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Schon oft wurde an dieser Stelle über unser Glogauer Stadttheater geschrieben. Über seine historischen Gründungsdaten wurde berichtet, deren Wirrungen und Wandlungen bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts zurückreichen. Manches, was die Entwicklung und insbesondere die Anfänge der Glogauer Theater-Tradition beleuchtet, fordert von uns ein gutes Maß an Fantasie, weil Zeit und Sprache sich gewandelt haben, bis hin in jene Tage, als sich unser eigenes Bild vom Glogauer Theaterleben formte.
Auch meine Bemühungen, den heimatlichen Tempel Thalias und Melpomenes in unser Licht zu rücken, werden nicht ohne einen Blick in die Vergangenheit auskommen, die für uns schon damals Geschichte war, als wir unser Theater an der Ostseite des Marktes noch in festlicher und erwartungsvoller Stimmung betreten durften.
Unser aller Erinnerungen gehen in ein Haus zurück, welches uns Freude und Erbauung schenkte, dessen Bühnengeschehen uns für einige Stunden des Tages in eine andere Welt führte und uns dankbar machte, lachend oder weinend. Eines Tages aber stürzten unsere Gedanken an dieses so geliebte Stadttheater in sich zusammen, und ein Feuersturm ließ eine über Jahrhunderte zurückreichende Theatergeschichte abreißen, bis heute Leere hinterlassend.
Die Geschichte begann mit den Jesuiten, die nach der Reformation und einigen Kriegswirren 1653 in Glogau eine feste Heimstattfanden. Mit ihren Schülern haben sie auf dem Rathaus-Tanzboden ihre Stücke aufgeführt, und man kann es getrost die Urzelle der Glogauer Theaterfreuden nennen, was damals die Schüler der Ordensleute von der Fronleichnams - (Breslauer Straße) und Spittelgasse = (Jesuitenstraße) dort auf der Bühne ins Leben riefen.
Über das Glogauer Jesuitendrama und die Fronleichnamsspiele schreibt Prof. Dr. Warnatsch in seinem Beitrag anlässlich der Schillerfeier 1905, des Kath. Gymnasiums: „Die Breslauer Stadtbibliothek besitzt eine Sammlung von 35 Schauspielen der Glogauer Jesuiten von 1662 an.
Andreas Gryphius sollte eigentlich vor jesuitischer Theaterarbeit genannt sein, denn seine Dramen und Lustspiele bildeten oft die Vorlage für die komjdiantischen Bühnenausflüge der frommen Herren. Dem großen Sohn unserer Stadt 1616-1664 gebührt also unsere Verehrung, und sein Name sei hier mit Hochachtung aufgeschrieben: Andreas Gryphius, von dem man schrieb, dass sein Dialektstück „Geliebte Dornrose" (1660) „das berühmteste, mundartliche Lustspiel damaliger Zeit in Deutschland sei":
„Sagt ich bin su vertrifft uff Lise Dornrusen, dos ich gar dulle werden möchte..."
Gryphius hat dieses Bühnenspiel ausdrücklich zur Aufführung in Glogau gedichtet. Es wurde am 10. Oktober 1660 dort aufgeführt, „uraufgeführt" in unserer Sprache. An anderer Stelle heißt es: „Gryphius hat hier mit voller Absicht seine heimische Mundart zu Ehren gebracht." So ist auch Glogaus hochverehrter Sohn und Bürger mit seiner gestaltungsreichen Sprache auf das engste mit dem Theaterleben unserer Heimatstadt verbunden. Seine Dramen, seine Lyrik und die schrillen Trompetenstöße seiner Rhetorik können uns noch immer ergreifen und bewundernd machen.
Nicht ohne Anlass fand daher seine Büste über dem Hohen Hause der Musen, in der kassettierten Halbkuppel des Mittelrisasits ihren Ehrenplatz, wenngleich ihm diese Ehrung auch erst zu seinem zweihundertsten Todestag, am 6. Juli 1864, zuteil wurde. Geschaffen wurde das strahlend lichtgelbe Abbild unseres Dichterfürsten von einem Breslauer Bildhauer namens Michaelis.
Noch längst nicht hat aber unser Stadttheater das uns vertraute Erscheinungsbild. 1774 wurde zwar das Gebäude mit der allbekannten Fassade im Stil der Neoklassik errichtet, jedoch sah die Nutzung des Gebäudes eine für unsere Vorstellungen kaum begreifliche Kombination vor. Die unteren Räume waren nämlich den Glogauer Fleischern vorbehalten. Die sogenannten Fleischbänke bezogen dort ihr Domizil, um von hier die Küchentöpfe der Oderstadt zu füllen.
Das erste Stockwerk wurde als Redoutensaal ausgestaltet, nach der Art der süddeutschen Tanzhäuser. Hochzeiten, Bälle und Tanzfeste wurden darin gefeiert.
