|
Liebe Glogauer aus Stadt und Land,
sehr geehrte Damen und Herren,
als vom Vorstand die Anfrage gekommen war, ob ich die Festrede beim heutigen Glogauer Heimattreffen übernehmen könnte, habe ich ein wenig hin und her überlegt, über welches Thema ich zu Ihnen sprechen soll. Am Ende bin ich zur Überzeugung gekommen und habe das dann auch mit Herrn Dr. Sprungalla besprochen: Wenn wir Glogauer uns genau in dem Jahr zu einer Mitgliederversammlung treffen, in dem am 2. Oktober der 400. Geburtstag des im Jahr 1616 geborenen Andreas Gryphius, des größten Sohns Glogaus, zu feiern ist, dann kommen wir gar nicht umhin, des Andreas Gryphius zu gedenken.
Ich möchte für unser heutiges Gedenken weniger den Dichter Andreas Gryphius in den Mittelpunkt stellen, sondern mehr den Juristen und Syndikus der Landstände des Fürstentums Glogau und zugleich den Repräsentanten der evangelischen Schlesier. Er selbst war ja der Meinung, dass er im Hauptberuf Jurist und Syndikus sei, während er sich dem Dichten nur als einer Nebenbeschäftigung widmen könne.
Ein Jahr vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, im Juli des Jahres 1647, hielt sich der damals 30-jährige Andreas Gryphius auf der Durchreise in Amsterdam auf. Von dort schrieb er an Johann Heinrich Boecler, Professor der Rhetorik an der Universität Straßburg: "Ich habe mich entschlossen, übermorgen nach Stettin zu segeln und von dort auf Biegen und Brechen weiter in die Heimat zu eilen. Wenn auch ein Leben dort kaum vergönnt sein sollte, so wird doch Gelegenheit sein, zu sterben und von den Trümmern des dahinsinkenden Schlesiens bedeckt zu werden."
Ich finde diese Worte sehr bewegend. In ihnen kommen die ganze Verzweiflung und der Schmerz zum Ausdruck, welche die Menschen angesichts des durch den Krieg verwüsteten Landes überkam. Um das kurz am Beispiel Glogaus zu verdeutlichen: Um da Jahr 1600 war die Blütezeit Glogaus, die Stadt war mit 25.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Schlesiens, nach Breslau, das damals 36.000 Einwohner hatte. Im Dreißigjährigen Krieg, der 1618 begann, brachten allein schon die Vorbereitungen für die Verteidigung der Stadt vielen Bewohnern großes Unglück. Das Fürstentum Glogau war zu der Zeit ein Erbfürstentum der österreichischen Habsburger. Im Zusammenhang mit dem vom österreichischen Militär 1630 bis 1632 durchgeführten Ausbau der Stadt zur Festung wurden die Vorstädte vor den Stadtmauern dem Erdboden gleichgemacht. Das betraf insgesamt 486 Gebäude, außerdem drei Kirchen und vier Hospitäler, ohne dass auf die Betroffenen (die Kranken in den Hospitälern eingeschlossen) irgendwelche Rücksicht genommen, und ohne dass etwa Entschädigungen gezahlt wurden.
Friedenskirche. Am Ende des Krieges, also im Jahr 1648, hatte Glogau noch 2000 Einwohner. - Noch eine kurze Bemerkung zur späteren Entwicklung Glogaus: Etwa 100 Jahre nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieg wurden im Jahr 1745 bei einer preußischen Volkszählung in Glogau 6323 Einwohner gezählt. Wir wissen, dass Glogau die Zahl von 25.000 Einwohnern erst 1911 wieder erreichte, nach der Schleifung der Festungsmauern mit der 1902 begonnen wurde.
