>Christl (geb. Hanisch, Carolath) & Gustl Kießling (2013)<
Es gibt wohl keinen Glogauer, der nicht beim Namen Carolath ins Schwärmen gerät und an die Fliederblüte und das imposante Fürstenschloss denkt, vielleicht auch an Emanuel Geibel, unseren Liederdichter.
Das gilt für alle überlebende Niederschlesier bis heute noch, auch wenn die Erinnerung schon 70 Jahre zurück liegt.
>Schloss Carolath mit Fliederblüte (2011)<
Auch die Carolather mussten 1945 ihr schönes Dorf verlassen. Viele von ihnen sind in Oberfranken gelandet und teilweise dort sesshaft geworden.
Nach Kriegsende sowie Rückkehr aus der Gefangenschaft ging es vordringlich darum sich eine neue Existenz aufzubauen und in der neuen Umgebung heimisch zu werden.
Erst 1953 erfolgte vermutlich das erste Heimattreffen des ehemaligen Kirchspiels. Pfarrer A. Danne hatte am 23. August 1953 in Marktleuthen eingeladen. Zum Kirchspiel gehörten Carolath, Reinberg, Hohenborau, Schönaich, Tiergarten und Rosenthal. Auf einem Foto zählt man ca. 135 Personen – Ältere, Jüngere und ganz Junge – ob das das erste Treffen war?
>Vermutlich erstes Heimattreffen in Marktleuthen 1953<
Weitere Zusammenkünfte gab es auch in einem Café in Marktleuthen, jedoch ist nicht bekannt zu welchem Zweck. Vermutlich ging es hauptsächlich um gegenseitige Hilfe und Austausch bei der Organisation des täglichen Lebens in der neuen Umgebung, z.B. Themen wie Lastenausgleich, etc.
Belegt ist die Gründung einer Interessengemeinschaft in Kirchenlamitz anlässlich einer „Reise in die schlesische Heimat“. Der in Carolath aufgewachsene Gerhard Franz war bereit die Organisation zu übernehmen. Es war mit viel Arbeit verbunden (polnisches Konsulat, Visabesorgung, Geldumtausch). 1976 erfolgte die erste Fahrt in die alte Heimat.1979 wurde eine Schifffahrt auf dem Schlesier See geplant und durchgeführt. Zwei Jahre später eine Dampferfahrt von Glogau nach Neusalz.
Ende 1988 verstarb Heimatfreund Gerhard Franz, seine Ehefrau Luise, die Fast-Schlesierin (sie war echte Oberfränkin) führte die Treffen weiterhin fort.
Im Jahre 1990 fand bereits die achte Heimatreise und das 15. Treffen statt. Die nach den Fahrten folgenden Treffen waren immer ein Erlebnisaustausch zwischen Heimatfreunden, die sich eine solche Fahrt nicht mehr zutrauten oder aus verschiedenen Gründen nicht mitfahren konnten und den Teilnehmern. Bei den Reisen wurde ein großes Stück Niederschlesien durchfahren und erforscht. Heimatfreunde erstellten sogar einen Filmvortrag.
Luise Franz organisierte ihr letztes Treffen am 6. Oktober 1990. Nach einer Dankesrede erklärte sie: „da bekanntlich alles ein Ende hat und es heißt ja, wenn es am schönsten ist, soll man aufhören“.
Deutschland war inzwischen wiedervereinigt und die Besucherzahlen waren in den letzten Jahren stark angestiegen, das Lokal war wegen Platzmangel gewechselt worden, der Erlebnisaustausch wurde verstärkt und der Heimatgedanke war noch lange nicht gestorben. Der Zustrom der jüngeren Generation, die Flucht und Vertreibung als Kinder und Jugendliche miterlebt hatten und die „neugierig“ auf das Land ihrer Eltern und Großeltern waren, stieg bei den Treffen an. Und jetzt sollte es plötzlich kein Heimattreffen mehr geben, weil es niemand mehr organisiert? Aufhören – nein! Weitermachen meinte ein Oberfranke.
Im Jahr 1991 setzt Christa Kießling, geb. Hanisch (Carolath) mit Gleichgesinnten das Heimattreffen mit frischem Wind fort. Die Besucherzahlen stiegen weiter in den 90er Jahren. Die regelmäßigen Heimatfahrten wurden fortgeführt – in einem Jahr waren sogar zwei volle Omnibusse nötig.
Das Busunternehmen Wunder aus Hollfeld fuhr sicher mit erfahrenen Chauffeuren. Nicht nur in die Heimatdörfer, sondern es gab auch Ausflüge zum Schlesier See, nach Grünberg oder Glogau. Viele Kontakte und neue Verbindungen wurden untereinander geknüpft.
Im Jahr 1998 gründeten die Reinberger Heimatfreunde ein eigenes Heimattreffen in Quersa. Die meisten Reinbeger lebten in der ehemaligen DDR bei Quersa und sind im Großraum Sachsen untergekommen. Bis nach Kirchenlamitz sind es ca. 250 Kilometer. Gegenseitige Teilnahme am Treffen der Ortsgemeinschaften Reinberg, Priedemost, Hohenborau, Lindenkranz, Brostau, Niederfeld, Beuthen und Gutenberg waren Gang und Gäbe.
