Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2013

Die Geschichte und Entwicklung des Glogauer Heimatbund e.V.

11. Die Bezirksgruppen und Ortsgemeinschaften
11.6 Die Bezirksgruppe Bielefeld von Irene Knappe

 

27. Fortsetzung aus NGA04/2013

 

Irene Knappe

Nur relativ wenige Jahre nach der Flucht und Vertreibung aus der Heimat fanden sich die verstreut in Deutschland lebenden Glogauer zu Bezirksgruppen zusammen.

Unsere Bielefelder Gruppe startete am 4. April 1954 in einer Freibad-Gaststätte in der Bleichstraße. Ungefähr 200 ehemalige Glogauer aus Nordrhein-Westfalen und dem nahen Niedersachsen (Minden, Hamm, Paderborn, Osnabrück) waren beim ersten Treffen dabei. Mein Mann, Heinz Knappe, hatte im NGA zu diesem Treffen eingeladen. Er war Gründer und somit auch Leiter der Bez. Gruppe. Erst später – nachdem mein Mann in eine Leitungsfunktion im Vorstand des Glogauer Heimatbundes gewählt worden war - übernahm ich die Leitung der Bez. Gruppe.

Schon im Sommer brachen wir mit viel guter Laune zu diversen Ausflügen und Wanderungen auf: Hasenpatt Bielefeld, Oetkerhalle und –park Bielefeld, Externsteine, Halle/Westf., Enger.

Zu unserer ersten gemeinsamen Weihnachtsfeier 1954 buken wir Frauen die heißgeliebten schlesischen Mohn- und Streuselkuchen und verlebten in gemütlicher Runde besinnliche und fröhliche Stunden.BUGA Dortmund

>Bezirksgruppenfahrt zur Bundesgartenschau nach Dortmund.<

In jedem Jahr trafen wir uns regelmäßig zu Ostern, zum Erntedankfest und zu Weihnachten. Daneben trafen wir uns auch in einer kleineren Runde, unserem „Stammtisch“, mehr oder weniger häufig in Bielefeld. Mein Mann informierte uns dabei über die Situation und das Geschehen in Hannover. Es gab also immer genügend Gesprächsstoff und Zeit zum „Klönen“/“Labern“. Der Sommer war stets ausgefüllt mit Wanderungen, und zu jeder Zeit hatten wir unsere Klön-Nachmittage. Zum Schlesiertreffen nach Hannover und Köln sind wir alle zusammen gefahren, und wir waren auch in Dortmund zur Bundesgartenschau.

In den 60er Jahren sind wir mit unserem Treffpunkt umgezogen in die Beckhausstraße, Gaststätte Alt-Schildesche. Die neuerdings in der Bleichstraße verlangte Raummiete mochten wir nicht zahlen.

In den 70er Jahren trafen sich eines schönen Sommers drei Bezirksgruppen: Hamburg, Hannover, Bielefeld. Wir wollten in einer großen Runde auf große Fahrt gehen. Es ging nach Ströhen (Ländergrenze NRW/Niedersachsen) in den Tierpark Ismer. Einen Zwischenstopp haben wir in Lübbecke gemacht im Café Janke, bewirtschaftet von Glogauern. Das war ein HALLO! Meine Nichten und Neffen (Knappe und Wenig) machen übrigens sechs gebürtige Glogauer aus und waren größtenteils mit von der Partie.Cafe Jahnke

>Das Café Janke in Lübbecke<

Den Schwerpunkt aller Kontakte bildete jährlich das Weihnachtsfest. Allein zu unserer Bezirksgruppe zählten 20 – 25 Kinder, die regelmäßig liebevoll beschenkt wurden. Ich habe all die vielen Päckchen verschnürt, und mein Sohn, Hans-Jürgen, verteilte sie alle eigenhändig als stilechter Nikolaus.

Ein besonderes Engagement meines Mannes waren die alten Mitglieder des SC-Preußen. Über viele Jahre hinweg (seit . . . ) hat er regelmäßig zum Jahresende den „SC-Preußen Rundbrief“ an die ehemaligen Mitglieder verschickt, mit Personalien (Geburtstage, Jubiläen, Todesangaben usw.), heiteren bis nachdenklichen Kurzgeschichten, Gedichten und anderes. Er verstand es, auf diese Weise den Zusammenhalt der ehemaligen SC-Preußen Mitglieder auch in der Zerstreuung wach zu halten und zu festigen. Auch für diese lieben Menschen, die seinerzeit in der DDR lebten, (z.B. in Boitzenburg) war ich jeden November einkaufen und versandte 20 -25 Päckchen – alles mit öffentlichen Verkehrsmitteln, denn ein Auto hatten wir nicht….
(Während dieser Wochen, Anfang 2013, des intensiven Erinnerns sind meine Nächte sehr lang und die Schlafphasen sehr kurz gewesen: Alles, aber auch wirklich ALLES ging mir ständig durch den Kopf.)

Ein besonders aktives Mitglied war Elisabeth Machowiak. Sie war in Glogau Verkäuferin im Spielwarengeschäft Weisstein. Zunächst wohnte sie mit ihrer Mutter in Bielefeld, später wechselte sie in ein Seniorenheim. Sie konnte sehr gut Gedichte verfassen und vortragen. Sie kreierte Theaterstücke, die sich inhaltlich und gestalterisch auf Glogau bezogen. Diese wunderschönen Geschichten wurden mit viel Spaß und Applaus auf der kleinen Bühne in der Gaststätte Seelmeier in Alt-Schildesche aufgeführt.