Zurück zu Andreas Gryphius: Mit dem genannten Schreiben kündigte Andreas Gryphius eine Entscheidung an, die für sein weiteres Leben und für das Fürstentum Glogau folgenreich war. Zu diesem Zeitpunkt, also 1647, war er acht Jahre lang außerhalb Schlesiens und fern seiner Heimatstadt Glogau gewesen. Im Jahre 1639 war er im Alter von 22 Jahren zum Studium an die Universität Leyden in die Niederlande gegangen und hatte dort bis 1643 vier Jahre lang vor allem Rechtwissenschaften, aber auch andere Fächer studiert. Von 1644 bis 1647 war er auf Reisen gewesen, als Begleiter des Sohnes eines reichen Stettiner Patriziers, Wilhelm Schlegel, er war in Italien und Frankreich, hatte Paris und Marseille sowie Rom, Florenz, Bologna und Venedig besucht. Zuletzt hatte er auf der Rückreise noch an der Universität Straßburg und beim Reichskammergericht in Speyer seine juristischen Kenntnisse erweitert. Von Speyer war er nach Amsterdam gereist, weil er so weit wie möglich auf dem Seeweg Richtung Osten gelangen wollte, also bis Stettin, und weil er nicht von Speyer aus auf dem Landweg quer durch das von den Kriegswirren heimgesuchte Deutschland nach Schlesien reisen wollte.
Für viele Menschen stellte sich in dem durch den Krieg zerstörten und in ganzen Landstrichen entvölkerten Deutschland die Frage: Wie soll das Leben nach dem Krieg weitergehen? Mit seiner Entscheidung, nach Schlesien zurückzukehren, hatte Andreas Gryphius auf diese Frage eine klare Antwort gegeben, die er an anderer Stelle mit folgenden Worten zum Ausdruck brachte:
"(...) nun grimme Krieges-Noth So Land als Stadt verheert, ruft Gott
mich wieder ein / Und heist das weite Land mein einig Sorgen sein.
Will Gott was ligt durch mich / der sonder Kräfft' auffrichten? Wie oder
heist mich Gott was zweymal fill’ vernichten?"
Andreas Gryphius sorgte sich um Schlesien und begreift es als einen ihm von Gott gegebenen Auftrag, dabei mitzuhelfen, das Land wieder „aufzurichten.“ Er reiste zunächst zu seinem kranken Stiefvater Michael Eder, der damals in Fraustadt lebte. Im Jahre 1649 heiratete er dort die Tochter eines angesehenen Ratsherrn, Rosine Deutschländer. Im Jahre 1650 wurde ihm das Amt des Syndikus der Landstände des Fürstentums Glogau angeboten. Er übernahm dieses öffentliche Amt, das es ihm erlauben würde, seine in den Jahren des Studiums und der Reisen durch Europa erworbenen juristischen Kenntnisse für das „Aufrichten“ seiner Heimat einzusetzen, und er übte dieses Amt aus bis zu seinem Tod im Jahre 1664 bekleidete. Ehrenvolle Rufe auf Professuren an den Universitäten Heidelberg, an der Viadrina in Frankfurt/Oder und an der Universität Uppsala lehnte Gryphius ab.
Andreas Gryphius war der Beruf und die Aufgaben eines Landessyndikus nicht ganz unbekannt. Er hatte nämlich im Jahre 1636 nach dem Ende seiner Ausbildung am Danziger Akademischen Gymnasium eine Stelle als Hauslehrer bei Georg von Schönborn auf dessen Gut in der Nähe von Freystadt angetreten. Von Schönborn hatte früher, also vor der Zeit, als Gryphius auf sein Gut kam, selbst einmal das Amt des Syndikus für die Landstände des Fürstentums Glogau ausgeübt, so dass Gryphius aus den Erzählungen Schönborns eine Vorstellung davon erhalten hatte, was ihn erwartete. Das betraf einmal den Aufgabenbereich und zweitens die Aussichten für seine berufliche Zukunft. Georg von Schönborn, von Hause aus Lutheraner, war nach einigen Jahren der Tätigkeit als Landessyndikus zum Katholizismus übergetreten, um sich in den Diensten des katholischen Habsburger Kaisers den Weg für höhere Ämter offen zu halten. Als Andreas Gryphius im Jahre 1636 als Hauslehrer zu Georg von Schönborn kam, war dieser freilich wieder zum Luthertum zurückgekehrt und bot damals vielen verfolgten Evangelischen auf seinem Gut Unterschlupf.
