Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 12, Dezember 2018


Geschichten aus dem "Schwarzen Winkel"

 




Endlich war es soweit. Das düstere Novemberwetter - keinem gefiel es - hatte den helleren Tagen weichen müssen, und die lieben Kinderchen wurden langsam, aber sicher ein bisschen braver. Der Kalender zeigte nämlich auf den ersten Adventssonntag. Nun begannen das stille Hoffen, das Sich-im-voraus-Freuen, das heimliche, stille Vorbereiten der Geschenke für liebe Menschen, aber - das lag schwer auf der Seele - auch das Rätseln und Grübeln über eine gutgemeinte Gabe. Aus diesem Grunde konnte man ständig sich vertiefende Sorgenfalten auf der Stirn eines wohlsituierten Familienoberhauptes bemerken, der auf diese Weise hart betroffen war: Welches Geschenk würde wohl seine ihm angetraute Eheliebste am meisten erfreuen?
Tage um Tage blickte er im Haus umher, lauschte mit dem „dritten" Ohr auf alle Äußerungen seines Weibes, sah stark interessiert ihre Arbeit, konnte aber zu keinem einhelligen Abschluss seiner Sorgen kommen. Nach vielen Tagen nutz- und ergebnislosem Grübeln hatte er doch eine kleine „Erleuchtung", ein Hoffnungsschimmer wagte sich schüchtern hervor. Und diesem oft zitierten Gedankenblitz gab er nach und machte sich auf den Weg zu einer bekannten Familie, auf deren Rat und Urteil er schließlich etwas gab.
Auch dort war die Adventsstimmung aufgekeimt, und man zeigte sich aufgeschlossen für die Sorgen und Nöte des Gastes. Hin und her wurde beraten, vorgeschlagen und wieder verworfen. Es schien aussichtslos, eine freudige Überraschung zu finden; denn alle Vorschläge scheiterten an: „Schon vorhanden, ist nicht im Sinne der Empfängerin." Nach Sondierung vieler Möglichkeiten aber kam eine Anregung, eine typisch frauliche, aber doch bedeutsame zur Sprache: Wie wär's mit etwas zum Anziehen? Eine Frau freut sich immer über eine nette Bluse, einen gutsitzenden Rock, ein Kleid für besondere Anlässe (die zwar auf dem Lande dünn gesät waren). Nach diesbezüglicher Abgrenzung hatte ein Rock den Zuschlag erhalten. Die Einzelheiten wurden herausgestellt: die Farbe hatte mit denen der vielerlei Blusen zu harmonieren, der Schnitt der Figur entsprechend zu sein.
Ein Riesenstein, ja ein ganzes Gebirge rollte vom bedrückten Herzen des gestandenen Mannsbildes, und die Fahrt zur Kreisstadt erhielt vorrangig einen Platz im Terminkalender. Die Fahrt begann, das Geld wurde von der Kasse geholt, und klopfenden Herzens durchschritt das nun sorgenfreie Familienoberhaupt die Tür zum „Konfektionär".
„Womit kann ich Ihnen behilflich sein?" „Ach so, ja, ich hätte gern einen Rock für meine Frau!" „Welche Größe, welche Farbe, welcher Zuschnitt?"
Das war ein bissel viel auf einmal für einen Neuling auf diesem Gebiet.
„Ich lege Ihnen mal etwas vor." „Ja, bitte!"
Fast war der Ladentisch, der doch einiges gewöhnt war, zu klein. Glücklicherweise hatte der vorsorgliche Gatte einige Maße von den Röcken aus Muttis Schrank entnommen, so dass das Geschäft langsam Gestalt annahm und sich einiges herauskristallisierte. Was war doch für einen Mann eine solche Entscheidung
schwer, fast nicht zu bewältigen, was einer Frau im Augenblick gelingt. Nach Kaufabschluss und vereinbarter Umtauschmöglichkeit hörte man das befreite Aufatmen eines Herren der Schöpfung, der zielstrebig seinem Fuhrwerk zustrebte. „Das wäre geschafft!"
Selten wohl ist ein Mensch so froh und glücklich seinem Heim zugestrebt; vielleicht glückt es auch, dass das nicht gerade kleine Paketchen ohne Anstände in das vorbedachte Versteck kommt. Aber wozu ein Risiko eingehen? Die so hilfreich gewesene Ratgeberfamilie würde sicherlich ... „Also bis zum Heiligabend, dann komme ich rechtzeitig, um die Gabe ins Haus zu schmuggeln." Kein Programm konnte so ungestört und brillant ablaufen wie die Weihnachtsüberraschung.
Die Stunde nahte, das Radio durchtönte mit Weihnachtsklängen die ganze Wohnung. Der Christbaum stand bereit, die Geschenke für die Sprösslinge waren aufgebaut und mit einem Tuch bedeckt, die sorgende Hand der Mutter hatte alles bestens geordnet und mit viel Liebe bereitet. Aber noch konnte sie sich den weihnachtlichen Empfindungen nicht hingeben. In eiligem Hin und Her deckte sie den Tisch, verzierte ihn mit grünen Zweiglein, stellte den Nachtisch bereit, hob ab und zu den Topfdeckel, sah nach, ob sich der festliche Braten auch richtig - nicht zu hell und nicht zu dunkel - bräunte, stellte die Mohkleeßel (Mohnklöße) ins Kühle, derweil ihr Ehegespons noch in der Weihnachtsstube geheimnisvollem Treiben nachging. Endlich öffnete er die Tür, schloss sie wohlweislich hinter sich, drehte den Schlüssel um und verwahrte ihn in der Hosentasche - er kannte seine Kinderschar sehr genau -, während Mutti die Schürze abband und zu Tisch rief. Mit vor Freude glänzenden Augen saß man an der geschmückten Tafel und tat Mutters Gericht alle Ehre an. So fix hatten die Kleinen ihren Teller selten leer gegessen, sie drängten, und Vater verschwand im Nebenzimmer, zündete die Kerzen an, deckte die Geschenke ab, warf noch einen hoffnungsfreudigen Blick auf die verschnürte Gabe an seine gute Fee und ließ das Glöcklein erklingen.