Eine andere Erinnerung: In einem Sommer in den 80er Jahren trafen sich die Bezirksgruppen vom Bodensee, aus Frankfurt, Hannover und Bielefeld in einem Gasthaus in Rodalben, Nähe Pirmasens. Hans Kelm, in einer Schlesiergruppe Aktiver, hatte uns eingeladen. Gast war auch ein uns bis dahin unbekannter Glogauer, Dr. Schneider, mit seiner Ehefrau, einer Pastorin. Als Kind musste auch er mit seiner Familie flüchten. Kürzlich war er mit seinen Eltern, nun in Hof lebend, in Glogau, hatte über Neues gestaunt, Altes wiedererkannt und viele Fotos gemacht. Er war bei diesem Besuch in der Heimat so bewegt, dass er spontan beschloss, Pate zu sein beim nächsten Kind, das in Glogau geboren wird. Als das Mädchen auf der Welt war, lernte er polnisch, um sich mit ihr und ihren Eltern unterhalten zu können.Sommersingen 1987

>Sommersingen 1987. v.l. Irene Knappe<

Hannover 1988

>1988 Besuch der Herrenhäuser Gärten in Hannover<

Ich erwähne dies deshalb so ausführlich, weil es deutlich machen soll, wie sehr wir uns alle mit unterschiedlichen Mitteln um Aussöhnung und einen guten Kontakt zu unserer alten Heimat bemüht haben. Gemeinsame Reisen (Busfahrten) nach Schlesien haben wir nicht organisiert, aber Teile unserer Bezirksgruppe waren mehrmals in Glogau. Ich erinnere mich besonders an eine Fahrt um 1990, bei der auch unser Sohn, Hans-Jürgen, mitfuhr. Mein Mann war als Leitungsmitglied des Glogauer Heimatbundes mehrfach in Glogau, z.B. zusammen mit dem damaligen (1984-1998) Bundesvorsitzenden Schelenz zu Gesprächen mit dem Stadtpräsidenten von Glogau, Jacek Zielinski. Von daher hatten wir auch gute Kontakte mit der damaligen Dolmetscherin Elzbieta Sczypien (jetzt: Liersch).

Nun weiter in der Chronologie. Die Treffen in Schildesche wurden wegen Alters und Krankheit vieler lieber Weggefährten von immer weniger besucht, so dass wir uns einen Tapetenwechsel einfallen lassen mussten. Die folgenden Jahre waren wir einmal im Monat Gäste bei Brigitte Riepe, Gaststätte Unter den Linden, am Brackweder Friedhof. Unsere Gruppe hatte sich auf ca. 10 – 15 Leute reduziert, lediglich zu Ostern, Erntedank und Weihnachten waren wir ein paar mehr. Auch der Gesundheitszustand meines Mannes verschlechterte sich immer mehr. Das Lokal Unter den Linden schloss 2008. Und auch wir, „der geschmolzene Rest“, traf sich nur noch hin und wieder zu Klön-Nachmittagen.
Heute sind wir nur noch sechs Glogauer: Renate Wilhelm, Heinz Witt, Kurt Bartsch, Günter Werner, Wolfgang Zimmerling und ich.

Als Anerkennung für meinen und meines Mannes jahrzehntelanges Bemühen um unsere Bielefelder Heimatgruppe und dem Glogauer Heimatbund erhielten wir beide die „Große Goldene Ehrennadel“. Mein Mann wurde auch 1999 zum Ehrenvorsitzenden des Glogauer Heimatbundes gewählt.

Beim Erzählen von dieser langen Zeit, fast 60 Jahre, staune ich sehr, wie viel Schönes wir alle miteinander erlebt haben. Die schrecklichen Kriegs- und Nachkriegserfahrungen sind zwar eine düstere Vergangenheit, aber wir haben in einer neuen wundervollen Gemeinschaft mit unseren Glogauer Heimatfreunden herrliche Erlebnisse gehabt.

Heimweh

Mein Herz ist traurig, ihm ist so bang,
es leidet, es leidet, es ist heimwehkrank.
Ich kämpfe dagegen, setz' mich zur Wehr,
ist's stärker, die Last drückt zentnerschwer.

Heimweh, du frisst wie ein nagender Wurm,
verwüstest, zerbrichst wie ein tobender Sturm,
du nimmst mir mein' Frohsinn und mein Lachen,
lässt mich die dunklen Nächte durchwachen.

Was bist du Heimweh mit deiner Pein,
Sehnsucht nach einem verlorenen Sein?
Nach Heimat und Herd,
nach lieben Menschen, die teuer und wert?

Heimweh, du machst vor keinem Halt,
ob arm, ob reich, ob jung, ob alt,
Heimweh, warum wohl Gott dich schuf,
verstehen wir recht deinen ernsten Ruf?

Würden nach dem Warum wir fragen,
ob es nicht würde zur Antwort sagen:
Hast du wohl je in den Erdentagen
auch einmal Heimweh nach Gott getragen?

Elisabeth Machowiak

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