Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2014

Karl Stühler - Erinnerung an die Kriegsjahre und seine Forschungen zum Kampf um die Festung Glogau

von Alfred Palissa

 

Wer ist dieser Mann, der über 20 Jahre seines Rentnerdaseins geopfert hat, um akribisch alles zusammenzutragen, was für den Kampf um die „Festung Glogau" erreichbar war: Zeitungs- und Wehrmachtsberichte, persönlichen Aussagen von Soldaten und Zivilisten, eigene Erinnerungen und Erlebnisse usw. Dabei ist er nicht einmal ein Glogauer. Seine Soldatenzeit und seine Kriegserlebnisse haben ihn geprägt und ihn von Glogau nicht mehr losgelassen. Heute ist er in der Bundesrepublik wohl der einzige, der als Privatmann die umfassendsten Kenntnisse und Unterlagen über die militärische Situation und die Verteidiger in den Wochen des Kampfes und des Unterganges der Festung Glogau hat.
Karl Stühler ist am 10. März 1926 in Regensburg geboren. Während seiner Schulzeit wurde er entsprechend den damals gegebenen Kriegsbedingungen im Juli 1943 von der Schulbank weg zur Ausbildung als Flakhelfer/Luftwaffenhelfer verpflichtet. Schon wenig später (am 17. August 1943) war sein erster Kampfeinsatz gegen amerikanische Bombenflieger. Sein Schulunterricht wurde während dieser Zeit innerhalb der Flakbatterie nach Möglichkeit fortgesetzt.
Am 10.2.1944 Schulabschluss mit Abgangszeugnis der 6. Gymnasialklasse.
Schon am 14.2.44 erfolgte seine Einberufung zum Arbeitsdienst (RAD) im Saargebiet, wo er aber nur eine kurze Zeit blieb (bis Ostern), um dann am 4. Mai 1944 zur Wehrmacht (Pioniere) in Südfrankreich eingezogen zu werden. Dort folgte er einem Angebot zur Ausbildung als ROB (Reserve-Offiziers-Bewerber) und er wurde Ende 1944 nach Glogau verlegt, wo die weitere ROB-Ausbildung erfolgte, bis es (etwa im Jan. 1945) zum Vordringen der Russen nach Schlesien kam.
Stühler war also von Sept. 1944 bis in den Febr. 1945 als 18jähriger Pioniersoldat in Glogau im dortigen Pionier-Ersatz-Bataillon 213. Seine 5monatige Ausbildung als ROB in Kompaniestärke in Glogau erfolgte fast friedensmäßig, ohne Verbindung zum „echten" Pion. Bat. 213. Von der Stadt sahen die ROB-Bewerber wenig, dafür waren sie an der Schiffswerft, dem Landübungsplatz und den Schießständen am Gurkauer Berg zu Hause. Auch Gewehrgriffe, Ehrenbezeugungen, Salutschießen wurden während der Ausbildung geübt. Während seines Pionier-Einsatzes in Glogau beim Bau einer Straßenbrücke Ende Jan. 45 erlebte er hautnah das Elend der Flüchtlingstrecks, die jede Nacht aus dem Osten vor den Russen flohen. Das hat
Karl Stühler sein Lebtag nicht vergessen können. Er musste es notieren, schriftlich festhalten, zumal sich später herausstellte, dass sich deutscherseits offenbar niemand für das Geschehen in und um Glogau interessierte - im Gegensatz zu polnischen Autoren.
Karl Stühler wurde mit seinem ROB-Lehrgang am 3.2.45 aus dem halbeingeschlossenen Glogau abgezogen. Der neue Einsatzort sollte Schwedt/Oder sein, was aber durch das Vordringen der Russen nicht mehr möglich war. Nach längerer Irrfahrt in westlicher Richtung wurde die ROB­-Gruppe schließlich nach Minden/Weser verlegt, wo die ROB-Ausbildung ihren Abschluss fand und er zum Pionier-Gefreiten befördert wurde. Stühler hat also den Endkampf und die totale Zerstörung von Glogau nicht direkt miterlebt. Gleichwohl hat ihn das Schicksal besonders seiner Kameraden des Pion. Bat. 213 in Glogau stets beschäftigt und bewegt. Anschließend Einsatz an der Westfront und Rückzugsgefechte mit den Amerikanern. Schließlich löste sich am 10. Apri1 1945 die verbliebene kleine Gruppe auf, legte alles ab, was an Militärklamotten erinnerte und war damit nur noch Zivilist mit dem Wunsch, nach Hause zu kommen. Es wurde für ihn ein langer Fußmarsch von etwa 600 km bis nach Regensburg. Unterwegs gab es zusammen mit 2 Kameraden keine Probleme. Am 1. Mai 1945 war Karl Stühler endlich wieder daheim, hatte aber keine gültigen Ausweispapiere. Er ging darum am 6. Mai freiwillig in amerikanische Gefangenschaft, wo er am 15. Mai entlassen wurde, jetzt mit gültigen Papieren. Endlich zu Hause angekommen, arbeitete er mit seiner Mutter und Freunden an der Reparatur und Instandsetzung seiner Wohnung und anderer durch Bomben beschädigten Häusern.
Ab Herbst 1945 arbeitete er als Lehrling im elterlichen Handwerksbetrieb, später (1952-54) in München, wo er mit der Meisterprüfung als Schilder- und Lichtreklame-Hersteller abschloss. Auslandspraxis erwarb er in diesen Jahren in Dänemark.
