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Wenn die Herbstnebel über den Feldern brauten und der würzige Geruch der Kartoffelfeuer durch die Dörfer zog, dann war noch immer Erntezeit im schlesischen Lande. Waren auch die Kornfelder gemäht und die Obsternte geborgen, so gab es doch noch mancherlei zu ernten und einzufahren, ehe der Frost das bäuerliche Arbeitsjahr beendete. Auf allen Straßen knarrten um diese Zeit die schweren Rübenwagen mit ihrer wertvollen Fracht. Wie Spinnennetze durchzogen die Feldbahnschienen das Schwarzerdegebiet, und in den langen Ketten wurden die offenen Loren zu den großen Zuckerfabriken gebracht. Denn rund 100 000 Hektar waren mit Zuckerrüben bebaut, in 37 Fabriken wurde etwa ein Viertel der gesamtdeutschen Zuckererzeugung raffiniert. Bis Ende Dezember dauerte die Kampagne, und noch lange nach Weihnachten wurden Trockenschnitzel und Melasse als Winterfütterung aus den Fabriken abgefahren.
Im Spätherbst begann die große Zeit der Liegnitzer Gurken. Denn der größere Teil der Ernte wurde eingesauert und nach den Großstädten versandt. Auch in Breslau und Münsterberg wurden „echte Liegnitzer Gurken" hergestellt, und die Sendungen gingen bis nach Hamburg und ins Rheinland. Aber auch die Sauerkrautfabriken hatten in den Monaten Oktober bis Dezember ihre beste Zeit. Rund um Liegnitz dehnten sich große Krautfelder, aber auch um Breslau, Münsterberg und Leobschütz wurde sehr viel Kraut in Gärtnereibetrieben gezüchtet. Die Breslauer Kräuterer bildeten einen eigenen Stand und hatten die Eigenart ihrer Trachten und ihrer Betriebe bis zur Jahrhundertwende erhalten. Allein 200 Sauerkrautfabriken wurden in Breslau gezählt.
Vom schlesischen Wein ist schon viel berichtet worden. Die Grünberger Weinlese gehörte zu den besuchtesten Volksfesten Niederschlesiens und erlebte eigentlich in den letzten Jahren vor dem Kriege ihre schönste Blütezeit. Weniger bekannt, aber an wirtschaftlichen Werten nicht geringer, war die schlesische Tabakernte. Um Wansen und Ohlau lagen die großen Tabakfelder, die alljährlich eine gute Ausbeute brachten. In Breslau, Oppeln, Grottkau und Ratibor gab es größere Tabakfabriken, die sehr viel Wansener verarbeiteten. Noch im 19. Jahrhundert war es durchaus üblich, dass die schlesischen Bauern ihre Tabakpäckchen vom Wansener Markt bezogen. Erst durch die Zigaretten mit ihren Orienttabaken ist der schlesische Eigenbau verdrängt worden.
Zum Erntedankfest
Es gehen die Glocken im Land,
die Ernte des Jahres zu künden.
Der Bauer trägt festlich Gewand
und weiß seinen Herrgott zu finden.
Keim brach aus dem markigen Korn,
es wogte in halmigen Breiten.
Trotz drohenden Unwetters Zorn,
ward's reif in der Sonne Gezeiten.
Nun liegen die Brotäcker nackt,
die Windsbraut tanzt über die Steppe,
sie tanzt zu des Dreschkastens Takt,
im Stoppelfeld rauscht ihre Schleppe.
Im Ern hängt der fruchtschwere Kranz,
dem Bauern geflochten zum Preise –
der schwenkt alle Mägde zum Tanz
und kargt nicht mit Umtrunk und Speise.
In Gottes geheiligtem Zelt
erschallen der Betenden Chöre;
der Altar, von Kerzen erhellt,
geziert ist mit Reblaub und Ähre.
Gott ist heut des Freibauern Gast,
nimmt an, was er selber gespendet!
Den Armen wird köstliche Last
in reichem Maße gespendet!
Sie heimsen vom Überfluß ein
der Liebe gesegnete Beute.
Heiß bittet die Christengemein':
Das tägliche Brot gib uns heute!
Zum Erntetanz eilet herbei
- doch bittet und danket nicht minder!
