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Unter der Tresper-Direktion betrat auch Adele Sandrock die Glogauer Rampe, die als knurrige ältere Dame in „Die englische Heirat", ebenfalls via Leinwand der Schauburg nach Glogau zurückkehrte. So taucht auch noch heute der Name Joachim Rake in einigen Filmen der 60-er Jahre im TV-Programm auf.
Herr Rake, ein Frauentyp mit großem Gefolge, mag etwa in den Spielzeiten 1936-38 (?) am Stadttheater gewesen sein. Seine Anwesenheit sorgte jedenfalls für große Unruhe unter der heimstädtischen Weiblichkeit, von der Konfirmandin an aufwärts. Geradezu erlösend wirkte sich seine in Glogau stattgefundene Eheschließung mit einer sehr schönen Frau aus. Doch auch sein großformatiges Hochzeitsfoto machte den Weg zum Schaukasten des Fotografen im „Hindenburg" zur Pilgerstrecke.
>Rosel Tresper<
Aus der jüngeren Chronik der Spielzeiten zwischen 1935-40, die ich als Jüngling, meist auf den Seitensesseln, Rang rechts, erlebte, erinnere ich mich gern an: Ulli Füchsel, Edith Peltzer, Magda Hennings, Paul Thierfelder, Fredy Roth, Joachim Rake, Gustav Burmester, W. A. Cramer und Adalbert Ebelt.
Meine Gedanken an Frau Füchsel verbinden sich noch heute mit einem eher peinlichen Erlebnis. Sie saß während einer Aufführung neben mir auf dem Sessel Nr. 2 Rang rechts. Das Bühnengeschehen zog mich zu einem nicht mehr definierbaren Zeitpunkt so in seinen Bann, dass ich irgendwann - offenbar schon dieser Welt entrückt - meine Hand auf ihrem Knie wiederfand als das Licht anging. Da ich sie wegen ihrer Schönheit besonders verehrte, wäre ich vor Scham und Erschrecken beinahe in den Orchestergraben gesprungen. Allein ihr großzügiges Darüberhinwegsehen verhinderte diesen Glogauer „Theaterskandal".
Dagegen hatte ich mit Frau Peltzer - damals wohl nur wenig älter als ich - ein geradezu tanzendes Erlebnis. Auf dem Ball des Stadttheaters 1938 war es, als die Damen und Herren des Ensembles von der Bühne der Rauschwitzburg zur Musik „Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein" sich im Saal verteilten und Ballbesucherinnen und -besucher zum Eröffnungstanz aufforderten. Die Überraschung vollendete sich, indem Frau Peltzer vor mir stehenblieb und mich zum Tanze an die Hand nahm. Meine Knie wurden ganz weich, jedoch tanzschrittweise festigten sie sich wieder und bei einem Glas Sekt zum Dankeschön für diesen Tanz kam ich dann auch wieder aus dem Himmel zurück in den Saal. So schön konnte es in Glogau sein!
Weitere 48 Namen müssten hier noch geschrieben stehen. Ein vorliegendes Dokument der Schlesischen Landesbühne von 1941 weist für Glogau allein 57 Ensemble-Mitglieder aus. Der damalige und letzte Intendant, Hans Neumeister, und seine technische Truppe sind in dieser Zahl nicht enthalten. Dazu muss gesagt werden, dass von Glogau aus auch an anderen Spielorten gespielt wurde, z. B. in Neusalz, Grünberg, Fraustadt usw.
>Aufführung von Romeo und Julia<
Von Hamlet bis Charlys Tante, von Romeo und Julia bis Wasser für Canitoga, von Mustergatte bis Vetter aus Dingsda, Frau Luna, Zarewitsch und Hänsel und Gretel, spielten sie ihre Rollen und brachten ein beachtliches Niveau auf die Bühne. Aber nicht nur Schauspiel, Komödie und die musikalischen Sparten erlebte das Glogauer Publikum. Auch für Gastspiele anderer Unterhaltungskünstler schob sich der Vorhang zur Seite:
„Die 8 Entfesselten" mit dem unvergessenen Rudi Godden machten Musik und Spaß.
