Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 3, März 2013

Die österliche Zeit in unserem Heimatort Rostersdorf

 

von Albert Kuntke

In der Rostersdorfer Kirchenchronik wird berichtet, dass im Jahre 1785 ein sehr strenger, lang anhaltender Winter mit großen Schnee- und Eismassen war. Der 1. März 1785 wurde als der kälteste Tag des Jahres bezeichnet. Die Oder war am 10. April noch fest zugefroren; erst am 14. April setzte das Tauwetter ein.
Nicht nur in Schlesien und Deutschland war jener Winter so streng, sondern auch in Südfrankreich und England - also ziemlich in ganz Europa - herrschte dieser ungewöhnlich harte Winter. „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche", wie es in Goethes „Faust" heißt, das war der Wunsch der Menschen unserer Heimat, wenn im Monat März die Sonne ihre Strahlen herniedersandte und die letzten Reste des Schnees in Tälern, Ecken und Winkeln vergingen. Unsere liebe alte Oder schickte ihre „Brieger Gänse", wenn auch krachend und polternd, der Ostsee zu; in ruhiger Strömung konnte sie ihre Arbeit, die vollbeladenen Kähne auf ihrem Rücken durch unsere Heimat zu tragen, aufnehmen.
An den Bäumen und Sträuchern bildeten sich die ersten Knospen. An geschützten Stellen blühten Krokusse und Schneeglöckchen, wo die Sonne hinkam, waren sogar schon Veilchen zu entdecken, mit ihren violetten Blüten wandten sie sich durch das trockene Laub. Die Lerchen schwangen sich mit ihrem Liede in die Lüfte, der Bauer bereitete den jungfräulichen Boden zur Aufnahme des Samens, um durch die ewigen Naturgesetze, durch Sonne, Regen und Wind, das Wachsen, Blühen und Reifen der Ernte zu bewirken.
Der Sonntag Laetare war es dann, der von den schlesischen Kindern mit Sehnsucht, erwartet wurde. Da hob das Sommersingen an, ein alter Brauch, einst von unseren Ahnen, den schlesischen Siedlern und Landnehmern, aus ihrer westdeutschen Heimat nach dem Osten, nach Schlesien, gebracht.
In den frühen Morgenstunden - manchmal war es noch recht kalt - wenn die ersten Sonnenstrahlen durchbrachen, zogen größere und kleinere Trüppchen von Kindern mit ihren geputzten Sommerstöcken, umgehängten Taschen und Körbchen von Haus zu Haus. Auch der Herr Pastor und der Kantor wurden nicht ausgelassen. Dabei sangen die Kinder ihre Lieder, das klang manchmal schön und manchmal war es auch schrecklich anzuhören:

„Der Herr, dar hot a hohen Hutt,
a is a jungen Madeln gutt!
Frau Wirtin steht wohl in der Tür,
hott ne scheene Schürze für,
ne Schürze mit am Bande,
ist die schönst' im Lande!"

Es wurden noch viele andere Lieder gesungen, auch das schöne und sinnvolle:
„Der Sonntag ist gekommen,
ein Sträußchen an dem Hut,
sein Aug' ist mild und heiter,
er meint's mit allen gut!"

Langsam füllten sich die Taschen der Kinder mit den wunderbar schmeckenden Schaumbrezeln, wie sie wohl nur die schlesischen Bäcker zu backen vermochten und die gewiss viel Arbeit bereitet haben. Die Kinder bekamen von den „Frau Wirtinnen" auch Eier oder Schokoladenplätzel oder auch einen „Böhm".

Auch der Gründonnerstag war für die Kinder von Bedeutung. Am Mittwochnachmittag wurde mit großem Eifer in einer Ecke des Hofes oder im Garten fein säuberlich - vielleicht mit Moos ausgepolstert - für den Osterhasen ein Nest gebaut, dass sich das „Hoasemuckel" freuen sollte, wenn es die Eier hineinlegen wollte. Die Mutter fragte dann - noch am Mittwochabend - gelegentlich, wo das Nest denn wäre, dass der Osterhase nicht etwa vorbeiliefe.

