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410 Einwohner; 776 ha Feldmark; An der Chaussee Hochkirch - Altwasser - Rettkau; 18 km von Glogau
Bahnstation: Gramschütz und Lindenbach (6 km); Post am Ort.
Bürgermeister: Bauer Albert Jaensch.
Beigeordnete: Bauer und Mühlenbesitzer Alfred Becker, Stellmacher Albert Schreiber.
Gemeinderäte: Landwirt Fritz Sattig, Landwirt Erwin Kerntsch, Zimmerer Albert Standke, Schuhmachermeister Richard Bond, Vogt Paul Gottschling, Landwirt Friedrich Fuhrmann.
Kassenwalter: Kaufmann Kurt Spektor.
Schiedsmann: in Lindenbach.
Hebamme: Ida Altmann in Gramschütz.
Standesamt: Hochkirch.
Amtsbezirk: Gramschütz.
Amtsvorsteher: Bauer Gotthelf Schulz.
Gendarmerie: Lindenbach.
Postverwalter: für Altwasser Albert Schreiber, für Wiesengrund Martin Schlaffke.
Amtsgericht: Glogau.
Dominium: Altwasser, Besitzer Frieda Fuhrmann, Inspektor Alfred Fuhrmann; in Wiesengrund Domäne, Pächter Karl Sattig, Inspektor Josef Sommer.
Kirchen: Evangelische in Gramschütz, Katholische in Hochkirch; für Wiesengrund ev. Kirche Klein-Gaffron.
Schule am Ort, Lehrer Adolf Kaske.
Gewerbl. Anlagen: Motor-Wassermühle, Besitzer Alfred Becker; Mot.-Wassermühle, Bes. Minna Tschache.
Gaststätten: in Altwasser Alfred Zimmer, Pächter; in Wiesengrund Clemens Zoeke.
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Altwasser. Dorfpartie mit Albert Ernst’s Warenhandlung<
Es war nur ein kleiner, bescheidener Ort im südlichen Kreisteil, aber er hat manch größerem etwas voraus. Sein hohes Alter. Schon im 12. Jahrhundert wurde er genannt. Er erfreute sich einer malerischen Lage in einer busch- und wasserreichen Gegend, die eine starke Viehzucht ermöglichte. Von den ersten, die einst dort zum Gottesdienst wandelten; zeugte noch das Grabmal des Adelsgeschlechts von Dihrn, das aus dem Jahre 1586 datiert, von ihren Häusern und Gütern das Gutshaus; das wir auf der Titelseite im Bilde zeigen.
Im Jahre 1930 hatte Altwasser 217 Einwohner, 1936 wurden „nur noch" 200 gezählt. Zuletzt waren es mit dem Ortsteil Wiesengrund 410 Einwohner. Also wirklich ein bescheidener Ort, der dennoch sein Leben hatte, sein Schaffen, seinen Betrieb, von dem alle notwendigen Geschäfte, aber auch seine Vereine zeugen. Besaß er doch eine Freiwillige Feuerwehr, der Jugend war eine Jugendherberge offen, sicher auch für die der weiteren Umgebung. Die evangelischen Gemeindemitglieder wurden von Gramschütz aus betreut, die katholischen von Hochkirch, schulisch waren Porschütz und Hochkirch zuständig.
Altwasser gehörte nicht zu den Ausflusorten, um die man die 15 Kilometer Glogau aus zurücklegte, aber hatte es nicht auch seine landschaftliche Anmut, wenn man hinüberblickte zu den letzten Hügeln, die sich unfern emporhoben?
Der herrschaftliche Kutscher
Ludwig
Lasst mich erzählen von unserem Ludwig, der schon ein paar Jahre in Altwasser war, als mein Vater das Gut 1902 kaufte. Vielen alten Glogauern wird er noch in Erinnerung sein, wenn er dienstags und freitags in Glogau die Pakete von Kahl, Grasemann, Filke, Mucha und vielen andern zum „Deutschen Haus" trug, wo ausgespannt worden war, oder wenn er dann abends dort in seinem gelben Wagen wartete, weil Vater Fuhrmann noch beim Skat saß.
