Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 10, Oktober 2018


Geschichtliche Tatsache: Auch um Glogau wurde Wein angebaut

 

von Hajo Knebel

 




Der Oktober ist der Monat, in dem in Glogau selbst und im Glogauer Kreisgebiet die Erntefeste gefeiert wurden. Längst waren die Getreidefelder abgeerntet, die Kartoffeläcker standen zur Ernte bereit und auch die Rüben reiften zur Ernte heran, besonders die Zuckerrüben, die dann in der Zarkauer Zuckerfabrik verarbeitet wurden.
Oktober aber war auch der Monat der Wein-Ernte. Wir erinnern an den Grünberger Wein, der viel besser war als sein Ruf, besonders wenn er als Grempler Sekt die Kelche füllte. Wer dem Badener, dem Rheinländer, dem Saar- oder Moselländer vor vielen Jahrzehnten, als wir noch in der Heimat lebten, erzählt hätte, dass um Glogau einmal nicht nur Wein gebaut, sondern der selbstgekelterte Wein auch getrunken wurde, der wäre damals einem halb ironischen, halb mitleidigem Lächeln begegnet. Und auch wir selber hätten gedacht, Glogauer Wein - brr ...
Dabei haben wir keine Ahnung, dass der Weinbau um Glogau eine geschichtliche Tatsache ist. Freilich, wie er geschmeckt haben mag, ob er fröhliche Laune weckte oder das Gesicht säuerlich zusammenzog, das verkündet die Kunde nicht, die uns überlieferte, dass im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts vom Kloster Leubus aus die fleißigen und geschickten Mönche nicht nur den Feld- und Gartenbau, sondern auch den Weinbau förderten. Besonders aber an den Hängen des Oderufers bei Grünberg und Beuthen. Wir vernehmen aus alten Chroniken, dass der Freiherr von Schönaich-Carolath aus dem Weinbau zu Beuthen hohe Erträge zu erzielen wusste. Karl Göbel berichtet in einem hinterlassenen Artikel aber auch folgendes:
Nun aber meldet sich der Glogauer Wein: „Zwischen dem neuen Vorwerk und dem Hochgericht (das hinter dem Schießhaus gelegen haben muss) lag ein großer Weinberg, ein anderer hinter dem Dorfe Zerbau unweit der sogenannten Weinbrücke, ein dritter in dem Dorfe Höckricht." Die Geschichte erzählt weiter, dass im Jahre 1612 für 93 böhmische Groschen 900 Weinstöcke angeschafft und dahin verpflanzt wurden. Aus den Weingärten beim Hochgericht wurden im Jahre 1617 mehr als 28 Eimer gewonnen und der Eimer zu zweieinhalb Taler verkauft. Alle diese Anpflanzungen wurden während des dreißigjährigen Krieges vernichtet.
Später kam die Stadt Glogau in den Besitz eines Weinberges - um 1650 herum erwarb sie die Kleinlogischer Wiesen bei der Guhlauer Brücke und einen Weinberg vor dem Brostauer Tor. Das ist allerdings das letzte Zeugnis vom Glogauer Gewächs.
Leider hat Karl Göbel in seinen hinterlassenen Papieren die Quelle dieser Feststellungen über den Glogauer Weinbau nicht angegeben.
In der Folgezeit blieb alles, was mit dem Wein in unserer Heimat zu tun hat, den Firmen überlassen, die das edle Getränk ihren Gästen kredenzten oder den Weinhandlungen, von denen wir in Glogau ja eine ganze Anzahl besaßen.
C Bauch Transporte

