|
Heidegrund
vorher Grochwitz
Der Ort war ein Bauerndorf (1391 ha Feldmark) in waldreicher Umgebung mit eigenartiger Rundkirche. Er hatte zuletzt etwa 550 Einwohner und lag an der Chaussee Kuttlau-Glogau, 17 km von Glogau entfernt. Die Bahnstation war Kuttlau. Heidegrund hatte eine ev. Kirche (Pfarrer Brachmann), die Kath. Kirche befand sich in Kuttlau, und eine Schule mit Lehrer Wilhelm Renner. Außerdem befanden sich am Ort zwei Gaststätten, die von Rudolf Beloch und Kurt Rißmann, sowie die Warenhandlung Schirmer.
Als Verein hatte sich die Kriegerkameradschaft konstituiert, die ein schönes Denkmal für die in den Kriegen 1870/71 und 1914/18 gefallenen Ortsbewohner errichtet hatte.
Die Gemeindevertretung setzte sich 1943 wie folgt zusammen:
Bürgermeister: Bauer Wilhelm Laake
Beigeordneter: Bauer Ernst Büttner
Gemeinderäte: Bauer Paul Kutzner, Bauer Erich Preuß, Landwirt Robert Hoffmann, Bauunternehmer Paul Gollmer, Zimmermann August Jakob und Arbeiter Max Stahn
Kassenwalter: Tischlermeister Paul Riedel
Schiedsmann: Wilhelm Hoffmann-Braun
Der Ort gehörte zum Amtsbezirk Kuttlau. Amtsvorsteher war Adolf Lange, Kuttlau.
Henzegrund
vorher Weichnitz
Der Ort (225 ha Feldmark) hatte zuletzt 117 Einwohner. Das Dorf liegt malerisch in einem Talkessel des Dalkauer Höhenzuges an der Chaussee Beuthen-Heerwegen, 18 km von Glogau. Die Bahnstation war Ober-quell-Quaritz. Henzegrund hatte ein Dominium (Besitzer Landwirt Hans-Ulrich Lau-Henze) mit einer Brennerei. Die ev. Kirche befand sich in Dalkau, die Katholische in Gr. Kauer. Der Ort hatte eine Schule und ein Dorfgasthaus, das zum Dominium gehörte. Er erhielt Mitte der dreißiger Jahre seinen Namen nach einem berühmten Sohn des Ortes, Hermann Henze. Wer war dieser Hermann Henze?
Im Jahre 1860 kaufte er das vor den Dalkauer Bergen gelegene Rittergut Weichnitz. Im Jahre 1873 übergab er der Öffentlichkeit den „Henzedämpfer" für die Spirituserzeugung, ein neues Hochdruck-Dämpferverfahren. Er hat sich durch diese Erfindung um die Entwicklung des Brennereiwesens ein Verdienst erworben, das in die Geschichte dieser Industrie eingegangen ist. Nach seinem Verfahren wird heute noch gearbeitet. Schon wenige Jahre nach seiner Erfindung starb Hermann Henze, ein Mann, der mit unermüdlichem Eifer das ins Auge gefasste Ziel bis zur Vollendung verfolgte, es mit großer Beredsamkeit vertrat und überzeugend auf andere einzuwirken wusste. Auf dem Friedhof in Weichnitz fand er seine letzte Ruhestätte. Der Landkreis Glogau ehrte den Verstorbenen, indem er dem Wohnsitz und Wirkungsort Henzes den Namen Henzegrund gab.
Die Gemeindevertretung setzte sich 1943 wie folgt zusammen:
Bürgermeister: Landwirt Hans-Ulrich Lau-Henze
Beigeordnete: Landwirt Robert Baier und Rentner Julius Häusler
Gemeinderäte: Landwirt Gustav Scheske und Landwirt Fritz Richter
Kassenwalter: Robert Baier
Der Ort gehörte zum Amtsbezirk Dalkau. Hier befand sich auch das Standesamt. Amtsvorsteher war Hans-Ulrich Lau-Henze.
So überschrieb die Nordschlesische Tageszeitung in Glogau am 18. 2. 1939 einen Artikel, in dem sie das Werk Hermann Henzes würdigte. Wie wahr dieser Satz ist, spricht aus der Tatsache, dass Hermann Henzes Erfindung trotz technischer Revolution im Laufe von mehr als einhundert Jahren durch keine bessere abgelöst werden konnte.
