Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2013

Die Mühlpforte in Glogau

 

 

Glogau, die alte Festungsstadt, hatte noch lange nach dem Abriss der Festungsanlagen hier und dort Dinge aufzuweisen, die an seine Festungszeit erinnerten. Ein solcher Rest aus der Festungszeit war die Mühlpforte, von uns Kindern kurz „die Miehle" genannt. Die Mühlpforte war - so möchte ich es ausdrücken - ein zum breiten Weg ausgebauter und benutzter Wallgraben, der sich vom Odertore bis zum Nordende der Martinsstraße, wo sich später der Marstallplatz befand, hinzog. Begrenzt war dieser Graben nach der Oder zu von dem hohen, breiten Damm, auf dem damals die Breslauer Bahnstrecke entlangführte; auf der anderen Seite bildete die Begrenzung des Grabens die Rückseiten der alten Häuser des nördlichen Stadtgürtels. Am Eingang an der Oderstraße befand sich ein starkes Eisentor. Hier auf dem Bahndamm befand sich auch die provisorische Haltestelle des bekannten „Suppenzuges", der die Werksangehörigen der Eisenbahnwerkstatt in der Vorstadt zur Mittagspause und dann wieder zur Arbeit brachte.

Mühlpforte Glogau
>Die Mühlpforte in Glogau, wie sie im ersten Weltkriege ausgesehen hat<

Die Mühlstraße führte am Schlachthofe vorbei, über die Mühlpforte durch eine Unterführung des Bahndammes bis zum Oderufer. Hier befand sich damals noch die Gerberei und Lederfabrik Schumpelt, die später jedoch ihren Betrieb einstellte.
In meiner Kinderzeit war „die Miehle" eine geradezu ideale Spielstraße. Da es hier so gut wie gar keinen Fuhrwerksverkehr gab, konnten hier auch alle Spiele - mit denen wir uns damals die Zeit vertrieben - wie: Schippeln, Krieseln, Stelzenlaufen, Ballspielen und Schlitteln nach Herzenslust betrieben werden. Und wenn wirklich mal ein Polizist in „die Miehle" kam, so drückte er gerne ein Auge zu; hier störte Kinderlärm nicht sehr.
Mancher hat hier auch Radfahren gelernt. Und die Nähe der beiden Kasernen und des Schlachthofes - wie oft machte sich dort ein zum Schlachten bestimmtes Stück Vieh selbständig - bot für uns Kinder auch manches Interessante.
Überhaupt war das ganze Viertel zwischen der Mühlpforte und der Langen Straße, zwischen Oder und Martinsstraße ein richtiges Stück „Alt-Glogau"; hier lagen der Franziskanerplatz mit der alten Klosterkirche, die Kasernenstraße und die enge Bernhardinerstraße, die Kleine Oderstraße, die Pfeffer- und die Marstallstraße.
Es mag während der Jahre des ersten Weltkrieges gewesen sein, als die Mühlpforte eine völlige Veränderung erfuhr. Die Bahnstrecke wurde beträchtlich tiefer gelegt, der hohe Bahndamm ward abgetragen. Die beigefügte Federzeichnung zeigt die Mühlpforte zu jener Zeit: Man erkennt die tief gelegten Bahngleise, die Überbrückung zur Oderterrasse und zum Bootshaus, die beiden Gebäude der Franziskanerkaserne, den Schlachthof mit seinem Schornstein, die Rückfronten der Michaeliskaserne, des Franziskanerklosters, der Stadtbrauerei und einiger alter Häuser der Kleinen Oderstraße. Die Gerberei bestand zu dieser Zeit schon nicht mehr; sie befand sich früher etwa dort, wo am Oderufer die Baumgruppe zu finden ist.
In den zwanziger Jahren vollzog sich nun die letzte Veränderung und wieder eine Verbesserung: Die Übertunnelung der breiten Bahnstrecke erfolgte und die breite und moderne Uferstraße war geschaffen, eine Straße, die auch verstärktem Verkehr gerecht wurde.
Während der Verteidigung Glogaus hat der Volkssturm noch am Oderufer entlang Schützengräben angelegt und damit noch einmal das uns vertraut gewordene Bild verändert, das dann jedoch durch die Kampfhandlungen zerstört und verändert wurde, dass es niemals wieder ein seiner alten Weise erstehen könnte.

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