>Glogau – Geschäftshaus der Firma Joh. & Carl Bauch<

An Weinstuben waren zu verzeichnen: Bauch, Kiehnstraße 1, bekannt unter dem Namen Petermann; Strahl, Markt 23/24; Filke, Markt 29; Prasse, Mohrenstr. 23/24; Rudel und später Horschler, Breslauer Str. 4. (Hier habe ich als friderizianischer Gymnasiast in mancher großen Pause verbotenerweise manches Viertel inhaliert.) Die älteste dieser Weinstuben war - nach Göbels Feststellung - die Firma Johann und Carl Bauch, 1774 in Glogau gegründet und aus einem Wein- und Südfrüchtegeschäft hervorgegangen, vom Mai 1801 als Doppelfirma geführt. 1790 entstand die Firma Strahl & Co., die schon vor der Einrichtung der großen Obersee-Dampferlinien ein eigenes Segelschiff besaß, das die von ihr eingeführten Auslandsweine auf dem Seewege nach Stettin heranführte und dann auf der Oder nach Glogau beförderte.
War Glogau und unser Heimatkreis auch ein Land, dessen Bewohner dem Bier den Vorzug gaben, so wussten doch viele einen guten Rebentropfen wohl zu würdigen. So mancher Heimatfreund wird als Angehöriger eines Stammtisches gern und sehnsüchtig an seine frühere Weinrunde denken. Der Schreiber dieser Zeilen saß oft und gern in geselliger Weinrunde bei Horschler an einem Stammtisch, dem Rechtsanwalt Goethe präsidierte.
Bauch'sche Weinstube

▲Die Bauch’sche Weinstube, innen
▼Weinhandlung Prasse, innen

Weinhandlung Prasse

Freilich waren das damals noch Zeiten, in denen der Wein edel war. Mixturen von „Wein" genannten Getränken, die wir heute in jedem Supermarkt für wenig Geld kaufen können, gabs damals jedenfalls nicht.