Und wenige Zeit vor ihrem von den Nazis verhängten Auftrittsverbot, swingten und jazzten die „Comedian Harmonists" auf der Glogauer Bühne: „Veronika, der Lenz ist da", bis sie irgendwo ihr letztes Lied sangen, zu einem Abschied für immer: „Lebewohl, gute Reise" - 6 Künstler von unvergleichlicher, nie wieder erreichter Klasse.
All die genannten Musentöchter und -söhne aber hatten in Glogau eine gemeinsame Amme, die immer für sie da war, vom ersten Morgenkaffee bei der Probenpause bis zur letzten Karaffe oder Glas am Abend nach der Vorstellung.
Es war Auguste Seebald. - Sie betrieb auf der Baudenstraße ein kleines Lokal, „Seebalds Gaststätte". Von allen, die dort ein- und ausgingen, wurde Mutter Seebalds Schenke auch „Bratkartoffeldiele" oder „Café Darm" genannt. Letzteres kam daher, dass man die Mittagsgäste regelrecht durchschleusen musste - durch den Darm -. „Vorne rein und hinten raus"! So schmal ging es darin zu und für die Schauspieler gab es am hinteren Darmende einen Ausgang auf die Theatergasse, fast vor die Tür zum Bühnenausgang, zu ihren Garderoben.
Frau Dorothea Seebald, Enkelin der Lokalchefin weiß vieles zu berichten, denn sie ist von Kindesbeinen an in das Theatermilieu hineingewachsen. Bereits mit 3 Jahren stand sie im „Wilhelm Tell" oder in „Madame Butterfly" im Bühnenlicht. Später erhielt sie von Elfriede Hentrich (Komische Alte) Gesangsunterricht und bei Traude Reczak und Hedy Wölke, zusammen mit Brigitte Kreuzer, Ballettstunden. Frau Kreuzer machte ihren Weg als Sängerin und war viele Jahre in Leipzig in der „Musikalischen Komödie" engagiert. Dorothea Seebald war in Meißen engagiert und versank später in den Souffleurkasten.
Das „Dorli", wie man sie im Ensemble nannte, weiß aber auch um die kleinen Marotten und Maröttchen und plauderte mir ein wenig aus ihrem Nähkästchen.
>Auguste Seebald<
So gerät meine Schreibe nun auch noch in die soziale Kulisse. Einen starken Raucher soll es gegeben haben, der seine geliebte Zigarette solange quälte, bis er für den glühenden Rest eine Sicherheitsnadel zuhilfe nahm, die er dieserhalb stets bei sich trug. Er soll sich dabei zwar nicht die Finger, aber schon mal den Mund verbrannt haben.
Vielleicht auch am Weißkrauteintopf, den es jeden Mittwoch aus Augustes Töpfen gab. Jedenfalls garnierte eine liebenswerte Actrice bei solcher Speisenfolge ihren Tellerrand mit den unverzichtbaren Kümmelkörnchen, die sie so gar nicht mochte. Mutter Seebald kochte dann ob dieser Malaise eine Extraportion, ohne Kümmel versteht sich. Männliche Stammgäste fanden mitunter den Heimweg nur unter dem leichten fordernden Zwang ihrer Angetrauten und es soll dabei auch bühnenreife Auftritte gegeben haben.
Da sich Dorlis Bewegungsraum vornehmlich zwischen Baudenstraße, Theatergasse und Bühnenhaus befand, entging ihr so ziemlich nichts, was sich auf diesem Terrain ereignete. Immer an den Markttagen geschah es an einer bestimmten Stelle der Theatergasse, dass sich die Marktfrauen recht unauffällig zu einfallsreichem Tun hinstellten. Es war das Kellergitter der Theaterelektriker. - Aber das gehört ja eigentlich gar nicht mehr hierher.
Und wenn ich trotzdem zum Schluss diese kleinen, belanglosen Intimitäten ausgebreitet habe, so wollte ich damit noch einmal ganz liebevoll über unser Glogau streicheln, so wie es lebte und liebte, wie es war, auch in seinen kleinsten Schwächen, bis der letzte eiserne Vorhang fiel an unserem Stadttheater. |
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