige Übeltat. Es ist gut, dass solche Zeichen aus früherer Zeit erhalten bleiben. Ihr Kinder dürft es nicht beschädigen, daran herumkratzen oder gar mit Steinen danach werfen. Es soll euch immer daran erinnern, dass man sich nie vom Zorn zu üblen Taten hinreißen lassen darf. ′Von allem, was du tust, bedenke das Ende!‘“
So sprach der alte Totengräber. Wir Kinder betrachteten jetzt das alte Steinkreuz und die eingehauene Axt mit ganz anderen Augen und freuten uns, wieder etwas Neues von unserer Heimat erfahren zu haben. 


Was man sich für Spukgeschichten in Kuttlau erzählt (e)

Namentlich in der guten alten Zeit leisteten unsere Vorfahren auf dem Gebiet der Volkssagen mit dichtender Phantasie Großes. Wenn am Feierabend jung und alt sich in der Bauern- oder Gesindestube, am Biertisch oder am Spinnrocken zusammenfand, dann wurden mit besonderer Vorliebe die Erzeugnisse der eigenen Phantasie zum besten gegeben. Andächtig lauschten die Jungen den Alten halb gläubig, halb zweifelnd; diese aber waren voll Ehrfurcht vor dem, was sie schon von ihren Vätern und Großvätern erlauscht und behalten hatten. (...)



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