Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2015

Deutsche Volksbräuche zu Pfingsten

von K. R. und J. M.

 

Glaube, dem die Tür versagt,
Steigt als Aberglaub' ins Fenster;
Wenn die Götter ihr versagt,
Kommen die Gespenster.

Emanuel Geibel

Pfingsten ist das blühende „Mai-Fest", das manchmal auch in den Juni fällt. Das Wort entstammt der Kirchensprache, ist griechischen Ursprungs (pentekoste) und heißt „Fünfzigster Tag", den man nach Ostern zählte. Das Fest der Herabkunft des Heiligen Geistes ist seit fast zweitausend Jahren durch das Bild der schwebenden Taube symbolisiert.
Wie die meisten sommerlichen Kirchenfeste ist auch Pfingsten im Brauchtum fast ausschließlich ein Naturfest, das unwiderstehlich Birken- und Maienduft ausströmt. Die Schlesier setzten ihren Maibaum erst zu Pfingsten. Das junge Grün holte man aus dem Walde und entdeckte dabei ein phantastisch aufgeputztes Wesen, das unter Jubel ins Dorf gebracht wurde. Meist steckte ein junger Bursche unter den grünen Zweigen und den Schilfbündeln mit einer Maske aus Baumrinde vor dem Gesicht, um sich unkenntlich zu machen. In Süddeutschland heißt er Pfingstl, in Thüringen Wilder Mann oder Laubmännchen. Man schleppte ihn dort wohl auch zum nächsten Tümpel, tauchte ihn unter oder begoss ihn mit Wasser. Manchmal hatte er eine Vogelmaske auf und war so der Wasservogel, den in der bayerischen Hallertau zwei Mädchen ordentlich mit Wasser bearbeiteten, bis er seine Arme um die niedlichen Quälgeister legte und sie kurzerhand dreimal unter Wasser tauchte.
Im Harz, in der Goldenen Aue, trug der Maikönig, wie er dort hieß, eine Maske vor dem Gesicht und eine Krone auf dem Kopfe, die mit zahllosen Glöckchen behängt war. Hatte man ihn endlich gefunden, musste geraten werden, wer sich unter der Maske verbarg. Wurde falsch geraten, schüttelte der Maikönig den Kopf, dass die Glöckchen klangen.
In Großvargula bei Erfurt grub man die grünen Maiburschen, die dem Laubkönig entrissen wurden, in den Flachsacker, um die Ernte zu fördern. In Langensalza in Thüringen hieß der Laubmann Pfingstkarr, in Erinnerung an den alten Brauch, dass die Burschen ihre Mädchen in Schubkarren setzten, um sie im Wettlauf zum Maibaum zu fahren. Meist war der Laubmann ein grün vermummter Knabe, den die Kinder durch den Ort stießen, mit Wasser besprengten und zum Mittelpunkt ihres eigentlichen Anliegens, dem Heischegang, machten. Im schwäbisch-alemannischen Raum zogen die schulentlassenen Buben am Pfingstmontag mit geschwärzten Gesichtern und grünen Kornbuschen auf dem Kopf durchs Dorf. Sie führten ihren „Pfingstklotz" 'mit sich, den sie auch „Pfingstflütterli" nannten, da es sich meist um den „Ortslangweiler" (Dorftrottel) handelte, und sammelten singend Eier, Speck, Würste, Brezeln und Wein in die mitgebrachten Kübel.
Die etwas ältere Jugend vergnügte sich, bunt herausgeputzt, beim Wettreiten, beim Kranz- und Ringelstechen. Dabei musste ein Kranz, der an der Ehrenpforte aufgehängt war, im Vorbeireiten mit einem Stock heruntergeholt werden. Der Beste wurde Pfingstkönig, und der Schlechteste hieß Pfingstjunge und brauchte für den Spott nicht zu sorgen. In Thüringen feierten die Mädchen beim Topf- und Hahnenschlagen Pfingsten. Ein Mädchen versuchte dabei, mit verbundenen Augen einen Topf mit dem Stock zu treffen, und als Hauptgewinn hockte dabei ein Hahn auf der Stange. Pfingsten aber wurde auf dem Lande in vielen Gegenden zum erstenmal das Vieh auf die Weide getrieben. Das erste oder manchmal auch das letzte Tier war mit Blumenkränzen geschmückt, eben der Pfingstochse. Der Knecht, der zuletzt auf der Weide erschien, musste sich den Spottnamen Pfingstlümmel gefallen lassen. In Westfalen versuchten die Hütejungen sich in der Pfingstnacht gegenseitig die Stalltüren zuzunageln, um am nächsten Morgen nicht selbst der „Pennbuck" zu sein, der zuletzt mit seiner Herde auszog und in eine riesige Krone aus Grün, Tulpen, Ginster gesteckt wurde und abends auf „dem schwaa Jesel", einem Holzklotz, im Zuge durchs Dorf geführt wurde.
In Tirol weiß man nichts von Maikönig und Laubbaum. Am Vorabend feiert man bei einer großen Portion „Maibutter" (geschäumte Sahne oder halbgeschlagene Butter mit Zucker und Zimt) und knallt anschließend mit Peitschen bis Mitternacht um die Wette. Im pfingstlichen Gottesdienst genoss man früher das alljährliche Schauspiel der „Herabkunft des Heiligen Geistes" durch die runde Öffnung, des Heiliggeistloch, das man in den meisten Dorfkirchen Tirols beobachten kann. Der sichtbare Heilige Geist ist ein hölzernes Rad, an dessen vergoldeter Fläche eine Taube hängt, die während des „veni creator spiritus" in dem Loch sichtbar wird und sich langsam auf die Gläubigen niedersenkt. Der geübte Messner erreicht durch ständiges Kreisen des Seiles, an dem der „Heilige Geist" befestigt ist, dass der Bogen der niederschwebenden Taube immer größer wird. Früher soll eine lebendige Taube durchs Heiliggeistloch eingeflogen sein, die sich ihrem natürlichen Trieb zufolge hinter den Hochaltar flüchtete. Aber den Stilfsern erging es dabei nicht sehr glücklich. Als man zur bewussten Öffnung in der Kirchenkuppel emporsah und nervös schon zum sechsten Male gesungen hatte „Komm Heiliger Geist...", aber immer noch nichts von ihm zu sehen war, begann die Gemeinde zu murren. Da öffnete sich der Deckel der Luke, das verängstigte Gesicht des Messners erschien in der Plafondöffnung, und seine zitterige Stimme rief herunter: „Singt it (nicht)! Er kimmt it (nicht). Die Katz hat'n gefressa!" Vielleicht ist das Histörchen aber auch nur ein treuherziger Ausdruck derben Tiroler Volkshumors, dem auch bei kirchlichen Anlässen nichts Menschliches fremd ist.

