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Jüdische
Ärzte in Glogau
Wie überall in Deutschland gab es vor der Nazizeit auch in Glogau
zahlreiche jüdische Ärzte. Dem Internet konnte ich entnehmen, dass
1933 elf Prozent aller deutschen Ärzte Juden waren. In dem 1997 beim
Herder - Institut Marburg erschienenen Buch: „Annäherungen an
Glogau" berichtete Frau Margot Heitmann über die jüdische Gemeinde
in Glogau und zählt dabei auch dreizehn jüdischen Ärzte auf. Sie
teilt mit, dass die jüdische Gemeinde in Glogau 1880 1010 jüdische
Mitglieder umfasste, bei 12116 evangelischen und 5465 katholischen
Einwohnern. Die Zahl der Juden war aber schon 1910 auf 569 gesunken.
Zwischen 1924 und 1932 habe sich die Zahl jüdischer Einwohner
konstant um 600 gehalten. „Obwohl der jüdische Anteil der
Bevölkerung in Glogau nur zwei Prozent betrug, lag ihr
Steueraufkommen bei 40 %", da zu ihnen viele bedeutende
Geschäftsleute, Rechtsanwälte und Ärzte gehörten. An Ärzten nennt
sie namentlich die folgenden 13: Dr. Cohn-Salisch, Dr. Getzel, Dr.
Goldstein, Dr. Gruber, Dr. Herrnstadt, Dr. Hirschfeld, Dr.
Lindemann, Dr. Mendelssohn, Dr. Nathan, Dr. Peiser, Dr. Pinner, den
Augenarzt San. Rat Dr. Remak. und einen Kinderarzt Dr. Franz
Plachte. Letzteren habe ich im „Historischen Ärztelexikon für
Schlesien" nicht gefunden. Stattdessen entdeckte ich aber einen Dr.
Fritz Dobberstein darin als Glogauer Arzt. Weiterhin fand ich in
diesem Ärztelexikon auch noch den jüdischen Arzt Dr. Mügge. Anhand
des genannten Ärztelexikons werde ich nun die jüdischen Ärzte
Glogaus in alphabetischer Reihenfolge beschreiben:
Dr.med. Arthur Cohn-Salisch erhielt seine Approbation 1904
und wird in dem Reichs-Medizinal-Kalender 1935 und 1937 als
Internist und Röntgenologe in Glogau erwähnt.
Dr.med. Fritz Dobberstein bekam 1920 seine Approbation. 1921
promovierte er an der Universitätsfrauenklinik Breslau bei Prof. Dr.
Otto Ernst Küstner. 1933 und 1935 wird er im
Reichs-Medizinal-Kalender als Arzt in Glogau erwähnt. Da er 1936 aus
dem Arztregister der Provinz Niederschlesien gestrichen wurde,
schließe ich daraus, dass er jüdischen Glaubens war und, dass die
Streichung auf Grund der nazistischen Gesetze erfolgte.
Dr.med. Ernst Bernhard Getzel, wurde am 6.10.1899 in Glogau
geboren. Dort besuchte er die Vorschule und bis 1917 das
evangelische Gymnasium. Er wurde dann zum Heeresdienst einberufen
und erhielt nach dem Waffenstillstand das Reifezeugnis am
evangelischen Gymnasium Glogau. Danach studierte er Medizin an der
Universität Breslau, dann ein Semester in München und zuletzt wieder
vier Semester in Breslau. Dort legte er 1924 das Medizinische
Staatsexamen ab. 1925 promovierte er an der Chirurgischen
Universitätsklinik Breslau bei Geheimrat Prof. Dr. Küttner. Nach
meiner Kenntnis machte Dr. Getzel, der mit meinen gleichaltrigen
Eltern gut bekannt war, eine Fachausbildung zum Kinderarzt und ließ
sich dann in Glogau nieder, wo er im Reichs-Medizinal-Kalender der
Jahre 1933,1935 und 1937 als Arzt in Glogau erwähnt wird. 1938
gelang es ihm noch zunächst nach Amsterdam, dann 1939 weiter nach
Chile auszuwandern. Dort wurde sein deutsches Staatsexamen nicht
anerkannt und es wurde ihm nicht erlaubt, in Chile als Arzt zu
arbeiten. Seine Mutter, Frau Elise Getzel, blieb noch bis 1942 in
Glogau, wo sie von meiner Mutter, Frau Dr. Hedwig Heidecker, bis
zuletzt ärztlich und menschlich betreut wurde. Frau Elise Getzel
wurde 1942 in das Konzentrationslager Theresienstatt eingeliefert
und hat dort den Krieg überlebt. Ende 1945 konnte sie auch nach
Chile auswandern und zu ihrem Sohn ziehen. 1957 übersiedelte Dr.