Andreas Gryphius ist bekanntlich nicht dem Beispiel Georg von Schönborns gefolgt. Ein Freund (Baltzer Siegmund von Stosch) schrieb 1665 in seinem Nachruf auf Gryphius: "Er hat nicht den Mantel nach dem Winde gekehrt / oder viele Verheissungen hoher dignität von der erkandten Warheit sich abtreiben lassen“, und er fährt fort:“ und ob er wol viel paradoxa durch seine Scharffsinnigkeit scheinbar zu vertheidigen wuste / fand er doch kein Argument, dadurch er das Politisiren in Glaubens-Sachen hätte verteidigen können." Andreas Gryphius wurde nicht ein Mann des Kaisers in Wien. Als überzeugter Lutheraner vertrat er zwar Luthers Lehre, daß die Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, er war aber nicht bereit, dem katholischen Kaiser in Wien das Recht zuzugestehen, seine Untertanen gegen ihr Gewissen von ihrem lutherischen Glauben abzubringen. In seinem Gedicht Tränen des Vaterlandes hat Gryphius dies als das Schlimmste bezeichnet, was einem Menschen widerfahren kann:
„Doch schweig’ ich noch von dem, was ärger als der Tod,
Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot:
Daß auch der Seelenschatz so vielen abgezwungen.“
In den Jahren 1628/29 hatten 3000 Liechtensteiner Dragoner Glogau besetzt und nach einem Bericht über 6000 evangelische Glogauer durch Terror und Einschüchterung gezwungen, katholisch zu werden.
Im Jahr 1650 trat also Gryphius sein neues Amt an. In der Glogauer Heimatstube in Hannover wird ein wertvolles Buch aufbewahrt, gedruckt im Jahr 1653, es hat den Titel „Glogauisches Fürstenthumbs Landes Privilegia aus dem Originalen an tag gegeben von Andreas Gryphius“. Es ist versehen mit einer Originalunterschrift von Andreas Gryphius. Was hat es damit auf sich?
Die Aufgaben eines Landessyndikus war es, bei rechtlichen Auseinandersetzungen, sei es mit der Stadt Glogau sei es mit den Vertretern der kaiserlichen Staatsverwaltung sozusagen als Anwalt die Interessen der Landstände, also des Landadels, des Fürstentums Glogau zur Geltung zu bringen. Die Frage war dabei natürlich immer: Wie ist die Rechtslage? So wie heute wir fragen: Was steht in der Verfassung bzw. im Grundgesetz? Das Herzogtum Schlesien hatte keine geschriebene Landesverfassung. Die Freiheiten und Rechte der Stände, auch Privilegien genannt, waren nur in den Sammlungen von Dokumenten niedergeschrieben und beurkundet, die im Laufe der Jahrhunderte mit den jeweiligen Königen und Kaisern ausgehandelt worden waren. Sobald ein neuer Kaiser oder König die Herrschaft übernahm ging es immer darum, dass der neue Herrscher die von seinen Vorgängern unterschriebenen Freiheiten und Rechte bzw. Privilegien bekräftigte oder auch neue hinzufügte. Dazu waren neue Herrscher in der Regel am ehesten bereit, wenn sie in Schwierigkeiten waren und von den Ständen Unterstützung z. B. in Form von Geld oder Truppen brauchten.
Angesichts dieser Rechtslage ist die Erleichterung gut zu verstehen, die Gryphius nach seinem Amtsantritt 1650 verspürte, als er feststellen konnte, dass die schriftliche Sammlung der Privilegien des Fürstentums Glogau die Wirren des Krieges unbeschadet überstanden hatte. Er schrieb, dass die Erhaltung der Privilegiensammlung zu den „unzehlichen und hohen Gnaden „ gehöre, “die der Allerhöchste mitten in der Hitze seines grimigen Zornes / diesen blut- und feurigen Krieg über / dem Glogauischen Fürstenthumb erwiesen“ habe.
Beispiele
Andreas Gryphius hielt es zu Beginn seiner Amtszeit für eine seiner wichtigsten Aufgaben, die Texte der gesammelten Privilegien in einem gedruckten Band herauszugeben. Für die vielen nach dem Krieg zu erledigenden Aufgaben, so schreibt er im Vorwort, habe man nicht mehr die Zeit, die Privilegien während einberufener Landtage vorzulesen, vielmehr sollten die Teilnehmer in die Lage versetzt werden, sich für die Versammlungen durch vorheriges Lesen der entsprechenden Dokumente vorzubereiten. Ferner ging es ihm darum, vorhandene, aber oft mit Fehlern behaftete Abschriften der Originaldokumente aus dem Verkehr zu ziehen. Das Werk enthält 80 Dokumente in deutscher, lateinischer und tschechischer Sprache aus den Jahren 1490 bis 1650. Dem im Jahr 1653 erschienenen Werk, also drei Jahren intensiver Arbeit, sollte dann Kaiser Ferdinand III. „durch dero allergnädigste Confirmation allen und jeden diesen Gnadenbriefen newe Kraft / newes Leben“ geben. Dies geschah freilich erst sechs Jahre später, 1659, durch den Nachfolger, Kaiser Leopold I., und zwar infolge politischen Drucks von außen, durch den lutherischen Schwedenkönig Karl. X. Gustav.
