Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11, November 2018


Die Synagoge in Glogau
Vor 80 Jahren ging sie in Flammen auf

 




Die Grundsteinlegung für die neue und letzte Synagoge in Glogau erfolgte im Jahre 1891, und am 15. September 1892 fand die Einweihung dieses imposanten Gotteshauses statt.
Die Baukosten beliefen sich damals auf über 1 Million Mark. Die Gemeinde hatte sich zunächst für ein wesentlich preiswerteres Projekt entschieden, da sie aus finanziellen Gründen glaubte, eine derartige aufwendige Synagoge nicht errichten zu können. Erst nach langen internen Debatten und Verhandlungen entschloss man sich zur Ausführung des teuren Projekts.
Die Straßenfront wurde nicht nur vom Synagogengebäude eingenommen, sondern durch stark gegliederte Bauteile, die die verschiedensten Nebenräume enthielten, wurde der repräsentative Rahmen für die Synagoge gebildet. Auch die Nebeneingänge, die Hausmeisterwohnung und der Festsaalbau wurden mit Ziergiebeln und Kuppeln ausgestattet, deren Deckung aus farbig glasierten Platten bestand. Vor allem ist bei diesem Bau die Dachlandschaft durch eine Vielzahl von Dachformen gekennzeichnet, die zusätzlich zu der kleinteiligen Architekturornamentik das Gebäude aufwerten. Vor allem ist es den Architekten gelungen, dem Bauwerk eine eigenartige Erscheinung zu geben, in welcher auch der Laie ohne weiteres die Synagoge erkennen dürfte.


>Die Synagoge in der Wingenstraße, rechts daneben das Elisabethkrankenhaus<

Ihre Fassade bestand aus glasierten Formsteinen. Die Rosette ähnelte der des Straßburger Münsters. Die Spitze des Hexagramms über der Kuppel war 34 Meter über dem Straßenpflaster. Wenig bekannt war ein merkwürdiges Glogauer Siegel aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts; es zeigte im runden Siegelfelde eine turmartig aufgeführte Synagoge von abenteuerlicher Architektur mit doppelter Umschrift in hebräischen Buchstaben. Die äußere Umschrift lautete: Siegel der samentliche ludenschaft zv Gros Glogau. Die Synagoge verfügte über eine Silbermann-Orgel von herrlichster Klangfülle.
Aus der ältesten Niederlassung der Juden in Glogau war noch ein Stein erhalten, der in das Mauerwerk des Hauses Baustraße 14 eingelassen war. Aus der alten hebräischen Inschrift ging hervor, dass der Stein im Jahre 1282 oder 1372 zur Erinnerung an einen Hausbau im Ghetto zum ewigen Angedenken gesetzt und 1770 beim Abbruch des alten Hauses an seine letzte Stelle gesetzt worden ist. Dieser Stein weist schon darauf hin, wo sich das einstige Ghetto befand: einem Teil der Lange Straße, Baustraße und damalige Hospitalstraße.
Das Nazisystem ließ das Gotteshaus, ebenso wie in anderen Städten Deutschlands, in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 niederbrennen.

55 Jahre später, am 9. November 1993, wurde auf dem Gelände der ehemaligen Synagoge die hier abgebildete Gedenkstätte eingeweiht. Die Anlage befindet sich im Bereich zwischen Wingen- und Friedrichstraße und Wilhelmplatz. Eine etwa einen halben Meter hohe Doppelmauer aus roten Ziegeln steht auf dem Grundriss der ehemaligen Synagoge. Auf der Stelle, über der die Synagogenkuppel zu denken ist, befindet sich ein in den mosaikartig belegten Boden eingefügter Davidstern.


>9. November 1993 – Einweihung der Gedenkstätte<



Erinnerungen an die „Reichskristallnacht"



von Dr. Karl-Maria Heidecker



In der Nacht vom 9. zum 10. November 2018 jährt sich zum 80. Male die sogenannte Reichskristallnacht, in der die meisten Synagogen in Deutschland und Österreich angezündet wurden und in der vielen Juden in diesen Ländern großes Leid zugefügt wurde, auch in unserer Heimatstadt Glogau. Ich erinnere mich noch sehr genau an diese Zeit.

