Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2016

Erinnerungen an das Heimatdorf Carolath

mit Ortsteil Reinberg, Kolonie Carlsberg, Hegewald, Vorwerk Katharinenhof, Dammhaus und KanalhausOderwald (früher Woischau) und Reinberg

 

Carolath ist eine Zierde der gesamten Oderlandschaft. Hoch über dem verkehrsreichen Strome thront in beherrschender Lage der gewaltige Renaissance-Bau des Carolather Fürstenschlosses. In der Zeit der Fliederblüte wird der Ort stark von Fremden besucht. Meilenweiter Wald zieht sich bis zu den Ufern des Schlesiersees.

1486 Einwohner; 2223 ha Feldmark; An der Chaussee - Neusalz-Schlesiersee; 29 km von Glogau; Bahnstation: Beuthen (Bez. Liegnitz), (6 km); Post am Ort.

Gemeindevertretung, öffentliche Einrichtungen, Handel und Gewerbe, Vereine (Stand 1943):


Bürgermeister: Bauer Rudolf Hänelt.

Beigeordnete: Bauer Richard Kochale, Landesstraßenmeister Robert Petruschke,

Gemeinderäte: Tischlermeister Oskar Gräber, Maurer Gustav Naumburger, Techniker Karl Faustmann, Direktor Hans-Hugo Heusert, Landwirt Paul Lindner, Bauer Wilh. Roll.

Kassenwalter: Landwirt Paul Lindner.

Schiedsmann: Schlosser Emil Lange.

Hebamme: Emma Gulz.

Standesamt: Beuthen (Bez. Liegnitz).

Amtsbezirk: Carolath.

Amtsvorsteher: Dachdeckermeister Robert Kochale.

Gendarmerie: Carolath, Oberwachtmeister Otto Wede-Emden.

Postverwalter: Fritz Zoike.

Amtsgericht: Beuthen (Bez. Liegnitz).

Dominium: Fürstin Carolath-Beuthen, Verwalter Hans-Hugo Heusert,

Kirchen: Evangelische, Pfarrer August Robert Danne; Kantor Herbert Glatzer; Richard Bessert, Kurt Teichert, Heinz Hübner. Carolath Kirche

Schule am Ort, Lehrer Herbert Glatzer, Richard Bessert, Kurt Teichert, Heinz Hübner. Gewerbl.

Anlagen: Dominial-Ziegelei,

Gaststätten: „Jägerhof", Bes. Georg Schneider, „Weinpresse", Bes. Fürstl. Verwaltung, „Drei Linden", Bes. Frau Anna Schulz, Paul Dupke. Ernst Hoffmann, Max Krause.

Vereine: Kriegerkameradschaft, Führer Lehrer Richard Bessert, Männergesangverein „Concordia", Leiter Lehrer Richard Bessert.

>o.l. Schloss Carolath, o.r. Forstamt, u.l. Gemischtwarenhdlg. A. Haude, u.r. Adelheidshöhe<

Fliederparadies Carolath

Kein Ort im nördlichen Schlesien zwischen Glogau und Grünberg hat im Wonnemonat Mai so viele Besucher angelockt, wie das Fliederparadies Carolath. Standen die unübersehbaren Fliederbüsche in erster Blüte, so fanden sich viele Tausende von Naturfreunden zum Wochenende ein, um die Blütenpracht rings um das 1597 von Georg von Schönaich „auf der Karlatt" erbaute Renaissanceschloss hoch über dem Oderstrom und die Fliedergärten auf der Adelheidshöhe zu bewundern. Aus Glogau und Beuthen, aus Freystadt und Neusalz kamen die Omnibusse und Dampfer und brachten das Volk aus den Städten in diese einzigartige, duftige Landschaft. Ein Wanderlied auf den Lippen und viel Frohsinn im Herzen wählten ungezählte Wanderer den Weg durch die Kastanienalleen und Eichenwälder, entlang dem Strom zu den ehemaligen Weinbergen von Carolath. Die vielseitig sich verzweigenden Promenadenwege führten zu Ruhebänken und Aussichten, deren schönste wohl der Fernblick vom Turm der Adelheidshöhe aus über den Oderwald nach Beuthen und über die Carolather Heide war. Wer es nicht vorzog, nach langer Wanderung oder kurzweiligen Spaziergängen sich an den Ufern der Oder und im Schatten der Eichen auszuruhen, der suchte gern Erfrischung in der nahen „Weinpresse", einem beziehungsreichen und kulturgeschichtlich bedeutsamen Gebäude.Carolath Weinpresse