Sein Vater kam Anfang 1946 krank und unterernährt aus französischer Kriegsgefangenschaft nach Hause (sein Bruder erst 1948), so dass der elterliche Betrieb weitergeführt werden konnte. 1956 übernahm er dann selbst den väterlichen Betrieb bis Mitte der 1990er Jahre.
1956 hat Karl Stühler geheiratet. Aus der Ehe stammen sein Sohn (1957) und eine Tochter (1958). Die Ausbildung, die Arbeit im elterlichen Betrieb in der schwierigen Zeit nach Ende des Krieges erforderten den vollen Einsatz der ganzen Person. Es blieb dabei kaum Zeit, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Die Erinnerung an seine Zeit in Glogau war ihm aber immer gegenwärtig. Als er 1994 altersbedingt in Rente ging, hatte er endlich genügend Zeit für seine Nachforschungen zum Kampf um Glogau. Was war aus seinen Pionier- Kameraden nach dem befohlenen Abzug seines ROB-Lehrgangs aus Glogau geworden, wie erging es den Soldaten und der Besatzung von Glogau bei den schweren Abwehrkämpfen bis zum Untergang der Stadt? Das waren Fragen, die ihn jahrelang beschäftigt haben und auf die er jetzt endlich eine Antwort wollte. Nirgends und auch bei keiner amtlichen Stelle fand er ein Wort oder eine Publikation zu dem Geschehen der letzten Tage von Glogau. Er hat sich damit nicht zufrieden gegeben und deshalb selbst versucht, etwas Klarheit zu bekommen. Er fand zu dieser Zeit keine amtliche Stelle in Deutschland, die zu diesen letzten Tagen des deutschen Glogau Publikationen veröffentlicht hatten. Offenbar gab es auch kein Interesse an der Aufarbeitung dieses Geschehens. Nur ein deutschsprachiger polnischer Univ.-Professor, A. Konieczny aus Breslau war an diesem Geschehen interessiert und hatte selbst darüber schon publiziert. Mit ihm pflegte Stühler einen regen Gedanken- und Informationsaustausch - bis heute. Mit seiner Frau war Stühler zwischen 1998 und 2002 5mal in Glogau und hat auch das erkennbare Bemühen um den Wiederaufbau der Stadt registriert.
Die intensive Suche nach Unterlagen aus dem Kampf um Glogau ließen das Material bei Stühler rasch anschwellen. Auch der GHB verfügt über seine zahlreichen, eng beschriebenen Seiten mit Personalangaben über die Verteidiger der Festung Glogau, über ihre militärische Zugehörigkeit, über Verluste usw. Ein einmaliges Material, das K. Stühler besonders in den 11 Jahren intensiver Nachforschung nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben als Einzelperson zusammengetragen hat. Sein Angebot, die gesammelten Unterlagen bei verschiedenen deutschen Stellen z.B. Museen zu deponieren, fand wenig Widerhall. Seine freizügige Auskunftsbereitschaft wurde leider auch bisweilen ausgenutzt für Veröffentlichungen, ohne ihn als Autor zu nennen. Inzwischen glaubt Stühler, dass zu diesem Thema keine neuen Erkenntnisse mehr zu erwarten sind. Er hat auch aus Altersgründen seine Forschungen über die letzten Wochen der Festung Glogau 1945 beendet. Sein erarbeitetes Material ist ein reicher Fundus für viele Angehörige, deren Kinder oder Väter zu dieser Zeit in Glogau waren und vielleicht auch für künftige Publikationen zu diesem Thema.
Nachstehend eine Auswahl aus den etwa 25 von K. Stühler erarbeiteten und zusammengestellten Listen:
- Besatzungsstärke und Bewaffnung der Festung Glogau
- Bekannte Offiziere und leitende Personen der Kampfzeit Januar - April 1945 in
Glogau
- Bekannt gewordene Wehrmachts-Verbände in der Festung Glogau 1945 mit
Zahlenangaben der Stärke
- Angaben über Glogau/Niederschlesien in den Wehrmachtsberichten des Jahres
1945
- Das Pionier-Bataillon 213 und sein Kampfeinsatz 1945 in Glogau
- Offiziere und leitende Personen im Volkssturm Glogau 1944/45
- Festungskommandanten Glogaus 1944 und 1945
- Die Festungsbrigade Glogau 1945
- Kriegs- und Totenliste von Glogau 1945 (1266 Namen)
- Über die Grabstellen und die Kriegstoten der Kampfzeit Glogaus 1945 und danach
- Medizinische Versorgung in der Kampfzeit von Glogau und danach
- Evangelische und katholische Pfarrer in Glogau 1945 und 1946
- Erlebnisberichte von Zeitzeugen 1944 -1947 zur Festung Glogau und danach

Im NGA sind von K. Stühler erschienen: Der Kampf um Glogau: NGA 2/2008, S. 3+4 und 3/2008, S. 5+6.
Alle durch Stühler’s Nachforschungen bekannten Unterlagen sind stets bei ihm einseh- bzw. abrufbar und auch im Archiv des GHB in Hannover einsehbar. Offenbar sind seine Unterlagen heue besonders von polnischen Historikern gefragt.
Karl Stühler hat zwar aus altersgründen seine aktive Forschung eingestellt. Nach wie vor ist er aber für Auskünfte offen, was auch bis heute von historisch Interessierten genutzt wird.

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