Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 6, Juni 2017

Eine Reise in die Kreise Glogau und Fraustadt

von Dr. Martin Sprungala

 

Einige Mitglieder der Bezirksgruppe Halle a. d. Saale hatten im April eine Fahrt nach Glogau geplant und vorher schon überlegt, ob sie nicht mit dem Verein Schlesischer Städte-, Kreis- und Gemeindetag die geplante Verständigungsreise in das nördliche Niederschlesien mitmachen sollten. Da diese Reise verschoben wurde, blieb es bei dem alten Plan und am 20.4.2017 fuhren die Heimatfreunde Günter Sonnabend, Christiane Paul und Lore Rieling begleitet von dem Vorsitzenden unseres Glogauer Heimatbundes Dr. Martin Sprungala nach Schlesien. Bereits am Vortag war der Vorsitzende aus Dortmund nach Leipzig angereist, wo man ihn abholte.
Vorbei an Dresden und Görlitz ging es gen Osten, dann von der Autobahn weiter gen Norden auf die polnische Hauptstraße DK 12.

Erste Station der Reise war das Gemeindedorf Wiesau (Radwanice), wo die Heimatdorfgemeinschaft des GHB an der ehemaligen evangelischen Kirche eine zweisprachige Erinnerungstafel errichtet hat, die wir uns ansehen wollten. Kirche Wiesau

>Kirche Wiesau<

Wir hielten an der ehemaligen evangelischen Kirche, sahen uns um und fanden die Tafel mit folgendem Text: „Zur Erinnerung an alle, für die hier bis 1945 Heimat war, die hier gelebt, geliebt und gestritten haben und gestorben sind und deren Schicksal sich fern der Heimat ihrer Kindheit vollendete. Gemeinsam erinnern deutsche Wiesauer und polnische Radwanicer an das Schicksal dieses Ortes.“Wiesau Erinnerungstafel

>Erinnerungstafel in Wiesau<

Gegenüber an der Schule war schon wieder viel los, denn die Schulferien in Polen dauern nur eine Woche lang an – dafür gibt es zwei Monate lange Sommerferien. Wir sahen das Gemeindeamt und die ehemalige Flachsfabrikation, ehe es weiterging.
Anschließend fuhren wir nach Klopschen (Klobuczyn), wo vor dem Krieg Günter Sonnabend im Bahnhof als Sohn des Bahnhofvorstehers geboren wurde. Er wollte noch einmal sein Geburtshaus sehen. Der Schienenverkehr ist hier inzwischen eingestellt und das Haus ein normales Wohnhaus geworden, bzw. scheint in Teilen ungenutzt zu sein. Trotz der Kälte dieses Aprils konnten wir schon die ersten Blumen in der benachbarten Kleingartenanlage sehen.
Auf der Weiterfahrt mussten wir einer Umgehung folgen, denn die Hauptstraße DK 12 (Droga krajowa, eine polnische Nationalstraße) war hier gesperrt. Die sie kreuzende, fast schon wie eine deutsche Bundesstraße ausgebaute DK 3 wird hier im großen Umfang ausgebaut. Die DK 3 beginnt an der Ostsee bei Swinemünde (Swinoujscie) und soll bis zur tschechischen Grenze bei Jakuszyce (Jakobsthal, bei Schreiberhau/ Szklarska

Poreba im Kreis Hirschberg/ Jelenia Góra) führen. Vor einigen Jahren wurde die Strecke vorbei an Meseritz (Miedzyrzecz) bis nach Neusalz (Nowa Sól) und in den Kreis Grünberg (Zielona Góra) fertiggestellt. Nun wird an der weiteren Strecke, vorbei an Glogau, gearbeitet. Die Gesamtlänge dieser wichtigen Nord-Süd-Achse im polnischen Straßenverkehr beträgt 216 Kilometer. In Teilen wurde die zur Schnellstraße ausgebaute DR 3 bereits zur S 3 (Droga Ekspresowa).

