>Eingang
Katholischer Friedhof<
So grundverschieden unser Empfinden dem Tode gegenüber ist, so wird auch unser Erleben auf den Friedhöfen sein. Einige Beispiele aus der Welt der Dichter seien dafür genannt. Der sonst so freundliche Matthias Claudius schrieb in seinen frühen Schriftstellerjahren über einen Friedhofsbesuch, „es fährt einem kalt über den Rücken". Wenig später, im Jahre 1772, äußert er aber in seinem Abendliede die fromme Bitte:
„Wollst endlich sonder Grämen
aus dieser Welt uns nehmen
durch einen sanften Tod!"
Als Greis, da er durch das Leben und die erlittenen Schicksale gereift war, hat er seinen Tod friedlich erwarten können. Ludwig Uhland, Dichter aus dem Schwabenlande, äußerte einmal:
„Am Ruheplatz der Toten,
da pflegt es still zu sein,
man hört nur leises Beten
bei Kreuz und Leichenstein."
Max Halbe erwähnt in seinen Erinnerungen an seine Jugend den Blick von seiner Schülerpension in Marienburg — die meine unvergessene Geburtsstadt ist — auf einen sich über den Gräbern der Georgenvorstadt erhebenden Baumpark, der als Kind auch mir vergönnt war und wohl wesentlich dazu beitrug, dass ich allezeit gerne auf Friedhöfen weilte und mich in den sonnenbeschienenen oder auch tiefernsten Baumgruppen, doch auch an den Denkmälern und an den auf diesen verzeichneten Sprüchen erbaute. Und nicht immer waren es Bibelsprüche, welche die Grabsteine zierten. In Guhrau fand ich auf dem Grabe eines Amtmannes den Spruch:
„Sorg, aber nit zu viel,
es kommt doch, wie Gott es will."
Auf solche Einzelheiten der Glogauer Friedhöfe besinne ich mich zwar nur wenig. Mir ist ein Horazwort auf dem alten evangelischen Friedhofe gegenwärtig, der in den Anlagen nahe dem Kriegerdenkmale lag. Mit diesem Wort wurde dem stummen Schläfer die alte Römertugend, schlichte Aufrichtigkeit, nachgesagt. Auch sehe ich noch die geschwisterlich verschlungenen Hände auf dem Grabe der Frau des Bürgermeisters Jahn auf dem Garnisonfriedhof vor mir. Gut ist mir auch ein Gang in Erinnerung, den ich am Abend des Allerseelentages durch einen Friedhof antrat; die vielen brennenden Lämpchen strahlten Frieden aus.
Über die Lage der Glogauer Friedhöfe kann ich einiges sagen: Der ursprünglich jüdische Friedhof hatte wohl nahe dem Schützenhause gelegen und war dem Bau der Eisenbahn zum Opfer gefallen. So war der älteste Friedhof der südöstlich gelegene, welcher der katholischen Kirchgemeinde gehörte, nahe am Breslauer Tore. Hierin wohl weist uns des Dichters' Fritz Reuters Blick während seiner Festungszeit, als er — vierundzwanzig Jahre alt — nach gut durchschlafener Nacht hinausschaut. Darüber berichtet er später:
„Mi was hüüt morgen ganz anners tau Sinn as gistern abend; ene Nacht ruhigen Slaap maakt en annern Minschen. Ik kunn na'n Dur henseen; Dor kemen Kutschen rinnetaufüren un Postwagens un Markwagens, ok en Likenwagen füürte rut“,
was ins Hochdeutsche übersetzt heißt:
„Mir war heute morgen ganz anders zumute als gestern abend; eine Nacht ruhigen Schlafes macht einen ganz anderen Menschen. Ich konnte nach einem Tor hinsehen; da kamen Kutschen hereingefahren und Postwagen und Marktwagen, auch ein Leichenwagen fuhr hinaus."
Gleich diesem Friedhofe waren die schon beiden erwähnten Friedhöfe im Südwesten der Stadt entstanden, der alte evangelische und der Garnison-Friedhof. Als ich
Stille Stunden
Stille Stunden, ohne Lust und Weh —
Draußen Nebel über feuchtem Schnee.
Und der bleiche, müde Widerschein
schleicht durchs Fenster auch zu mir herein.
Wort und Atem, alles lauscht wohl nur
noch dem dünnen Pendelschlag der Uhr.
Starr und fremd, was sonst so wohlbekannt,
deine Augen — wie vom Tod gebannt.
Alle Seelen flohen dem Gemach
gehen ferne bunten Träumen nach,
weil die Stunden, ohne Lust und Weh
still verwehn im Nebel überm Schnee.
Georg Thiel
1909 nach Glogau kam, wurde der alte evangelische Friedhof schon wenig benutzt. Beide wiesen sie einen prächtigen, alten Baumbestand auf. Gar nicht weit davon führte von der Promenade ein schmaler Gang neben dem Gymnasialturnplatze über ein Feld mit einer Handelsgärtnerei und mit Schrebergärten zur Lindenruher Straße auf Rauschwitz zu. Seinen ersten Teil grenzte eine hohe Mauer ab. Hier lag neben einem Logengarten der neue jüdische Friedhof.
>Eingang evangelischer Friedhof<
Die Gräberanlage und die Leichenhalle boten einen wohltuenden Anblick. Nach dem ersten Weltkriege wurden weit draußen auf Rauschwitzer Gelände — wohl eine halbe Stunde und darüber vom Stadtzentrum entfernt — die neuen großen Friedhöfe beider Konfessionen angelegt. Sie zeichneten sich durch einen klaren Benutzungsplan aus, im Mittelpunkt erhob sich eine Kapelle, dort war auch der Ehrenfriedhof zu finden. Vergessen haben wir gewiss alle nicht, wie die Dahingeschiedenen mit tröstenden Gesängen verabschiedet wurden. Vielleicht darf ich da besonders den Namen des guten, tüchtigen Musikdirektors Fritz Böhmer erwähnen!
Schließlich möchte dieser Gang über die Glogauer Friedhöfe, den wir eben in der Erinnerung zurücklegten, noch eines herbeiführen, dass wir in den Ruhestätten, den Friedhöfen nicht die starre, unheimlich abschließende Umfriedigung aus Wort und Wesen heraushören, sondern über alle Vergänglichkeit hinweg den tiefen, sanften Frieden, dem auch wir entgegenwandern. Und so will ich mit einem Verse schließen, den ich hier und dort auf Gräbern gefunden habe:
„Was wir bergen
In den Särgen
Ist der Erde Kleid.
Was wir lieben,
Ist geblieben,
Lebt in Ewigkeit." |