Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 12, Dezember 2011

Schlichtingsheimer Weihnacht

von H. Gutsche


Der Nikolaustag hat mit seinem Zauber die Weihnacht eingeläutet - auch in Schlichtingsheim. Die Schaufenster bei Hauffe, Scholz, Vierich und Kaiser, bei den Bäckern und Fleischern sind weihnachtlich mit Tannengrün und bunten Lichtern, mit Christbaumbehang und Zuckerkringeln geschmückt. Doch alles bleibt in bescheidenem Rahmen. Und es ist eine Freude, der kindlichen Phantasie die Zügel schießen zu lassen ob all der Wunderdinge, die sie hervorzaubert. In der Folgezeit macht Knecht Ruprecht mit seiner schrecklichen Larve aus Papiermache und mit seiner Rute und dem Sack auf dem Rücken in der abendlichen Dunkelheit die Gegend unsicher. Die Kinder aber lernen fleißig ihre Rollen für das Weihnachtsspiel bei der Einbescherung der Alten durch die Frauenhilfe oder sie arbeiten an Überraschungen für die Eltern und Geschwister. Und es riecht nach Pfefferkuchen!
Endlich ist der denkwürdige Tag der Christvesper, der Heilige Abend, Wirklichkeit. Auf allen Straßen ziehen die Menschen - fröhliche Kinder und sinnende Erwachsene - gegen 5 Uhr nachmittags aus Attendorf, Schwusen, Wilkau, Hinzendorf und Gurschen heran und vereinigen sich mit den Schlichtingsheimern zur großen Festgemeinde. Mancher, der sonst abseits der kirchlichen Feiern steht, lässt es sich nicht nehmen, an diesem Tage dabeizusein. Er kann sich dem Zauber der Weihnacht, der Botschaft von der Geburt des Jesuskindes, nicht entziehen. Sind es Gedanken der eigenen Kindheit, des eigenen Erlebens, die ihn an diesem Tage in die Kirche treiben?
Schneeflocken tanzen herab. Sie bestreuen die Wege festlich und setzen dem Kirchturm eine weiße Kappe, eine festliche Kopfbedeckung, weil es ja Weihnachten ist, auf. Die Glocken läuten. Durch die Fenster der Kirche dringt der Schein der Kerzen. Er lässt die Herzen warm werden. Neugier regt sich, noch bevor wir das Gotteshaus betreten haben. Die Kirchentür öffnet sich. Ein wundervolles Bild bietet sich unseren Augen dar: Rechts und links des Altars stehen die hohen Tannen aus dem Forst des Kirchenpatrons von Schlichting im strahlenden Lichterglanz. Ringsum auf den Emporen leuchten die hölzernen Pyramiden mit Hunderten bunter Kerzen. Ein unvergessliches Bild!
In dieses Lichtermeer hinein braust der Orgelklang, tönt der Weihnachtsgesang, ist die Weihnachtsgeschichte zu hören. Und dann? Ja, dann ist der Augenblick gekommen, der die Gemüter bewegt, die Menschen besinnlich und nachdenklich werden lässt, der Vergangenheit und Gegenwart miteinander vereint und hoffnungsvoll in die Zukunft weist. Der Quempas, ein Christnachtsgesang, dessen Entstehen bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht: 1555 wurde er zum allerersten Male im „Schlesischen Singebüchlein" veröffentlicht. Nach vielfachen Abänderungen führte er in Schlichtingsheim zu folgendem Gesang:
Jauchzet, Völker, Gott zu Ehren
singt in frohen Jubelchören!
Erd' und Himmel soll es hören:
Gottes Sohn ist Mensch geboren!
I. Chor:
Fallt nieder vor des Höchsten Thron!
Gott hat die Welt geliebt.
O preiset - Christen - Gottes Sohn,
den er zum Heil uns gibt.

Nach jedem Chorgesang folgte ein Einzelgesang:
Gottes Sohn ist Mensch geboren,
ist Mensch geboren,
hat versöhnt seines Vaters Zorn,
seines Vaters Zorn!
Halleluja!

Die zweite Strophe lautete:
Dort, wo Bethlehems Hirten weiden,
singen Engel, große Freuden
lässt Gott allem Volk bereiten,
Gottes Sohn ist Mensch geboren!

Und der zweite Chor sang jetzt:
Er kommt, der längst gewünschte Held,
und mit ihm Freud' und Glück.
Er bringt zum Segen für die Welt
verlor'nes Heil zurück!

Danach ertönte wieder der Einzelgesang:
Gottes Sohn ist Mensch geboren.

Dann folgte die dritte Strophe:
Er will Sündern Frieden geben,
seinen Brüdern Heil und Segen,
sie zum Himmel einst erheben.
Gottes Sohn ist Mensch geboren.

Und der dritte Chor sang nun:
Betrübter Sünder, freue dich,
Gott ist nun unser Freund,
in Christum liebt er dich und mich,
wir sind mit ihm vereint.

Unser Schlichtingsheimer Christnachtgesang hatte noch eine vierte Strophe:
Singt zu unseres Gottes Ehren,
singt in frohen Jubelchören,
Erd' und Himmel soll es hören:
Gottes Sohn ist Mensch geboren.

Und dann folgte der Gesang des vierten Chores:
Gelobt sei Gott, gelobt sein Sohn,
sei unser Lobgesang.
Lobt, Engel, ihn vor seinem Thron!
Wir singen: Ewig Dank!

Predigt und Schlussgesang verhallen. Die Helle umschließt noch einmal die Gemeinde. Die Glocken läuten. Die Kinder eilen ins Freie, zum Marktplatz. Die Christbäume werfen ihren Kerzenschein durch die Scheiben. Leuchtkugeln steigen. Buntfeuer bengalischer Streichhölzer leuchten auf. Fackelschein erstrahlt. Er erleuchtet den Kirchgängern den Weg durch die verschneite Landschaft bis zu ihren Dörfern und dem entlegensten Haus.
Die Stunde der Einbescherung ist gekommen.
„Die Kinder stehen mit hellen Blicken, das Auge lacht, es lacht das Herz!
O fröhlich, seliges Entzücken. . ."
Die Mütter haben die Christtagsmahlzeit bereitet: Karpfen mit polnischer Tunke und Sauerkraut, manchmal gab es statt des Karpfens auch Krakauer, zum Abschluss aber aßen wir Mohnklöße und tranken Punsch.
0 du fröhliche, selige Weihnachtszeit!

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