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Die
Grundsteinlegung für die neue und letzte Synagoge in Glogau erfolgte
im Jahre 1891, und am 15. September 1892 fand die Einweihung dieses
imposanten Gotteshauses statt.
Die Baukosten beliefen sich damals auf über 1 Million Mark. Die
Gemeinde hatte sich zunächst für ein wesentlich preiswerteres
Projekt entschieden, da sie aus finanziellen Gründen glaubte, eine
derartige aufwendige Synagoge nicht errichten zu können. Erst nach
langen internen Debatten und Verhandlungen entschloss man sich zur
Ausführung des teuren Projekts.
Die Straßenfront wurde nicht nur vom Synagogengebäude eingenommen,
sondern durch stark gegliederte Bauteile, die die verschiedensten
Nebenräume enthielten, wurde der repräsentative Rahmen für die
Synagoge gebildet. Auch die Nebeneingänge, die Hausmeisterwohnung
und der Festsaalbau wurden mit Ziergiebeln und Kuppeln ausgestattet,
deren Deckung aus farbig glasierten Platten bestand. Vor allem ist
bei diesem Bau die Dachlandschaft durch eine Vielzahl von Dachformen
gekennzeichnet, die zusätzlich zu der kleinteiligen
Architekturornamentik das Gebäude aufwerten. Vor allem ist es den
Architekten gelungen, dem Bauwerk eine eigenartige Erscheinung zu
geben, in welcher auch der Laie ohne weiteres die Synagoge erkennen
dürfte.
>Die Synagoge in der Wingenstraße, rechts daneben das
Elisabethkrankenhaus<
Ihre Fassade bestand aus glasierten Formsteinen. Die Rosette ähnelte
der des Straßburger Münsters. Die Spitze des Hexagramms über der
Kuppel war 34 Meter über dem Straßenpflaster. Wenig bekannt war ein
merkwürdiges Glogauer Siegel aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts; es
zeigte im runden Siegelfelde eine turmartig aufgeführte Synagoge von
abenteuerlicher Architektur mit doppelter Umschrift in hebräischen
Buchstaben. Die äußere Umschrift lautete: Siegel der samentliche
ludenschaft zv Gros Glogau. Die Synagoge verfügte über eine
Silbermann-Orgel von herrlichster Klangfülle.
Aus der ältesten Niederlassung der Juden in Glogau war noch ein
Stein erhalten, der in das Mauerwerk des Hauses Baustraße 14
eingelassen war. Aus der alten hebräischen Inschrift ging hervor,
dass der Stein im Jahre 1282 oder 1372 zur Erinnerung an einen
Hausbau im Ghetto zum ewigen Angedenken gesetzt und 1770 beim
Abbruch des alten Hauses an seine letzte Stelle gesetzt worden ist.
Dieser Stein weist schon darauf hin, wo sich das einstige Ghetto
befand: einem Teil der Lange Straße, Baustraße und damalige
Hospitalstraße.
Das Nazisystem ließ das Gotteshaus, ebenso wie in anderen Städten
Deutschlands, in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938
niederbrennen.
55 Jahre später, am 9. November 1993, wurde auf dem Gelände der
ehemaligen Synagoge die hier abgebildete Gedenkstätte eingeweiht.
Die Anlage befindet sich im Bereich zwischen Wingen- und
Friedrichstraße und Wilhelmplatz. Eine etwa einen halben Meter hohe
Doppelmauer aus roten Ziegeln steht auf dem Grundriss der ehemaligen
Synagoge. Auf der Stelle, über der die Synagogenkuppel zu denken
ist, befindet sich ein in den mosaikartig belegten Boden eingefügter
Davidstern.
>9. November 1993 – Einweihung der Gedenkstätte<
Erinnerungen an die „Reichskristallnacht"
von Dr. Karl-Maria Heidecker
In der Nacht vom 9. zum 10. November 2018 jährt sich zum 80. Male
die sogenannte Reichskristallnacht, in der die meisten Synagogen in
Deutschland und Österreich angezündet wurden und in der vielen Juden
in diesen Ländern großes Leid zugefügt wurde, auch in unserer
Heimatstadt Glogau. Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Zeit.