Getzel noch einmal mit seiner Familie und seiner inzwischen
hundertjährigen Mutter nach Israel, wo er sich in Rishon Lezion
ansiedelte. Er hatte mit 58 Jahren zwanzig Jahre nicht mehr als Arzt
gearbeitet und fand dann nicht mehr die Kraft, noch einmal in seinem
Beruf wieder anzufangen. Seine Frau starb im Alter von 56 Jahren im
Jahre 1962. Dr. Ernst Bernhard Getzel selbst ist am 4.11.1970 in
Rishon Lezion gestorben. Seine Tochter wurde als Monika Getzel in
Glogau geboren. In Israel heiratete sie Herrn Dan Kriel und nahm
dort den Vornamen Orit an.
Dr. med. Willi Goldstein erhielt seine Approbation 1887. Er
wird in den Medizinal-Kalendern der Jahre 1896 bis 1927 als Arzt in
Glogau aufgeführt. 1927 ist er Sanitätsrat.
Dr. med. Friedrich Gruber bekam 1908 seine Approbation. 1911
war er Assistenzarzt am Allerheiligenhospital in Breslau. Noch im
gleichen Jahr muss er nach Glogau gekommen sein, wo er bis 1936 als
Arzt tätig war. 1936 wurde er, wie Dr. Dobberstein aus dem
Arztregister der Provinz Schlesien gestrichen. Im September 1936
wurde allen jüdischen Ärzten die Approbation entzogen. Nur wenige
durften noch als jüdische „Krankenbehandler" weiterarbeiten. Diese
ungerechte, „existenzvernichtende“ Maßnahme führte zu einer letzten
großen Auswanderungswelle. Bevor sich die jüdischen Ärzte aber ins
Ausland retten konnten, wurden sie noch bis aufs Hemd ausgeplündert.
Erst wenn sie die „Reichsfluchtsteuer", etwa ein Viertel ihres
Vermögens, die Juden-Vermögensabgabe und die Zwangsabgabe an die
Deutsche Gold-Diskontbank bezahlt hatten, wurde den Emigranten
erlaubt, Deutschland nahezu mittellos zu verlassen." (aus dem
Internet bei Wikipedia).
Dr. med. Fritz Herrnstadt erwarb seine Approbation 1920. Im
Reichs-Medizinal-Kalender wird er ab 1926/27 bis 1935 als Arzt für
Innere Krankheiten und Röntgenarzt in Glogau erwähnt. Auch er wurde
1936 aus dem Arztregister der Provinz Schlesien gestrichen s.o.
Medizinalrat Dr. med. Samuel Hirschfeld erhielt seine
Approbation 1880. 1904 ist er Kreisarzt in Glogau. 1907 bis 1927
führt ihn der Reichs-Medizinal-Kalender als Medizinalrat, Kreisarzt
und 1927 als Geheimen Medizinalrat in Glogau auf.
Dr. med. Erich Lindemann wurde 1920 approbiert. Ab 1926
wirkte er als Facharzt für Lungenkrankheiten und Röntgenologe in
Glogau. Er war auch Sportarzt und betrieb in Glogau ein Sanatorium
(wohl für Lungenkranke).
Dr. Lindemann, ein großer, schlanker, sportlicher Mann, war Leiter
einer jüdischen Pfadfindergruppe, mit der er in blaugrauen Uniformen
noch im Frühjahr 1934 durch Glogaus Straßen marschierte, was ich
noch selbst gesehen habe. Im Sommer 1934 wurde Dr. Lindemann von
SA-Leuten in den Glogauer Stadtforst gelockt und dort von ihnen
erschlagen.