An den großen Festtagen allerdings verstand es sich von selbst, dass der gute „Freibock" oder der „Landauer" genommen wurden und die schönen, silberbeschlagenen Geschirre. Was war das für ein herrliches Bild, wenn zum Beispiel am Pfingstsonntag nach der Kirche in Gramschütz die Gespanne nacheinander vorfuhren!
Aber unser Ludwig war nicht nur Kutscher, er war auch eine Vertrauensperson, die zum Hause und zur Familie gehörte. Waren die Eltern mal verreist, dann schlief er als männlicher Schutz bei uns im Hause, das etwas abseits vom Gutshofe stand. Ich könnte das alte Klappbett, das dann unten im Korridor für ihn aufgestellt wurde, heute noch malen! Für besondere Fälle gab es vom Gutshause zu Ludwigs Wohnung auch eine Klingelleitung. An Geburtstagen und an den hohen Feiertagen des Jahres waren er und seine Frau die ersten Gratulanten. Kamen wir mit der Bahn von einer Reise nach Glogau oder wer weiß wohin in Gramschütz an, dann holte uns Ludwig mit dem Wagen ab, und er war es, der uns den ersten Gruß aus Altwasser überbrachte. Auf der Fahrt vom Bahnhof Gramschütz wurde erzählt und berichtet, dass beim Kurtzke-Paul ein kleiner Junge angekommen und der Roggen auf dem Goltz-Berge schon eingefahren sei, dass der ungerade Sechser an der Gräditzer Grenze noch immer dort stünde und vieles, vieles andere. Es gab viel zu berichten, schließlich war das ganze Dorf eine große Familie!
Und wie bekannt er war, der brave Ludwig! Als meine Mutter als junge
Gutsfrau aus den schlesischen Bergen nach Altwasser gekommen war und an den Bauern-Sonntagen nach Glogau fuhr, freute sie sich, wie nett und höflich die Leute alle grüßten. Sie wusste nicht, dass dieses Grüßen unserem Ludwig galt, denn er war ja viel bekannter im ganzen Kreise Glogau als das neue Gutsbesitzerehepaar. Doch bald galt der Gruß auch meinen lieben Eltern, denn die Leute aus der Stadt und dem Kreise Glogau waren alle höflich und nett!
Ludwig war ein hochgewachsener Mann, blond und blauäugig, den es in früher Jugend aus seiner mecklenburgischen Heimat nach Schlesien verschlagen hatte. Besonders stolz war er auf seine Dienstzeit bei den Königsgrenadieren in Liegnitz. Seine sehr zierliche Frau, die gute „Mutter Knusten", wirkte neben ihm ganz besonders klein. Für uns Kinder war sie die „Mutter Nu-Nu", weil sie die Redensart „nu, nu" häufig in ihre Erzählungen einflocht.
Ludwig regierte ziemlich absolut in seinem immer tadellos sauberen Pferdestalle, in dem in guten Zeiten vier, später nur noch zwei Kutschpferde standen. Dazu kam noch ein Pony für uns Kinder, das aber auch so manche Fuhre zum Bahnhof Gramschütz gemacht und sich damit seinen Hafer redlich verdient hat. Es war ein ganz „standesbewusstes" Pony, das es fertig brachte, unterwegs - wenn es mal keine Lust hatte, zum Bahnhof Gramschütz zu trotten - einfach umzudrehen. Ludwig überließ dieses Pony gerne seiner Enkeltochter, die ihr Kutscherhandwerk schon als kleines Mädchen bestens verstand. Und das war auch immer ein Bild zum Malen, wenn das kleine, niedliche Ding - rotbäckig und blauäugig - auf dem Bock thronte.