>Gaststätte und Ausflugslokal „Die Weinpresse“<

Jugendgruppen ließen sich gern verführen, die Ruine des sog. „Geibelhäuschens" zu besuchen, eines leider verfallenen, ehedem sehr geschmackvoll erbauten Sommerhäuschens des Fürsten von Carolath. Wer es von früher her kannte, der erinnert sich des mitten im Wald und nicht weit vom Strom gelegenen Poetensitzes mit seinem grüngestrichenen, an neugotisches Maßwerk erinnernden Holzschmuck über den Fenstern. Viele Legenden sind mit diesem romantischen Ausflugsziel verknüpft und es ist nur zu gut verständlich, wenn der Volksmund früher erzählte, dass der Dichter E m a n u e l G e i b e l hier und zu dieser lebensfrohen Jahreszeit den Mai besungen habe.
Tatsächlich war Emanuel Geibel seit 1849 wiederholt in Carolath und im nahen „Heinrichslust" als Gast des Fürsten Heinrich Carl Wilhelm, wohin er immer wieder für Wochen und Monate gern zurückkehrte. Hier wurde viel musiziert und der Dichter las gern an den Abenden aus seinen Büchern und Niederschriften vor:
„Schloß und Garten will sich zeigen
Und am Strom der Eichenpfad,
Und der Wald, auf dessen Steigen
Oft die Muse zu mir trat".

Viele neue Lieder hat Geibel in der nordschlesischen Stromlandschaft geschrieben, so auch „Durch die Waldnacht" oder „Mag auch heiß das Scheiden brennen“. Im August 1852 hatte er seine Braut Amanda Trümmer geheiratet und bald darauf seine junge „Frau Ada" dem Fürsten vorgestellt. Zwei Jahre später weilt der Dichter wieder - diesmal allein - bei seinem Freund und Gönner auf Schloss Carolath. Sein Brief an die Gattin beginnt mit folgenden Worten: „So schreib' ich Dir denn endlich aus Carolath, aus einem alten hohen Gemach, welches mir die Güte der Fürstin so reizend und bequem eingerichtet hat, dass ich mir zwischen all den Teppichen, Divans und Lehnsesseln fast wie ein verzauberter Prinz vorkomme...“ (s. G. Grundmann-Heimatkalender f. d Kreise Grünberg und Freystadt). Der frühe Tod der jungen „Frau Ada" (1855) hat die Freundschaft des Dichters mit dem Hause Carolath nicht zu trüben vermocht.

>Das Geibelhäuschen<


Noch zwei andere heute weniger bekannte Schriftsteller hat Carolath gesehen, die in ihrer Zeit einen bemerkenswerten Namen hatten: Martin Crugot, der im Jahre 1747 vom Fürsten Hans Carl zu Carolath zum Hofprediger berufen wurde („Der Christ in der Einsamkeit") und den 1754 in Wien geborenen Verfasser eines Romans über „Mark Aurel", den späteren Universitätsprofessor F e ß l e r. Er ist auch durch eine „Geschichte der Ungarn“ bekannt geworden und war 8 Jahre lang der Erzieher der Kinder des Fürsten. Nach Petersburg berufen ist er dort 1839 als Generalsuperintendent verstorben.

H.O. Thiel

 

