|
Es
ist bald nicht mehr wahr, so lange liegt die Zeit schon zurück, die
Augen- und Ohrenzeugen ruhen längst in der Heimaterde, da geschah es
in einem kleinen Dörflein im östlichen Schwarzen Winkel. Die Ernte
war nach einem fruchtbaren Jahr eingebracht, viele Schweißperlen
hatten Wochen und Wochen ihren Weg genommen, mancher Feierabend war
nur noch ein Hinsinken auf die Lagerstatt, zu stark waren die
Anstrengungen des Getreidemähens mit der Sense, zu eilig musste
alles geschehen, als dass es im Tageslauf eine Rastminute außer den
Mahlzeiten gegeben hätte. Der Herbst brachte eine kleine
Verschnaufpause mit Erntefest und dem ruhigeren Ablauf der
Tagesarbeiten.
Aber kaum fielen die ersten Blätter von den Bäumen, deuteten die
ersten Reifnächte die kommende Winterzeit an, da hieß es auch schon,
jeden Morgen so gegen 4 Uhr aufzustehen, sich mit leichter Gewalt an
den neuen Tag zu gewöhnen und den Dreschflegel zu schwingen. So ging
es Tag um Tag, manche Woche lang, bei mildem Wetter, bei zugiger
Kälte auf der Tenne der Scheune, bis auch die letzte Garbe ihr Korn
hergegeben hatte. Die schweren Säcke mit dem kostbaren Gut mussten
auf den Kornboden getragen werden, und nur der Anblick des
sehnlichen, wohlbeschichteten Haufens goldener Körner war ein
erfreulicher Ausgleich für den harten Einsatz eines ganzen Jahres.
Schließlich durfte das Getreide ohne Pflege nicht lagern, von Zeit
zu Zeit musste der Haufen umgeschaufelt, mussten Säcke gefüllt und
zur Mühle gebracht werden, immer lag eine schwere Last auf den
Schultern des willigen, gutmütigen Knechtes Paul, der - es klingt
heutzutage etwas altmodisch - in Treue seinem Dienstherren zur Seite
stand. Auf ihn war Verlass, und sein Herr, selber mit Frau und
Kindern nur für seine Landwirtschaft bemüht, konnte seinem Knecht
keine besondere Freude, Erholung und Anerkennung schenken. Zwar
gab's ein kleines Angebinde zu Weihnachten, meist zweckmäßiger Art,
aber sonst lief die Zeit Wochen- wie feiertags im gleichen Rhythmus,
ausgenommen die Stunde des obligaten Kirchganges. Und der
mitfühlende Pastor, so energisch er auch mitunter ein recht ernstes
Wort von der Kanzel an seine demütige Gemeinde richtete, hatte
Verständnis, wenn unser guter Paul von seiner Predigt nicht im
erwarteten Maße hingerissen war. Übermüdet von einer Woche harter
Arbeit fiel er in einen gesunden Kirchenschlaf.
Aber so ganz unbelohnt wollte der Bauer seinen Knecht für seine
nützliche Tätigkeit und den rastlosen Einsatz nicht lassen. Er
sollte auch einmal eine besondere Freude haben.
Eine schöne Zeit im Jahresablauf begann, die Blumen konnten sich in
ihrer Farbenpracht nicht genug tun, die Sonne zeigte ein strahlendes
Lächeln, und aus dem Laubwerk von Baum und Strauch erscholl das
fröhliche Pfeifen und Tirilieren der Vögel: der Mai war gekommen.
Auch wenn man, wie im Sommer dazumal üblich, keine Zeitung hielt und
las, wusste es das ganze Dorf, der ganze Kreis: In Glogau ist
Pfingstschießen, wie das Fest der Schützen allgemein hieß.
Und so gab der Bauer seinem Herzen einen Stoß - es war zwar ein
Wochen-, ein Arbeitstag -, sagte zu seinem Knecht: „Paul, leg deine
Arbeit an die Seite, rasier dich und zieh deinen Kirchgehrock an.