Im Glogauer Land sahen wir bereits die Türme der Kupferhütten, die die Kreise Glogau, Polkwitz, Lüben und Liegnitz wohlhabend gemacht haben. Rasch erreichten wir Glogau und hielten am Bahnhof, um im Geschäft „Piotr i Pawel“ (Peter und Paul) einzukaufen. Meinen Reisebegleitern war diese in Polen sehr verbreitete polnische Feinkostkette nicht bekannt. Nach der Wende in Polen kamen viele ausländische Ketten nach Polen wie Lidl, Intermarche oder auch Aldi, bzw. wie Biedronka (= Marienkäfer) wurden von Ausländern gegründet. Das Unternehmen „Piotr i Pawel“ wurde im Jahr 1990 von Eleonora Wos und ihren Söhnen Piotr und Pawel gegründet, woher es seinen Namen erhielt. Im Jahr 2011 umfasste die Kette bereits 76 Filialen in 45 Städten Polens mit ca. 4.000 Angestellten (Stand November 2010) und einem Umsatz von 1,58 Milliarden Zloty (etwa 400 Mio. Euro). Damit gehören sie zu den größten Feinkostketten Polens.

Nun ging es zur Jesuitenkirche, um zu sehen, was sich in der Stadt verändert hat. Und wirklich konnten wir neue Entwicklungen feststellen. An der Ruine des alten Stadttheaters konnten wir feststellen, dass hier mit Aufräumarbeiten begonnen worden ist. Auch die Stadtpfarrkirche St. Nikolaus wies Gerüste auf, die aber nur der Sicherung der Turmruine dienen, wie uns später Antoni Bok erklärte.Glogau Jesuitenkirche

>Die Jesuitenkirche in Glogau<

Stadttheater Ruine

>Die Ruine des Stadttheaters in Glogau<

 

Stadttheater Modell

>Das Model des Stadttheaters, wie es einmal aussehen soll<


Zur ersten Stärkung besuchten wir das Café gegenüber des Rathauses, ehe wir unseren Gang fortsetzten. Nach dem Rundgang durch die Stadt ging es ins Quartier, der Pension Sloneczko in Schlawa, denn das Qubus-Hotel war ausgebucht. Über die Oder, vorbei am Dom ging es in die Carolather Heide, durch Tschepplau (Langemark), vorbei an Merzdorf (zuletzt Ortsteil des aus drei Dörfern gebildeten Deutscheck) nach Schlawa.
Der Schlawaer Lehrer Przemek Zielnica, der zuletzt auch die Fahrt der Forster Gruppe mit organisiert hat, hat uns auch hier die Räumlichkeit gebucht. Die Zimmer hatten alle einen Balkon und Blick auf den großen Schlawaer See, den man wegen seiner Größe auch Schlesisches Meer nennt. Vom Vorsitzenden des Heimatkreises Freystadt (Kozuchów) erfuhr ich, dass es bei ihnen Tradition war, wenn jemand das erste Mal nach Schlesien fuhr, dass man zum See reiste, der bis Anfang der 1920er Jahre Teil des Kreises Freystadt war, um ihn hier mit schlesischem Wasser zu taufen.
Angesichts der Kälte dieser Apriltage und unserer bereits zahlreichen Besuche in Schlesien verzichteten wir darauf.