Das Leben Hermann Henzes
Mein Urgroßvater Hermann Henze wurde am 28. 2. 1831 in Berlin geboren. Nach der Matura, wie die Reifeprüfung damals hieß, erlernte er die praktische Landwirtschaft und widmete sich danach dem Studium an der Landwirtschaftlichen Akademie in Tharandt in Sachsen und an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim bei Stuttgart. Dort legte er die Grundlage für sein späteres, erfolgreiches Schaffen. In Berlin diente er bei den 2. Gardeulanen und heiratete daselbst im Jahre 1857. Schon im Jahr zuvor hatte er ein Gut bei Neisse in Oberschlesien erworben, dessen Bodenqualität aber nicht seinen Vorstellungen entsprach. So entschloss er sich schon nach kurzer Zeit zu einem Besitzwechsel und kaufte 1862 das Rittergut Weichnitz im Kreis Glogau. Die tiefgründigen, schweren Böden der Oderniederung und die vielgestaltige Struktur der Nutzfläche durch Acker, Grünland, kleine Waldstücke und Fischteiche sollen ihn zum Kauf veranlasst haben. Mit großem Eifer betrieb Hermann Henze die Bewirtschaftung des Gutes, wovon umfangreiche Bodenverbesserungen, mehrere neue Wirtschaftsgebäude und die Erweiterung des Gutshauses sichtbares Zeugnis ablegen. Beträchtliches Aufsehen erregte damals in Fachkreisen der neue einhundert Meter lange Kuhstall in Gewölbekonstruktion, stellte er doch ein Novum im landwirtschaftlichen Bauwesen seiner Zeit dar. Die lange Reihe der äußeren Stützpfeiler und die blauen Fenster zur Fliegenabwehr trugen ihm bald den Namen „Kuhkirche" ein. Dank der soliden Bauweise überstand er alle Fährnisse des Wetters und zweier großer Kriege ohne Schaden zu nehmen, wovon ich mich bei einem Besuch in Weichnitz im Jahre 1976 überzeugen konnte. Eine Marmortafel im Stall erinnerte daran, dass Hermann Henze das Bauwerk „… seiner lieben Hausfrau
Marie als Anerkennung ihres Fleißes am 22.11.1864." zum Geburtstagsgeschenk machte.
Als mein Urgroßvater im Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 zu den Waffen gerufen wurde, musste er die Leitung des Gutes vorübergehend seiner Frau überlassen.
Doch schon kurz nach der Rückkehr aus dem Feldzug trieb ihn sein ruheloser Geist zu neuem Schaffen. Um die Rentabilität des Betriebes zu erhöhen, gliederte er der landwirtschaftlichen Produktion die gewerbliche Verarbeitung von Erzeugnissen des Hofes an. Er begann mit der Haltbarmachung von Milch nach dem Verfahren von Louis Pasteur, das gerade bekannt geworden war. In kleinen dosenförmigen Glasgefäßen wurde die pasteurisierte Milch versandfertig gemacht. Als Junge fand ich bei meinen Entdeckungsreisen auf dem alten Pferdestallboden noch eine ganze Menge dieser ersten Milchdosen aus Glas. Hermann Henze gab das Pasteurisieren jedoch wieder auf, da damals noch nicht genügend Nachfrage für Dosenmilch bestand, und der Transport zu hohe Verluste mit sich brachte.
Auch die Herstellung von Stärke aus Weizen wurde damals in Weichnitz versucht. Besonders erfolgversprechend muss die Flachsverarbeitung gewesen sein, denn Leinen war in jener Zeit, da Kunststoffe noch unbekannt waren, neben Wolle der wichtigste Rohstoff der Textilindustrie. Zu diesem Zwecke baute Hermann Henze eine Flachsröste, welche bald so bekannt wurde, dass viele Interessenten aus dem In- und Ausland zur Besichtigung nach Weichnitz kamen. Das historische Gästebuch von 1869, das leider durch die Vertreibung verloren ging, gab hierüber Auskunft. Die Teilnahme am Feldzug gegen Frankreich 1870/71 unterbrach erneut Henzes praktische Tätigkeit in Weichnitz. Doch die Landwirtschaft allein konnte seinen Tatendrang nicht zufriedenstellen. Nach dem Kriege trat er der Nationalliberalen Partei bei, um sich auch politisch zu engagieren. Bald darauf wurde er schon Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses in Berlin.
Treffend wird das Lebensbild dieses schaffensfrohen Mannes gekennzeichnet durch die Worte, die er am Balken des neuen Flügels des Gutshauses in Weichnitz einschnitzen ließ:
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis.
Das Werk Hermann Henzes
Das Gut Weichnitz liegt am Rande des Urstromtales der Oder und besitzt neben fruchtbaren Schwemmlandböden auch leichte Sandböden in den höheren Lagen. Darum spielt der Kartoffelbau eine wesentliche Rolle in der Fruchtfolge. Die Speisekartoffel, damals noch wichtigstes Grundnahrungsmittel, erzielte nur Preise, die knapp über den Gestehungskosten lagen. Die industrielle Verwertung der Kartoffel, zum Beispiel für Spiritus, brachte jedoch zwei bedeutende Vorteile mit sich. Durch das staatliche Kontingent für die Spiritusabnahme war eine Mindestmenge zu verarbeitender Kartoffeln zu günstigerem Preis garantiert, und die Schlempe (Rückstand bei der Spirituserzeugung) als Nebenprodukt der Brennerei bereicherte die Fütterung im Kuhstall. Zum Aufschluss der Stärkekörner in der Kartoffel für die folgende Verzuckerung und den späteren Gär- und Destillationsprozess müssen die Kartoffeln gedämpft werden. Hierzu diente ursprünglich ein liegendes zylinderförmiges Gefäß mit Dampfeinströmungen und Rührwerk (Hollefreundscher Hochdruckdämpfer), das etwa die Form einer großen Konservendose hatte. Nach Beendigung des Dämpfvorganges wurde am Ende des Gefäßes ein Ventil geöffnet, durch das die gare Kartoffelmasse mit Dampfdruck herausgeblasen wurde.