Ich möchte nun doch auch zum Dichter Andreas Gryphius einige Anmerkungen machen, weil er zwar keine wissenschaftlichen Abhandlungen zu seinen Auffassungen über Staat, Gesellschaft und Religion geschrieben hat, aber in einigen seiner Dramen wichtige Frage zum Thema gemacht und seine Antworten gegeben hat. Gryphius war übrigens zu jener Zeit in Schlesien nicht der einzige Dichter und Jurist. Als Dichter, die als Juristen öffentliche Ämter bekleideten, sind z. B. zu nennen Christian Hofmann von Hofmannswaldau (1616-1679) aus Breslau, Czepko von Reigersfeld (1605 – 1660) oder Daniel Caspar von Lohenstein (1635-1683), der Syndikus des Rats der Stadt Breslau war.
Gryphius kannte durchaus die Staatslehren seiner Zeit, die ohne Bezug zu Gott entworfen wurden, der zufolge die Menschen ihr Zusammenleben allein auf der Basis der Vernunft vertraglich regeln können, wie z. B. der Engländer Thomas Ho es lehrte. Er hielt aber an Luthers Lehre fest, dass die weltliche Herrschaftsgewalt jedem Herrscher unmittelbar von Gott übertragen werde. Der Herrscher ist Statthalter Gottes, vicarius dei, von Gott in sein Amt eingesetzt, und er steht unter dem Schutz Gottes. Allerdings bedeutete das nicht, daß der Herrscher nach Willkür herrschen könne, vielmehr ist der Herrscher als eingesetzter Statthalter Gottes an den Willen Gottes gebunden.
Wie aber verhält sich der lutherische Untertan, wenn der Herrscher ganz offensichtlich gegen den Willen Gottes handelt, wie er in den zehn Geboten zum Ausdruck gebracht ist? Nach Andreas Gryphius hat der Untertan nicht das Recht, seinem Herrscher unter Anwendung von Gewalt Widerstand zu leisten. Dies hat Gryphius in seinem Drama “Carolus Stuardus“ dargestellt (zwischen 1650 und 1652 entstanden), das sich mit den blutigen Auseinandersetzungen im zeitgenössischen England befaßt. Gryphius verurteilt darin den gewaltsamen Aufruhr gegen den König, der mit der Hinrichtung König Karl I. von England endete.
Das heißt andererseits nicht, daß der Untertan dem Herrscher auch dann gehorchen muß, wenn ihm befohlen wird, Unrecht zu begehen. Diesen Konflikt hat Andreas Gryphius in dem Trauerspiel Drama „Aemilius Paulus Papinianus“ dargestellt (zwischen 1657 und 1659 entstanden). In diesem Drama geht es um den römische Kaiser Caracalla, Kaiser seit 211, der seinen Bruder und Rivalen um den Kaiserthron Geta ermorden ließ. Nach der Tat verlangte Caracalla von dem Rechtsgelehrten Papinian, dass Papinian dem Mord nachträglich für die Öffentlichkeit den Anschein einer mit Recht erfolgten Bestrafung für Hochverrat gibt. „Ich muß das heil’ge Recht vor tausend Fürsten ehren“, läßt Gryphius den Papinian sagen, der entschlossen ist, in dieser Auseinandersetzung nur seinem Gewissen zu folgen. Diesen Ungehorsam muss Papinian schließlich mit dem Tode bezahlen. Die Antwort, die Andreas Gryphius seinen evangelischen Glaubensgenossen auf die Frage gab, wie man sich als Evangelischer gegenüber einem solchen Herrscher verhalten solle, wie sie ihn in Gestalt des katholischen Habsburger Kaisers erleben mussten, lautete: Mit „bewehreter Beständigkeit“ seinem Gewissen folgen, nicht an der Welt und ihrer Vergänglichkeit hängen und, wenn es sein muss, wie Christus Leiden und Sterben auf sich nehmen.