„Vom sauren Grünberger“

Ich gehöre nicht zu jenen Günstlingen des Himmels, die das Weintrinken gewissermaßen schon an der Mutterbrust gelernt haben und die schon in der Wiege an einer Weinflasche statt einer „labberigen" Milchbuddel das rechte Suckeln, das froh und zufrieden stimmende Schmatzen und Schlüren erlernen durften. Ich habe das Weintrinken, den rechten Genuss dieser Göttergabe, erst in den späteren Jahren, nicht schon als Kind wie die glücklichen Pfälzer, hier in der Pfalz und im Rheinland üben und, manchmal mühsam genug, lernen müssen und habe allerlei Lehrgeld dafür bezahlt. Aus den fernen Jahren der Kindheit und Jugend in Schlesien kann ich mich noch an drei Begegnungen mit Wein erinnern: Als 1939, kurz nach Kriegsbeginn, die Trauben am Spalier des Nachbarhauses zu reifen begannen, hielten wir Dorfkinder nachmittags unsere private, durchaus unerwünschte Traubenlese ab. Nach einer Nacht schrecklicher Bauchschmerzen und dünnbraddeligen Durchfalls kam am nächsten Morgen in der Schule zu unseren grünlich verfärbten Gesichtern noch ein bläulich-rotes, striemenübersätes Hinterteil.
Das zweite Mal, 1943, gelang es meiner Großmutter auf dem Wege eines abenteuerlichen, postalischen Ringtausches, tönernes, braunes, bauchiges Kaffee-Geschirr aus Bunzlau gegen Reise-Brotmarken aus einer Eifeler Bäckerei einzutauschen und diese wiederum in ein paar Flaschen moselländischen Bahndamm-Schattenseiten-Gewächses umzuwandeln. Zum dritten Mal habe ich 1945 in Schlesien Wein getrunken; das war in der gleichen Nacht, in der mein Heimatdorf Martinswaldau vor der anrollenden russischen Armee evakuiert wurde und die Einwohner in langer Planwagenkolonne in die Ungewisse Ferne hinauszogen. In jener Nacht war ich, knapp sechzehn Jahre alt, vom Rande des Riesengebirges aus als Kurier in die Festung Breslau eingeschleust worden und verbrachte Stunden der Angst in einem Keller der Innenstadt. In Breslau tobte damals der Tanz auf dem Vulkan, verbluteten die einen in Häusertrümmern und Schützengräben, prassten die anderen in Weltuntergangsstimmung. Ich selbst, von meinem Fahrer mitgenommen, soff mit, weil mir die Bissen im Halse stecken blieben, weil mir vor Angst und Heimweh das Herz hoch im Halse schlug. Ich schüttete in mich hinein, was hineinging. Frage nur niemand, was ich da getrunken habe: Ich wüsste es nicht zu sagen. Und ob da Wein meiner schlesischen Heimat, ob da Grünberger Wein darunter war, der vielverspottete, vielverlästerte, vielbelächelte — auch das kann ich nicht sagen. Ja, in Grünberg, der Stadt auf den Hügeln zwischen Bober und Oder, fast auf dem 52. Breitengrad, wurde und wird Wein angebaut. Für manche aus den weingesegneten Gefilden des deutschen Westens und Südens war dieser Weinanbau im Osten des einstigen Deutschlands unbekannt, oder, wenn sie es wussten, eine nie versiegende Quelle der Spottsucht und der schaudernden Schadenfreude: „Ja, der saure Grünberger..."
Historiker haben nachgewiesen, dass die dem Ruf der Piastenherzöge folgenden Siedler vom Rhein — in Grünberg vor allem Siedler aus dem heutigen Rheinhessen — den Weinbau nach Schlesien brachten, dass es in Ostpreußen vor allem die aus der Koblenzer Komturei der Deutschordensritter stammenden rheinischen Edelleute waren, die Weinbau und Weingenuss hier heimisch machten.
So schlimm freilich, wie der Grünberger in einigen hundert Reimen, Gedichten und Geschichten dargestellt wurde, so sauer ist er gar nicht gewesen (in guten Jahren brachte er es immerhin auf 85 Grad Öchsle); nicht umsonst war Grünberg die Urheimat des deutschen Sekts; nicht ohne Überlegung gründete hier 1826 die Firma Grempler bereits die erste deutsche Sektkellerei; nicht ohne Erfolg führten die Grünberger ihre Produkte ins Rheinland und nach Frankreich aus. 300.000 bis 500.000 Flaschen Sekt lagerten schon Ende des 19. Jahrhunderts in den Sektkellereien Grünbergs; vierzehn Kognakfabriken brannten damals jährlich zwei Millionen Liter; Scharlachberg hatte hier seine Haupt-Zweigniederlassung; Kenner schätzten den Grünberger Traminer vom Ziethenberg, den Silvaner aus dem Steinberg und den Burgunder vom Ziegelberg ob ihrer runden, harmonischen Güte; die Winzer Südwestdeutschlands bezogen bis zum letzten Kriege alljährlich mehrere hunderttausend Zuchtreben aus den Zuchtgärten der Grünberger Winzergenossenschaft, und die russischen Truppen, die bei der Eroberung der Stadt leider das schöne Weinmuseum vernichteten, konnten sich, zum Leidwesen der Einwohner, im Februar 1945 den stärksten Siegesrausch auf deutschem Boden antrinken — und das will schon einiges heißen.
Immer noch wächst zwar um Grünberg Wein und wird in Breslau Wein getrunken; immer noch wird bei der Traubenlese gesungen und musiziert, aber: Es sind fremde Lieder, ist ein ferngerücktes Land, der Wein schmeckt jetzt wirklich sauer... Freilich, um mit Ernst Moritz Arndt zu sprechen: „Du bist ein Mensch — und sollst nicht vergessen, — sondern behalten — in deinem Herzen ..." Dies — und nichts anderes — ist, so meine ich, eine der wesentlichsten Aufgaben des Poeten: Sich zu erinnern und zu bewahren. Auch ich habe das hier zu tun versucht. Ein Prosit auf den Grünberger, den Züllichauer, den Bomster, den Ratsweinkeller zu Breslau, und die vielen anderen Stadt-und Dorfwirtschaften, in denen im Osten Deutschlands einst Wein getrunken wurde und das nicht zu wenig!



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