>Der Gutshof in Altwasser mit dem Haus des Kutschers Ludwig unter der Linde<
Ludwig war ein hervorragender Pferdepfleger! Wir hatten nie die edelsten Pferde, und es kam uns auch gar nicht darauf an, dass der Nachbar an unseren Wagen mal vorbeitrabte. Dafür hatten wir die Pferde dank der hervorragenden Pflege unseres Ludwigs immer sehr lange. Neben dem Stall befand sich die große Remise mit vielen Wagen. Am liebsten nahm Ludwig den gelben Wagen, was wir eigentlich nie richtig verstanden haben, da der große Mann auf dem Bock dieses Wagens sehr beengt saß. Dafür war er aber auf diesem Wagen etwas besser vor den Witterungsunbilden geschützt. Das mag wohl auch der Grund für Ludwigs Vorliebe zu diesem Wagen gewesen sein. Außerdem sollten auch die guten Wagen geschont werden; mit ihnen wurde ja früher so repräsentiert wie heute mit dem chromblitzenden Auto. Welcher Wagen bei den verschiedenen Anlässen genommen wurde, bestimmte in der Regel Ludwig. Und weil mein Vater seine Entscheidungen einfach respektierte, war es für meine Mutter manchmal nicht ganz einfach, ihre Wünsche betreffs des Wagens, in dem sie fahren wollte, durchzusetzen.
Viel könnte ich noch erzählen. Von den Fahrten nach Glogau, hinter uns die Hochkircher Wallfahrtskirche, weithin sichtbar, vorbei an den vielen Wallfahrtsstationen, rechts und links die Apfelbäume. Im „polnischen Tal" hinter Willschau, wo angeblich mal ein Mord geschehen sein sollte, ließ sogar unser furchtloser Ludwig seine Pferde ein bisschen schärfer traben. Weiter gings durch Gramschütz, vorbei am „Schwarzen Adler" bei Priedemost; bis hierher hatten wir genau die Hälfte der Strecke nach Glogau zurückgelegt. Unvergesslich sind mir auch die abendlichen Fahrten auf den Rehbock oder zur Rebhuhnjagd, zu der die Vesper mit hinaus genommen wurde. Als ich meinen ersten Rehbock erlegte, war Ludwig mein Begleiter. Er hat jedoch auch manchen Fehlschuss, den ich mir leistete, geheimgehalten und zu keinem Menschen darüber gesprochen.
Nun noch eine Begebenheit, die das Bild runden soll. Sie zeigt, dass zwischen den Kutschern und Gutsherren menschliche Beziehungen bestanden, die den Tod überdauerten. Unser Ludwig war - das erklärte ich schon - eine stattliche Erscheinung. In seiner blauen Extra-Livree konnte er sich sehen lassen. Da er perfekt im Servieren war, wurde er zu größeren Veranstaltungen auf die Nachbargüter geholt. So geschah es auch einmal - ich glaube anlässlich einer Hochzeit - dass man ihn nach Kreidelwitz holte. Da er volles Vertrauen genoss, so wurde ihm die Aufsicht über die Getränke anvertraut. Im Laufe des Abends ergab sich zwischen ihm und dem alten Herrn Gustav Wolff, dem Besitzer des Rittergutes Kreidelwitz, ein Gespräch über den Lauf der Welt und dass man langsam älter würde. Man versprach sich schließlich gegenseitig, dass der Überlebende dem anderen das letzte Geleit geben würde. Jahre vergingen, und das Schicksal wollte es, dass der alte Herr Wolff als erster starb. Wie die gesamte Nachbarschaft fuhren auch wir zur Beerdigung, aber diesmal nicht mit unserem Ludwig. Er erzählte unserem Vater nämlich die Geschichte und meinte, er müsse nun sein Versprechen einlösen. So ging er also mit einem schönen Kranz im Trauerzuge mit, nicht als Kutscher des Nachbargutes sondern als der Mensch Ludwig Knust, dem ein gegebenes Versprechen noch nach vielen Jahren heilig war.