Ein Freundeskreis bildete sich mit den Ortssprechern der anderen Gemeinden - „die Oderkinder“, bestehend aus Familie Kaupper (Niederfeld), Charlotte Stritzke (Brostau), Gerhard Webers (Gutendorf), Gretel Minger, Klaus Werner, Friedel Scherer (Hohenborau), Familie Hoffmann, Familie Scholz (Vorbrücken) und Ehepaar Kießling.
Auch zu anderen Ortsgemeinschaften entstand Kontakt und es kam zu gemeinsamen Unternehmungen. Beispielsweise im Jahr 2002 fuhren wir mit der „M.S. Uckermark“ und Reiseleiter Hubert Starzonek aus Forst zusammen auf der Oder von Eisenhüttenstadt nach Glogau und zurück. Eine sehr abenteuerliche Fahrt mit lustigen und kuriosen Erlebnissen.
Ein dabei von uns genutzter Tagesabstecher nach Carolath diente unserem Vorhaben die letzten Maße zum Anbringen einer Gedenktafel zu nehmen.
Unsere Idee war etwas Bleibendes in Carolath zu schaffen, dass die Vergangenheit, sowie die Geschichte und die Erinnerung mit der Gegenwart verbindet. Geeigneter Platz war das ehemalige Kriegerdenkmal im Kirchhof in Carolath. Der zuständige polnische Pfarrer begrüßte das Engagement positiv.
Am 31. Juli hatten wir das Edelstahlkreuz und eine dazugehörige Gedenktafel fertig und beide wurden dann am 14.09.2002 beim Heimattreffen vorgestellt.
Auch Pfarrer Gregor Decker ( geb. in Beuthen) war auch zum Treffen gekommen.
>Vorstellung Edelstahlkreuz und Gedenktafel am Heimattreffen 2002<
Am 01.10.2002 konnte dann, während einer Fahrt nach Carolath, das ehem. Denkmal hergerichtet und Kreuz und Tafel angebracht werden. Die Tafel trägt die Inschrift :
Gott ist überall – unseren Ahnen bis 1945 – Kirchspiel Carolath
Der dazu fertiggestellte Blumenkasten wurde dann im Mai 2003 bepflanzt. An seiner Außenseite befinden sich sieben liegende Edelstahlkreuze. Sie verkörpern: sieben Jahrhunderte friedliche deutsche Besiedlung und stellen gleichzeitig die umgeworfenen Grabstätten auf dem deutschen Friedhof dar.
Sechs Jahre später wurde der Blumenkasten leider entwendet. Der jetzige katholische Pfarrer brachte uns einen schnell zusammengeschweißten Blechkasten zum Bepflanzen als Ersatz, der heute noch steht.
Am 15.06.2003 fand wieder Busfahrt nach Carolath und Umgebung statt. Am Nachmittag erfolgte die Einweihung des Denkmals beginnend mit einer Gedenkrunde in der Kirche. Es folgte ein gemeinsames „Vater unser“ mit dem polnischen Pfarrer in deutscher Sprache. Nach einer kurzen Ansprache von Heimatfreund Gustav Kießling, einem Gedichtvortrag von Heimatfreundin Christa Kießling „Das ist mein Heimatland“ und mit dem Lied „Nun danket alle Gott“ und einem Orgelgruß schloss der Besuch am Denkmal.
Die bei diesem Ereignis gesammelte Spende ging an den polnischen Pfarrer für Reparaturen an den Kirchendachrinnen und am Glockenstuhl der Carolather Kirche.
>Denkmal Carolath Kirchhof mit Ersatzblumenkasten (2010)<
Fester Bestandteil im Kalender waren die jährlichen Treffen in Kirchenlamitz Anfang September. Bald kristallisierten sich feste Rituale und Ausstattungen, wie z.B. die Einladung mit einem besonderen Bild oder Gedicht aus Carolath oder Umgebung, die Bereitstellung von echten schlesischen Mohn- und Streuselkuchen. Der Einlass erfolgt bereits am Vormittag, obwohl der offizielle Beginn erst um 14 Uhr war. Viele Heimatfreunde trafen schon am Vormittag ein und genossen fröhliche Stunden und gemeinsames Essen vorher.
Zu den jährlichen Treffen gehörte auch eine Ausstattung. Ein geschmiedetes Ortsschild mit aussagekräftiger Symbolik wurde Anfang der 90er Jahre gefertigt. Am rechten gebogenen Ausleger, der mit Blattwerk verziert ist, hängt die mit blühendem Flieder eingefasste Namenstafel Carolath; ein verschlungenes Kreuz, das den evangelischen Glauben darstellen soll ist auf der linken Seite und daneben die Inschrift Niederschlesien. Darunter die gelb-weiße Schlesierfahne. Der von Efeu umrankte Standfuß und Schaft, der mit seiner goldigen Spitze hoch hinausragt, ist einer Kirchturmspitze ähnlich gearbeitet und erinnert an den Blick von Carolath flussaufwärts auf die Spitzen der Beuthener Türme.