Hermann Henze ärgerte sich oft über die unvollständige Entleerung des Apparates beim Dampfabblasen und über die lange Abkühlungszeit des Dämpfgutes. Man hatte nämlich erkannt, dass es zweckmäßig ist, das Dämpfgut möglichst schnell vom Druck zu entlasten, um durch eine Sprengwirkung die Zellverbände in der Kartoffel zu trennen und die Zellwände zu zerreißen. Hermann Henze versuchte diesen Erkenntnissen durch höheren Dampfdruck Rechnung zu tragen. Doch da geschah das Unvorhergesehene eines Tages. Der Dämpfer barst mit lautem Zischen. Als sich der ausgeströmte Dampf verzogen hatte, sah man eine dünn-breiige heiße Kartoffelmasse an der Wand des Apparateraumes heruntergleiten. Durch einen schmalen Riss im Mantel des Dämpfers war dessen Inhalt teilweise herausgepresst worden.
Eine glückliche Eingebung ließ Hermann Henze die Gunst des Augenblicks erkennen: Das Dämpfgut muss nach Beendigung des Dämpfvorganges unter hohem Druck durch enge, scharfkantige Öffnungen geschleudert und fein zerstäubt werden. Diese Idee galt es nun in die Tat umzusetzen. Er entwarf einen Dämpfapparat mit einem konischen Teil, um den Druck beim Abblasen des Inhaltes auf einen engen Raum zu konzentrieren und stellte ihn mit der Spitze nach unten, wie eine kopfstehende Flasche, auf. Zum Entleeren wurde am tiefsten Punkt ein scharfkantiges Ausblasventil von großem Durchgang eingebaut, das noch bei geringer Öffnung und engem Spalt zwischen Ventilseite und Ventilkegel genug Dämpfgut hindurchlässt. Dadurch wurden früher notwendige zusätzliche Zerkleinerungseinrichtungen überflüssig.
Die technische Entwicklung führte von den ersten Apparaten mit langem zylindrischen Teil zu solchen mit langem konischen Teil und auch zu rein konischen. Einen der ältesten Dämpfer ließ mein Vater als technisches Denkmal nahe der Brennerei in
Weichnitz aufstellen. Er war ein beliebter Spielplatz für uns als Kinder, bot er doch hinreichend Gelegenheit zum Klettern und Verstecken.
Am 19. Februar 1873 übergab Hermann Henze in Berlin auf der Generalversammlung des Vereins der Spiritusfabrikanten in Deutschland seine Erfindung der Öffentlichkeit. Seitdem wird der Dämpfer kurz „Henze" genannt und überall dort eingesetzt, wo Rohstoffe im Hochdruckdämpfverfahren aufgeschlossen werden. Außer Kartoffeln können auch Getreide, Mais oder Rüben in ihm verarbeitet werden. Er wurde dadurch auch ein unentbehrliches Glied im Fabrikationsprozess der Trinkbranntweinbrennerei. Seine wesentlichen Vorzüge gegenüber früheren Konstruktionen liegen in kürzerer Dämpfzeit, Wegfall eines Rührwerkes, Energieeinsparung, gleichmäßiger Feinzerstäubung des Dämpfgutes und restloser Entleerung beim Ausblasen. Es ist unbestritten, dass mit dem Einsatz des Henzedämpfers die Spiritusfabrikation in Deutschland einen großen Aufschwung genommen hat. Da das Hochdruckdämpfen am Anfang des Verarbeitungsganges in der Brennerei steht, ergaben sich durch den Henzedämpfer auch vorteilhafte Effekte auf die folgenden Fabrikationsstufen, wie
etwa den Gärungsprozess und den Destillationsablauf.
Hermann Henze verzichtete in uneigennütziger Weise auf die Beantragung des Patents. Nur wenige Jahre waren ihm vergönnt, den Siegeszug seiner Erfindung durch die Spiritus- und Schnapsbrennereien im In- und Ausland zu verfolgen. Er starb am 3.11.1878 und wurde in der Familiengruft in Weichnitz bestattet. Ein Modell des Henzedämpfers erinnert heute den Besucher des Deutschen Museums in München an seine geniale Erfindung.
Der Kreis Glogau würdigte in der Mitte der dreißiger Jahre die Verdienste Hermann Henzes durch die Änderung des Ortsnamens Weichnitz in Henzegrund. Dadurch wurde in einem einzigen Fall der Name eines berühmten Sohnes des Kreises in einer Ortsbezeichnung verankert. Die Zeitereignisse fügten es, dass schon 1945 dieser Name wieder getilgt wurde. In Anerkennung der großen Leistungen Hermann Henzes wurde 1939 seinem Enkelsohn Hans-Ulrich, meinem Vater, durch Verfügung des Regierungspräsidenten Liegnitz die Genehmigung zur Führung des Namens Lau-Henze erteilt.
|
|
|