Der Maien
„Der Maien, der Maien, der bringt uns Blümlein viel..." So beginnt eines der vielen Volkslieder, die den Mai besingen. Keinem anderen Monat des Jahres wurden so viele Lob- und Freudengesänge gewidmet. Endlich ist nach dem launischen April der Winter überwunden — das war für das Mittelalter mit den dunklen und kalten Burgen ein glückliches Ereignis. Die Straßen waren wieder trocken, der Sänger konnte sein Rösslein satteln und ins blühende Land hinein von Burg zu Burg ziehen, Kunde bringen, was sich während des Winters da und dort begeben hat. Wenn er erschien, dann war er der Bote der guten Jahreszeit, die er in zahllosen Liedern begrüßte und pries.

Die Zeit, in welcher die Natur ihren bräutlichen Schmuck anlegt und in der das Volk die freudigsten Feste feiert, war und ist die Zeit der Liebe. Mai und Liebe, das waren die großen Themen der mittelalterlichen Sänger und dann des Volkslieds — ewige Klänge des menschlichen Daseins: Die blühende Schönheit des Menschen und der Natur, in jedem Lebensjahr neu beglückend.
Schon der Huldigung der Sänger an die Frau war im Entzücken etwas Überirdisches beigemischt. Die Frauenminne verwandelte sich in frommen Herzen zur Verehrung der Frau aller Frauen, zur Marienminne. Im Bereich der Mystik findet sie verzückten Ausdruck.
Mai und Liebe, Liebe in vielerlei Gestalt — das Ewig-Weibliche in der in voller Blütenpracht stehenden Natur. Uralte Erinnerungen schwingen weiter, schon im Namen des Monats, der nach der heidnischen Erdmutter, der Göttin des Wachstums, Maja, genannt wurde — ihr war der Monat geweiht.
Maja war unterweltliche Göttin aus den dunklen Bereichen der Erde, ihres Wachstums und ihrer Fruchtbarkeit. Ihr haftete etwas Geheimnisvolles an, deswegen sie sich nur verhüllt zeigte, eine schauernde Ahnung vom Rätselraten des Werdens, der Geburt, des Wachsens und erhofften Gedeihens.
Erleben wir das im Mai nicht immer wieder? Mit den Maiglöckchen, die unter altem Laub der Buchen ihre zarten, marmorweißen Blüten in grünen Blättern verbergen, beginnt es fast schamhaft. Am Ende des Monats aber leuchtet in purpurroten,
übervollen Blüten die Pfingstrose in der schon majestätischen Sonne des Frühsommers.

zum Seitenanfang

zum Seitenanfang