Dr. med. Samuel Mendelssohn erwarb 1893 seine Approbation. Ab
1896 bis 1927 wird er in den Reichs-Medizinal-Kalendern als Arzt in
Glogau aufgeführt. 1927 ist er Sanitätsrat.
Dr. med. Wilhelm Mügge, geb. 1879 in Chelmo (Polen), erhielt
seine Approbation 1905. 1914 bis 1919 war er als Arzt in Koschentin
Krs. Lublinitz tätig. Seit 1933 war er als Allgemeinarzt in Glogau
tätig. Er war verheiratet mit Frau Elsa Rontschky geb. 1894. Er
starb am 17.11.1935.
Dr. med. Edmund Nathan geb. am 4.3.1892 in Zduny Krs.
Krotoschin (Preußische Provinz Posen) erhielt 1910 das Abiturzeugnis
am Gymnasium in Krotoschin. 1910 -1917 Studium der Medizin an den
Universitäten Freiburg im Breisgau, Berlin, München und Breslau.
Approbation 1917. Seine Promotion erhielt er 1919 mit einer
Dissertation an der Universitäts-Augenklinik zu Breslau mit dem
Thema: „Augenkrankheiten beim Botulismus". Nach seiner
Fachausbildung zum Kinderarzt wirkte er ab 1926 in Glogau als
Facharzt für Kinderheilkunde. Er wurde Chefarzt der Kinderkrippe am
Soetbeer-Ring in Glogau.
>Kinderkrippe Glogau<
Dr. med. Fritz Peiser geb. am 24.11.1900 bekam seine
Approbation 1924. In den Reichs-Medizinal-Kalendern von 1933 bis
1937 wird er als Arzt in Glogau erwähnt.
Dr. med. Fritz Pinner wurde 1893 approbiert. Die
Reichs-Medizinal-Kalender erwähnen ihn 1898 bis 1927 als Arzt in
Glogau. 1927 ist er Sanitätsrat. Er soll um 1932 gestorben sein.
Frau Heitmann erwähnt in ihrem Artikel kurz einen Herrn Dr. med.
Franz Plachte als Kinderarzt in Glogau. Er ist im Historischen
Ärztelexikon für Schlesien nicht erwähnt. Dort fand ich nur einen
Dr.med. Siegfried Plachte, der aus Groß-Glogau (im Gegensatz zu
Oberglogau in Oberschlesien) stammte und der 1886 seine Approbation
erhielt, 1885 in Würzburg promovierte und dann 1890 und 1892 als
Arzt in Grünberg erwähnt wird.
Dr. med. Benno Remak erhielt seine Approbation 1883. Im
Reichs-Medizinal-Kalender von 1887 wird er zunächst als Arzt in
Breslau erwähnt. In den folgenden Kalendern wird er ab 1890 als Arzt
in Glogau aufgeführt. Ab 1904 bezeichnet man ihn als Augenarzt und
Chefarzt am St. Elisabeth-Krankenhaus in Glogau. Ab 1911 ist er
Sanitätsrat. Noch 1933 wird er als Sanitätsrat, Augenarzt und
dirigierender Arzt am St. Elisabeth-Krankenhaus Glogau erwähnt.