Der Herr, unser Gott, sorgt getreu
für all seine Menschenkinder.
A. Mayer-Knoop
War die Feldarbeit getan, dann hatten die Bauern Zeit für eine sehr beliebte Spätherbst-Beschäftigung: das Schnapsbrennen. Ehe das Staatsmonopol einsetzte, hatte jeder größere Bauernhof seine Brennstelle, wo Kirsch- und Pflaumengeist hergestellt wurde, auch Kräuter- und Beerenschnäpse waren sehr beliebt. Der berühmte „Stonsdorfer° wurde nach einem altschlesischen Rezept hergestellt, und „Juchhoanlasaft" war die Spezialität des Zobtener Landes. Erst im 19. Jahrhundert entstanden die großen Kartoffelschnapsbrennereien, die zu den großen Gütern gehörten.
Vom schlesischen Hopfen müsste man berichten, der freilich nie zu großer Bedeutung gelangt ist. Aber die Mälzereien waren früher durchaus typisch für das schlesische Land. In Breslau gaben die Malztrommeln der Hummerei den Namen (vielleicht von Humulus = Hopfen oder Hummelei, vom Brummen der großen Malztrommeln). Auch in Löwenberg und Leobschütz gab es größere Betriebe, die zumeist für die Brauereien arbeiteten. Ein Malzhaus war beinahe in jeder schlesischen Stadt zu finden. Auch der Zichorienanbau hatte in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts eine gewisse Bedeutung. Erst später wurden bestimmte Markenfabrikate aus dem Südwesten in Schlesien eingeführt und der Zichorienanbau lohnte sich nicht mehr.
In den Teichgebieten, vor allem im Trachenberger Kreise, setzte im Spätherbst die Schilfernte ein. Sie wurde bis zum Eintritt des Frostes fortgesetzt, denn Schilf war in früheren Jahrhunderten ein beliebtes und billiges Material, um die Dächer der ländlichen Bauwerke einzudecken. Erst in neuerer Zeit setzten sich die Ziegeldächer überall durch. Aus dem Weidegebiet, aber auch aus der Trebnitzer Gegend, wurden große Bestände an Weidenruten geerntet. Denn das Korbflechten war eine weitverbreitete bäuerliche Beschäftigung. Allerdings wurden die Ruten zumeist im Spätwinter geschnitten und kamen erst im Herbst zur Verarbeitung.
Die Torfgewinnung spielte in unserer Zeit kaum noch eine Rolle. Aber früher wurde aus den Moorgebieten sehr viel Brennmaterial gewonnen und im Spätherbst in die Städte gebracht. Nach der Trockenlegung des Sprottebruches hörte der Torfabbau gänzlich auf. Von der Köhlerei müsste noch berichtet werden, die früher eine große Bedeutung hatte. Noch bis in die letzte Zeit waren einzelne Köhler tätig, in den großen Obernigker Wäldern rauchten noch die Meiler, auch in den Gebirgstälern gab es noch einige Vertreter dieses aussterbenden Gewerbes. Sie hatten früher eine gute Zeit, denn Holzkohle wurde nicht nur in allen Haushalten, sondern auch in vielen Gewerbebetrieben gebraucht. Sie versorgten aber auch das Land mit Pech und Harz und brachten Zunder auf den Markt, der früher unentbehrlich in allen Häusern war.
Im Spätherbst kam die große Zeit für das Militscher Teichgebiet. Dann begannen die großen Karpfengänge, die eine hohe wirtschaftliche Bedeutung hatten. Nicht nur die Breslauer und oberschlesischen Haushalte wurden mit dem beliebten Weihnachtsfisch versorgt, sondern die Sendungen gingen auch nach Berlin und ins Rheinland und selbst in die norddeutschen Hafenstädte.