An nächsten Tag hatten wir eine Oder-Schifffahrt gebucht. Da die „weiße Flotte“ ihren Dienst erst Ende des Monats aufnahm, wurde eine größere, überdachte Schaluppe gemietet. Begleitet wurden wir von dem Mitglied des Glogauer Geschichtsvereins Antoni Bok, unserem Kontaktmann in Glogau, der uns führte. Es ging stromabwärts nach Beuthen a. d. Oder, das zur Unterscheidung von der oberschlesischen Industriestadt auch Kuh-Beuthen genannt wurde. Passenderweise sahen wir vor dem Ort eine Rinderherde am Ufer grasen. Hier stiegen vier weitere Gäste ein, Freunde des Glogauer Geschichtsvereins.
Weiter flussaufwärts lag dann zur Rechten der Ort Carolath (Siedlisko) mit seinem einst beeindruckenden Schloss der Reichsgrafen von Schönaich-Carolath, das nur noch eine inzwischen von Bäumen verdeckte Ruine ist.
Endpunkt der Fahrt war Neusalz (Nowa Sól), wo sich unsere Wege erst einmal trennten. Die Glogauer Heimatfreunde besichtigten die Stadt und fuhren dann mit dem Bus zurück nach Glogau, während mich der Projektleiter Przemek Zielnica nach Brenno abholte.
Brenno lag einst im Kreis Fraustadt und ging infolge des verlorenen 1. Weltkriegs an Polen und damit zum Kreis Lissa (Leszno), wozu es noch heute gehört. Przemek hatte einen Vortrag in der kleinen Gemeindeschule, dem polnischen Gymnasium, organisiert. Durch einen Heimatfreund hatte ich vor zwei Jahren aus einem Nachlass eine Akte erhalten, aus der man die Biographie des ostpreußischen Lehrers August Schulz (1863-1938) erschließen konnte, der von 1895 bis 1919 an dieser Schule tätig war. Dann musste er den nun polnischen Schuldienst verlassen und optierte für Deutschland und ging nach Thüringen.
Der Vortrag in der Bibliothek des Gymnasiums war mit etwa 40 Schüler und fünf Lehrerinnen gut besucht. Organisiert hatte ihn der Vorsitzende des Vereins „Gemeinsam handeln“, Józef Wojciech, und die Direktorin Dorota Wolniczak.
Meine Begleiter sahen sich währenddessen mit Herrn Bok Neusalz und das örtliche Museum an, ehe sie mit dem Bus nach Glogau zurückfuhren und den restlichen Nachmittag in Glogau verbrachten.
An diesem Abend fand noch ein Arbeitsgespräch mit dem Glogauer Geschichtsverein „Towarzystwo Ziemia Glogowska“ statt. Antoni Bok begrüßte die deutschen Gäste zusammen mit seinen Vereinsmitgliedern Dariusz Jarosz, Marcin Kuchnicki und Pawel Lachowski. Es wurde über gemeinsame Aktivitäten und aktuelle Arbeiten beider Vereine gesprochen.
Meine Hauptaktivität dieser Reise fand am nächsten Tag (Samstag, 22.4.2017) statt, eine polnisch-deutsche Tagung mit Familienforschern im Rathaus, dem ehemaligen Schloss, in Weine (Wijewo), dem Nachbarort von Brenno. Der Projektleiter P. Zielnica war sehr unruhig, wie dieses erstmalige Projekt verlaufen würde und ob überhaupt Gäste aus Deutschland kommen würden. Er hoffte, dass wenigstens 20 Personen kommen würden. Dr. Sprungala verwies auf die zuletzt durchgeführten Vorträge in Wijewo, bei denen sogar 30 Interessierte erschienen waren und war hoffnungsvoll. Geirrt haben wir uns beide, denn es kamen 50 Teilnehmer, so dass die gastgebende Bibliothekarin Graczyna Adamczewska schon gar nicht mehr wusste, wo man all die Stühle unterbringen sollte. Auch aus Deutschland waren insgesamt fünf Teilnehmer gekommen.Glogau Rathaus

