Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2013

Silvester und Neujahr in Rostersdorf Kreis Glogau

 

Von A.Kuntke

Die Zeit zwischen den Festtagen - zwischen Weihnachten und Neujahr - war nur kurz. Besonders die Hausfrauen und Bäuerinnen kamen während dieser Tage kaum zur Ruhe. Da gab es doch mancherlei, was bis Weihnachten nicht erledigt worden war und was im alten Jahre noch getan werden sollte. Also hatten die Frauen meistens alle Hände voll zu tun, um ihre Vorhaben erledigen zu können.
Die Kinder benutzten die Tage, um sich an der frischen Luft in Eis und Schnee zu tummeln. Und das Spielzeug, das der Weihnachtsmann gebracht hatte, musste „ausprobiert" werden, galt es doch festzustellen, ob es gut und haltbar war oder ob es sich in seine Bestandteile auflösen ließ. Manches Spielzeug, das am Weihnachtsabend unter dem Lichterbaum gelegen hatte, erhielt schon den Garaus nach den Festtagen oder vor dem Jahresende.
Die Jahresabschlussfeier in unserer Kirche begann schon um 16 Uhr, damals sagte man „um viere". Alle abkömmlichen Familienangehörigen nahmen daran teil. In der Kirche brannten die Kerzen in den Kronleuchtern. Uns ergriff jedesmal - wenn wir zur Jahresabschlussfeier in unserem alten Gotteshaus saßen - das innig-heimatliche und vertraute Gefühl einer glücklichen Geborgenheit, so, als könne es niemals anders werden ...
In jedem Jahr wurde bei uns - und sicher nicht nur bei uns, sondern in allen evangelischen Kirchen Schlesiens und anderer Provinzen - das Lied gesungen:
„Das Jahr geht still zu Ende,
nun sei auch still, mein Herz.
In Gottes treue Hände
leg' ich nun Freud' und Schmerz,
und was dies Jahr umschlossen,
was Gott der Herr nur weiß,
die Tränen, die geflossen,
die Wunden brennend heiß."

Dieses Liedes letzte Strophe, das die Fürstin Eleonore Reuß unweit ihres Rittergutes Jänkendorf im Kreise Rothenburg in der Oberlausitz gedichtet hatte, lautete:
„Hilf du uns durch die Zeiten
und mache fest das Herz,
geh' selber uns zur Seiten
und führ' uns heimatwärts.
Und ist es uns hinieden
so öde, so allein,
oh, lass in deinem Frieden
uns hier schon selig sein."

In der Predigt erinnerte der Pastor an die wichtigsten Begebenheiten des vergangenen Jahres. Und war der Gottesdienst zu Ende, dann läuteten die Glocken vom Turme eine Stunde lang das alte Jahr aus.
Zum Abendbrot, das wir dann daheim einnahmen, gab es Fisch oder Bratwurst. In meiner Kinderzeit aßen wir Hirse. Und zum Schluss durften natürlich die Mohnklöße nicht fehlen. In den allerletzten Stunden des alten Jahres wurde Blei gegossen, um - so sagte der Volksglaube - einen Blick in die Zukunft werfen zu können. Und die versammelte Familie trieb auch zum Zeitvertreib mancherlei lustige Spiele. Unser Nachbar Tscheuschler versuchte, durch Abblättern einer Zwiebel mit ihren vielen Häuten ein trockenes oder ein nasses Jahr zu prophezeien. Und Trockenheit oder Nässe waren für die Landwirtschaft und den Ertrag der Felder natürlich von Bedeutung. Manche Hausfrau ging schnell noch einmal auf den Boden, um festzustellen, ob auch ja die Wäscheleine abgenommen war. Ließ man sie über den Jahreswechsel hängen, dann bedeutete das nach dem Volksglauben Unglück.
Und dann schlug die Uhr zwölfmal. Das neue Jahr wurde - je nachdem, wie die Familie eingestellt und gesonnen war - entweder mit Stille und Gebet oder aber auch mit einem steifen Grog, Rum oder Punsch begrüßt. Damals wurde die Jahreswende fast nur im engen Familienkreise gefeiert.
In der Frühe des nächsten Tages - des Neujahres - wurde von fünf bis sechs Uhr das neue Jahr vom Kirchturm eingeläutet. Da erklangen unsere Glocken über der verschneiten Landschaft unserer nordschlesischen Heimat. Zur Kirche ging dann alles festlich gekleidet. Mancher Bauer, manches Gemeinderatsmitglied setzte zum Kirchgange den Zylinder auf. Die Gutsherrschaften saßen mit ihren Angehörigen in den Logen. Aus den Dörfern, die zu unserer Kirche gehörten, strömte jung und alt zum Gottesdienst herbei.
Wenn ich mich recht erinnere, so wurde als Hauptlied während des Neujahrsgottesdienstes das Lied von Paul Gerhardt gesungen:
„Nun laßt uns gehn und treten
mit Singen und mit Beten
zum Herrn, der unserm Leben
bis hierher Kraft gegeben.
Wir gehn dahin und wandern
von einem Jahr zum andern,
wir leben und gedeihen
vom alten zu dem neuen."

In der Neujahrspredigt legte der Pastor den Kirchgängern ans Herz, darum bemüht zu sein, stets das Gute zu tun. Und zum Schluss des Gottesdienstes wurde eines Vermächtnisses gedacht, das unsere Kirche dem Herrn vom Berge aus Schabitzen und Ilgowitz verdankte. Zum Gedächtnis dieses Vermächtnisses und des Testators sangen wir das von Marlgraf Albrecht zu Brandenburg gedichtete Lied:
„Was mein Gott will,
das gescheh' allzeit;
sein Wille ist der beste;
zu helfen ist er dem bereit,
der an ihn glaubet feste!"

Dazu spielten die Posaunen und vom Turme läuteten die Glocken. Es war ein frommer, christlicher Brauch, der unsere Herzen erhob und uns die Schönheit unseres Glaubens und die Verpflichtungen, die wir als Christen auf uns genommen hatten, deutlich werden ließ.
Nach dem Gottesdienst wünschten sich dann alle Kirchenbesucher ein gesundes und frohes Neujahr. Dabei wurden Hände geschüttelt und freundliche Blicke getauscht, herzliche Worte gesprochen und einander Hochachtung und Wertschätzung bekundet.
Daheim wurde dann das Mittagsmahl - ein gutes und reichliches - eingenommen und wer nicht selbst Besuch bekommen hatte, der unternahm Besuche bei Nachbarn, Verwandten und Freunden. Mit dem Neujahrstage war dann die große Zahl der Festtage beendet. Der Alltag nahm wieder seinen Lauf.

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