Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 4, April 2017

 

Vom Sommersingen und Todaustreiben

 

 

Das war vielleicht jedes Jahr eine Aufregung unter den schlesischen Kindern, wenn es hieß: „Murne giehn mer Summern!" Wenn der Winter im Abgehen war und die Tage schöner wurden, wenn schon die ersten Krokusse und Schneeglöckchen blühten — dann war es soweit. Am dritten Sonntag vor Ostern (Lätare) gab es dann ein richtiges Fest für die Kinder, wenn sie mit ihren bunten „Schmackostern" oder Sommerstecken losziehen konnten, um bei allen Nachbarn Gaben zu heischen. Die ganze Woche vorher roch es in jedem Haus und im ganzen Dorf nach Gebackenem. Die Kinder aber saßen mit roten Wangen und glänzenden Augen beim Schmücken ihrer
Sommerstecken. Erst waren sie „eim Pusche" nach Weidenruten gewesen, dann ging's ans Werk: „Mit schiena bloa, ruta, griena und weeße Papierla hoan mer die Steckla verziert. Uba druff koam a gruußer Kroanz mit Bliemla, und loange Strefa mußte doaroan runderhänga. So a richtiger Summerstecka woar goar nie asu eefach zu macha. Ma koante ju och welche keefa, oaber doas war fer ins anne zu gruße Schande gewesa. Und de Säckla erseht, doa kunnte mer viel neihoamstern..."

Dann ging's los am Sommersonntag, möglichst zeitig am Morgen — „Mutta, weck miech bestimmt im dreiviertel fümfe!" —, damit einem nicht allzu viele zuvorkamen, denn „wer zuerscht kimmt, derr mahlt zuerscht". Uberall wurde vorgesprochen, „bei a Pauern, beim Krämer, Fleescher, Schulzen, Inspekter, beim Lehrer und Kanter, iberall sein mer hiengeganga, sugoar vorm Baron hoan mer inser Sprichla gesunga"!

Gar hell und freudig klangen die Kinderstimmen durch den Sonntagmorgen nach altüberlieferten Melodien: „Summer, Summer, Summer, iech bien a klenner Pummer.. ." Wenn sich noch nichts rührte im Hause und niemand erschien, dann ging es im Chor weiter: „Rot Gewand, rot Gewand, schöne grüne Linden..." Möglich, dass sich noch niemand sehen ließ mit den erwarteten Gaben. Doch so leicht gab sich die Jugend nicht geschlagen. Noch einmal wurde es versucht, diesmal mit Schmeicheln:
„Rosen rot, Rosen rot, zwee uff eenem Stengel, derr Herr is schien, derr Herr is schien, die Fro ies wie an Engel..."
Das hatte dann meist auch Erfolg. Die Tür ging auf, die Frau erschien — meist angetan mit einer frischen weißen Schürze — und teilte die begehrten Gaben aus: Süßigkeiten, Eier, verschiedenes Gebäck, Äpfel oder die beliebten Schaumbrezeln, die „Bägel". (Hundert Stück musste man davon gegessen haben, ehe man etwas merkte!) Wenn es der liebe Gott besonders gut meinte am „Summersunntich", dann erschien wohl auch noch der Herr des Hauses, sagte anerkennend: „Ihr Kinder, doas hott er oaber schien gesunga", und drückte jedem der Kinder „enn Sechser" oder „enn Biehma" in die Hand — und alles verschwand in dem umgehängten Säckchen, das zuletzt ganz beachtlich schwer und wohlgefüllt war.Natürlich, dass diese Verse in den einzelnen Gegenden Schlesiens mitunter verschieden lauteten und viele Abwandlungen hatten, ja oft reichlich „zersungen" waren. Gemeinsam war aber ihnen alle die Grundtendenz und die Melodien, die jedem schlesischen Jungen und Mädel geläufig waren. Denn „Summern" zu gehen war nicht nur auf dem Lande Brauch, sondern auch in den Städten. Denn die Gelegenheit wollte die Jugend sich nicht entgehen lassen, weil es zu schön war, so zu hamstern und sich dann an den Schätzen zu freuen — auch auf die Gefahr eines verdorbenen Magens hin.
Aber nicht jeder war „vu Geberschdurf", und man kannte schon die „aalen Geizhälse" — manchmal aber waren auch die bereitgehaltenen Vorräte schon verteilt. Dann machten die Kinder ihrem Unmut in neuen Versen Luft, mehr gesprochen als gesungen:
„Dar Fro, dar schient doas nicht zu possa,
die moacht derzu a bies Gesicht.
Und weil doo kees kriegt a Geschenke,
do kommt der Sänger Stroofgericht:
Hiehnermist und Taubamist,
ei dam Hause kriegt man nischt.
Ies doas nich 'ne Schande ei dam ganza Lande?"

Dann erst zogen sie weiter und versuchten anderwärts ihr Glück, um zuletzt gegen Mittag wieder zu Hause zu sein und strahlend ihre Schätze zu zählen.
Wenn man nach dem Sinn dieses Volksbrauches fragt, so ist der Grundgedanke die Freude über den Einzug des Frühlings und die Bezwingung des Winters. Im ganzen nördlichen Schlesien und in Breslau war dieses Sommersingen anzutreffen, während in einigen Dörfern der Glogauer Gegend abweichend davon das Todaustreiben verbreitet war. Dabei wurde eine aufgeputzte Strohpuppe durch das Dorf getragen und anschließend unter ausgelassenen Scherzen verbrannt, zerzaust oder ins Wasser geworfen: Der Winter war besiegt! Es war ein fideles Begräbnis, an dem gern das ganze Dorf teilnahm. Oft hielt der Schulze dazu eine „Leichenrede", die Feuerwehrkapelle spielte traurige Weisen — um auf dem Rückmarsch umso flottere Klänge von sich zu geben. Und die Kinder jubelten dann: „A Tuta hoan mer ausgetrieba, a lieba Summer breng mer wieda! Hätt mer o Tud nich ausgetrieba, war derr Frühling nich do geblieba!" und andere Verse mehr, die alle der Freude über den endlich vergangenen Winter Ausdruck geben. Heidnischer und christlicher Kult mögen sich hierbei wohl in längst vergangenen Tagen berührt haben — danach aber fragte die schlesische Jugend nicht, die frohen Herzens am „Summersunntich" mit ihren bunten Stecken hinauszog!

Emanuel Geibel:
Hoffnung auf Frühling

Und dräut der Winter noch so sehr
mit trotzigen Gebärden,
und streut er Eis und Schnee umher,
es muß doch Frühling werden.

Und drängen die Nebel noch so dicht
sich vor den Blick der Sonne,
sie wecket doch mit ihrem Licht
einmal die Welt zur Wonne.

Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht,
mir soll darob nicht bangen,
auf leisen Sohlen über Nacht,
kommt doch der Lenz gegangen.

Da wacht die Erde grünend auf,
weiß nicht wie ihr geschehen,
und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
und möchte vor Lust vergehen.

Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
und schmückt sich mit Rosen und Ähren
und läßt die Brünnlein rieseln klar,
als wären es Freudenzähren.

Drum still! Und wie es frieren mag,
o Herz, gib dich zufrieden,
es ist ein großer Maientag,
der ganzen Welt beschieden.

Und wenn dir oft auch bangt und graut,
als sei die Höll' auf Erden,
nur unverzagt auf Gott vertraut,
es muß doch Frühling werden!

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