4. Erwin Groke (1977-1982)
Im Verlaufe des 14. Bundestreffens des Glogauer Heimatbundes wählte die Hauptversammlung am 10. September 1977 in Hannover den Nachfolger von Georg-Werner Schmidt im Amt des 1. Vorsitzenden: die einstimmige Wahl entfiel auf Erwin Groke, Diplom-Ingenieur.
Erwin Groke ist am 15. Juni 1915 in Doberwitz, Kreis Glogau, das 1937 den Namen Gutendorf erhielt, geboren. Sein Vater war Reichsbahnbeamter. Bereits als Junge zog er nach Fröbel (1922), besuchte aber die Volksschule in Herrndorf, von welcher er zur Städtischen Oberrealschule in Glogau, der „Roten Penne“, überwechselte, auf der er besonderes physikalisches und technisches Interesse zeigte. Er war zur Zeit von Hanna Reitsch Segelflieger in Grunau bei Hirschberg und bestand 1934 das Abitur mit der Note „gut“. Dann wurde er Soldat, technischer Zeichner beim Festungspionierstab in Glogau. Er legte in Berlin an der Reichsfinanzschule die Inspektorenprüfung ab und studierte dank eines Begabtenstipendiums an der Berliner Technischen Hochschule zwei Semester Architektur, bis zum Kriegsbeginn im Jahre 1939.
Während des Krieges stieg Groke bis zum Hauptmann (Infanterie) auf, wurde wiederholt verwundet, zum Heereswaffenamt in Berlin abkommandiert und geriet im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Beim Neuanfang arbeitete er als Bauarbeiter und Technischer Angestellter in seinem neuen Zuhause Lüneburg und schloss 1950 das Architekturstudium an der Technischen Hochschule zu Hannover mit einer sehr guten Diplomarbeit ab. Seine Ehefrau Erika, die er noch 1944 in der Heimat geheiratet hatte und Mutter von vier Kindern, zwei Söhnen und zwei Töchtern, wurde. Von 1957-1960 wirkte Groke als Stadtbaurat in Schwabach (Hessen) und später in Peine.
Georg Danckert, einstiger Redakteur des „Neuen Glogauer Anzeigers“, schrieb 1980 anlässlich des 65. Geburtstages von Groke u.a.:
„Wenn der Vorstand des Glogauer Heimatbundes plant und berät, Tagung oder Treffen vorbereitet, dann steht ein Bundesvorsitzender an führender Stelle, dessen Persönlichkeit leidenschaftliche Heimatliebe ausstrahlt, der aber mit Besonnenheit und gründlicher Vorausschau die Ziele anstrebt und mit Tatkraft und Durchsetzungsvermögen bis in die kleinsten Details überdenkt und voll verantwortlich für genaue Ausführung Sorge trägt: Dipl.-Ing. Erwin Groke, Architekt und Stadtbaurat a.D. Am 15. Juni wird er 65 Jahre; aber Lebenskraft und Schwung im Auftreten des Mannes Groke lassen keinen Gedanken an die Jahre aufkommen. [. . .]
Wie lange schon besteht der Glogauer Heimatbund! Erwin Groke war von Anfang an dabei. Wie lange bestehen die ostdeutschen Landsmannschaften! So lange ist auch Erwin Groke in der Vertriebenenarbeit tätig. Peine kennt ihn als Kreiskulturreferent und Sprecher der Schlesier. Zwischen 1970 und 1980 war Groke Sprecher der VAGO, der Vereinigung der Abiturienten der Glogauer Oberrealschule und hat als solcher das Treffen zum 70jährigen Bestehen der Oberrealschule Glogau im Jahre 1977 in Hannover organisiert und besonders eindrucksvoll ausgestaltet.“
Groke widmete sich seiner Aufgabe als Vorsitzender des Heimatbundes mit großer Energie. 1978 beschloss der Vorstand, zweimal in jedem Monat „allgemeine Vorstandsbesprechungen“ abzuhalten. Nachdem Groke bei Besuchen von Bezirksgruppen und durch Rückfragen festgestellt hatte, dass die Mitgliederlisten der Bezirksgruppenleiter nicht mit den Unterlagen in der Zentrale des Heimatbundes übereinstimmten, mahnte er Genauigkeit an. Die Ehrungen von Mitgliedern sollten auf eine klare Linie gebracht werden. 1979 wurden die drei noch lebenden Mitbegründer des Heimatbundes, Annemarie Felgenhauer, Ella Leukert, Hellmut Rieger, zu Ehrenmitgliedern ernannt. Beim 15. Bundesheimattreffen wurde Groke am 13. September 1980 in der Hauptversammlung von den – sage und schreibe – etwa 800 teilnehmenden Mitgliedern einstimmig wiedergewählt.
