Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 12, Dezember 2011

Weihnachtliche Kleinstadt Schlawa

 


Von einer Heimatfreundin, die ihre Kinderjahre in Schlawa zubrachte, habe ich mir erzählen lassen, was Schlawa gerade in der Weihnachtszeit für ein zauberhaftes Städtel war, so, als sei es aus einer Spielzeugkiste für staunende und glücklich beschenkte Kinder aufgebaut worden. Die Schlawaer Kinder hatten schon immer eine weihnachtliche Vorfreude, wenn kurz vor dem Weihnachtsfest in den vereisten Schlawaer See Löcher geschlagen wurden, um die Karpfen herauszuholen, die dann als „Weihnachtskarpfen" ins ganze Schlesierland und sogar bis nach Berlin verschickt wurden. Wenn die Eislöcher gehackt wurden, dann sahen die Kinder natürlich gerne zu, das war etwas Besonderes, etwas Reizvolles, was ihrem Kinderdasein Abwechslung verlieh.
Und natürlich nahmen die Schlawaer Kinder - auf jeden Fall die katholischen - des Morgens an den Rorate-Messen teil, die vom 1. Advent bis zum Heiligen Abend, dem 24. Dezember, in der Kirche stattfanden. In diesen Wochen der Vorbereitungen und der Heimlichkeiten führte also der erste Weg der Kinder nicht zur Schule sondern in die Kirche. Hier wurde dann von der Gemeinde das „Ecce dominus" gesungen. Diese Rorate-Messen sollten eine Vorbereitung auf das Kommen Christi sein, als solche wurden diese morgendlichen Messen auch von den Kindern betrachtet, die deshalb nicht etwa ärgerlich oder traurig waren, so früh schon in die Kirche gehen zu müssen.
Die Schlawaer Kauf- und Geschäftsleute schmückten auch ihre Schaufenster vor dem Fest ein bisschen weihnachtlich. Die Sattlerei von Otto Mattner, wo es Kinderwagen und auch Spielzeug zu kaufen gab, hatte ein bunt geschmücktes Schaufenster. Der jüdische Kaufmann Jacobowski am Markte, der mit Stoffen handelte, hatte seinem Schaufenster auch ein weihnachtliches Aussehen verliehen. Und auch die Lebensmittelgeschäfte von Neumann und von Fuhrberg, beide waren am Schlawaer Markte zu finden, hatten ihre Schaufenster weihnachtlich geschmückt, so dass die Kinder sich manchmal ihre Nasen daran platt drückten, um alle die ausgestellten Herrlichkeiten, Schokolade, Marzipan, rote Äpfel, bunte Baumkerzen, Rosinen, Mandeln, Zitronat, sehen und bestaunen zu können.


Den Höhepunkt des Weihnachtsfestes aber bildete neben der Einbescherung in der Familie der Gottesdienst des Nachts um 12 Uhr in der katholischen Kirche. Die Kinder mussten natürlich vorher ins Bett, um noch etwas zu schlafen, aber sie wurden rechtzeitig geweckt, standen dann schnell auf und zogen sich warm an. Durch die weihnachtlich verschneite Stadt gingen sie an der Seite der Eltern dann in die Kirche, die anlässlich der Mitternachtsmesse in der Christnacht immer voll besetzt war. Denn nicht nur die Schlawaer kamen zur Mitternachtsmesse, auch die katholischen Bauern aus Laubegast und Rädchen blieben diesem Gottesdienst zu mitternächtlicher Stunde nicht fern. Sie kamen mit Pferd und Wagen zur Stadt und ließen während der Messe die Wagen wie die Pferde auf dem Kirchplatze stehen.
Die Kirche sah weihnachtlich aus! Rechts vom Hochaltar hatte der Marienaltar seinen Platz, dort stand ein Madonnenbildnis, vor dem viele Kerzen brannten. Am Marienaltar war auch eine Krippe aufgebaut, die die Kinder staunend betrachteten. Es gab auch Christbäume in der Kirche, die mit brennenden Kerzen geschmückt waren. Kantor Hein saß an der Orgelbank und ließ sein schönstes Orgelspiel vernehmen. Der Kirchenchor, dazu gehörten Männer und Frauen Schlawas und der Ortschaften, die zur Schlawaer Kirche zählten, sangen das „Transeamus", dazu spielten Geigen die wunderschönen Melodien dieses alten, festlichen Hirtengesanges zur Weihnacht. Ja, das war gewiss schön, die Schlawaer, die an solchen Mitternachtsmessen jemals teilgenommen haben, vergessen das Hochgefühl der festlichen, weihnächtlichen Stimmung niemals!
Die Glocken hatten geläutet, wenn sich die Kirchgänger kurz vor Mitternacht auf den Weg zum katholischen Gotteshause begaben, sie läuteten auch auf dem Heimweg durch die verschneite Winternacht. Manchmal schneite es noch in der Christnacht, manchmal war es auch sternenklar; dann standen die Sterne hoch am Himmel und blickten auf die verschneite Kleinstadt am Schlawaer See mit ihrem großen Marktplatz, mit den beiden Kirchen - der katholischen wie der evangelischen - mit dem winterstillen Park und der weiten, weiten Fläche des Sees hernieder.
Auch daheim - im Elternhause unserer Heimatfreundin, die mir diese Erinnerungen erzählte - gab es einen geschmückten Weihnachtsbaum mit Lichtern, gab es selbst gebackene Pfefferkuchen und Stollen, gab es Mohnkuchen und Mohnklöße, Karpfen mit Pfefferkuchentunke. Einmal hatte die Familie gar einen Weihnachtsbaum aus dem Riesengebirge, der seinen Weg bis nach Schlawa gefunden hatte.
An den Feiertagen tummelten sich die Schlawaer Kinder auf ihren Schlitten. Die Rodelbahn führte vom Sportplatz bis an das Ufer des Sees, wo sich die Badestelle befand. Auch die Eltern unserer Heimatfreundin gingen mit zum Rodeln; es waren also festliche und gemütliche Tage, diese Weihnachtsfeste in der Heimat! Die Kinder freuten sich der Geborgenheit im Elternhause, die Eltern waren glücklich, ihren Kinder Freude bereiten zu können und Zeit für sie zu haben, mehr jedenfalls als an den anderen Tagen des Jahres, da Arbeit und Broterwerb, Pflichten und Sorgen ihren Teil forderten.

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