Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 12, Dezember 2017

Das Dorf Dalkau (Dalków)

 

von Hans-Joachim Breske

 

Zu meiner Zeit (bis 1960) war der Weg nach Dalkau noch mit zahlreichen Obstbäumen beidseitig bepflanzt, teilweise sind sie es noch. Bei den ehemaligen Bewohnern (den Deutschen) wurden die Chausseen auch nach ihrer Bepflanzung benannt, z.B. der Weg nach Dalkau wurde als Kirschen-, der nach Weichnitz (Witanowice) als Apfel-, der nach Gustau (Gosty?) als Birnen-Allee genannt. Leider mussten an den Chausseen viele Bäume aus Verkehr-Sicherheitsgründen oder da abgestorben gefällt werden, so, dass die Namen jetzt nicht aktuell sind.Dalkau Plan

>Plan des Dorfes Dalkau (Stand 1938)<


Als ich in den Jahren 1947 bis 1951 zur Schule – nach Dalkau drei und nach Oberquell (Gaworzyce) ein Jahr – gehen oder mit dem Fahrrad fahren musste, konnte ich im Frühjahr den feinen Duft der blühenden Obstbäume genießen, oder im Herbst manch eine schmackhafte Birne aufsammeln. Nur mit den Kirschen klappte es nicht. Ende Juni waren die Kirschen noch nicht ganz reif, oder es befand sich am Wegesrand oder auf der Straße (um die Mittagszeit) ein grimmig schauender Wächter (meistens mit einem Hund „bewaffnet), der uns Kinder das Kirschenpflücken energisch verweigerte.
Eigentlich ist die Geschichte der Entstehung der Kirschenallee nach Dalkau interessant, denn sie wurde in der schon zitierten Chronik [*1] schriftlich festgehalten.
So kann unter dem Datum 27.02.1936 nachgelesen werden: „In der Zeit nach Weihnachten 1935 änderte sich das Landschaftsbild unserer Gegend dadurch, dass die schöne Eschenallee an der Landstraße nach Dalkau niedergelegt wird. Die Besitzer der anliegenden Felder führten schon seit langem Klage darüber, dass diese Allee den Ertrag ihrer Felder erheblich mindere. Bei allem Verständnis für diesen Standpunkt der Anlieger wird die Beseitigung dieser herrlichen Schatten spendenden Allee von allen Naturfreunden beklagt. An die Straße sollen Kirschbäume gepflanzt werden.“
Pflichtbewusst meldet der Chronist – es war der Lehrer Herr H. Kurzbuch – dass, „Im Herbst 1936 wird die Chaussee mit Kirschbäumen bepflanzt.“
So also, als ich in die deutsche Schule in Dalkau (Herbst 1944) und dann von Herbst 1947 bis Juni 1951 in die polnische Schule in Dalkau gehen musste, konnte ich die prächtigen Kirschbäume mit ihrer Blütenpracht bewundern und ihre hervorragend schmeckenden Früchte essen (Verzeihung - auch klauen).
Ja, die Gegend um das kleine Dorf Dalkau und Groß Kauer (Kurów Wielki) ist prächtig und birgt unendliche Überraschungen, natürlich für Personen denen die Natur, die Gestaltung des Geländes, die Bewaldung der Dalkauer Berge und der sich weit hinziehenden Felder – der Schatz dieser Umgebung, nicht gleichgültig sind. Es genügt ein Blick von Groß Kauer (Kurów) in westlicher Richtung (in Richtung Dalkau) über die, in den Jahren 1931 bis 1932, gründlich renovierte, ca. 1 m dicke Friedhofsmauer, um dieses selbst zu erleben.
Sollten man nun ein rotes, längliches Dach zwischen dem Grün, dass das eigentliche Dorf Dalkau verhüllt, erblicken, so ist dies die Bedachung des Schlosses (jetzt verwahrlost).
In dem Reisehandbuch von 1938 (K. Baedeker) [*2] ist zu lesen, dass: „… dort eine evangelische Kirche aus dem Jahr 1790 und ein Schlossgebäude aus dem Jahr 1775, mit einem Seitenflügel und einem Mansardendach, sich befinden“.
Das ist alles, was die Autoren des Reisehandbuches zu melden hatte. Schade! Ich habe nichtmahl die offizielle Benennung des Gutes: „Herrschaft Dalkau, bestehend aus den Rittergütern Dalkau, Reihe und Samitz“, gefunden.
Leider wurde nicht bemerkt, dass Dalkau ein Mittelpunkt des Fremdenverkehrs in den reich bewaldeten Höhen der Dalkauer Bergen ist, die nach allen Seiten hin prachtvolle Ausflüge ermöglichen. Die Wälder sind fast reine Kiefernbestände, nur an dem (damals) bekannten Berghaus standen dicke Eichen und Buchen.Dalkau Berghaus