Da Groke stark an Kultur interessiert war, setzte er auf diesem Gebiete kräftige und gute Akzente. Einige seiner entsprechenden Aktivitäten seien hier genannt:
1. Mit Wirkung vom 1. Januar 1979 trat der Glogauer Heimatbund korporativ dem „Verein Haus Schlesien“ bei, der damals in Königswinter-Heisterbacherrott einen Gutshof angekauft hatte und zu einem kulturellen Kulturzentrum der Schlesier umgestaltete, das sich im Laufe der Jahre immer mehr entwickelte und auch heute ein viel besuchtes „Vorzeigeobjekt“ und Begegnungszentrum, von Deutschen und Polen, ist, in dem sich auch ein Zimmer mit dem Namen unserer Vaterstadt befindet, das von Glogauern finanziert wurde.
2. Aus Anlass des 1000jährigen Bestehens von Glogau und im Rahmen des 15. Bundesheimattreffens der Glogauer, das in der Patenstadt Hannover stattfand, veranstalteten der Glogauer Heimatbund, die in Hannover ansässige Stiftung Schlesien und die Niedersächsische Landesbibliothek vom 9.-20. September 1980 in den Räumen der letzteren eine Ausstellung mit Werken von Glogauer Kulturschaffenden sowie von schlesischen Kunstgegenständen. Gezeigt wurden u.a. Werke von Richard Finke, Willibald Paschke, Erich Jaekel und Heino Schubert. Zu der Ausstellung, die von Groke gestaltet wurde und einen guten Besuch erfuhr, erschien ein durchaus interessanter, aber nicht sehr ansprechend angefertigter und mit vielen Mängeln behafteter Katalog.
3. Anfang 1981 zeigte der Heimatbund in den Räumen des Hauses Glogau in Hannover-Herrenhausen eine separate Ausstellung mit Schöpfungen des Glogauer Kunstmalers und Kunsterziehers Richard Finke.
4. Ebenfalls 1980 erschien die 20seitige Broschüre „980-1980. 1000 Jahre Glogau an der Oder in Niederschlesien“.
5. Zum 1000-Jahre-Jubiläum von Glogau wurden Gedenkmedaillen in Kupfer und Silber geprägt.
6. Das sehr gründlich erarbeitete und im Jahre 1913 erschienene Standardwerk „Geschichte der Stadt Glogau und des Glogauer Landes“ von Julius Blaschke wurde 1982 vom Heimatbund als unveränderter Nachdruck herausgebracht.
In der Heimatpolitik steuerte Groke einen klaren nationalen Kurs bezüglich der Oder-Neiße-Gebiete und konnte sich dabei auf die damalige Rechtslage und die Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland berufen. Als Werber für Schlesien trug er mindestens bei einem größeren Treffen eine große Schlesierfahne und war als solcher auch im Fernsehen zu erblicken.
Im Vorstand des Heimatbundes und mit dem Beirat gab es manche Probleme, z.B. mit dem Redakteur Hellmut Rieger, den er früher selbst als seinen Nachfolger im Vorsitz vorgeschlagen hatte. Groke war zupackend und forsch, aber vielleicht nicht sehr vorsichtig-diplomatisch. In seinen letzten Lebensjahrzehnten wohnte er wieder in Lüneburg, und am 30. November 2010 ist er im Alter von 95 Jahren auch dort gestorben.