>Das Rathaus in Glogau<

Der Biochemiker und Hobby-Familienforscher Dr. ?ukasz Bielecki berichtete über das Internetportal der Pozna?-List, bei dem alle Trauungen des 19. Jahrhunderts im Posener Land erfasst wurden. Seit 1999 läuft das aus den USA initiierte Projekt und hat inzwischen 1,5 Millionen Datensätze erfasst. Jeder, der möchte, kann dabei helfen. Es ist ein Projekt der sog. Schwarm-Intelligenz, die sich im Internet an vielen Projekten zeigt, wie z. B. bei dem Internetlexikon Wikipedia. Ich konnte nur feststellen, dass so ein Projekt für Schlesien fehlt und es ganz toll wäre, wenn die Familienforscher auch so etwas zustande bekämen.
Meine Begleiter besuchten an diesem Tag die Kirchen in Tschepplau (Langemark), ehe sie nach Glogau fuhren, sich die Veränderungen am Bahnhof ansehen, verschiedene Ortsteile und die Kasematten besichtigen konnten.
Der nächste Tag (23.4.2017) war bereits der Rückreisetag, vorher aber noch erfolgten zwei Einladungen von Tagungsteilnehmern der gestrigen Veranstaltungen. Zuerst ging es nach Friedendorf (Spokojna, heute Teil der Gemeinde S?awa), zu Mariusz Skrzypek, der im Wald eine größere Anzahl von Kurganen (Grabhügeln) mit Urnengräbern gefunden hat, die er mir zeigen wollte. Mit dem Auto ging es tief in den Wald. Dem normalen Betrachter wären die kreisrunden Hügel vielleicht nicht aufgefallen und er hätte sie hier in der Endmoränenlandschaft mit seinen Sandern als natürlich angesehen, doch das waren sie nicht. Wir verständigten nach der Besichtigung das Archäologische Museum in Posen über diesen Fund. Der passionierte Imker hat sie bei seiner Arbeit im Wald entdeckt und sich Gedanken über ihre Form gemacht, vor allem als er feststellen musste, dass ein Schatzsucher einen Hügel aufgegraben hat.
P. Zielnica drängte nun zum nächsten Termin. Mit dem Gemeinderatsmitglied für Kaszczor (Altkloster) in Przemet (Priment), Ireneusz Wolniczak, trafen wir uns an der Grenze von 1919-39 zwischen Friedendorf und Altkloster. Hier hat man mit wenigen Mitteln eine Erinnerung geschaffen. Schon bei meiner ersten Fahrt in diese Region habe ich zufällig die alte Grenzkontrollstelle entdeckt: zu beiden Seiten des Sandwegs findet man bis heute zwei Betonplatten, aus denen ein Stahlträger herausragt, der nach 1993 beseitigt worden ist. Hier haben Geschichtsinteressierte an einer Birke eine Holztafel mit der Aufschrift „Granica RP 1918-1939“ (Grenze der Republik Polen) angebracht.
Christiane Paul schlug vor, ein Foto zu machen, bei dem die Polen auf der polnische Seite stehen, die Deutschen auf der Deutschen und ich als Vermittler der Kulturen auf der Grenze stehend. Dabei sollten wir uns die Hände reichen. Die Idee wurde begeistert aufgegriffen.
Nach der kurzen Fotopause ging es weiter durch die Kolonie Altkloster, erbaut von der königlich preußischen Ansiedlungskommission für Posen und Westpreußen nach 1905, zum alten evangelischen Bethaus mit der Schule. Das Backsteingebäude steht heute leer.
Den Weg nach Norden folgend in den Wald hinein ging es zu dem kleinen evangelischen Friedhof. Dieser einst verwahrloste, heruntergekommene, zerstörte und beraubte Totenhof wurde im letzten Jahr von polnischen Pfadfindern aufgeräumt und gesäubert.
Den Abschluss dieser Besichtigungstour auf den Spuren der Evangelischen in Altkloster war der Besuch der ehemaligen evangelischen Kirche von 1911. Das nach 1920 als Lager missbrauchte Gotteshaus wurde in den letzten Jahren mit EU-Fördergeldern renoviert. Auf der Empore fanden wir sogar deutsch- und englischsprachige Erklärungen. Von besonderem Interesse war der Aufstieg auf den Kirchturm, der sehr gut ausgebaut worden ist. Von hier hat man einen hervorragenden Überblick über das Dorf und die Landschaft.
Gegen 11 Uhr verabschiedeten wir uns und traten die Rückreise an. Es war mal wieder eine sehr ereignisreiche Kurzreise nach Polen, bei der alte Kontakte gepflegt und neue geknüpft wurden.

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