>Fahnenmast Heimattreffen (2009)<
Alle Jahre wurden am Tag des Treffens am Eingang Blumenschmuck angebracht und im Saal Blumen und Getreidegebinde aus de Carolather Kölschbusch aufgestellt. Auf einer Tischreihe im vorderen Teil des Veranstaltungsraums waren verschiedene Schriften, Bücher, Fotoalben, Zeichnungen und Landkarten ausgelegt. Daneben gab es eine große Tafel „Schlesien von der Urzeit bis Heute“. Auch der Neue Glogauer Anzeiger aus den fünfziger und sechziger Jahren mit Berichten von Reinberger Bürgern, Titelblättern von Carolath und Umgebung und lehrreichen Berichten aus der Heimat war Bestandteil der Treffen und die Besucher blätterten eifrig.
>Heimattreffen 2005 – Veranstaltungsraum<
Die Treffen waren praktisch auch Geschichts- und Heimatkunde und das wurde von vielen Heimatfreunden rege genutzt.
Daneben wurde das schlesische Liedgut gepflegt. Das Schlesierlied und Heimat deine Sterne wurden gesungen. Zur Totenehrung läuteten die Carolather Kirchglocken von einer CD.
Grußkarten von und an kranke und verhinderte Heimatfreunde, die nicht am Treffen teilnehmen konnten lagen aus.
>Harter Kern der Kirchenlamitzer Heimattreffen (2011)<
Die Ausstellung und der Ablauf wurde natürlich auch von Heimatfreunden unterstützt und bereichert mit Schriften und Reden, Vorträgen in Mundart, typischen und lustigen Geschichten aus Niederschlesien, bekannten, aber längst vergessenen Anekdoten, selbst gefertigten Brandzeichnungen der schlesischen Kirchen und einem Baukasten mit der Miniaturnachbildung vom Dorf Carolath mit Schloss oder mit ein gedichteten Lied „Wir sind die Kinder der Oder“.
Ein Hohenborauer Heimatfreund malte und schenkte uns ein wunderschönes Bild von der Oder mit Oderdamm bei Carolath.
Vielen Dank an die vielen Heimatfreunde, die immer dabei waren und zum Gelingen des Treffens beigetragen und unterstützt haben. Unvergessliche Nachmittage.
Unsere Kinder beteiligten sich mit einer selbstgemachten Video-CD „Heimat Schlesien – Ich geh die alten Spuren“, die Carolath, Reinberg, Hohenborau und Lindenkranz zeigt. Beim letzten Treffen 2012 wurde sie vorgestellt.
Wir konnten 2012 noch 66 Heimatfreunde zählen. „Schlesien in Erinnerung halten“ war unser Motto, das in großen Buchstaben im Lokal angebracht war sowie eine geschmückte Tafel mit einem Ausspruch von Gerhard Hauptmann vom 03.04.1945:
Es ist ein Trost, der fest besteht,
das beides: Gut und Schlecht, vergeht
Nun gut, Erinnerungen bau ich an
Sie ist mir Wahrheit und kein Wahn.
Beigestellt war der geschmiedete Leuchter, der jetzt in der Selber Herz Jesu Kirche in der Taufkapelle steht, um als stiller Mahner an die Vertreibung aus der Heimat zu erinnern.
>Gruppenbild letztes Carolather und Umgebung Heimattreffen 2012 Kirchenlamitz<
Schweren Herzens und nach reiflicher Überlegung haben wir uns entschlossen, dass Treffen nicht mehr zu veranstalten, da der Aufwand zu groß ist. Auch sind wir nicht mehr die jüngsten und gesündesten. Ebenfalls ist es für eine Vielzahl der Gäste auch immer beschwerlicher die Reise nach Kirchenlamitz zu bewältigen.
Gerne treffen wir uns und bleiben in Kontakt, aber nicht mehr im großen Rahmen eines jährlich organisierten Treffens. Ein Nachfolger hat sich leider nicht gefunden.
Einen herzlichen Gruß und Dank
Christa und Gustav Kießling
„In Verbindung bleiben und Schlesien in Erinnerung“
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Das Edelstahlkreuz und die dazugehörige Gedenktafel wurden von Hfrd Gustav Kießling in seiner Schmiedewerkstatt hergestellt und konnten am 1.10.2002 in Carolath angebracht werden.
Auch das bei jedem Heimattreffen zu Ausstattung gehörende Ortsschild mit aussagekräftiger Symbolik stammt ebenfalls aus der Schmiedewerkstatt unseres Gustl Kießling.
Die Bemühungen um die Gedenktafel auf dem Carolather-Friedhof und die Gestaltung und Ausstattung der Heimattreffen wurden vom Vorstand des Glogauer Heimatbundes mit der Verleihung der „Kleinen Goldenen Ehrennadel“ an das Ehepaar Kießling anerkannt. |