Die weiße Frau von Carolath

Als in der Mitte des 19. Jahrhunderts das Geibelhäuschen im Carolather Oderwald noch in seiner idyllischen Schönheit dastand und die Nachtigallen in lauwarmen Maiennächten ihre schluchzenden Weisen aus blühenden Flieder- und Spireenbüschen erschallen ließen, konnte man sich da wundern, wenn zu mitternächtlicher Stunde selbst Geister ihre verwunschenen Orte auf kurze Zeit verließen, um der bräutlich geschmückten Erde einen stummen Besuch zu machen?
Dem einsamen Wanderer, der dann, „wenn der Schwarm sich verlaufen hatte“, in später Abendstunde seinen Heimweg vom Fliederparadies Carolath nach dem obstbaumumblühten Beuthen träumend und trunken von all der heimatlichen Schönheit langsam schlendernd genoß, konnte es geschehen, dass dort, wo der Oderdamm die Parkanlagen um das Geibelhäuschen streift, ihm eine lichte, graue oder weiße Frauengestalt begegnete, die stumm an ihm vorüberzog, um dann wieder unter den düstern Eichen nach der Oder hin zu entschweben.
Doch nicht allein dort trieb sie ihr unheimliches Wesen. Sie wanderte mit Elfengeschwindigkeit auch zu dem duftenden Blütenmeer von Carolath und zog von der Adelheidsbrücke über die „hohe Brücke“ den viel besuchten Fliedergang entlang, wandelnd auf sterbenden Fliederblüten, die mutwillige Hände spielend gebrochen und darauf achtlos weggeworfen hatten. Sie wanderte weiter die Straße auf Tschiefer zu, wo damals mächtige Birken standen, die sich in linder Frühlingsnacht mit dem zartgrünen Schleier ihrer jungen Blättchen überdacht hatten. Dort, unter einer der mächtigsten Birken, am Hirseberg, stand sie verhaltend, um dem bezaubernden Gesang der Nachtigallen im nahen Költschbusch zu lauschen.
So traf sie einst der Schiffer St. aus Carolath auf seinem Abendgange nach Neusalz. Er war freilich über diese Erscheinung so erschrocken, dass er in dieser Nacht lieber den großen Umweg von Neusalz über Beuthen nach seinem heimatlichen Carolath wählte, nur, um einer nochmaligen Begegnung mit der weißen Frau auszuweichen.
Aber auch schon in dem genannten Fliedergange ist die Gestalt von einigen Carolathern oftmals gesehen worden. Wenn jedoch die Maiennacht zu verführerisch war und sie zu lange auf ihren Lieblingsplätzen träumend verharrte, kam es wohl vor, dass vom Carolather Schlossturm schon die Geisterstunde schlug, bevor es ihr möglich war, zurückzukehren. Dann verwandelte sich die Erscheinung in einen mächtigen schwarzen Hund, der mit Windeseile und in mächtigen Sätzen den altgewohnten Weg durch den Fliedergang, über die „hohe Brücke“ und die Adelheidshöhe wieder der Cottage zufloh.Carolath Hohe Brücke

>Die Hohe Brücke bei Carolath<

Doch Sonntagskinder, die ja mancherlei erblicken, was anderen Sterblichen versagt bleibt, konnten diese Erscheinung auch zu anderen Zeiten als in der Geisterstunde sehen.
So war es in der Fastenzeit des Jahres 1868. Der am Sonntag geborene Schuhmachermeister W. aus Carolath kam gegen 10 Uhr abends aus dem damaligen Gasthaus „Zum Pappenheim“, dem jetzigen Amtsgericht, um nach seiner Wohnung zu gehen. Sie lag hinter der Brücke, die den Schönaichgraben dort überquert, wo die Straße von Beuthen in Carolath mündet. Es war eine ziemlich helle Mondnacht. Als er nichtsahnend zu den großen Eichen kam, wo der Weg in die frühere Meierei führt, saß auf dem Geländer links der Straße eine eigenartige Frauengestalt. Sie saß auf der unteren Stange, zwei schwere Zöpfe hingen über die obere Geländerstange hinweg, und sie trug einen Strohhut, der deutlich im Dämmerlicht zu sehen war. Ihr Kopf ruhte in beiden Händen, die Ellenbogen hatte sie auf den Schoß gestützt. So sah sie unverwandt mit stierem Blick den Näherkommenden an.
Was Wunder, dass dem ehrbaren Bürger ein gewaltiger Schauer durch die Glieder ging, seine Haare sträubten sich, und er machte einen großen Bogen um die unheimliche Gestalt. Da kam zur selben Zeit von der anderen Seite der wackere Böttchermeister B., der sofort seinen Freund und Hausgenossen fragte, warum er plötzlich einen so verwunderlichen Haken geschlagen habe. W. sagte: „Nun, hast Du nicht eben das wundersame Weibsbild hier auf dem Geländer sitzen sehen?“ Aber der biedere Böttchermeister, der kein Sonntagskind war, hatte nichts gesehen.
Als jedoch in den nächsten Tagen unser tapferer Schuhmachermeister dem in der Meierei wohnenden Amtmann K. von seinem Erlebnis erzählte, hörte er zu seinem Erstaunen, dass K. dasselbe Weib genau so schon öfters dort habe sitzen sehen.
Seit dieser Zeit ist unser Gewährsmann des Anblicks dieser Erscheinung nicht mehr gewürdigt worden. Vielleicht ist einem anderen Sonntagskinde einmal das seltsame Glück beschieden, die Bekanntschaft mit der grauen oder weißen Frau wieder anzuknüpfen.

Erzählt von Lehrer Kutzner, Beitsch

Sie möchten mehr von Geistern, Kobolden und Elfen aus der schlesischen Sagenwelt lesen?
Dann empfehlen wir Ihnen das Buch:

„Sagen, Geschichten,
Erzählungen,
aus dem Glogauer Lande“

Erste Sammlung dieser Art
seit 140 Jahren.

zum Seitenanfang

zum Seitenanfang