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Jeder Zeit sind Zeichen gegeben. Doch dieses: Das sei euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden ... (Lukas-Evangelium 2,14) ist zeitlos über den Stall und Bethlehem hinaus allen Menschen zugesagt. Wo es um Gottes Herrlichkeit, um die Wirklichkeit und Kraft seines Kommens geht, ist ein Kind das Zeichen. Das Zeichen der Kleinheit, der Hilflosigkeit und Ohnmacht. Es steht für Gott und seine Mitteilung.
Nicht von ungefähr stehen mir die weihnachtlichen Zeichen der frühen Kindheit unzerstörbar in der Seele. Da gab es keinen Flitter und Talmiglanz. Ich erinnere mich noch sehr gut an die winterlichen Tage vor dem Christfest. Der Frost klirrte in den Zweigen der kahlen Bäume. Blumengespinste malte er an die Fensterscheiben, an Thermopenfenster dachte vor neunzig Jahren kein Mensch. Ein herrliches Spiel war es, vor den silberglänzenden Urwäldern aus Eiskristallen zu kauern, immer neue Formen von Pflanzen und Tieren zu entdecken, mit dem warmen Hauche des Atems die Eisblumen am Fenster zerrinnen zu sehen, die wie ein Wunder bald wieder neu und noch schöner sich formten zu wundersameren Gebilden und Blumen. Und plötzlich stand der Vers „Es ist ein Ros' entsprungen" im Raum und wir Kinder sahen die Christrosen an der Fensterscheibe wie ein Zeichen der Verheißung, dass nun bald Weihnachten kommen wird.
Ein Zeichen der nahenden Weihnachtsherrlichkeit setzte Mutter. Anfang Dezember bereitete sie den Pfefferkuchenteig. Sie mischte erwärmten Honig mit Mehl und vielen duftenden Gewürzen, knetete, wälzte und walkte das zähe Gemenge, das dann einige Tage in der großen Kuchenschüssel mehligbraun kühl lagern musste. Kam der Tag, an dem sie den braunen Klumpen hervorholte, war das jedesmal ein Freudentag. Ich durfte ihr helfen, den langgewalzten Teigboden mit Blechformen auszustechen. Sterne, Halbmonde, Vögel, weihnachtliche Kapuzenmänner, Herzen, Kringel, Engel und neben den zarten Engeln kleine dicke, lustige Schweinchen mit Ringelschwänzen. Gottes ganze gute Schöpfung versammelte sich hier und wies zeichenhaft auf die nahe, große Freude. Von den übriggebliebenen
Teigpützelchen konnte ich mir selbst etwas formen - und ich tat es in der Schöpferfreude des Kindes - auch wenn es in gebackenem Zustande nicht darstellte, was meine allzu kühne Phantasie erwartet hatte. Kaum war alles duftend aus dem Backofen ans Tageslicht gekommen, wurde es mit dickem, silbrigweißem Zuckerguss bepinselt. Dann verschwanden die Pfefferkuchen in weißen Terrinen und Steintöpfen, um in einer kühlen Bodenkammer den Weihnachtstagen entgegenzureifen. Sicher merkte Mutter auch, dass mir beim Anblick solcher Herrlichkeiten das Wasser im Munde zusammenlief. Schnell schob sie mir einen zerbrochenen Kringel in den Mund. Denn sonst gab es nichts. Auch das gehörte zum Advent, dass wir in dieser vorweihnachtlichen Zeit auf Süßigkeiten und Schleckereien verzichteten.
Daraus machten wir kein Gesetz, wie ja in meinem Falle Mutter bewies. Aber das Zeichen naher Freude wurde uns geschenkt.
Nie war ich so brav und gehorsam wie in diesen Wochen. Ich suchte den Eltern die Wünsche von den Augen abzulesen, freilich ganz selbstlos geschah es nicht. Wir Jungen spülten das Geschirr, schälten Kartoffeln, putzten die Schuhe, stapelten das Holz für die Kachelöfen, reinigten die Zylinder der Petroleumlampen, denn es gab ja noch kein elektrisches Licht. Geschärfter als sonst waren unsere wachen Sinne. Und oft sahen wir in freudiger Erwartung mehr, als es in Wirklichkeit zu sehen gab. Spitzohrig verfolgten wir, was die Eltern in verschlüsselten Reden miteinander besprachen, wenn es nur irgend etwas mit Weihnachten zu tun hatte. „Mit einem großen Paket ist Vater heute von der Post gekommen", berichtete mir abends beim Schlafengehen mein Bruder. Sicher ein Geschenk für Weihnachten. Aber was? Die Erfüllung dann am heiligen Abend. Wir bekamen jeder eine Geige geschenkt. „Markneukirchen" stand im Geigenkasten zu lesen. Und noch weit geheimnisvoller klebte im Geigenbauche ein gedruckter Zettel: „Stradivarius faciebat anno 1702". Meine erste geheimnisvolle Begegnung mit dem Lateinischen. Vater half und erklärte. Natürlich stammte die Geige nicht von dem berühmten Geigenbauer in Cremona. Es blieb wohl nur ein Reklametrick, aber in der Form mochte sie ein wenig den berühmten Geigen des Meisters nachgebildet gewesen sein. Das war mir auch ganz egal, als ich dann vom Vater lernte, g d a e zu streichen. „Geh du alter Esel!" erklärte Vater als Gedächtnisstütze. „Hänschen klein" und „O du fröhliche" brachte ich nach reicher Mühe in Wochen zusammen und dabei blieb es.
