Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2012

Unser Storchennest in Gramschütz

 

von Hans Weilandt

 

Auf unsrer Wiese gehet was,
watet durch die Sümpfe.
Es hat ein schwarzweiß Röcklein an,
trägt auch rote Strümpfe.
Fängt die Froschlein schwappdiwapp,
klappert mit dem Schnabel klapperdiklapp.
Wer kann das erraten?

Die Frage ist nicht schwer zu beantworten, denn es handelt sich natürlich um unseren allbekannten Storch, genauer gesagt, den Weißstorch, mit dem wissenschaftlichen Namen Ciconia ciconia. Im Gegensatz zum scheuen und seltenen Schwarzstorch, der versteckt in tiefen Wäldern lebt.
Auch wir Gramschützer freuten uns immer über unser Storchenpaar. Das Nest befand sich auf dem Scheunendach des Bauern Erich Hentschel.
Wenn Ende März der erste Storch wieder sein altes Nest bezogen hatte, freuten wir uns natürlich jedes Jahr und wir Kinder begrüßten ihn freudig:
Storch, Storch, guter,
bring mir einen Bruder,
oder
Storch, Storch, bester,
bring mir eine Schwester.

Hatte man uns doch in jungen Jahren erzählt, dass der Klapperstorch die kleinen Kinder bringen würde, die Mama dabei ins Bein beißt, so dass sie ins Krankenhaus musste. Das wollte aber ein neunmal kluger, aufgeweckter Junge doch nicht glauben. Als man ihm wieder die alte Geschichte vom Kinderkriegen erzählen wollte, fragte er voller Zweifel erstaunt: „Was, erst die schwere Geburt und dann noch der Biss ins Bein?"
Einige Tage kam dann die Störchin nach und die Freude war bei beiden groß. Da wurden die Köpfe abwechselnd auf den Rücken gelegt und die Klapperzeremonie wollte schier kein Ende nehmen. Aber bald ging es an die Arbeit. Das Nest musste ausgebessert werden, denn es hatte über den Winter durch die Witterungseinflüsse doch gelitten. Gemeinsam ging es voran und man sah sie mit Ästen und Zweigen angeflogen kommen. Als letztes wurde es dann noch mit Moos ausgepolstert. Wenn die Kinderstube fertig war, folgte die Paarung und die Störchin legte drei oder vier Eier ins Nest, die sie meist in ca. dreißig Tagen, meist allein, ausbrütete. Nur, wenn sie mal selbst auf Futtersuche das Nest kurz verließ, setzte sich Herr Storch auf die Eier, denn sie durften nicht auskühlen. Wenn dann die Jungen geschlüpft waren, begann für sie Alten eine harte Zeit, denn nun hieß es, die hungrigen Schnäbel zu stillen. Zuerst mussten die Jungen mit Würmern, Insekten, Schnecken und anderem Kleinfutter hochgepäppelt werden, das Vater Storch heran brachte, während Mutter Storch den Nachwuchs huderte, also wärmte und vor Regen oder Unwetter schützte. Nach etwa drei Wochen konnte man zum ersten mal erkennen, wieviel Eier
gelegt und ausgebrütet wurden, indem die jungen Störche standen und über den Nestrand schauten. Nun fütterten beide Alttiere und flogen in Richtung Teichvorwerk, wo sie reichlich Mäuse, Ratten, Frösche, Fische und anderes Getier fanden. Nach 8-10 Wochen hüpften sie dann flügelschlagend im Nest herum und probierten schon für den ersten Ausflug. Und eines Tages war es dann soweit, denn Ende August mussten sie fit sein für die große Reise nach Afrika. Nach Beringungen wusste man ja, dass unsere Störche den Weg über den Balkan und Bosporus wählten, im Gegensatz zu den westeuropäischen Kollegen, die den Weg über Gibraltar nahmen, um im südlichen Afrika zu überwintern.
Ich erinnere mich, als gegen Abend eines Tages ein ganzer Schwarm Störche auf ihrer Reise in den Süden in Gramschütz Rast machte. Es mögen etwa ca. 40-50 Stück gewesen sein, die sich auf dem Geländer des Turmes und dem Dach der evangelischen Kirche niedergelassen hatten. Das Staunen der Leute, über dieses Naturschauspiel, war natürlich groß. Am nächsten Morgen war aber alles wieder vorbei, außer ein paar weißen Flecken auf dem Kirchendach, war nichts mehr zu sehen. Wer erinnert sich noch daran?
Wer einen Storch aus allernächster Nähe sehen wollte, konnte ihn im kleinen Glogauer Tierpark betrachten. Dort stolzierten ein oder zwei flugunfähige Klapperstörche umher. Interessant wäre es heute zu wissen, in welchen Dörfern unseres Heimatkreises es besetzte Storchennester gegeben hat. Ich schlage vor, nach 65 Jahren eine Storchenzählung zu machen. Schreiben Sie bitte an den Glogauer Heimatbund nach Hannover, wo dies der Fall war. Ich würde mich sehr freuen.

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