Erwin Groke hat sich ohne Zweifel als Vorsitzender des Glogauer Heimatbundes viele Verdienste erworben. Sein zielstrebiges, energisches, bisweilen aber auch autoritäres Verhalten waren leider dann Anlass für Differenzen zu den anderen Vorstandsmitgliedern. Es gab Auseinandersetzungen und als Konsequenz gab Groke nach seinem Ausscheiden als Vorsitzender des GHB seine Auszeichnung, die „Große Goldene Ehrennadel“ an den Vorstand zurück.
5. Paul Hielscher (1982-1984)
Lag es am normalerweise schlechten, grauen Novemberwetter oder an den heftigen Auseinandersetzungen in der Führungsetage, dass sich zur außerordentlichen Mitgliederversammlung des Heimatbundes am 14. November 1982 in Hannover nur 61 Stimmberechtigte einfanden? Der Vorstand wurde mit Ausnahme der Schriftführerin Maria Schalm komplett verändert und Paul Hielscher aus Berlin mit 57 Stimmen bei 3 Enthaltungen zum Bundesvorsitzenden gewählt.
Hielscher war ein echtes Glogauer Kind, ein Enkel des Wirtes der „Oderterrasse“, und wurde am 19. September 1902 in der Oderstadt geboren, wo der Vater den an der Polnische Str. Nr. 5, später: Blaschkestr., gelegenen "Gasthof zu den drei Linden" besaß. Nach dem Besuch der Volksschule ging er auf die Städtische Oberrealschule und legte dort 1922 das Abitur ab. Von den Lehrern der Anstalt, der er sich immer sehr verbunden fühlte, blieb ihm besonders der Heimatforscher und Vorsitzende des Riesengebirgsvereins Gustav Krause "in lieber Erinnerung". 1922 war Hielscher Mitbegründer der VAGO, der "Vereinigung der Abiturienten der Glogauer Oberrealschule", „Roten Penne“ und übernahm das Amt des Ersten Vorsitzenden der Rotbemützten. Bereits 1921 hatte er sich an der Gründung des "Glogauer Sportvereins von 1921“ beteiligt und war dessen Sportwart geworden, und er machte auch mit im "Glogauer Schwimmverein von 1912".
Beruflich unterzog sich Hielscher einer Banklehre im Glogauer Bankhaus I. Landsberger & Co., das viele Jahre von dem in der jüdischen Gemeinde und als Stadtrat tätigen Immanuel Landsberger geleitet worden war, und arbeitete ab 1925 bei verschiedenen Banken, hauptsächlich in Berlin, daneben von 1927 bis 1929 an der dortigen Universität Jura und Betriebswirtschaft studierend. Sein facettenreiches, bewegtes berufliches Wirken führte ihn 1941 zu einer eigenen Praxis als Steuerberater in der Reichshauptstadt.
Nach 2 1/2 jährigem Soldatendienst bei der Kriegsmarine und Kriegsgefangenschaft war Hielscher in Berlin-Klein-Machnow erneut als Steuerberater tätig, verließ 1969 als Rentner die DDR und arbeitete in der Folgezeit u.a. als Referent für Lastenausgleichsfragen beim Zentralverband für Ostgeschädigte im Deutschlandhaus zu Berlin und ab 1975 erneut als selbständiger Steuerberater in „West Berlin“.
Bereits 1952 schloss Hielscher sich dem "Glogauer Heimatbund an, dem er mit Rat und Tat zur Verfügung stand, so als stellvertretender Leiter der Bezirksgruppe Berlin und als Kassenprüfer des Gesamtbundes. Aus dieser Position heraus erfolgte 1982, zwei Monate nach seinem 80. Geburtstag, die Wahl an die Spitze der vertriebenen Glogauer. Er war über ein Jahrzehnt älter als sein Amtsvorgänger Groke, kam von derselben höheren Schule und ging mit Elan an die Arbeit.