Für unsere Familie waren Juden normale Mitbürger, die nur einen
anderen Glauben hatten als wir und deshalb statt in die Kirche, in
die Synagoge gingen, um Gott zu verehren. Es gab in Glogau etliche
sehr gute jüdische Geschäfte, z.B. das Geschäft der Familie
Hauerwitz und den Herrenausstatter Breslauer, dessen Geschäft an der
Ecke des Marktes gegenüber der Jesuitenstraße gelegen war. In beiden
Geschäften kauften meine Eltern gern ein, weil sie dort gute Waren
bekamen und gut bedient wurden. In Glogau arbeiteten auch zahlreiche
jüdische Ärzte und Rechtsanwälte zur Zufriedenheit ihrer Klienten
und Patienten.
Durch meine Eltern wurde mir bekannt, dass SA - Leute den
bekanntesten jüdischen Rechtsanwalt in Glogau, Herrn Rechtsanwalt
Jakobsohn schon im Frühjahr 1934 in seinem Haus in der
Promenadenstraße niedergeschlagen hatten. Deshalb wanderte er einige
Monate danach in die USA aus. Ich erfuhr auch durch meine Mutter,
dass Glogauer SA - Leute den jüdischen Lungenfacharzt Dr.med. Erich
Lindemann, der in Glogau praktizierte und in Glogischdorf ein
Lungensanatorium betrieb, im Sommer 1934 erschlagen hatten. Seit
dieser Zeit konnte man auf Bretterzäunen Parolen lesen wie „Die
Juden sind unser Unglück" oder „Juden raus".
Im November 1938 waren meine beiden Eltern für zwei Wochen im
Riesengebirge im Urlaub. Meine Mutter wurde in ihrer Praxis durch
eine Ärztin vertreten und mein Vater im Krankenhaus durch einen
Chirurgen. Beide Ärzte wohnten in meinem Elternhaus und aßen mit uns
zusammen. Am Morgen des 10. November 1938 saßen wir gemeinsam beim
Frühstück. Die beiden Ärzte wirkten müde und übernächtigt. Sie
erzählten uns, dass sie die ganze Nacht nicht geschlafen hätten und,
dass sie damit beschäftigt waren, von Nazis verletzte Juden in ihren
Wohnungen ärztlich zu versorgen. Wir hörten auch, dass Mitglieder
der Nazipartei bei allen jüdischen Geschäften die Schaufenster
eingeschlagen und die Auslagen auf die Straße gezerrt hätten. Auf
meinem Schulweg machte ich deshalb einen Umweg über den Markt, um
dort die Schädigungen anzusehen. Bei dem Herrengeschäft Breslauer
fand ich bestätigt, was uns die Ärzte berichtet hatten. In den
Schulpausen liefen wir trotz Verbot in kleinen Gruppen durch eine
Hintertür beim Pedell auf die Breslauer Straße und von dort um die
Ecke in die Wingenstraße zur Synagoge, die lichterloh brannte. Dabei
erlebte ich, wie gerade die große Kuppel der Synagoge einstürzte.
>Das Innere der Glogauer Synagoge 1935<
Die nationalsozialistisch ausgerichtete Nordschlesische
Tageszeitung, genannt NOTA, berichtete, dass es sich bei diesem
Pogrom um eine ganz spontane Volkserhebung gehandelt habe. Aber wir
Kinder - ich war damals 11 Jahre alt -konnten schon erkennen, dass
das gelogen war. Diese Aktion war von den Nazis in ganz Deutschland
schon lange geplant und vorbereitet worden. Die Mutter meines
Freundes Hans-Ludwig Abmeier lag vor diesen Tagen zur Durchführung
einer Operation im katholischen St. Elisabeth - Krankenhaus, das
direkt neben der Synagoge gelegen war. Ich begleitete meinen Freund
bei dessen Besuch seiner Mutter. Dabei erfuhren wir, dass schon
mehrere Tage vor dem 9. November von der Glogauer Feuerwehr
intensive Brandschutzmaßnahmen im Elisabeth - Hospital durchgeführt
wurden, damit das Feuer nicht von dem geplanten Brand der Synagoge
auf das Krankenhaus übergriffe. Frau Abmeier geriet deshalb in große
Aufregung und erlitt damals eine tödliche Lungenembolie. Ihr Tod war
eine mittelbare Folge dieses Pogroms.