Die ersten Jahre der Amtszeit des Andreas Gryphius als Landessyndikus waren nicht nur gekennzeichnet durch ein großes Arbeitspensum in seinem Amt, er ist beschäftigt „durch allerhand schwere Geschäffte“ und „durch die Drangseligkeiten meines noch nicht zu Kräfften kommenden Vaterlandes“ schreibt Andreas Gryphius 1652), sondern zugleich durch die Übernahme von Verpflichtungen als Repräsentant der evangelischen Glogauer. Gryphius hat bei den Verhandlungen zur Errichtung der Glogauer Friedenskirche mitgewirkt und er hat die für den Bau der Kirche eingehenden Spendengelder verwaltet. Im Rahmen des Gottesdienstes, der auf dem für die Kirche abgesteckten Grundstück am 10. Dezember 1651 unter freiem Himmel stattfand, hat Andreas Gryphius eine damals sehr beachtete Rede gehalten, über deren Inhalt wir gerne etwas wüssten, die aber, soweit man heute weiß, nicht überliefert ist. Man muß davon ausgehen, daß er die Rede ohne vorbereitetes Manuskript gehalten hat. Als im selben Jahr 1651 evangelische Geistliche aus Glogau ausgewiesen wurden, half Andreas Gryphius ihnen bei der Übersiedlung nach Gramschütz. Er wurde im Juli 1653 sogar für kurze Zeit in Haft genommen wurde, als er dagegen protestierte, dass Kirchen, die nach der Reformation den Evangelischen als Gotteshäuser dienten, den Katholiken wieder zurückgegeben wurden.
Andreas Gryphius folgte in der Glaubensfrage seinem Gewissen, in den weltlichen Angelegenheiten seines Amtes erkannte er nach lutherischem Verständnis die Obrigkeit als von Gott eingesetzt an. Er hielt es für seine Pflicht, dem König und Kaiser als loyaler Untertan zu dienen. So verfaßte er 1653 aus Anlaß der Wahl Kaiser Ferdinand IV. ein Festspiel, eine Art Oper mit dem Titel „Majuma“. Und im Jahr 1658 dichtete er aus Anlaß der Krönung Kaiser Leopold I: eine Ode.
Die Herrscher freilich, denen seine von Herzen kommende Verehrung galt, waren die noch in ihren Fürstentümern in Schlesien herrschenden Piastenfürsten. Wenn in der Komödie „Verliebtes Gespenst. Die geliebte Dornrose“ in der Schlusshymne der Wunsch geäußert wird „Lebt ewig/lebt und wachst und blühet Piastus Stammbaum sproß und grün“, so gilt das dem damaligen Anlaß, der Hochzeit des Herzogs Georg von Liegnitz-Brieg und der Pfalzgräfin Elisabeth Maria Charlotte, doch drückt sich darin auch allgemein die Hoffnung aus, daß starke evangelische schlesische Fürsten in Schlesien ein Gegengewicht gegenüber dem katholischen Kaiser bilden mögen und so den evangelischen Schlesiern mehr Freiheit für die Ausübung ihres Glauben gewährt werde.
Der verstorbene Literaturkritiker Marcel Reich Ranicki hat einmal gesagt, es sei ja den Schlesiern unbenommen, stolz zu sein auf ihren großen Barockdichter, aber Goethe werde ja auch nicht als großer hessischer Dichter, sondern als großer deutscher Dichter gefeiert, und entsprechend sei eben Andreas Gryphius auch als großer deutscher Dichter zu bezeichnen.
Ich wollte Ihnen ein wenig nahe bringen, dass Andreas Gryphius beides war: ein großer deutscher Dichter aus dem schlesischen Glogau, mit einem weiten Horizont von seinen Reisen und seinen Studien, welche Anregungen und Quelle für seine dramatischen und lyrischen Dichtung waren. Zugleich war er der sich seiner Heimat gegenüber verpflichtet fühlende Patriot, der all sein juristisches Wissen und seine Gelehrsamkeit dafür einsetzte, um in mühevoller Kleinarbeit so etwas wie die Sammlung der Privilegien zu herauszugeben, in der Hoffnung, dass er damit eine Grundlage dafür schafft, um mit allen die guten Willens sind, zu heilen, was der Krieg zerstört hatte. Er hat an diesem Werk sowohl als sachkundiger Jurist wie auch als kritischer Historiker gearbeitet und im Ergebnis ein bis heute für die Verfassungsgeschichte des Fürstentums Glogau wichtiges Werk geschaffen.