Der Transparenz der Vorstandsarbeit und der Information der Mitglieder des Heimatbundes dienten nun Hielschers „Mitteilungen“ und „Bekanntmachungen aus dem Bundesvorstand“, die im „Neuen Glogauer Anzeiger“ zum Druck gelangten. Von seinen Aktivitäten außerhalb der üblichen Arbeiten seien hier nur zwei erwähnt: 1. Die Teilnahme an der 100-Jahr-Feier des Glogauer Ruder-Clubs „Neptun“ von 1883 am 12. bis 16. Mai 1983 in (Hannoversch-)Münden, mit seinem Grußwort und dem von ihm verfassten ausführlichen Bericht in der Heimatzeitschrift; 2. Die Teilnahme und Begrüßung an der am 13. November 1983 im „Haus Glogau“ zu Hannover-Herrenhausen durchgeführten Gedenkstunde zum Volkstrauertag, bei welcher Prof. Dr. med. Joachim Langhagel, der in Glogau geboren wurde, die Gedenkrede hielt. Seine Bemühungen um das Erarbeiten einer neuen Satzung durch einen eigens dafür eingesetzten Satzungsausschuss führten nicht zum gewünschten Erfolg. Die in der Amtszeit Erwin Grokes entstandenen Streitigkeiten belasteten die Vorstandstätigkeit sehr.
Einen kleinen Einblick in Hielschers Persönlichkeit ermöglichen die Worte, die er 1983 anlässlich des im Jahre zuvor erfolgten Nachdruckes der „Geschichte der Stadt Glogau und des Glogauer Landes“ von Julius Blaschke schrieb:
“…Zur Belohnung für meine gelungene Versetzung Ostern 1914 von der Sexta der Glogauer Oberrealschule bekam ich als frischgebackener Quintaner von meinem Vater die Erstausgabe des „Blaschke" vom Verlag Hellmann, Glogau-Markt, 1913 herausgegeben, geschenkt. Unter Vernachlässigung der damals üblichen Jugendlektüre von Karl May mit Winnetou und Old Shatterhand begann ich sofort mit der gründlichen Lesung, was zu einer wesentlichen Stärkung meiner bereits im Ansatz vorhandenen Vorliebe für die schlesische, preußische und deutsche Geschichte führte. Dies wieder wirkte sich günstig auf meine Zensur im Schulfach „Geschichte" aus, in dem ich bis zum Abitur die Note 1 bekam.
Seitdem sind 70 Jahre vergangen und meine Erstausgabe des Blaschke von 1913 ist im Laufe der Jahre nicht mehr auffindbar. Es war daher selbstverständliche Pflicht, dass ich mir den Reprint 1982 wieder anschaffte und mit großem Eifer an die erneute Lesung und Durchsicht heranging. Längst vergangene Erinnerungen und Erlebnisse kamen mir wieder ganz lebhaft vor Augen und ans Tageslicht. So auch die Kanonenkugel von 1806, welche die Franzosen bei ihrer Belagerung in mein Geburtshaus schossen und die ich als Junge in unserem Haus an der Rosenstraße eingemauert immer bestaunte: Ganz in der Nähe stand der Reuterbrunnen am Wilhelmplatz, der zum Gedenken an die Festungshaft Fritz Reuters im Jahre 1837 an der gleichen Stelle errichtet worden ist, wo Reuter in der Hornburg über der Torwache am alten Breslauer Tor gefangen gehalten wurde. Genug der Erinnerungen an die Glogauer Schul- und Jugendzeit, aber das Heimatbuch von Blaschke sollte jeder Glogauer - ob jung oder alt - in seinen Bücherschrank stellen.“ (NGA 31, 1983, Nr. 9)
Nach knapp zweijähriger Amtszeit als Vorsitzender kandidierte Paul Hielscher im November nicht mehr. Am 8. Juli 1985 starb er, der verheiratet war und zeitweilig in der Bezirksgruppe Berlin als stellvertretender Leiter und als Pressesprecher fungierte, im Alter von 82 Jahren unerwartet zu Berlin.
Fortsetzung folgt . . |