Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 8, August 2014

Die Geschichte und Entwicklung des Glogauer Heimatbund e.V.

11. Die Bezirksgruppen und Ortsgemeinschaften
11.21 Die Ortsgemeinschaft Wiesau und Umgebung

von Manfred Liersch

 

42. Fortsetzung aus NGA07/2014

 

Manfred Liersch

>Manfred Liersch <

„Niemals empfindet man die Hand Gottes kräftiger über sich, als wenn man die Jahre seines vergangenen Lebens betrachtet".
Mit diesem Zitat Martin Luthers soll diese Retrospektive der Ortsgemeinschaft Wiesau und Umgebung beginnen.

Wie in den anderen Ortschaften des Kreises Glogau, mussten die Wiesauer beim Näherrücken der Ostfront ihre Heimat verlassen. Die Anfang 1945 organisierten Flüchtlingstrecks wurden von manchen schon unterwegs verlassen, weil sie versuchten, bei Verwandten, Bekannten oder anderswo eine Bleibe zu finden. Endstation der Flüchtlingstrecks war schließlich Kronach/Oberfranken. Der Mitgliederbestand unserer Heimatgruppe widerspiegelt sich an den alten Fluchtlinien von Wiesau bis in den oberfränkischen Raum um Kronach.Gedenktafel Wiesau

>v.l.: Frau Zawis, Frau Behrens, Herr Liersch<


Seit 1953 gab es Zusammenkünfte der Wiesauer mit den anderen Glogauern im Rahmen der Bundesheimattreffen des Glogauer Heimatbundes. Diese waren natürlich nur den Menschen der alten Bundesrepublik zugänglich.
Trotz der Trennung in BRD und DDR fanden auch schon zu Zeiten der DDR dort seit 1979 Treffen der Wiesauer im Anwesen des Heimatfreundes Helmut Schlink im Harz statt. Hier wie dort änderte sich alles mit der Wiedervereinigung.

Auf Anregung des Heimatfreundes Karl-Heinz Grünwald wurde der gleichnamige Ort Wiesau in der Oberpfalz als Ort einiger Treffen ausgewählt. Diese Treffen hatten in der Spitze mehr als 100 Teilnehmer. Organisiert wurden sie von den Heimatfreunden Horst und Hilde Pavel, wobei nicht vergessen werden darf, dass die uns wichtige musikalische Untermahlung immer in der Hand von Siegfried Wünsche gewesen ist. Das Auftreten unserer Gruppe in der Oberpfalz ist auch immer von der örtlichen politischen Prominenz zur Kenntnis genommen worden, die es sich nicht nehmen ließ, uns persönlich während unserer Treffen zu begrüßen.
Nach Krankheit von Horst Pavel übernahmen die Gruppe die Heimatfreunde Ursula und Josef Brandl, die auch für die Organisation der weiteren Treffen in Wiesau verantwortlich zeichneten. Das letzte von ihnen durchgeführte Heimattreffen fand dann im Jahre 2000 statt. Durch den Tod von Josef Brandl (23.2.2002) gab es eine Zäsur, da kein Nachfolger erkennbar war. Es entstand eine zeitliche Lücke. Schließlich sprach mich der Heimatfreund Siegfried Wünsche öffentlich im NGA an, ob ich nicht bereit sei, die Gruppe weiterzuführen. Dem konnte ich entsprechen, da ich inzwischen aus dem Bundesvorstand des Glogauer Heimatbundes ausgeschieden war.

Ich selbst, also Manfred Liersch, gehöre zur Nachkriegsgeneration, damit auch mit einem anderen Blickwinkel. Trotzdem habe ich die Gruppe gern übernommen, zumal ich schon private Kontakte in das Dorf meines Vaters, Groß Logisch, hatte.
Ich konnte 2 weitere Treffen in Wiesau/Opf. organisieren (mit leider dramatisch abnehmenden Teilnehmerzahlen) und ein weiteres Treffen direkt in der Schule im heimatlichen Wiesau (jetzt Radwanice).

Schon von Anfang an habe ich versucht, die Gruppe über die heutigen politischen Gegebenheiten zu informieren. Wiesau, Ransdorf, Andersdorf, Leipe, Guttenstädt, Buchendamm, Druse (Hünerei), Kunzendorf und Jakobskirch gehören jetzt zu einem Ortsverbund. Dadurch konnte ich mir auch auf polnischer Seite einen Gesprächspartner suchen, den ich mit der Bürgermeisterin Sabina Zawis auch gefunden habe. Es konnte dabei ein gutes und offenes Gesprächsklima erreicht werden, was auch zu einigen bemerkenswerten Kontakten und Ergebnissen zu Wiesau und seinen heutigen Bewohnern geführt hat.

Im August 2004 wurde von der jetzigen Bürgermeisterin Sabina Zawis von Radwanice(Wiesau) unsere Ortsgemeinschaft zu einem internationalen Erntedankfest eingeladen. Mit 2 Bussen haben wir uns aus allen Ecken Deutschlands auf den Weg gemacht, um daran teilzunehmen. Bei herrlichem Wetter haben wir im ehemaligen Schlosspark an dem schönen, organisatorisch gut vorbereiteten und auch kulinarisch angereicherten Fest teilgenommen. Natürlich konnten wir während des Festes auch offen mit den jetzigen Einwohnern sprechen.
Auf dieser ersten Basis zu gemeinsamen Aktionen kam ein neuer Gedanke auf. Viele der alten Friedhöfe sind zum Teil neu belegt, manche total eingeebnet und noch vorhandene zerstört oder mangels pflegenden Personals kaum noch erkennbar. Unser Anliegen war, ein Erinnerungszeichen zu setzen. Unser Vorschlag, an der Friedenskirche in Wiesau eine Gedenkplatte an die ehemaligen deutschen Einwohner anzubringen, fand auch die Zustimmung der jetzigen lokalen Autoritäten.