Erlauben Sie mir zum Schluss ein paar persönliche Erinnerungen an die Rückkehr des Andreas Gryphius ins polnische Glogau, wo er über 40 Jahre lang als Folge der 1945 durch das polnische kommunistische Regime begonnenen Polonisierung und Entdeutschung Schlesiens kaum vorkam. Vor genau 30 Jahren, im Jahr 1986, habe ich erstmals in Glogau mit polnischen Glogauern über Andreas Gryphius gesprochen habe. Ich hatte dem damaligen Direktor der großen Glogauer Baufirma, welche u.a. die Plattenbauten in der Kopernikus-Siedlung hochgezogen hatte, geschrieben, ich hätte über Pläne gelesen, die Altstadt solle wieder aufgebaut werden. Und ich hätte die Frage, ob man sich in Glogau vorstellen könne, in der dann wieder aufgebauten Altstadt in irgendeiner Weise daran zu erinnern, dass Glogau bis 1945 eine deutsche Stadt gewesen sei. Der Direktor Wladislaw Chmielarski lud mich darauf hin nach Glogau ein, und machte mir Hoffnung, dass ich auch mit dem damaligen Stadtpräsidenten sprechen könnte. Es war dann aber doch nicht ganz im Sinne der kommunistischen Parteilinie, einen ehemaligen deutschen Einwohner Glogaus zu empfangen, und der Stadtpräsident machte einen Rückzieher. Immerhin rief er den Direktor Lenarczyk des städtischen Museums an, der möge sozusagen als Ersatz für den abgelehnten Besuch im Rathaus dem deutschen Gast von Herrn Chmielarski das Museum zeigen. Und so stand ich dann im Museum, im alten Schloss, u.a. vor der Tafel, auf der berühmte Glogauer aufgelistet waren, es entsprach aber nicht den politischen Vorgaben jener Zeit, Andreas Gryphius auf dieser Tafel zu nennen.
Fünf Jahre später begann aber dann sozusagen die Karriere des Andreas Gryphius im polnischen Glogau. Im Jahr 1991 suchten der damalige Vorsitzende des Glogauer Heimatbundes Hans-Joachim Schelenz und der erste demokratisch gewählte Stadtpräsident von Glogau, Jacek Zielinski, einen Termin für eine erste offizielle deutsch-polnische Veranstaltung zur Überreichung des damals gerade erschienenen Buches „Das war Glogau“. Schelenz schlug den 2. Oktober vor, den 375. Geburtstag von Andreas Gryphius.
Am Tag unserer Ankunft hatte der Glogauer Stadtrat am Vormittag beschlossen, dem Stadttheater nach seinem Wiederaufbau den Namen Andreas-Gryphius-Theater zu geben.
Der Stadtpräsident Jacek Zielinski erhielt vom Glogauer Heimatbund ein Bild mit dem Porträt des Andreas Gryphius, das er in seinem Büro aufhängte. Später einmal, in einem Grußwort aus Anlass der Verleihung des Andreas-Gryphius-Preises in Düsseldorf, sagte Zielinski vor einem großen Publikum sinngemäß, der Andreas Gryphius blicke in seinem Zimmer immer sehr ernst von der Wand zu ihm herüber und passe auf, dass er zum Wohle der Stadt immer das Richtige tue. Im Jahr 1992 wurde, auch im Rahmen der Verleihung des Andreas-Gryphius-Preises, von Grünberger Germanistik-studenten das Drama Piastus in deutscher Sprache aufgeführt, 1994 das Drama Cardenio und Celinde vom berühmten Pantomimen-Theater Breslau unter der Leitung des inzwischen verstorbenen Direktors und Regisseurs Henryk Tomaszewski. 2004 fand in Glogau eine Tagung über die Friedenskirchen in Schlesein statt, bei der natürlich auch ein Vortrag über Andreas Gryphius gehalten wurde. Inzwischen ist der Name des Andreas Gyphius in der ganzen Stadt bekannt durch das jährlich von der Stadt veranstaltete Musikfest unter dem Namen Andreas-Gryphius Festival (Festiwal im Andreasa Gryphiusa
w G?ogowie). |
|
|