Nach dieser Nacht durften unsere jüdischen Mitschüler nicht mehr
unsere Schule besuchen. Alle in Glogau verbleibenden Juden mussten
einen Judenstern auf ihre Kleidung nähen, ihre Häuser und Wohnungen
verlassen und in zwei Häuser in der Arnoldstraße zusammenziehen.
Dabei erhielt eine ganze Familie nur ein Zimmer in der Wohnung.
Etlichen jüdischen Familien gelang es noch, ins Ausland
auszuwandern. Sie mussten dafür aber hohe Abgaben an den Deutschen
Staat entrichten. So gelang es dem jüdischen Kinderarzt Dr. Ernst
Bernhard Getzel zunächst in die Niederlande, später von dort nach
Chile auszuwandern. Er konnte aber seinen Beruf als Arzt nie wieder
ausüben, weil in Chile sein Examen nicht anerkannt wurde, er dort
aber nicht die Mittel besaß, sein Arztexamen noch einmal
nachzumachen. Die Mutter von Dr. Getzel blieb noch bis 1942 in
Glogau. Meine Mutter betreute sie bis zuletzt ärztlich, versorgte
sie aber auch mit Lebensmitteln, weil die Juden nur sehr wenig
Nahrung zugeteilt bekamen. 1942 wurde Frau Getzel ins KZ
Theresienstadt gebracht, wo sie Gott sei Dank das Kriegsende
überlebte und dann nach Bayern entlassen wurde. Sie suchte dort
sofort nach meiner Mutter. Als sie deren Adresse gefunden hatte,
bedankte sie sich herzlich bei meiner Mutter für alle erwiesene
Hilfe. Dann konnte sie noch nach Chile zu ihrem Sohn auswandern und
später mit ihm noch nach Israel übersiedeln, wo sie mit über 100
Jahren gestorben ist.
In Glogau wurden vor dem Krieg zwei Straßen umbenannt. Die neuen
Namen waren Planetta-Straße und Holzweber-Straße. Meine Eltern
klärten mich darüber auf, dass dies die Namen zweier Mörder waren,
zweier Nationalsozialisten, die 1934 den österreichischen
Bundeskanzlers Dollfuß ermordet hatten. Wir fanden es empörend, dass
man bei uns Straßen nach zwei Mördern benannte, nach zwei
Verbrechern. Diese Umbenennung war bezeichnend für den Geist der
Nationalsozialisten.
Da ich keine Begeisterung für den Nationalsozialismus zeigte, mich
aber aktiv an der katholischen Jugendarbeit beteiligte, wurde ich
zur Umerziehung in eine HJ-Einheit versetzt, die an jedem Sonntag
von morgens 7 h bis mittags um 13 h HJ-Dienst machen musste. In
dieser Zeit gab es noch keine Vorabend- und keine Abendmessen. Um
doch einen Sonntagsgottesdienst mitfeiern zu können, ging ich am
Sonntagmorgen um 6 h zur Heiligen Messe. Es war verboten, in Uniform
in die Kirche zu gehen. Nach der Messe blieb aber keine Zeit mehr
zum Umziehen. So zog ich über meine HJ-Uniform einen Mantel und ging
so in die Kirche. Nach der Messe zog ich den Mantel aus und gab ihn
meiner Mutter, die mich begleitet hatte, und lief dann zum Dienst.
Umerzogen zum Nationalsozialisten wurde ich durch diesen Dienst
nicht, im Gegenteil wurde dadurch mein innerer Widerstand noch
verstärkt. So war ich froh, als ich später in die Sanitätseinheit
der HJ übergehen konnte, in der wir im
Erste-Hilfe-Kurs etwas Unpolitisches und Brauchbares lernten und das
mir später in amerikanischer Kriegsgefangenschaft sehr genützt hat.
Ein stiller Trost
Ein tiefer Frieden auf den Gräbern liegt,
umgeben von der Dinge Schweigen.
Der Tod, der jedes Menschenherz besiegt
Will mahnend uns das Ziel anzeigen.
Mit Gottes Liebe, Güte und Geleit
Geh’n alle wir dem Licht entgegen.
Geöffnet wird das Tor zur Ewigkeit,
wenn wir den Kopf auf’s letzte Kissen legen.
Ein Trost, aus Lebenslust und harter Qual
zu wissen, was uns zugemessen.
Es bleibt zurück der Straße Bacchmal
Und alles, was auf Erden wir besessen.
H.C. König, Lyriker |
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