Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11, November 2016

Die Herbersteinsche Kapelle

 

 

Jedes Jahr im November waren die Glogauer zahlreicher als sonst unterwegs zu den Wohnungen ihrer Toten. Streng nach Konfession hatten die katholischen ihr „letztes Haus" an der Liegnitzer Straße Nr. 2 und die evangelischen an der Rauschwitzer Straße Nr. 30. Und wären die Ohren im Tode ihnen nicht verschlossen, hätten jene auf die Telefon-Nr. 19 27, jene aber auf 18 24 gehört.
Über die Gedenktage Allerheiligen/Allerselen und Ewigkeitssonntag (früher Totensonntag) ist in unserem Anzeiger öfters geschrieben worden. In diesem November beziehen wir in unsere Friedhofsbesuche ein pompöses Totenhaus mitten in der Stadt ein, die Herbersteinsche Kapelle an der Kasernenstraße Nr. 18. Wer vermutete schon hinter der tristen Mauer des Festungs-Schirrhofes dieses barock ausgestattete Kleinod! Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass nur wenige Glogauer von ihm wussten und noch weniger es einmal aufgesucht haben. deshalb möchte ich von ihm erzählen.
Als gotische Kapelle nordöstlich an die Franziskanerkirche angebaut, ragte sie in deren Kloster. Nebenbei: Paul Knötel schrieb in seinen „Jugenderinnerungen aus Alt-Glogau" (Glogauer Druckerei 1924): „Weiß der Himmel, wie das geschah, an diesem Bauwerk (Franziskanerkirche) entflammte sich ... meine Liebe zur Kunst und Kunstgeschichte". Am 7. Oktober 1678, abends 11 Uhr, war durch die Unachtsamkeit eines Bediensteten des Grafen von Herberstein die ganze Stadt bis auf ungefähr dreißig Bürgerhäuser, drei Kirchen, das Kollegium der Jesuiten und das Dominikanerkloster eingeäschert worden (vgl. „zur Geschichte des Königl. Katholischen Gymnasiums von Groß-Glogau", Glogau 1824).
Beim Wiederaufbau der Franziskanerkirche 1680 erwies sich als besonderer Wohltäter der erwähnten Kapelle Graf Johann Bernhard von Herberstein, seit 1672 Glogauer Landeshauptmann. Sinapius berichtete von ihm in den Schlesischen Kuriositäten (B III 2 II, Seite 107), er habe „hic arcem (gemeint ist das Glogauer Schloss) reparavit et renovavit". Ferner galt er als Förderer der von den Jesuitenschülern aufgeführten Schuldramen. Er stiftete Bücher für die Gymnasialbibliothek und ist Begründer der Gemäldesammlung von schlesischen „Landshauptleuten und Oberbeamten, meist aus den Reihen des im Fürstentum angesessenen Landadels (Die Kultur, wissenschaftliche Beilage der Schlesischen Volkszeitung v. November 1927, Seite 227)“.
Herberstein ist steiermärkischer Uradel (beginnt urkundlich mit Georg von Herberstein 1352) mit schlesischer Linie, gegründet von Johann Bernhard, des Heiligen Römischen Reiches Graf von Herberstein, † 1665. Im Herbersteinschen Hochzeitsteppich von 1651 (Wroclaw, Muzeum Narodowe), gehört ihm der linke Schild (mit Türmen und Wölfen), der rechte hingegen Maria Maximiliane von und zu Annenberg, Frau auf Arnsdorf. Sie heiratete 1661 Johann Friedrich Reichsgraf von Herberstein († 1701), den älteren Sohn des obengenannten Johann Bernhard Grafen von Herberstein, der Grafenort in der Grafschaft Glatz zum Majoratssitz erhob. Franziskanerplatz