>Berghaus 1955<

Als weitere Ausflugsmöglichkeiten um Glogau würde ich Dalkau an dritter Stelle nennen, mit Quaritz als Tor zu den Höhen um Gustau, Dalkau, Annaberg bis hin nach Beuthen. Schon im XVIII. Jh. hatte ein tüchtiger Theologe, Johann Gottlieb Blümel, der als Pastor von Dalkau (1762 – 1814) dort amtierte, den öden Burgberg in einen bezaubernden Volksgarten umgewandelt und dadurch die Gegend berühmt gemacht. Die höchste Erhebung bildet der Dalkauer Berg mit 227 m N.N (auch Schellenberg genannt).
In meinen Erinnerungen [*3] habe ich auf Seite 103 u. w. diese beiden Sehenswürdigkeiten beschrieben, deswegen hier nur ein Hinweis: In der Hälfte des XIX. Jh. war das Schloss Eigentum des Ernest Heimann, der es in klassizistischem Stil umgebaut hatte. In den Jahren 1907-1912 hatte Richard von Hindersin weitere Um- und Anbauten hinzugefügt. Ab 1935 erbte die letzte deutsche Besitzerin, Frau Ilse Münch geborene von Hansemann, dieses Schlosses. Sie lebte mit ihrem Mann, Herrn Dr. Caspar Münch und ihrem einzigen Sohn Peter bis 1945 im Schloss.
Das Schloss hat unversehrt den Krieg überstanden, ist aber zzt. nicht bewohnbar.
Die evangelische Kirche, die im Jahr 1775 im Muster aller schlesischen Friedenskirchen erbaut wurde und unter dem Patronat des Schlosses stand, existiert nicht mehr. In den Jahren nach dem II. Weltkrieg wurde sie in den ersten Nachkriegsjahren devastiert bis sie, wegen Bedrohung des Schulunterrichtes, abgetragen wurde. Dalkau Schloss 1920

>Dalkauer Schloss 1920<


Das Schloss ist jetzt in Privatbesitz. Der technische Zustand signalisiert, dass hier noch sehr viel Geld gebraucht wird, um alles so herzurichten wie ich es in den Jahren meiner Schulzeit und meiner Tätigkeit als Ministrant, erleben und besichtigen konnte.

>Schloss Dalkau 2015<

>Haupteingang zum Schloss in Richtung Norden 2015<


In den ersten Jahren nach dem Krieg, also nach 1946, begann mein Onkel mit den Haus- oder Wohnungseinsegnungen, auch bei denen im Schloss schon eingezogenen polnischen Familien. Für ihn war es der erste direkte Kontakt mit den neuen Gemeindemitgliedern. Ich war der einzige Junge, der jeden Sonntag zur Messe diente, also musste ich auch bei den Haussegnungen zugegen sein.
Auf diese Weise hatte ich die Möglichkeit die Wohnungen der polnischen Angestellten der Verwaltung des Gutes in Dalkau kennen zu lernen. Aus diesem Grund kann ich nun behaupten, dass sowohl das Schloss in Dalkau, in Gustau (Gosty? - jetzt abgerissen)) und in Weichnitz (Witanowice) in technischen sehr gutem Zustand waren. Die größeren Räume wurden als Büros benutzt, in den kleineren lebten die Angestellten mit ihren Familien.
Als ich 2015 mit meiner Tochter und Enkelin nebst angetrautem Schwiegersohn Dalkau besuchte, machten wir einen kurzen Stopp vor dem Einfahrtstor zum Gutshof. Ein großes Schild informierte: „Unbefugten Zutritt verboten, Privatbesitz“. Aber „Eigentum verpflichtet!“, so dachte und hoffte ich, dass der Zustand des Schlosses sich gebessert hat, aber es zeigte sich das Gegenteil. Schloss Dalkau Kaisersaal