Was ich hier von unserem Ludwig erzähle, gilt für viele, für alle die braven Kutscher, den Gond aus Kleinschwein, den Josef aus Obisch, den Zeebe aus Porschütz, den Füssel aus Simbsen und viele, viele andere. Es gilt auch für die treuen Wirtschafterinnen auf unseren schlesischen Rittergütern, für die wackeren Vögte und alle die vielen Familien, die oftmals mehrere Generationen hindurch „ihrem Gute" die Treue hielten.
Abschließend soll noch eine Geschichte berichtet werden, die das bisher Erzählte noch einmal bestätigt. Auch in Kreidelwitz gab es einen alten Kutscher, der zur Zeit des zweiten Weltkrieges längst auf dem Altenteil saß. Von ihm berichtete mir ein Kamerad in russischer Kriegsgefangenschaft ein Erlebnis:
Bei den letzten Kämpfen in unserer Heimat - die Russen hatten von Raudten kommend bereits die Höhen von Kreidelwitz erreicht - lag im schönen alten Schloss Kreidelwitz ein deutscher Bataillonsstab. Obwohl es nach der Lage der Dinge nur noch eine Frage der Zeit war, dass die deutschen Soldaten dem Druck der russischen Übermacht weichen mussten, war der alte Kutscher nicht zu bewegen, den Schlüssel zum Weinkeller herauszugeben. Er habe von seinem Herrn - so erklärte er - den Auftrag, das Schloss zu bewachen. Sein Herr sei auch Soldat und er wolle den ihm erteilten Auftrag gut und gewissenhaft erfüllen. Das war eine Haltung, wie sie uns in jener geschilderten Lage und bei der heutigen materialistischen Denkweise vielleicht unverständlich scheint, aber sie ist bezeichnend für den Treuebegriff so vieler Menschen auf unseren schlesischen Gütern. Dieser Mann wollte dem ihm erteilten Auftrag und sich selbst treu bleiben, weiter nichts.
Unser Ludwig hat den Krieg nicht mehr miterleben müssen. Nachdem er im Herbst 1931 noch seinen Herrn mit zu Grabe getragen hatte, musste er - weil die Kutschpferde eingespart wurden und weil er es aus Altersgründen auch verdient hatte - aufs Altenteil gehen. Aber verstanden hat er eine solche Entwicklung wohl nicht mehr. 1934 hat er seine Augen für immer geschlossen. Er ruht unweit des Grabes seines Herrn auf dem stillen, kleinen Waldfriedhof zu Kleinschwein.
So oft nun die Gedanken in die Heimat zurückwandern, verweilen sie auch an dem Grabe dieses wackeren Mannes, und nichts bleibt, als die Erinnerung an ein Stück Jugend und Heimat und ein Gefühl des Dankes.
Es sind persönliche Erinnerungen, die hier aufgezeichnet wurden. Mit ihnen soll das Andenken dieses braven Mannes geehrt werden, zugleich aber auch das Andenken all der vielen Männer und Frauen, die genau so dachten wie er. Menschen, die einer anderen Zeit angehören, die aber gerade in unserer schlesischen Heimat wachsen und wirken konnten. Ob sie unserer Zeit, in der andere Vorbilder gelten, noch etwas zu sagen haben? Wir, die wir der neuen Zeit noch nicht restlos verfallen sind, sollten alles tun, ihr Andenken nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen, zu ihrer und unserer Ehre!
Das Denkmal im Schlosspark
Im Jägergang im Schlosspark des Rittergutes Altwasser stand ein steinernes Denkmal mit der Jahreszahl 1809. Es stellt einen weinenden Jäger dar. Die Chronik berichtet darüber folgendes: 1809 gehörte Gut Altwasser zwei Brüdern: Eines Abends gingen diese getrennt auf die Jagd. Der als letzter gegangene Bruder glaubte im hohen Gras ein Reh zu sehen und schoss darauf. Es war kein Reh, er erschoss den eigenen Bruder. |
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