Dr. med. Paul Schieß wurde am 29.1.1892 in Berlin -
Schöneberg geboren. Sein Vater war ein jüdischer Kaufmann in Breslau
und seine Mutter eine evangelische Christin. Er selbst wurde
evangelisch getauft und konfirmiert. Bei den Nazis galt er als
Halbjude. Er besuchte das Johannes-Gymnasium in Breslau, an dem er
1914 sein Abitur ablegte. Studium der Medizin an der Universität
Breslau. Während eines Semesters diente er im 1. Weltkrieg als
Sanitätssoldat. 1921 Approbation und Promotion an der Universität
Breslau. Seine Doktorarbeit aus der Chirurgischen Universitätsklinik
Breslau hatte das Thema: „Über die Behandlung der Arthrosis
deformans mit Sanarit-Heilner". 1925 ließ sich Dr. Schieß als
praktischer Arzt und Geburtshelfer in Nilbau Krs. Glogau nieder. Er
betreute außer Nilbau noch zehn weitere umliegende Dörfer. 1927
heiratete er. Als Halbjuden machte ihm Dr. Mehlhausen immer wieder
Schwierigkeiten und deshalb musste er selbst äußerst vorsichtig
sein. Am 7.2.1945 begaben sich die Bewohner von Nilbau auf die
Flucht. Dabei wurde Herr Dr. Schieß von Ortsbürgermeister als
„Treckarzt" eingesetzt und durfte mit seiner Familie in seinem
eigenen Auto fahren. Drei Tage später erreichte der Treck Dresden,
wo alle drei Tage verblieben. Am Abend des 13.2. wurden die Nilbauer
in einen Zug verladen, mit dem sie Dresden verließen und so dem
großen Angriff entkamen. Die Flucht endete am nächsten Morgen in
Breitungen / Thüringen. Da ein Nazi aus der Nilbauer Nachbarschaft
Herrn Dr. Schieß in Breitungen denunziert hatte, durfte er dort
nicht als Arzt arbeiten, obwohl die beiden ortsansässigen Ärzte im
Krieg waren und er eigentlich dringend gebraucht wurde. So fuhr er
zurück zur Schlesischen Ärztekammer, die sich damals in Bad Altheide
befand, in der Hoffnung, von dort als Arzt eingesetzt zu werden. Er
schrieb seiner Familie noch eine Postkarte aus Habelschwerdt in der
Grafschaft Glatz. Das war sein letztes Lebenszeichen. Er muss dann
am Ende des Krieges dort oder im Sudetenland umgekommen sein.
Es ist sehr traurig, dass es in unserer Heimatstadt Glogau neben
vielen guten und tüchtigen Leuten auch Menschen gab, die sich als
fanatische Nationalsozialisten bereits 1934 dazu hinreißen ließen,
den bekannten Rechtsanwalt Dr. Sally Jacobsohn, der nach Frau
Heitmann die größte Anwaltskanzlei in Glogau unterhielt, in seinem
Haus zu verprügeln und zu Boden zu schlagen, einen verdienten,
tüchtigen Arzt, wie Dr. Erich Lindemann, umzubringen und schließlich
1938 sich in übelster Weise an jüdischen Mitbürgern zu vergehen,
ihre Geschäfte und Wohnungen zu demolieren und schließlich die
jüdische Synagoge, die unmittelbar neben dem St. Elisabeth-Hospital
lag, in Brand zu stecken. Die furchtbare Zerstörung unserer schönen
und geliebten deutschen Heimatstadt Glogau kann man als eine Strafe
Gottes für diese Untaten ansehen.
Wie ich eingangs schon beschrieben habe, bin ich mir bewusst, dass
mein Artikel nicht den Anspruch erhebt, wirklich alle Glogauer Ärzte
erwähnt zu haben. Deshalb bin ich jedem dankbar, der mir dazu
ergänzende Angaben über weitere Ärzte Glogaus und seiner näheren
Umgebung machen kann. Meine Anschrift lautet:
Dr.med. Karl-Maria Heidecker
Holzhauserstr. 23
55411 Bingen am Rhein
Quellen:
Prof. Dr. med. Michael Sachs, Frankfurt am Main:
Historisches Ärztelexikon für Schlesien Band 1, A - C (1997) bis
Band 6, S (2015).
Annäherungen an Glogau; Herder-Institut Marburg 1997; darin:
Margret Heitmann: Die jüdische Gemeinde Glogaus im 20.
Jahrhundert. S.45 - 54.
Dr.med. Christian Fiegler: Man geht und kommt nie an - Ein
Leben nach drei Fluchten aus dem Osten erschienen im Selbstverlag
2017
Dr. med. Karl-Maria Heidecker: eigene Erinnerungen und
Nachforschungen z.B. über Familie Dr. Getzel, bei dessen
Schwiegersohn Dan Kriel/Israel. |
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