Erst im Jahre 1799 wurde über der Redoute ein Theatersaal errichtet. Dort oben, im zweiten Stockwerk, begann also die Theaterzeit an der Marktseite, die seinerzeit noch ein Paradeplatz war, über den zuvor schon Gryphius wandelte. Das Gebäude, das nun offenbar nicht mehr ausreichend gesichert schien, erhielt jetzt zur Stabilisierung den markanten Mittelbau und einige andere Verstrebungen. Mehr als ein baufachliches Glanzstück ist die Tatsache, dass der so gerüstete Bau das Bombardement von 1945 überstanden hat! Ein weiterer Um- und Ausbau zu einem echten und einzigen Musentempel, bei dem der obere Theatersaal mit der der Redoute zu einem großen Theatersaal, mit Parkett- und Rangplätzen vereinigt wurde, erfolgte 1839. Nun besaß Glogau eine Spielstätte, wie sie im weiten Kreise landauf — landab nicht vorzufinden war. Kritik fand man allerdings, weil es „geschmacklos bunt angemalt" war. Auch löste die gewölbte Decke des Zuschauerraumes den Volksmund zur Bezeichnung „Plauwagen" aus.
Solch schneller Witz und deftige Sarkasmen haben fast etwas berlinisches. Das verwundert auch gar nicht, denn: „jeder zweite Berliner kommt aus schlesischen Landen", sagt man in Berlin.
Die Fleischer mit ihren „Scharren" zogen aus, aber eine Freitreppe wurde vor dem schönen Säulenportal errichtet, weil man um die Sicherheit des Publikums besorgt war. Glogau erstrahlte nämlich erstmals im Jahre 1857 im Lichte der Gaslaternen. Zwei Jahre später, 1859, wurde jene Doppeltreppe gebaut, die zwar den Theaterbesuchern einen zügigen Austritt ins Freie ermöglichte, jedoch die Ästhetik der maßvollen Fassadengliederung erheblich störte.
Fast siebzig Jahre, bis 1926, spielte man nun auf Glogaus Bühne Theater, und das Gebäude blieb während dieser Zeit außen und innen unverändert.
Auf dem Platz vor dem Hause standen die Droschken, und die eingespannten Rösser mampften in ihren Futtersäcken, während die Kutscher der schwarzen „Lackwagen" ihr Pfeifchen schmauchten, den schwarzen Zylinder despektierlich auf den Bock gelegt.
An zwei Tagen in der Woche teilten sie sich den Standplatz unter der Gryphiusbüste mit den Gemüsebauern aus dem Schwarzen Winkel, und der Duft von Blumenkohl und anderen Gemüsesorten zog appetitlich-friedlich um den Musentempel, der neuerdings am Abend im Lichte der Gaslaternen strahlte.
Ruhelos aber machte der Fortschritt mit unaufhaltsamem Tempo von sich reden. Die Pferdedroschken machten ihre letzte Fahrt zum Bahnhof und danach in die dunkle Vergessenheit der Remise, z. B. in die Schulstraße neben der Pfarrkirche.
Die ersten Opel-, Steyer- und Daimler-Limousinen fuhren auf dem Standplatz vor dem Theater vor, mit ihren schwarz-weiß karierten Banderolen um die Blechtaille.
„Taxi bitte", hieß es jetzt mit forscher Stimme, und die Glogauer bemühten sogleich wieder ihren Mutterwitz und nannten diesen Pflasterstreifen „Gummibahnhof". Eine Gefühlsmischung aus Trotz und Bewunderung mag wohl diese Wortschöpfung erfunden haben.
Unserem Theater bescherte der Aufbruch in das Maschinenzeitalter eine wohl unvermeidbare Erneuerung der Bühnentechnik. 1926 wurde unter der Leitung des Direktors der Dresdener Staatsoper, Hasait, das Bühnenhaus vollständig modernisiert. Weil das Stadtsäckel aber bereits erhebliche Falten hatte, schob man die Modernisierung des Zuschauerraumes bis zum Frühjahr 1928 hinaus. Stadtbaurat Eugen Griesinger zeichnete für die nun erfolgenden, sehr gründlichen Veränderungen aller übrigen Innenräume verantwortlich.
>Das Stadttheater nach dem Umbau, ohne Freitreppe<
Im November des gleichen Jahres konnte unser Stadttheater neu eröffnet werden und es fiel dabei das Wort vom „Phönix aus der Asche". Es bot jetzt auf zwei Ebenen 450 Zuschauern Platz und war technisch dem Sprechtheater, der Oper und Operette, wie dem Tanztheater in gleicherweise gerüstet. Optisch entfaltete sich nach dieser Schönheitskur ein sehr elegantes Schmuckstück für unsere Stadt, welches uns allen lieb und teuer war.