Für unsere Familie waren Juden normale Mitbürger, die nur einen anderen Glauben hatten als wir und deshalb statt in die Kirche, in die Synagoge gingen, um Gott zu verehren. Es gab in Glogau etliche sehr gute jüdische Geschäfte, z.B. das Geschäft der Familie Hauerwitz und den Herrenausstatter Breslauer, dessen Geschäft an der Ecke des Marktes gegenüber der Jesuitenstraße gelegen war. In beiden Geschäften kauften meine Eltern gern ein, weil sie dort gute Waren bekamen und gut bedient wurden. In Glogau arbeiteten auch zahlreiche jüdische Ärzte und Rechtsanwälte zur Zufriedenheit ihrer Klienten und Patienten.

Durch meine Eltern wurde mir bekannt, dass SA - Leute den bekanntesten jüdischen Rechtsanwalt in Glogau, Herrn Rechtsanwalt Jakobsohn schon im Frühjahr 1934 in seinem Haus in der Promenadenstraße niedergeschlagen hatten. Deshalb wanderte er einige Monate danach in die USA aus. Ich erfuhr auch durch meine Mutter, dass Glogauer SA - Leute den jüdischen Lungenfacharzt Dr.med. Erich Lindemann, der in Glogau praktizierte und in Glogischdorf ein Lungensanatorium betrieb, im Sommer 1934 erschlagen hatten. Seit dieser Zeit konnte man auf Bretterzäunen Parolen lesen wie „Die Juden sind unser Unglück" oder „Juden raus".

Im November 1938 waren meine beiden Eltern für zwei Wochen im Riesengebirge im Urlaub. Meine Mutter wurde in ihrer Praxis durch eine Ärztin vertreten und mein Vater im Krankenhaus durch einen Chirurgen. Beide Ärzte wohnten in meinem Elternhaus und aßen mit uns zusammen. Am Morgen des 10. November 1938 saßen wir gemeinsam beim Frühstück. Die beiden Ärzte wirkten müde und übernächtigt. Sie erzählten uns, dass sie die ganze Nacht nicht geschlafen hätten und, dass sie damit beschäftigt waren, von Nazis verletzte Juden in ihren Wohnungen ärztlich zu versorgen. Wir hörten auch, dass Mitglieder der Nazipartei bei allen jüdischen Geschäften die Schaufenster eingeschlagen und die Auslagen auf die Straße gezerrt hätten. Auf meinem Schulweg machte ich deshalb einen Umweg über den Markt, um dort die Schädigungen anzusehen. Bei dem Herrengeschäft Breslauer fand ich bestätigt, was uns die Ärzte berichtet hatten. In den Schulpausen liefen wir trotz Verbot in kleinen Gruppen durch eine Hintertür beim Pedell auf die Breslauer Straße und von dort um die Ecke in die Wingenstraße zur Synagoge, die lichterloh brannte. Dabei erlebte ich, wie gerade die große Kuppel der Synagoge einstürzte.


>Das Innere der Glogauer Synagoge 1935<

Die nationalsozialistisch ausgerichtete Nordschlesische Tageszeitung, genannt NOTA, berichtete, dass es sich bei diesem Pogrom um eine ganz spontane Volkserhebung gehandelt habe. Aber wir Kinder - ich war damals 11 Jahre alt -konnten schon erkennen, dass das gelogen war. Diese Aktion war von den Nazis in ganz Deutschland schon lange geplant und vorbereitet worden. Die Mutter meines Freundes Hans-Ludwig Abmeier lag vor diesen Tagen zur Durchführung einer Operation im katholischen St. Elisabeth - Krankenhaus, das direkt neben der Synagoge gelegen war. Ich begleitete meinen Freund bei dessen Besuch seiner Mutter. Dabei erfuhren wir, dass schon mehrere Tage vor dem 9. November von der Glogauer Feuerwehr intensive Brandschutzmaßnahmen im Elisabeth - Hospital durchgeführt wurden, damit das Feuer nicht von dem geplanten Brand der Synagoge auf das Krankenhaus übergriffe. Frau Abmeier geriet deshalb in große Aufregung und erlitt damals eine tödliche Lungenembolie. Ihr Tod war eine mittelbare Folge dieses Pogroms.