Manche Zeichen stehen auf und werden wieder lebendig, so tief haben sie sich eingeprägt. Sicher, wir hatten es in unserer Kindheit, in einer schlichteren und einfacheren Welt leichter, die Freude der kleinen Zeichen zu entdecken. Ein schmorender Apfel in der Ofenröhre, der zischte und sang und auf der heißen Platte wackelte und spuckte, machte das Kinderherz dankbar. Unsere Phantasie fand überreiche Nahrung, wie sie kein Schaufenster zu geben vermag. Ich will auch nicht traurig werden, dass allzu billiger Talmiglanz heute die Menschen bombardiert. Ich kann nur wünschen, dass sich unsere Augen öffnen und sehen, was mitten unter uns die Zeichen am Wege sagen und deuten. Denn die Geheimnisse Gottes sind auch dieser Gegenwart anvertraut. Und was ich im Advent des Kriegsjahres 1916 erlebte, könnte sich auch heute ereignen.
Mein jüngerer Bruder Pauli - wir nannten ihn gern „Pumpel", weil er so ein kleiner, dicker Pumpel war - also mein Bruder und ich waren schwer krank, und zu unserem Leidwesen Mutter auch. Ich schmecke es noch, wie krank wir waren. Ein lästiger Halswickel schnürte uns die Kehle und die Freiheit ab, essen konnten wir nicht, wir lagen zu dritt mit Fieber darnieder. Da kam unvermutet an einem Abend ein Mädchen und brachte für uns Jungen zwei große, braune Tüten, die sie kaum tragen konnte. „Das bringe ich von der Kinderschwester aus der Spielschule" (Kindergarten). Ich sehe noch Nüsse, Gebäck und Schokoladenkügelchen auf die Bettdecke purzeln. Ich durfte alles selber auspacken. Auf einmal hatte ich eine kleine, wunderschöne Puppe in der Hand. Die sollte mir gehören? Als Junge hatte ich nie ein solches Wesen geschenkt bekommen. Freude und Seligkeit erfüllte mein Herz. Sicher kann jeder nachempfinden, wie sehr ich dieses zerbrechliche Gebilde aus Zelluloid geliebt habe. Als ich nach Tagen aufstehen durfte, habe ich meine Puppe gepflegt wie eine Mutter nur ihr Kind hüten kann. Ja meine Liebe wurde so maßlos, dass es ein bitteres Ende nahm. Eines Morgens hatte ich das rosige Puppenmädchen gebadet und schön frisiert, obwohl es nur angemalte Haare trug. Mir schien es reichlich kühl und frisch im Zimmer. Um nun meine Freundin vor Grippe und Halsschmerzen zu schützen, wie ich selber sie habe durchmachen müssen, legte ich das arme Ding in meiner Überliebe und Fürsorge auf die heiße Ofenplatte, um es gut durchzuwärmen. Die Hitze bekam der Puppe gar nicht; an Armen und Beinen, am Kopf und Popo brannte die Hitze große Löcher in den zarten, rosigen Puppenkörper. Unfasslich für mich, großes Leid und Tränen. So nahe lagen Freude und Schmerz. Doch ich weiß heute noch, was Mutter an jenem Dezemberabend gesagt hat, an dem wir so reich beschenkt wurden: „Kinder, nun sind wir alle so krank und gute Menschen haben uns nicht vergessen." Dieses Wort vom guten Menschen hat sich mir unvergesslich lebendig erhalten. Auch dann, wenn ich verzweifeln wollte am Menschen, der böse, schlecht und gemein sein kann, der hassen und zerstören kann.
Wenn ich von Zeichen am Wegrand spreche - noch vieles gäbe es zu sagen - muss ich zum Schluss einen Menschen nennen, der in den Zwanziger Jahren mit seinen Büchern und Geschichten aufmerksam machte auf das „Herrgottswissen an Wegrain und Straße": Joseph Wittig. Er deutete die geringen Dinge des Lebens und fand in schlichten Menschen den Glanz des Gottesgeistes. Fernab einer hohen, feierlichen Theologie sprach er von der Gotteswirklichkeit im Alltag, die in Neusorge, in Schlesien und anderswo sichtbar wurde, wie einst in Palästina. Die Amtskirche und die zukünftigeTheologie verdächtigten den Schlesischen Gottesmann und schlossen ihn aus ihrer Kirchengemeinschaft aus, weil sie nicht die Freude der „Erlösten" fassen konnten, weil sie, im Gesetzesdenken verengt, nicht die geringen Zeichen verstanden, in denen der Gottesgeist sich mitteilt. Kirchliche Isolation, Verleumdungen und Leid konnten Wittigs Glauben nicht zerstören. Die Gottesgeschichten der letzten Jahre sind gezeichnet von der Not, die Joseph und Anca Wittig durchtragen mussten. Die Heimatlosigkeit wurde ihm zum letzten Zeichen, dass Gott kommt. „Gott ist meine Heimat."
Gottes Zeichen, mitten unter uns ereignen sie sich. Und darum hoffe ich für uns und unsere Welt, weil viele, gerade jungen Mensche sich abkehren von den großen Worten und Gesten, von der Verlogenheit des Pathos und der Hybris. Im Kreuz wurde das Zeichen des Lebens aufgerichtet, in ihm können wir Erlösung und Befreiung finden. Größeres weiß ich nicht zu sagen.
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