>Kaisersaal, Schloss Dalkau 2008<

Wie aus der zitierten Benennung des Gutes ersichtlich ist, gehörte der östliche Teil des Dorfes Dalkau „Reihe“ auch zu dem Gut. Hier ist noch ein alter Turm (Rest einer Burg) zu sehen, der vor 1945 benutzt wurde; in der obersten Etage wurden Frettchen gezüchtet für die Jagd auf Kaninchen und Dachse. Am Turm führt der Weg in Richtung Groß Kauer vorbei, wo er in der Dorfstraße von Gr. Kauer mündet.
In den ersten Monaten nach Kriegsende waren in den ehemaligen großen Landgütern, wie z.B. Dalkau, Gustau, Weichnitz, deutsche Kriegsgefangene zur Arbeit einquartiert. Da sich im Dalkauer Schloss ein sehr auf Bequemlichkeit ausgerichteter, russischer, etwas korpulenter Kommandant einquartiert hatte, verlangte dieser „standesgemäß“, dass im Schloss elektrischer Strom gelegt werden müsse. Zu der Zeit war in der ganzen Umgebung von Glogau kein E-Strom zu haben. Zufällig waren unter den deutschen ehemaligen Soldaten einige, die sich mit Elektrizität auskannten und so wurde ein kleines privates, nur für den Kommandanten arbeitendes Gleichstromwerk, eingerichtet. Man hatte von irgendwo einen Gleichstromgenerator aufgestöbert und nach Dalkau gebracht. Diesen haben die Fachleute entsprechend aufgestellt und die Installationen zusammengebaut. Als Generator-Antrieb diente eine alte landwirtschaftliche Dampflok und Chef dieses E-Werkes war Herr Maroldt ein Elektro-Ingenieur. Er kam oft zu meinem Onkel, dem er viele Geschichten aus seiner Soldatenzeit und von den aktuellsten Ereignissen in Dalkau erzählte. So kann ich mich erinnern, dass er oft von „mit Weibern im Schloss rummachen“ erzählte. Bei manchen Erzählungen wurde ich aus dem Zimmer geschickt. Ich war zu der Zeit ein 8 jähriger Bub, aber ich hörte gespannt seinen Erzählungen zu.
Als Elektrofachmann musste er nicht an Feldarbeiten teilnehmen, denn, wie er oft betonte „ich habe immer was an den Leitungen zu tun gehabt“. Damals wusste ich nicht weshalb Herr M. und mein Onkel immer sich zuzwinkerten, wenn der Satz fiel „ich muss doch nicht für den Dicken arbeiten.“, jetzt interpretiere ich es als Schlauberger wohl richtig.
Die deutschen Kriegsgefangenen wurden plötzlich (1946) „nach Hause“ (nach Deutschland) entlassen und auch der russische Kommandant und sein Gefolge war verschwunden.Dalkau Burg

>Dalkau, Burg Reihe (Przysiólek Regow)<


Das Schloss und die Wirtschaftsgebäude übernahmen das polnische Militär und quartierten sich mit Familien in den freien Räumen des Schlosses ein. Alle Räume im Schloss waren absolut in gutem Zustand.
Hier ein Erlebnis, an das ich mich ganz genau erinnern kann.
Es war Mitte Mai 1945, als wieder mal ein Russe in das Pfarrhaus in Gr. Kauer eingedrungen war, um uns von etwas zu „befreien“. Diesmal hatte er ein Fahrrad in einem Versteck gefunden, von dem mein Onkel dachte, dass es dort sicher ist. Der „Befreier“ verlangte das Onkel ihm die Räder gut aufpumpt und so zog er mit dem Fahrrad ab.
Da Onkel wusste, dass in Dalkau ein russischer Kommandant im Schloss amtiert, wollte er versuchen diesen in Kenntnis zu setzen, dass immer noch einzelne Soldaten plündern und stehlen. Onkel fuhr mit einem anderen, mit Gartenschläuchen bereiften Fahrrad, in Richtung Dalkau los. Der Schnüffler-Soldat hatte das bemerkt und wollte das verhindern, also lieferten sich beide ein Wettrennen. Der Russe war der Meinung, dass er besser fahren kann, aber er hatte nicht erkannt, dass das geklaute Fahrrad in der Nabe des Hinterrades eine Gangschaltung eingebaut besaß und diese konnte er nicht bedienen. Weil ich bemerkt hatte, dass der Soldat meinem Onkel einholen wollte, lief ich wohl aus Angst meinem Onkel hinterher, blieb aber nach kurzer Zeit schwer atmend stehen und setzte mich an einem Feld auf einen kleinen Hügel und beobachtete die Geschehnisse. Ich sah, wie der Russe sich mit der Gangschaltung quälte, resigniert abstieg, sein Gewehr von der Schulter nahm und meinen Onkel anvisierte. Zum Glück war mein Onkel schon gute 800 Meter vor ihm. Ich hielt mir die Ohren zu und er drückte ab. Er hatte aber nicht getroffen und Onkel verschwand in der Ferne.
Beim Kommandanten in Dalkau hatte Onkel nichts erreichen können. Da dieser nicht geweckt werden wollte, hatte der Wachposten meinem Onkel den Zutritt verwehrt und nach Hause verjagt. Onkel kam zurück und erzählte davon, aber auch, dass er gehört hatte, wie die Kugel neben ihm vorbei geflogen war und auch den Schuss. Es blieb also beim Schreck für mich und für meinen Onkel.

Die Dalkauer Berge (auch Berggarten genannt) waren eine erste Sehenswürdigkeit Schlesiens. Er grüßte aus dem weithin sichtbaren Buchenwald und lud zwischen den Bäumen zum „Verschnaufen“ ein, mit einem weiten Blick in Richtung Glogau. Im inneren des Waldes, befand sich für Liebhaber des Wintersports eine provisorisch aber trotzdem attraktive kleine Sprungschanze. Ich selber hatte es versucht dort am Hang der Hügel das Schifahren zu erlernen, nur zu der Zeit hatte ich keine entsprechenden Schuhe und Ausrüstung.

PS. Mein Buch in dem weitere Erlebnisse vorhanden sind trägt den Titel:
„Mit einem Hans spreche ich nicht“
(Ersch. 2010)

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