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Als
die Russen Anfang Februar 1945 in Rostersdorf eindrangen, befanden
wir uns in Klein Schwein. Sie waren bei Fähreichen (Leschkowitz)
über die Oder und über den Mittelhof ins Dorf gekommen, wo sie
allerdings nur kurze Zeit verblieben. Als wir mit unserer kleinen
Gruppe, die sich von dem großen Treck getrennt hatte, am 21. Februar
in unsere Heimat zurückkamen, waren nur noch zwei Offiziere mit
ihren Burschen im Hof von Eitner-Reisdorf. Der russische Kommandant
befand sich bis 1949 in Roggenfelde (Rietschütz). Hinter dem
Wohnhaus der Bäckerei Wolf fanden wir die Leichen von 30 deutschen
Soldaten, die dort als Verwundete den Tod gefunden hatten. Wir
bestatteten sie auf der Waldlichtung nach Rietschütz zu. Die
Erkennungsmarken, die wir gesondert vergruben, wurden später
ausgegraben und von den Polen vernichtet.
Schon bald wurden die zurückgebliebenen bzw. zurückgekehrten
Deutschen in Rietschütz zusammengezogen und in den von der
sowjetischen Militärverwaltung gebildeten Kolchosen zur Arbeit
eingesetzt. Bei unserer Rückkehr fanden wir viele Häuser des Dorfes
völlig zerstört, so ein Arbeiterhaus des Niederhofes, das gräfliche
Schloss im Mittelhof, die Wohnhäuser von Großmann, Viereck, Geppert
Bernhard, Reibeholz, Hartmann, Zwicker, Mühmelt, Srippek, Kieslat
und Schuppke, die Bäckerei Wolf, die Scheune von Pohl und die
Windmühle von Obst. Am 27. Juni kamen die ersten Polen nach
Rostersdorf, und es wurde ein polnischer Bürgermeister eingesetzt.
Die polnische Miliz befahl allen Deutschen, den Ort sofort zu
verlassen. Im Fußmarsch ging es mit nur wenig Gepäck bis Forst a. d.
Lausitzer Neiße. Doch schon Ende August 1945 kamen wir auf eigene
Verantwortung wieder zurück; sogar per Bahn, wenn auch im
verschlossenen Waggon. Wir konnten nur staunen, als wir die vielen
Polen sahen, die in den sieben Wochen unserer Abwesenheit in
Rostersdorf sesshaft geworden waren. Durch die polnische Verwaltung
wurde bekannt gemacht, dass sich jeder Deutsche einen Ausweis
ausstellen lassen müsse. Außerdem habe jeder eine weiße Armbinde zu
tragen. Das Tragen der Armbinden wurde in den letzten Jahren
erlassen. Radiogeräte, Fotoapparate, Feldstecher und andere
wertvolle Gegenstände waren sofort abzuliefern.
Wir mussten viel erdulden. Oft wurden wir von Russen mit der Pistole
gezwungen, mitzugehen. Einmal kamen bei Tage zwei Russen ins Haus
und schauten sich alles an, besonders die Frauen und uns Mädchen.
Gegen Abend ging ich mit meiner Schwester zu unserer Tante nach
Urschkau, weil wir annahmen, dass die beiden in der Nacht
wiederkommen würden. Sie kamen tatsächlich und suchten nach uns. Da
unsere Mutter nicht sagte, wo wir waren, schlug man sie mit einer
Eisenstange zu Boden. Als wir am Morgen zurückkamen, fanden wir
unsere Mutter schwer nach Atem ringend vor. Sie war kaum in der
Lage, uns über das Vorgefallene zu berichten. Die Kolchosen, auf
denen wir arbeiteten, wurden 1949 von den Russen den Polen
übergeben.
Die evangelische Kirche des Pfarrorts Rostersdorf (Kreuzkirche) war
eine mit Schindeln gedeckte Schrotholzkirche, bei der die tragenden
Teile der Wände aus Holzbalken zusammengesetzt und die Gefache in
Lehmbauweise geschlossen oder ausgemauert waren (Fachwerk). Wenige
Tage nach dem 27. Januar 1945, dem Tag der Ausweisung der
Dorfgemeinde Rostersdorf, wurde der weithin sichtbare Kirchturm von
Soldaten der Wehrmacht abgerissen mit der Begründung, man wolle
eventuelle feindliche Beobachter verunsichern. Als wir, die wir uns
vom Treck getrennt hatten, am 21. Februar 1945 wieder in unseren
Heimatort zurückkamen, war die Kirche noch vorhanden, aber schon
stark ausgeraubt. Die Schindeln, die schon seit der Vorkriegszeit
zur Neueindeckung des Daches bereitlagen, wurden als willkommenes
Brennmaterial verwertet. Die Leichenhalle nahe bei der Kirche diente
den Russen als Schlachthaus. Auf der Totenbahre erstach man die
Schweine und brannte sie ab.
Das Vieh, Rinder, Kälber, Schafe usw. wurde, bevor es geschlachtet
wurde, an die Grabsteine unweit der Halle angebunden. Die
eigentliche Zerstörung und Vernichtung der Kirche begann, als sich
im August immer mehr Polen im Dorf niederließen. Zuerst wurden die
Bänke und Stühle, dann die Dielen, die Orgel und die Kanzel und
schließlich das gesamte Balkenwerk und die restlichen Holzteile zu
Brennmaterial gemacht. Später entdeckte man die Grüfte, die sich im
vorderen Teil der Kirche unter dem Fußboden befanden. Die darin
befindlichen Särge wurden geöffnet und geschändet Am Totensonntag
1946 stieg Qualm aus einer Gruft. Man hatte in einem Sarg Feuer
entzündet, das wir sofort nach Entdeckung löschten. Es hatten
Hobelspäne gebrannt. Mehr konnte man in diesem kleinen Sarg nicht
entdecken. Wir schauten uns nun die Gruft, von der ja auch die
Rostersdorfer Kirchenchronik berichtet, genauer an. Die Inschrift
war noch lesbar. Drei Särge waren abgedeckt. Durch ein kleines
viereckiges Fenster konnte man die noch sehr gut erhaltenen Leichen
sehen. Die Gesichter waren wie verwelkt, die Gewänder anscheinend
unverändert. An diese Särge hatte man sich nicht herangewagt. Nur
die äußeren Sargdeckel hatte man entfernt. Da sich alle Neubewohner
des Dorfes an der Ausbeutung des Holzes als Brennmaterial
beteiligten, reichte dieses natürlich nicht lange. Schließlich waren
nur noch wenige Steine, Lehmbrocken und der aus Stein gemauerte
Altar von dem einstmals so stolzen Bau übriggeblieben. Auf dem
verwahrlosten Friedhof hüteten die Polen ihr Vieh. Es sei noch
erwähnt, dass man die Glocke eines Nachts gestohlen hatte. Sie wurde
dem Vernehmen nach nach Grünberg und von dort weiter nach Polen
transportiert.
Bevor wir 1951 endgültig unsere Heimat verließen, nahmen wir
wehmütig Abschied vom Friedhof und von dem wenigen, was von unserer
schönen alten Kirche übriggeblieben war. Vielleicht musste es sein,
dass wir noch so lange in der Heimat unter fremden Menschen leben
mussten, um von all dem, was geschehen war, berichten zu können.
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