Mit einem Jubelschrei stürmten die lieben Kleinen zu ihren Geschenken, vergnügt sahen die Eltern dem Treiben zu und wussten ihre Nachkommenschaft gut versorgt und in ein erstes Spiel vertieft. Nun lenkte Mutti ihren Gatten an seinen Platz und sonnte sich an Freude und Überraschung, die er beim Anblick des Geschenkes empfand. Jetzt war der lang ersehnte Augenblick gekommen, wo auch er den festlich gepackten Karton seiner Frau überreichen konnte. Mit geschickter Hand öffnete sie die Verschnürung, legte das Umschlagpapier sorglich zusammen, verwahrte auch den Bindfaden, für den späteren Gebrauch und ... erstarrte: ein Rock!
„Nein, wie konntest du nur auf den kaum glaublichen Gedanken kommen, mir einen Rock zu schenken, das ist nicht Männersache, so etwas muss eine Frau doch selbst aussuchen, dafür hat ein Mann keinen Verstand und keine Veranlagung."
Wie vom Donner gerührt stand der nun nicht mehr so erwartungsvolle Spender. Endlich hatte er sich gefasst: „Du könntest das Stück doch mal anprobieren, den Schnitt und die Farbe, die Qualität des Stoffes begutachten. Und sollte es nicht deinen Erwartungen entsprechen, ist immer noch der Umtausch möglich." „Nein, nein, dieser Rock ist eine Unmöglichkeit, so etwas werde und kann ich niemals tragen."
Mit dem Mohnklößeessen wurde reichlich einsilbig der „Heilige Abend" beschlossen, schnell wurde es dunkel im Haus. Die Kinder lächelten selig im Traum von der Weihnacht. Nur der Vater, der es sich so schwer gemacht und so gut gemeint hatte, konnte keinen Schlaf finden. Manch heimlicher Seufzer entrang sich seiner bedrückten Seele. Nach vielem Umherwälzen fiel er in einen unruhigen, kurzen Schlaf und war beizeiten wieder auf, zum Kirchgang zu rüsten. Aber die gedrückte Stimmung wollte nicht weichen. Die angeblich so enttäuschte Gattin fand kein versöhnendes Wort, es wurde Mittag.
Nach dem Essen hielt es Vati nicht mehr aus. Er musste seine negative Überraschung loswerden, musste sich mit guten Menschen aussprechen. Sein Weg führte ihn zu der wohlmeinenden Ratgeberfamilie. Nach seiner Weihnachtsabendschilderung sah er ebenfalls nur betroffene Gesichter. Was aber war zu tun? - Aber es gab ja den sogenannten 3. Feiertag, den Tag des Geschenkeumtauschens. Also wurde beschlossen, diesen Tag zu nutzen. Zwar verstrich die Zeit bis dahin recht schleppend, endlich aber waren die Pferde eingespannt, die nicht angekommene Gabe wieder sorgfältig verpackt, der Kassenzettel in der Brieftasche, und die Fahrt konnte beginnen.
Nach dem Gesetz der Duplizität war nun eigentlich eine neue Überraschung fällig. Die ließ auch wirklich nicht auf sich warten. Das Seltsamste geschah, das Erstaunen konnte nicht größer sein: Die liebe Frau weigerte sich, mitzufahren, die Frau, um deretwillen eigens die Fahrt, gestartet werden sollte.
„Mein lieber Mann, ich habe es mir nun überlegt, der Rock gefällt mir, die Farbe passt zu meinen sonstigen Sachen, der Zuschnitt entspricht meiner Figur, und der Sitz ist ganz beachtlich."
„Ausspannen, wir fahren nicht!"
Wie schön war doch mit einem Male das Leben in der Familie, vergessen war all das Leid vom „Heiligen Abend". Einen fröhlicheren Gatten kann sich wohl kaum eine Frau wünschen, und hoffen wir, dass es so geblieben ist. -d-h