Nach dieser Nacht durften unsere jüdischen Mitschüler nicht mehr unsere Schule besuchen. Alle in Glogau verbleibenden Juden mussten einen Judenstern auf ihre Kleidung nähen, ihre Häuser und Wohnungen verlassen und in zwei Häuser in der Arnoldstraße zusammenziehen. Dabei erhielt eine ganze Familie nur ein Zimmer in der Wohnung. Etlichen jüdischen Familien gelang es noch, ins Ausland auszuwandern. Sie mussten dafür aber hohe Abgaben an den Deutschen Staat entrichten. So gelang es dem jüdischen Kinderarzt Dr. Ernst Bernhard Getzel zunächst in die Niederlande, später von dort nach Chile auszuwandern. Er konnte aber seinen Beruf als Arzt nie wieder ausüben, weil in Chile sein Examen nicht anerkannt wurde, er dort aber nicht die Mittel besaß, sein Arztexamen noch einmal nachzumachen. Die Mutter von Dr. Getzel blieb noch bis 1942 in Glogau. Meine Mutter betreute sie bis zuletzt ärztlich, versorgte sie aber auch mit Lebensmitteln, weil die Juden nur sehr wenig Nahrung zugeteilt bekamen. 1942 wurde Frau Getzel ins KZ Theresienstadt gebracht, wo sie Gott sei Dank das Kriegsende überlebte und dann nach Bayern entlassen wurde. Sie suchte dort sofort nach meiner Mutter. Als sie deren Adresse gefunden hatte, bedankte sie sich herzlich bei meiner Mutter für alle erwiesene Hilfe. Dann konnte sie noch nach Chile zu ihrem Sohn auswandern und später mit ihm noch nach Israel übersiedeln, wo sie mit über 100 Jahren gestorben ist.

In Glogau wurden vor dem Krieg zwei Straßen umbenannt. Die neuen Namen waren Planetta-Straße und Holzweber-Straße. Meine Eltern klärten mich darüber auf, dass dies die Namen zweier Mörder waren, zweier Nationalsozialisten, die 1934 den österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß ermordet hatten. Wir fanden es empörend, dass man bei uns Straßen nach zwei Mördern benannte, nach zwei Verbrechern. Diese Umbenennung war bezeichnend für den Geist der Nationalsozialisten.

Da ich keine Begeisterung für den Nationalsozialismus zeigte, mich aber aktiv an der katholischen Jugendarbeit beteiligte, wurde ich zur Umerziehung in eine HJ-Einheit versetzt, die an jedem Sonntag von morgens 7 h bis mittags um 13 h HJ-Dienst machen musste. In dieser Zeit gab es noch keine Vorabend- und keine Abendmessen. Um doch einen Sonntagsgottesdienst mitfeiern zu können, ging ich am Sonntagmorgen um 6 h zur Heiligen Messe. Es war verboten, in Uniform in die Kirche zu gehen. Nach der Messe blieb aber keine Zeit mehr zum Umziehen. So zog ich über meine HJ-Uniform einen Mantel und ging so in die Kirche. Nach der Messe zog ich den Mantel aus und gab ihn meiner Mutter, die mich begleitet hatte, und lief dann zum Dienst. Umerzogen zum Nationalsozialisten wurde ich durch diesen Dienst nicht, im Gegenteil wurde dadurch mein innerer Widerstand noch verstärkt. So war ich froh, als ich später in die Sanitätseinheit der HJ übergehen konnte, in der wir im
Erste-Hilfe-Kurs etwas Unpolitisches und Brauchbares lernten und das mir später in amerikanischer Kriegsgefangenschaft sehr genützt hat.


Ein stiller Trost

Ein tiefer Frieden auf den Gräbern liegt,
umgeben von der Dinge Schweigen.
Der Tod, der jedes Menschenherz besiegt
Will mahnend uns das Ziel anzeigen.

Mit Gottes Liebe, Güte und Geleit
Geh’n alle wir dem Licht entgegen.
Geöffnet wird das Tor zur Ewigkeit,
wenn wir den Kopf auf’s letzte Kissen legen.

Ein Trost, aus Lebenslust und harter Qual
zu wissen, was uns zugemessen.
Es bleibt zurück der Straße Bacchmal
Und alles, was auf Erden wir besessen.

H.C. König, Lyriker



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