>Eröffnung der Heimatstube in Wiesau 2007<

Im Oktober 2005 konnten wir mit einem Bus erneut nach Radwanice/Wiesau reisen, um die Gedenkplatte einzuweihen. In einem gemeinsamen deutsch/ polnischen Gottesdienst und im Beisein des damaligen Bundesvorsitzenden des Glogauer Heimatbundes, Prof. Alfred Palissa, konnte die Tochter des letzten deutschen Wiesauer Pfarrers Golz, Monika Behrens, ein Blumenbukett zur Einweihung niederlegen. Umrandet war alles von polnischen Pfadfindern mit Fackeln, was der Einweihung ein besonderes Ambiente gab. Dabei fand auch Prof. Palissa ergreifende Worte. Vielen der Teilnehmer ist diese Feier ziemlich unter die Haut gegangen. Bei dieser Veranstaltung ist eine Bildschirmpräsentation erstellt worden, damit auch die, die nicht teilnehmen konnten, zumindest einen Eindruck der Feier bekamen.

Ein nächstes gemeinsames Projekt war die Idee der Radwanicer Bürgermeisterin, ein Regionalmuseum in der alten Volkschule in Radwanice einzurichten. Wir versprachen, dabei die deutsche Geschichte darzustellen. Ein Spendenaufruf bei unseren Wiesauer Heimatfreunden ergab sehr vieles: Von der handmodellierten Trachtenpuppe von Inge Spiegel über den originalen Fluchtkoffer von Ursula Brandl bis zur Tracht einer jungen Bäuerin aus der Wiesauer Umgebung. Auch durch planmäßige Suche im Internet und auf Auktionen aus Mitteln unserer Gruppe konnten wir manches Erinnerungsstück dem Museum zur Verfügung stellen. Seither haben wir immer wieder durch Einzelstücke das Regionalmuseum in Radwanice bereichern können.

>Herr Liersch zeigt Münzen und Geldscheine aus deutscher Zeit)<

Sicherlich freut sich der eine oder andere Heimatfreund, wenn etwas von ihm wieder in der Heimat einen Platz gefunden hat, bevor es auf Flohmärkten oder in Kartons „eingemottet" im Keller irgendwelcher Verwahrstätten landet. Die Regionalstube wird immer wieder gern auch von anderen Gruppen des Glogauer Heimatbundes besichtigt. Natürlich hängt auch der Fluchtplan eines Trecks im Regionalmuseum. Bei der Einweihung dieses kleinen Museums konnten wir auch eine Bildschirmpräsentation alter Aufnahmen in deutsch und polnisch zur Verfügung stellen.
Mit dieser Veranstaltung endet auch die Zeit großer gemeinsamer Aktivitäten, da auch bei unserer Wiesauer Heimatgruppe die Teilnehmerzahl immer geringer wurde. Nur vereinzelt kommen wir noch zusammen, wenn uns etwas gemeinsam betrifft.
Aus ganz persönlichem Interesse habe ich dann noch eine Chronik des Dorfes Groß Logisch -jetzt Lagoszow Wielki erstellt, die in polnischen Internet-Seiten aber auch im NGA veröffentlicht wurde.
Die zerfallenden persönlichen Kommunikationsstrukturen habe ich versucht, durch eine kleine Publikation, das „Wiesauer Blättel" aufzuhalten. Hiervon sind im Zeitraum von 2004 bis 2011 insgesamt 24 Ausgaben mit einigen hundert Seiten Umfang entstanden. Aber auch hier zeigte sich ab 2011 eine Zäsur. Seitdem geht mir kein Material mehr zu.
Vom Wiesauer Blättel gab es dann auch noch einige Sondernummern:
- Grundbuchakten des Amtsgerichtes
Glogau
- Gottes Weg im Chaos, Bericht des
Pfarrers Golz und ein
Verzeichnis der Kirchenbücher der
Mormonen.

Es würde noch einer Menge an Danksagungen bedürfen an Heimatfreunde, die sich in vieler Hinsicht verdient gemacht haben. Einige habe ich schon genannt, beileibe nicht alle. Zwei möchte ich aber noch besonders nennen: Es ist dies Lothar Dittmann, der in langer Arbeit alle Namen der ehemaligen Bewohner Wiesaus festgehalten hat, mit sehr vielen persönlichen Daten, die es einmal nachfolgenden Generationen ermöglichen können, ihre Wurzeln zu finden.

Ebenfalls eine Spur der Vergangenheit hat der Heimatfreund Peter Hoffmann aus Berlin gelegt, der vieles Berichtenswertes aus Wiesau in einer Internetversion verarbeitet hat. Selbstverständlich wird diese Seite auch von der Gemeinde Radwanice gehostet (= angeboten).

Schließen wir mit folgendem Zitat von Aristoteles:
Angenehm ist am Gegenwärtigen die Tätigkeit, am Künftigen die Hoffnung und am Vergangenen die Erinnerung.

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