Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 6, Juni 2016

Andreas Gryphius – in der Blüte seiner Jugend:Andreas Gryphius in Freystadt Zurück in Schlesien (1636)

 

von Antoni Bok

 

Aus Fraustadt in die „große Welt“, damals, man schreibt das Jahr 1634. Für Andreas Gryphius, wie auch für viele junge Schlesier, hieß es: hinaus zur Hansestadt Danzig, hinaus in die reichste und kulturell bedeutendste Stadt des nördlichsten Europa. Für den 16- bis 18-jährigen Gryphius wurde der Aufenthalt in Danzig zu einer „für das weitere Leben entscheidende Station“ (nach K.-H. Habersetzer)
Im Juli 1636 verlässt Gryphius, der Besucher des wissenschaftlichen Gymnasiums und Inhaber der Hauslehrerstelle bei dem Admiral der polnischen Flotte, Alexander von Seton, Danzig und kehrt nach Schlesien zurück. In Schlesien war es nach dem Prager Separatfrieden verhältnismäßig ruhig geworden, aber gleichzeitig verschlechterte sich die Lage der Protestanten.
Der junge Dichter hielt sich kurz in Fraustadt (Wschowa), bei seinem Stiefvater – und nicht in Glogau, wo auch damals keine Verwandte von ihm wohnten – auf, um sich am 18. August in das nahe gelegene Freystadt (Ko?uchów) zu begeben. In der Nähe der Stadt befand sich das Gut Schönborn, wo die Familie des hochgelehrten und angesehenen Grafen Georg v. Schönborn wohnte. Dort wartete man schon auf Gryphius, den neuen Hauslehrer. Außerdem wartete auf ihn auch sein Halbbruder Paul, der als Pfarrer der evangelischen Gemeinde in Freystadt lebte.
Als Erzieher der beiden Söhne seines Gönners, fand der junge Dichter in Schönborn auch genügend Zeit für literarische Arbeiten und wissenschaftliche Studien, dabei profitierte er vom Umgang mit bedeutenden Rechtsgelehrten und von der Möglichkeit dessen umfangreiche Bibliothek zu benutzen. Hier werden vom Dichter seine ersten auf Deutsch verfassten Sonette, die er größtenteils noch in Danzig geschrieben hatte, fortgesetzt und zum Druck vorbereitet. Im Frühjahr 1637 erscheint das Buch im polnischen Lissa (Leszno), unter dem schlichten Titel „Sonette“. Aus dieser frühen Sammlung seien besonders die Gedichte: „Vanitas, Vanitatum et Omnia Vanitas“ (bekannt als: „Es ist alles eitel“), und „Trawrklage des verwüsteten Deutschland“ („Tränen des Vaterlandes“) zu erwähnen, denn sie machten ihm schon einen Namen, und gehören zum Kanon deutscher Literatur und werden nach wie vor in den Schulen unterrichtet.
Im Gegenteil das zweite Büchlein, das sein Entstehen dem Aufenthalt bei den Schönborns verdankt, das zwar im gleichen Jahr (1637) das Licht der Welt erblickte und auch in Lissa gedruckt wurde. Das Büchlein fand zwar Beachtung, ja, in Freystadt sogar auch Erregung, aber ganz wenig in der Nachwelt. Die erste Neuausgabe erschien erst 2006, also nach 369 Jahren! Dieses verdanken wir Johannes Birgfeld, der das einzigartige Werk des Schaffens Gryphius in einer wissenschaftlichen Edition zugänglich gemacht hat. Es geht hier um das Werk „Fewrige Freystadt“.