Hier hast du eine Mark" - damals viel Geld - „du kannst zum
Pfingstschießen gehen, gegen Abend kannst du wieder zurück sein."
Ohne Fahrrad, ohne Mitfahrgelegenheit machte sich unser Freund auf
den Weg, so an die 15 km galt es, unter die Füße zu bringen. Na ja,
er war fest auf den Beinen, die gut gewichsten Stiefel hatten sich
an den Fuß gewöhnt oder umgekehrt, er ging auf Feldwegen und
Ackerrainen, um den Weg abzukürzen und die Anstrengung des Marsches
zum Pfingstschießen zu mildern.
Als er so etwa drei Dörfer durchquert hatte, gelangte er auf den
Oderdamm. Hier lief es sich gut, die Luft war erfrischend und leicht
bewegt, und der Blick kaum behindert, über Äcker und Wiesen. Die
grüne Pracht des Strauchwerks im Werder (Landstreifen zwischen
Oderstrom und Oderdamm), untermischt mit einzelnen Bäumen, war auch
ihm des Beschauens wert. Strammen Schrittes verließ er schließlich
bei Weidisch den Oderdamm und trat auf die Straße, die auf Zarkau
zuführte. Zum Breslauer Tor war's nun nicht mehr weit, er ließ es
bald hinter sich; aber nun fing die Angelegenheit an, etwas
schwierig zu werden. Rechts und links Häuser, nichts als Häuser,
statt Musik vom Platz des Pfingstschießens hörte er nur
Wagengerassel, ab und zu kam ein Militär hoch zu Ross. Und unser
lieber Paul, bescheiden in seiner Art, wagte nicht, die so vornehm
gekleideten, dahergehenden Leute zu fragen, wie er am besten zum
Schützenhaus kommen könnte. Bei den vielen Straßen, die nach allen
Richtungen kreuz und quer durch die Stadt gingen, ließ ihn sein
Orientierungssinn im Stich. - Es war gegen Abend, der Bauer trat
gerade aus dem Stall, wo er das Vieh versorgt hatte und warf einen
Blick zur Dorfstraße. Ja, wer kommt denn da? Ein bissel verstaubt,
aber sonst frohen Mutes, ging sein Knecht durchs Hoftürchen und trat
auf seinen „Arbeitgeber" zu: „Hiär ho Är de Mark weider zurücke,
Herr, eich hoa doas Fingstschiess'n ne g'fung'n." (Hier habt Ihr die
Mark wieder zurück, Herr, ich habe das Pfingstschießen nicht
gefunden.)
Soviel Ehrlichkeit war dem Bauer bald nicht begegnet, man konnte so
etwas mit der Laterne suchen: „Da, Paul, hebst dir die Mark gut auf
und kaufst dir dafür mal, was dir besonders gefällt."
Frühlingsbrausen
Nun knospt in Sonnenschein
Das erste Grün der Halde;
Nun lasset ganz allein
Dahin mich gehn im Walde!
Ich will am frühen Duft
Der Veilchen mich berauschen,
Dem Brausen in der Luft,
Dem heil'gen, will ich lauschen.
O Laut, in welchem sich
Zuerst der Lenz enthüllet,
Und der wie keiner mich
Mit süßen Schauern füllet!
Mir ist's, als schlief' in dir
Der Einklang aller Stimmen,
Die später durchs Revier
Des Mais gesondert schwimmen;
Als sprächst du aus gesamt
Die tausend Schöpfungstriebe,
Damit die Welt durchflammt
Der Ratschluß ew'ger Liebe.
Du mahnest wundersam
Mich an das Sausen wieder,
Drin einst zu Pfingsten kam
Der Geist des Herrn hernieder.
Verstummend muß ich dir
Mein Haupt in Andacht beugen:
O komm, zu ruhn in mir
Und heil'ge Kraft zu zeugen!
Emanuel Geibel
|
|
|