Rübezahl als Weihnachtsbettler

Den ganzen Tag über hatte es auf den Höhen des Riesengebirges gestürmt und geschneit, dass man vom Hirschberger Tale aus nicht einen Augenblick die
langgestreckten Kämme sah, vielmehr nur schleppende Schneewolken, Nebelfetzen und durcheinanderwirbelnde Unwetter.
Man jagte keinen Hund gern in dieses fürchterliche Schneetreiben.
Aber dem Rübezahl gefiel es gar wohl, und er schritt, in einen zottigen Pelz gehüllt, mit weiten Schritten über die Abgründe, ließ sich die spitzen Schneenadeln ins Gesicht treiben und lachte dabei so unbändig laut, dass sich die Zwerge noch tiefer ins Wurzelgeflecht der alten Fichten versteckten und die Rehe im Walde noch enger zusammenrückten.
Als der Abend herankam, hörte das Unwetter wie mit einem Zauberschlage auf. Die letzten Schwaden und Schneewolken flogen nach Böhmen hinaus, und ein wunderbarer tiefblauer Sternenhimmel wölbte sich übers Gebirge, das mit seiner unsäglichen Schneepracht geschmückt dalag wie eine fürstliche Braut mit einem großen weißen Hermelinmantel.
Der Rübezahl stand oben am Reifträger und sah ins Tal hinab, aus dem die Lichter der Dörfer und Städte bis zu ihm in seine Einsamkeit herauf glänzten.
Da begann es auf einmal aus der Tiefe zu singen und zu läuten. Erst begannen die Glocken der nächsten Gebirgsdörfer, dann fielen die ferneren mit ein, und allmählich durchzitterte ein großes Geläut alle Täler.
Da begriff der Berggeist, dass heute der Weihnachtsabend sei. Auf seine Keule gestützt, sah er lange ins Menschenland hinab, und hatte er sich noch eben in dem Schneesturm seiner elementarischen Natur gefreut, so überkam ihn jetzt ein sonderbares Heimweh, diesen seltsamen Abend unter Menschen zu sein ...
Mit gewaltigen Sprüngen lief er quer durch die verschneiten Wälder hinab, wobei seine riesige Gestalt immer mehr einschrumpfte, und am Ende stand er wie ein gewöhnlicher Mensch vor dem Eingange zu einem armen Bergbauerndorfe, in dessen Häusern schon überall der heilige Christ gefeiert wurde.
Da schlich sich der arme Wicht von Haus zu Haus, sah überall durch die Fenster den Lichterbaum glänzen und wäre gar zu gerne mit dabeigewesen. Mensch unter Menschen!
Aber niemand rief ihn herein, denn niemand ahnte, wer da draußen ums Haus schlich, bis ihn in der letzten Hütte ein kleines Mädchen im Fenster sah, es öffnete und dem Weihnachtsbettler einen Pfefferkuchen hinausreichte, des Glaubens, er sei hungrig.
Da floh der Rübezahl auf seine Berge zurück, aber den kleinen Pfefferkuchen hielt er wie einen Schatz in der mächtigen Faust, und oben in der Einsamkeit des Hochgebirges roch er daran, und der süße Duft betäubte ihn vollends.
Sonderbares Geschlecht, diese Menschen, sprach er zu sich selber, so schwach, so klein, so elend, und doch haben sie etwas, was selbst ein Riese nicht hat



Trost der Weihnacht
Alfred Trögner

Weihnacht ist wieder,
so künden die Lieder.
Weine doch nicht,
es leuchtet ein Licht.

Es strahlet der Stern
der Heimat auch fern,
selbst wenn Heimweh-
gedanken
dein Herze umranken.

Gott ist ja Friede,
er schenkt uns die Liebe.
Trost ziehet ein
in jegliches Heim.

Schau auf den Stern,
er leitet dich gern
über Sorg und Leid
bis in die Ewigkeit.




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