„Fewrige Freystadt“

In der Nacht vom 8. zum 9. Juni 1637 war Gryphius Zeuge eines Großfeuers, das die Stadt Freystadt vernichten sollte (am Rande: schon 1631 war er bei dem Brand Glogaus anwesend gewesen).
Er ergriff die Feder, obwohl nicht ohne Zögerung.
„Fewrige Freystadt“ bildet eine Mischung verschiedener Textgattungen und ist ein zusammenhängendes Textensemble. Der Haupttext ist ein längerer Prosabericht, in dem Gryphius sich hauptsächlich um eine möglichst genaue Rekonstruktion der Ereignisse bemüht. (Er fügt sogar in Fußnoten Protokolle gerichtlicher Untersuchungen bei, die nach dem Brand unternommen wurden.)
Am Anfang konstatiert der Autor die Vergänglichkeit des Lebens und aller Länder, wobei „muss manches Land seinen Tod vor der Zeit des Todes empfinden“. Er fragt dann rhetorisch: „Wo ist jetzt unser Schlesien?“, er erinnert an seinen ehemaligen Wohlstand und gute Rechte und beschreibt weiter Verheerungen des Landes in den Kriegsjahren seit 1618. Er zählt auch die von Bränden heimgesuchten Städte im Glogauer Fürstentum (mit Jahresdaten) auf; es waren fast alle betroffen. Aber Freystadt war bisher verschont, da schreibt er: „Aber der allen vorwissende Gott hat durch diese Rechnung einen trefflichen Strich gezogen, und uns fühlen lassen, dass sein eiserner Szepter und Straff-Besen zwar langsam aber dennoch mit mehr Heftigkeit sich über den Rücken der Verbrechen funden.“ („Fewrige Freystadt“, S. 27)
Der Autor wendet sich der Beschreibung des Brandes zu, macht auf die Vorboten der Katastrophe aufmerksam und nennt die widrigen Umstände, welche die Rettung der Stadt erschwert haben. Nachfolgend kommt er zur Feststellung der Ursache: „Weil am vorangegangenem Tage, am Montag dem 8. Juni, in Freystadt ein Jahrmarkt begonnen hatte, nicht wenige Fremde und Kaufleute dort in der Innenstadt übernachteten. Das Feuer brach in einer Bäckerei aus (ein kranker Soldat hatte dort beim noch glimmenden Backofen geschlafen), das ergab die nachträgliche Rekonstruktion (Gerichtsprotokolle, samt Aussagen von neun Zeugen).
Nach der Schilderung der Schreckensereignisse der fatalen Nacht (was den größten Teil des Buches einnimmt), gibt der Autor eine Bilanz der protokollarischen Darstellungen. So erfahren wir, dass nebst öffentlichen Gebäuden 329 Bürgerhäuser zum Opfer der Flammen fielen. Glücklicherweise gab es nur zwei Tote zu beklagen. Es fehlt dazu nicht eine ausführliche Benennung der verlorenen, reichen Privatbibliotheken (als besondere Anschaulichkeit, dass wirklich alles vergänglich und dem Untergang geweiht ist – so J. Birgfeld). Der Bericht endet mit einem Appell an die regierenden Herren um finanzielle Hilfe für die Stadt und seine Bürger.
Obwohl Gryphius das Unglück als Strafe Gottes betrachtet, dass selbst der Brand einer Stadt ein Teil der göttlichen Ordnung ist, so ist sein dokumentarischer Bericht auch, nach J. Birgfeld ein: „Dokument des wachsenden Bemühens um eine rationale Erfassung und Durchdringung der nichtsdestotrotz als Gotteswerk empfundenen Welt“, wo „Autoritätsglaube und neu aufblühender Rationalismus sich, epochentypisch, weitgehend die Waage halten“. Der Editor weist auch auf die zufällige Koinzidenz (?) des Brandes von Freystadt mit dem Erscheinen – in Leiden am 8. Juni 1637 – von Descartes „Discours de la méthode“ hin. In diese ruhmreiche Stadt Leiden kamen am 22. Juli 1638 Andreas Gryphius mit beiden Söhnen des inzwischen verstorbenen Georg von Schönborn und wurden vom Rektor der Universität immatrikuliert.

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