>Franziskanerkirche<

Sein jüngerer Bruder ist der bereits erwähnte „Johann Bernhard, des Heil. Rom. Reiches Reichsgraf von Herberstein, Freyherr zu Neuberg und Guttenhaag, Herr auf Langowitz, Glasen, Brieg, Drogelwitz Golgowitz, Mertzdorff wie auch des freyen Königl. Burglehns Steubendorff, Erb Cämmerer und Erb Truchseß in Kärnthen, Ihro Kayserl. Maj. Geheimder Rath und Landes Hauptmann vorhero unter Kayser Ferdinando III und Kayser Leopoldo zu Breßlau bis 1672, hernach zu Glogau". („Die heutigen Christlichen Souveränen von Europa" Breßlau 1704, S. 821). Er starb 1685. Zurück zu der nach ihm benannten Herbersteinschen Kapelle. In der wissenschaftlichen Beilage der Schlesischen Volkszeitung vom November 1927 „Die Kultur" kann man lesen: „Ein bemerkenswertes Denkmal schlesischer Barockbaukunst. Eine wohl von Italienern hergestellte, reich ornamentierte Stuckdecke, die ruhige Gliederung und maßvolle Architektur verraten die Arbeit eines bedeutenden Baumeisters und machen die Kapelle zu einer bedeutenden Glogauer Sehenswürdigkeit." Nach Blaschke (Geschichte der Stadt Glogau, Verlag Hellmann, Glogau 1913) wurden die damaligen Landeshauptleute in der Gruft der Franziskanerkirche beigesetzt. Mit dieser wird die von Minzberg (Geschichte der Stadt und Festung Glogau 2. Bd. Glogau 1853, Seite 526) erwähnte „Todtenkapelle in dem Kloster S. Stanislai" (= Franziskanerkirche) gemeint sein, die nach ihrem Wohltäter später einfach „Herbersteinsche Kapelle" genannt worden ist. Mit der Aufhebung des Klosters 1810 ging sie einer traurigen Zukunft entgegen. Seit 1826 hat sie das Zeughaus-Los mit der Klosterkirche bis in die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts geteilt. Bauliche Veränderungen hatten die Kapelle verunstaltet, fast alle Bilder waren unkenntlich geworden. 1933/36 endlich wurde sie wiederhergestellt durch Bildhauer Kiunka und Maler Drobek, beide aus Breslau. Wenige Exponate sakraler Kunst ließen erkennen, dass die Kapelle Museum werden sollte. 1945 ist sie mit der Stadt untergegangen.
Fresken, Sprüche, weinende Engel, Totenköpfe u.a.m. erinnerten daran: Das ist eine Totenkapelle. Aber sie ist noch mehr, eine Totenbruderschaftskapelle. Eine Bruderschaft ist eine Gebetsverbrüderung (= vertragliche Vereinbarung, sich gegenseitig durch Gebete, Messopfer und gute Werke geistliche Hilfe im Leben und nach dem Tode zuzuwenden). Zu solchem Liebesdienst über den Tod hinaus wurden die Bruderschaftsmitglieder in ihren Andachten unter Anleitung der Franziskaner angehalten.
Wie an den einflussreichen Landeshauptleuten, die Glogauer Geschichte durch Jahrhunderte gemacht haben, hat der Tod an unseren Lieben, wo immer sie ihre letzte Wohnung gefunden haben, seine Macht erwiesen — an uns das Leben — noch!Herbersteinische Kapelle

> Die Herbersteinsche Kapelle nach der Wiederherstellung in den Jahren 1933/36<


„Wird nicht die geringe Zahl meiner Tage bald zu Ende sein?" lesen wir von der Decke der Gruftkapelle ab. Wir tun also gut daran, aus den vielen in Stuck übertragenen Bibelzitaten wenigstens dieses eine uns zu merken gleichsam als Wunsch unserer Lieben aus Glogau für uns, wo immer wir heute leben und solange uns das Lämpchen noch glüht:
„O wären sie weise und verständen es und erkenneten ihr Ende!" 5 Mo 32, 29

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