War genug Schnee gefallen, dann begann in den Bergen die Holzabfuhr. Damals waren die Wälder viel holzreicher, und der Umtrieb brachte reiche Erträge. Mit den Hörnerschlitten wurden die Lasten ins Tal gefahren. Die Sägemühlen versorgten sich mit Material, die Zimmerleute und die Tischler holten sich ihren Bedarf, die Fassmacher und die Wagner. Aber auch die Städte wurden früher fast ausschließlich mit Brennholz versorgt. Im Spätherbst begann der Einschlag der Tannen und Fichten, die dann im Dezember auf den Christmärkten als Weihnachtsbäume verkauft wurden. Den Beschluss bildete die Tätigkeit der Eisfischer auf dem Schlesiersee, die manchen guten Fang einbrachte. War das Odereis stark genug, dann setzten die Eiswerke mit ihrer Tätigkeit ein. Die Sägen zerteilten das Eis in längliche Blöcke, dann wurde es in großen Kellern eingelagert und im Sommer verkauft. Denn damals gab es noch keine Kühlschränke und auch die Eismaschinen tauchten erst viel später auf.
So dauerte der schlesische Herbst bis tief in den Winter hinein. Es gab so viel zu ernten und einzulagern, dass in der Ebene schon die jungen Saaten keimten, wenn in den Bergen die letzten Ernten eingefahren wurden.
Kirmes im Kreise Glogau
Erntedank im Heimatkreis
Nun wünschen wir dem Herrn viel Glück
und schenken ihm den Kranz:
Es ist der Schnitter Meisterstück
mehr wert als Goldes Glanz.
Das ist der Text eines jener Lieder und Sinnsprüche, die in Schlesien üblich waren beim Überreichen des Erntekranzes. Der Tanz um den Kranz beendete fast überall in unserer ländlichen Heimat die
Ernte.
Allüberall war „Kirmst", wie die Kirmes in unserem Gebiet genannt wurde. Mit Schweineschlachten, mit Streuselkuchen und „Babe" (den die Osterreicher „Gugelhupf" und alle übrigen Deutschen Topfkuchen nennen), mit fröhlichem Umtrunk und Tanz wurde unser Erntedankfest gefeiert. Es sind nun auch bald zwei Jahrzehnte her, als der Verfasser aus Groß-Logisch, „P.St.", den Hergang einer solchen Fete in seinem Heimatdorf schilderte: „Meist kam auch Besuch, und zwar der Onkel und die Tante mit ihren Kindern in der Pferdebespannten Karosse kilometerweit her. Es wurde gut gegessen und getrunken.
Und abends ging es dann zum Kirmestanz zu Waschkes am ersten Abend und am zweiten Abend zu Zimmerlings oder umgekehrt. Es spielte stets die Wiesauer Blaskapelle, wobei auch die Pauke nie fehlte. Die Mädels saßen schön nebeneinander auf einer Bank an den Wänden des Saales entlang. Und wir Burschen - „Jungen" sagen wir wohl besser - standen an der Tür, meist auch in Thekennähe, mitunter bis zur Saalmitte. Wenn dann die Musik einsetzte, setzte meist auch ein Wettlauf der Tänzer nach den schönsten Tänzerinnen ein. So kam es oft vor, dass sich mehrere Tänzer zugleich vor einem Mädchen verbeugten und sie zum Tanz aufforderten. Sie hatte nun die Wahl, die Glückliche!
An der Theke herrschte meist Hochbetrieb, denn es war so üblich, dass einer eine Lage Schnäpse ausgab, und die anderen revanchierten sich der Reihe nach, so dass der Gastwirt gleich mehrere Runden hintereinander einschenken konnte.
In der Küche der Gastwirtschaft konnte man „Warme" mit Semmeln und Mostrich bekommen, „Polsche" oder Knoblauchwurst, (die den Alkohol wieder aufsaugten). Die älteren Herren spielten im Nebenraum Karten. Und wenn dann die Stimmung ihren Höhepunkt erreicht hatte, spielte die Musik auf einmal: „Nach Hause, nach Hause nach Hause gehn wir nicht. . ." Dies sollte aber nun der letzte Walzer sein. (Und wer da noch eine Verlängerung anstrebte, kam mit e i n e r Runde für die Musik nicht davon.)
Am andern Abend, und das war immer der Montag, ging es dann zum Tanz in das andere Gasthaus. Während am Sonntagabend Mädel und Jungen aus den Nachbardörfern zum Tanz gekommen waren, waren wir am Montagabend ganz unter uns.
So ähnlich wie hier in Groß-Logisch ging es in allen Heimatkreisorten zu, wenn „Kirmst" war.
Im Oktober längst vergangener Jahre ... längst vergangener Jahrzehnte. |
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