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Vorwort: Ein Bericht in unserer Zeitung in Chemnitz - 1/2015 - (Freie Presse) gab mir die Anregung, auch unsere Flucht niederzuschreiben. Gerade die gegenwärtige Diskussion über die Flüchtlinge anderer Länder gibt zu denken.
Im Januar 1945 wurde in unserem Wohnhaus der Stab der Deutschen Armee einquartiert. Der Offizier erklärte uns, dass wir in kürze unbedingt das Dorf verlassen müssen, da die russische Armee bereits vor Glogau steht und Glogau zur Festung wird. Das ganze Dorf wurde schon für eine Flucht vorbereitet.
Jede Familie wurde einem Bauern zugeordnet, mit welchem sie auf dem Planwagen mitfahren sollten.
Am 28. Januar 1945 gegen 17 Uhr, zur Vorbereitungszeit zum Abendbrot, gaben die Offiziere uns die Aufforderung, alle Bewohner zu informieren, dass 22 Uhr die Abfahrt = Flucht unbedingt notwendig sei, da wir sonst in den „Kessel" geraten und unsere Sicherheit in Gefahr ist.
Wir Kinder wurden zu den jeweils bekannten Familien geschickt, um sie zu informieren.
Bei eisiger Kälte zog unser Treck mit 12 Pferdewagen gegen 22 Uhr los. Später stellten wir fest, dass zwei Familien nicht benachrichtigt wurden, die wir erst nach der Wende in Bayern zu einem Schlesier-Treffen wiederfanden.
Da die beiden Bauern rechts und links neben uns beim Volkssturm waren, übernahmen meine beiden Großväter, die auf dem Rittergut mit Pferden zu tun hatten, den Kutscherposten.
Es war noch ungewiss, welche Richtung der günstigste Weg sein würde. Ich weiß genau, dass vorwiegend spät abends und nachts wegen der Fliegerangriffe gefahren wurde.
Geschlafen wurde entweder im Planwagen oder im Saal von Gasthöfen, die nachts für uns extra geöffnet werden mussten. Essen und Trinken war natürlich das größte Problem. Nicht selten gab es an einigen Tagen nur etwas zu trinken. In manchen Orten verweigerte man uns die Unterkunft und das Schlafen im Planwagen war für uns Kinder beängstigend und wir weinten oft deshalb.
Den Weg, den wir zurücklegten, konnte ich nur mit Hilfe älterer Dorfbewohner erst gegen 1960 ermitteln. Er führte über Sprottau, Sagan, Bad Muskau, Weißwasser, Ruhland , Großenhain, Meißen, Riesa, Grimma, Rochlitz, Glauchau, Reichenbach, Plauen und erreichten am 6.3.1945 Rodersdorf Kreis Plauen. Das klingt vielleicht einfach, aber es war ja überall Krieg, Bombardierung, Flüchtlinge und Chaos.
Am 13.2.45 waren wir auf dem Weg nach Dresden, doch Soldaten baten uns umzukehren, da Dresden bereits mit Flüchtlingen überfüllt wäre. Glücklicherweise fuhren wir zurück. Etwa 10 km entfernt in einem mir nicht bekannten Ort übernachteten wir in einem Keller eines großen Hauses, während die Kutscher mit den Planwagen auf der Straße im Freien den Angriff auf Dresden indirekt miterlebten.
Meine Großväter waren am anderen Morgen mit den Nerven sehr durcheinander. Am späten Nachmittag erreichten wir Meißen und sahen die Schiffe mit dem Rotkreuzzeichen auf der Elbe fahren. Da wussten wir noch nicht, was sich in Dresden abgespielt hatte.
Vom März 1945 bis 9.10.45 wohnten wir in Rodersdorf. Anfangs waren wir nicht willkommen und hatten sehr schlechte Unterkünfte.
Eines Tages im April 45 erschien eine Gruppe deutscher Soldaten, die im Rittergut Quartier nahmen. Ihre Waffen warfen sie in den Dorfteich und warteten dann auf ihre Festnahme von den heranrückenden amerikanischen Soldaten. Wir Kinder erlebten dies hautnah.
Die Bombardierung von Plauen erlebten wir ebenfalls, weil die Bomber von Hof aus kommend über Rodersdorf zum Angriff flogen.
Im Herbst 45 nach Kriegsende begann die geplante Umsiedlung der Flüchtlinge. Bis dahin hatten viele noch eine Hoffnung der Rückkehr, doch das war vorbei.
Die Bauernfamilien wurden nach Mecklenburg umgesiedelt und erhielten dort Land als Neubauern in der Uckermark (Prenzlau) zur Bearbeitung.
Die übrigen Nichtbauernfamilien wurden am 9.10.1945 zu einem Personenzug nach Weichlitz gebracht. Drei Tage verbrachten wir im Zug und kamen am 11.10.45 abends in Rositz Kreis Altenburg an. In einer Turnhalle als Massenquartier warteten wir bis zum 13.10. auf die Einweisung in Quartiere in die umliegenden Ortschaften. Wir wurden in Kriebitzsch Kreis Altenburg in eine kleine Unterkunft eingewiesen und das wurde meine neue Heimat. Wir wurden gut aufgenommen und lebten uns in Thüringen ein.
Nach meinem Pädagogikstudium kam ich nach Chemnitz.
In den vergangenen Jahren haben wir meinen Geburtsort in Polen mehrmals besucht und die dort in unserem ehemaligen Haus lebende polnische Familie aufgesucht. Diese wurden 1947 von der russischen Grenze zwangsumgesiedelt in das schlesische Dorf - heute Bansow.
Mit diesem Bericht möchte ich zeigen, was Flucht bedeutet. Viele ältere Bürger haben ähnliches erlebt und müssten durch ihr Auftreten mithelfen, dass kein Hass gegen Flüchtlinge aufkommt, denen es ähnlich ergeht wie uns vor 71 Jahren. |
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