Die raumschöpferische Seite der Renovierung war inspiriert von der Sachlichkeit des Zeitgeschmacks, der sich von den bizarren Formen des Art deco-Stils zu lösen begann. Ich habe oft gegen die silberfarbene Decke des Raumes geschaut und die sich überlagernden Flächen zu ordnen versucht, welche den Bogen der Fläche gliederten. Auch die beiden Figuren über dem Bühnenausschnitt und an der Rückwand der Rangplätze waren dem Stil der Innengestaltung angepasst. Entworfen von einem Breslauer Künstler und nicht selten einem besonders kritischen Blick ausgesetzt.
Die Wände des großen Raumes waren mit blauem Samt bespannt, deren große Flächen dadurch belebt wurden, dass der Strich des Gewebes von Naht zu Naht wechselte. Dadurch entstand von Stoffbahn zu Stoffbahn, die waagerecht auf die Wände verspannt waren, der dem Samt eigene hell-dunkel Effekt. Auch die Polster der Bestuhlung und der Bühnenvorhang waren aus dem gleichen Material gearbeitet. Um die Bühnenöffnung lief eine silbrige Stuckleiste, die dort noch heute zu sehen ist. Die am Deckenstoß beidseitig angebrachten Leuchten fügten sich stiltreu in das Gesamtbild, und so ergab sich ein Zusammenspiel von Farbe und Licht, welches dem Saal Ruhe und Zurückhaltung verlieh.
Außen erhielt das Haus jenes uns bekannte Gesicht durch den Abriss der „berüchtigten Freitreppe" und an der Hauptfront, wie es zur Eröffnung formuliert wurde: „einen satten, wohltuenden Anstrich". Im neuen Hause übernahm nun Georg Syguda die Direktion.
An dieser Stelle mag meine persönliche Begegnung mit der Welt des Theaters einsetzen, die sich etwa zeitgleich mit meinen ersten Schulerlebnissen verbindet. Irgendwann saß ich staunend und aufgeregt neben meiner geliebten Tanta Martha im Parkett und begriff wohl kaum den Zauber, der sich nach dem Öffnen des Vorhangs ausbreitete. Eben noch ängstlich, weil das Licht verlöschte, begann sich „Peterchens Mondfahrt" auf den „Brettern, die die Welt bedeuten" zu entfalten. Auch die Schummelei mit der Hebetechnik, die mich kurz entzauberte, ließ meine kindliche Begeisterung für mein erstes Theatererlebnis nicht kleiner werden.
>Zuschauerraum<
>Theatervorhang<
Im Heranwachsen stieg das Interesse für die Bühnenmusen und ihre Akteure. Viele Begegnungen mit ihnen ließen ihre Namen vertraut werden. Ihnen allen von hier aus meine Referenz zu erweisen, die im Laufe der Jahre auf den Theaterzetteln und in den Programmheften zu lesen waren und uns in ihrer Rolle zu Beifall für heiteres und ernstes brachten, ist mir nicht möglich. Wenn ich trotzdem den Versuch wage, einige Namen in unsere Erinnerung zu rufen, so bitte ich schon jetzt um Vergebung für die Lücken, die ich überspringe.
Der in allen Annalen genannte Amand Tresper sei hier aufgeschrieben, weil er als Direktor (1911 -1927) die wohl herausragendste Persönlichkeit war. Das Glogauer Theaterpublikum verdankt ihm viele erfolgreiche Aufführungen und, wie im Falle des „Schwarzwaldmädel" von Leon Jessel, einen Bestseller - Entschuldigung - der kaum seine Berliner Premiere hinter sich hatte. Seine Frau wirkte im Hintergrund, und Tochter Rosel war der erklärte Liebling der Glogauer Theatergesellschaft.
Über Anni Wurm, die im „Schwarzwaldmädel" in der Titelrolle als Bärbele glänzte, soll sich Riesenbeifall und ein Blumenregen ergossen haben — nicht nur bei der Premiere.
Alfred Wund, Lene Amend, Emmy Judae, Julius Biedenweg, Georg Bronder und Servas Lantin, stehen mit ihren Namen für eine Künstlerschar, die weit über Glogau hinaus geschätzt und geliebt wurde. Das Glogauer Ensemble spielte übrigens in den Sommermonaten vor den Kurgästen in Bad Salzbrunn.
Als Sprungbrett für höhere Weihen der Kunst, bis auf die Kinoleinwände, die auch in Glogau zu flimmern begannen, dienten die staubigen Bretter unserer Heimatbühne für Emil Jannings, Conrad Veit, Paul Wegener und Alfred Abel. Jean Gilbert, der hier dirigierte, gehörte auch dazu, und nicht zuletzt Siegfried Lowitz („Der Alte") lernte hier sein Handwerk, so weiß Frau Magda Hennings zu berichten, die als umschwärmte junge Schauspielerin in Glogau ihre Laufbahn begann und später selbst in einem „Durbridge"-Krimi über den Bildschirm ins Wohnzimmer kam. |
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