In der Frühe des Gründonnerstages, gleich nach dem Aufstehen, ging es dann im Trab zum Nest. O welche Freude, fein zugedeckt fanden die Kinder die gerade gelegten, noch warmen Eier, grün gefärbt oder rotfarbig, und wie gut schmeckten sie! O selige Kinderzeit!
Die Konfirmation fand am Sonntag Palmarum statt. Durch die große Kirchgemeinde war die Zahl der Konfirmanden immer recht beachtlich. Von den auswärtigen Gästen - Patenonkeln, Patentanten, Verwandten und guten Freunden -, die der Feier in unserer Kirche beiwohnten, wurde immer betont, dass diese bei uns stets besonders festlich gestaltet sei, wie in nur wenigen Kirchengemeinden. Es war eine alte Sitte, die unser Pastor Hollenberg von seinem Vorgänger - Herrn Pastor Engelmann, der von 1840 bis 1888 zum Segen der Gemeinde in Rostersdorf wirkte - übernommen hatte: Die Gesänge der Konfirmanden selbst, die, als Pastor Hollenberg 1923 von Rostersdorf weggegangen war, leider aufhörten.
In unserer Schule versammelten sich die Konfirmanden mit ihren Lehrern und gingen in feierlichem Zuge zur Kirche. Am Hauptportal empfing sie der Pastor mit den Worten: „Gott segne euren Eingang und Ausgang", und führte sie zum Platz vor dem Altar, wo die Mädchen rechts und die Jungen mit dem Lehrer auf der linken Seite Platz nahmen. Als Eingangslied wurde gesungen: „Ich bin getauft auf deinen Namen." Dann folgte die Liturgie. Die Predigt - sie wurde vom Altar aus gehalten - beinhaltete die Bedeutung des Tages. Dann sangen die Konfirmanden mit erster und zweiter Stimme, die Lehrer ließen dazu ihre Bässe ertönen:
„Lass' diese heil'ge Stunde,
Gott, uns gesegnet sein.
Dir, Heiligster, Dir wollen
Wir Herz und Leben weih'n!
Wir wollen jede Sünde
Und jedes Unrecht flieh'n,
Um wirklich gut zu wandeln
Mit Eifer und Bemüh'n.
O blicke Du mit Segen,
Jetzt, Gott, auf uns herab,
Und lass' uns dem Gelübde
Getreu sein bis ins Grab!"
Danach wurde von einem der Konfirmanden oder einer der Konfirmandinnen das Gelübde gesprochen, einmal war es ein Junge, im nächsten Jahr war es dann ein Mädchen. Der Sprecher musste am Altar stehen und ließ seine Worte durch unser altes Gotteshaus tönen:

„Wir folgen Dir, wir folgen Dir!
Lass' nicht von Deinem Pfad uns weichen,
Nicht gleiten von des Lebens Bahn.
Nie soll der Blick von Dir sich wenden,
Der uns den Himmel aufgetan.
Die Welt mag hassen, höhnen, dreuen,
Wir bleiben Dein, wir bleiben Dein!"

Danach folgte die Einsegnung durch Auflegen der Hand auf das Haupt des Konfirmanden und die Überreichung des Konfirmationsspruches. Ehe das Heilige Abendmahl empfangen wurde, sangen wir - wiederum mehrstimmig - den Choral:

„Wir nahen uns dem Dankaltar,
dem heiligen Bundesmahl,
des Stifter Jesus Christus war,
das Sterben er empfahl. -
Lass' und - o Gott - mit seinem Tod
noch auf sein heiliges Gebot
der Menschen Lieb' vergessen nicht,
bis sterbend unser Auge bricht:
Vergessen nicht, vergessen ewig nicht.
Er nahm das Brot, den Kelch reicht' er
den Seinen scheidend hin,
sah in dem Kreise um sich her,
sprach mit bewegtem Sinn:
,So oft ihr von dem Brote esst
und aus dem Kelche trinkt, vergesst
des Freundes nicht, der euch geliebt,
am Kreuz sein Leben für euch gibt,
vergesst ihn nicht, vergesst ihn ewig nicht!'
Jetzt stehn wir - Deine Kinder - hier,
Herr, und gedenken Dein.
Am Bundesaltar schwören wir,
Dir ewig treu zu sein.
O leit' uns auf der Tugend Bahn,
zum Sitz der Seligen hinan,
steh' uns in der Versuchung bei,
und wenn wir straucheln, so verzeih!,
verwirf uns nicht, verwirf uns Schwache nicht!“
Mit Gebet und Segen wurde die kirchliche Feier beendet. Danach wurde im Familienkreise - zu dem sich die Paten und die nächsten Verwandten gesellten - eine schlichte Feier veranstaltet. Die Abendmahlsfeiern am Gründonnerstagnachmittag und Karfreitag wurden von den Bewohnern unseres Kirchspieles auch immer sehr gut besucht. Dann endlich war das Osterfest da! In der Kirche klang es jubelnd:
„Auferstanden, auferstanden
ist der Herr,
und in ew'gen Lichtgewanden
der Verklärung wandelt er!"

Überall herrschte bei den Menschen unserer Heimat zum Osterfeste Fröhlichkeit: Der Winter war zu Ende, die Erde begann zu grünen, und die Natur schmückte sich, Christus war auferstanden! Wenn sich die Menschen ein „gesegnetes Osterfest" wünschten, dann lag diesem Wunsche ein tiefer Sinn, ein Segenswunsch, zugrunde.

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