Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11, November 2010

Es fehlen immer noch die Turmhauben

 

von Hans-J. Breske

 

Eigentlich wollte ich nur über die Türme der ehemaligen Jesuiten- oder auch Fronleichnamkirche in Glogau berichten. Ich musste aber schnell feststellen, dass es ohne einen kurzen geschichtlichen Unterbau unmöglich ist, die Schicksale der Türme – ohne die Ereignisse, die die ganze Kirche betreffen – zu besprechen. Da geschichtliche Daten üblicherweise mit längeren Erklärungen präsentiert werden, habe ich – um bessere Übersicht zu bieten – die tabellarische Zusammenstellung gewählt. Ich hoffe, dass diese Form das Lesen erleichtert.
Also: Etwas Geschichte.

1654 Bau einer Holz-Notkirche auf bekannter Stelle.
1696 – dank vieler Spenden Beginn der Baumaßnahmen der barocken Kirche nach dem Entwurf des Bunzlauer Ratsbaumeisters, des Italieners Giulio Simonetti.
22. März 1702 – Einweihung der neuen Kirche, die mit zwei Türmen und einem kleinen Dachtürmchen ausgestattet ist.
17. 08. 1711 – In einer stürmischen Gewitternacht zündet ein Blitzschlag das Türmchen, die neu erbaute Kirche samt den Türmen brennt aus. Sofort wird der Aufbau eingeleitet, aber unter einem anderen Baumeister (Blasius Peitner – aus Breslau).
15. November 1711 – konnte die hl. Messe wieder zelebriert werden. Das neue Dach ziert wieder ein Glockentürmchen mit vergoldetem Strahlenkranz.
1713 bis 1715 baut B. Peitner die Westfront und die beiden Türme vollständig auf. Sie wurden mit Kupferblech eingedeckt und mit vergoldeten Kuppeln und Kreuzen versehen. Nach einer Skizze waren die Türme mit Barockhelmen (wie beim Rathausturm) gedeckt. (s. Foto).
4. Juli 1724 – Einweihung der gänzlich wiederhergestellten Kirche.
15. Juni 1726 – Einweihung und Aufziehen der Glocken.
9. März 1741 – Die Stadt Glogau wird durch die Preußen erstürmt, Plünderung der Kirche und des Kollegiums durch Soldaten und Bauern.
Danach wurden im Kollegium Hafer- und Mehlvorräte gelagert.
1757 – Alle Gänge und Räume werden mit verwundeten und kranken Soldaten (Fleckfieber, Typhus) beider kämpfenden Heere (Preußen/Österreich) belegt.
13. Mai 1758 – Ein Unglückstag, im Jesuiten-Kollegium, das überfüllt mit österreichi-schen Kriegsgefangenen (Siebenjähriger Krieg) war, brach ein Feuer aus. Die Kirche und die halbe Stadt Glogau brennen ab. Die Turmfassade wurde durch das Feuer stark zerstört, die Glocken vernichtet.
1788 – Wiederherstellung des Kolleggebäudes (die Kirche bleibt Ruine).
1796 – Beginn der Instandsetzung der Kirche (fast 40 Jahre liegt die Kirche in Trümmern), wobei die Türme, die durch Einflüsse der Witterung noch stärker beschädigt waren, neu aufgebaut wurden und sie erhielten die allen Glogauern bekannte Gestalt. Die Türme wurden mit einem neuen Giebel und wieder hergestellten Kuppeln verziert.
2. Dezember 1806 – Kapitulation der preußischen Festung Glogau. Einmarsch der württembergischen Truppen (im Solde der Franzosen); Plünderung des Jesuiten-Kollegiums und der Kirche durch französische und verbündete Soldaten.
16. Juli 1807 – (um 12 Uhr) Napoleon ist das erste Mal in Glogau.
20. Dez. 1808 – Das Gotteshaus wurde der französischen Besatzung zur Verfügung gestellt. Es wurde als Heu-Magazin, Pferdestall, Ochsenstall, zum Aufstellen von Ölmühlen, Pökelfleischtonnen und als Artillerie-Depot benutzt.
7. April 1809 – Selbstzündung der in der Kirche gelagerten 16000 Zentner Heu (der Brand dauerte fast 3 Tage); die Kirche brennt aus.
30. Oktober 1810 – Verstaatlichung aller kirchlichen und klösterlichen Güter (das Säkularisationsedikt vom 30.10.1810).
12. Dezember 1812 – Napoleon (unter geändertem Namen – v. Vincenza) auf der Flucht aus Russland übernachtet in Glogau.
17. April 1814 – Abzug der Franzosen aus Glogau, Einzug Preußischer und Russischer Truppen.
1814 bis 1820 diente das Gotteshaus weiter militärischen (Preußen) Zwecken. „Es war ein Gräuel der Verwüstung, die Kirche war entweiht und völlig entstellt!“
Wegen Absturz ganzer Ziegelreihen wurden die zu den Türmen anliegenden Straßen zeitweise polizeilich gesperrt.
1825 – Beginn der Renovierungsarbeiten der Kirche und des Kollegiums – besonders umfangreiche Maurerarbeiten sind nötig. Es wird eine neue Glocke installiert (sie wird 1917 dem I. Weltkrieg geopfert).
2. Juli 1826- Einweihung der neu renovierten Jesuitenkirche.
26. Juli 1842 – besichtigt König Friedrich Wilhelm IV die Kirche; er ist begeistert.
10. April 1886 – erneute Renovierung der Turmfassade (kostete: 11 100 Mark). Der barocke Balkon kommt neu hinzu.
Nov. 1928 – der Schmuck der beiden Kirchtürme (Weltkugel, Kelch und Kreuz) wird für 1000 Mark neu vergoldet.
So habe auch ich die Türme noch im Gedächtnis!
12. Februar 1945 – Die „Festung Glogau“ wird eingeschlossen. Es folgt die Zerstörung aller Kirchen und der Stadt. Die oberen Teile der Turmhauben wurden weggeschossen (s. Foto).
1. April 1945 - die Kapitulation der Festung Glogau. Glogau ist zu ca. 90% und alle Kirchen zerstört.
1957 – wurde zaghaft mit den Aufbauarbeiten begonnen.
1958 – unter der Leitung des Pfarrers J. Rymarczuk begann der intensive Aufbau. Es wurden ca. 80 000 Dachpfannen und ca. 20 000 Ziegelsteine verbaut.
1959 - Beginn der Renovierung des Inneren der Kirche und provisorisch der Türme.
11. Oktober 1959 – wurde der neuerrichtete Kirchen-Dachstuhl eingeweiht.
24. Dezember 1959 wurde die erste hl. Weihnachtsmesse gefeiert.
1. April 1960 – wurde der erste Gottesdienst im neuen Inneren gefeiert (siehe auch „Erinnerungen an Weihnachten“ – NGA. 12/2007).
1966 – weitere Renovierungsarbeiten am Kollegium.
22. Dezember 1989 wird Herr Stanis?aw Jaworecki zum Pfarrer der Fronleichnamkirche in G?ogów ernannt.
Weitere Renovierungsarbeiten der Kirche und des Kollegiums werden durch den Konservator für Denkmalschutz aus Legnica (Liegnitz) geleitet und überwacht.

Jesuitenkirche

Die beiden Türme der Fronleichnamkirche bilden das westliche Eingangsportal und sind in ihrem zweigeschossigen Unterbau im Früh-Barockstil gehalten. In den beiden Turm-Obergeschossen kommt der Barockstil zur Geltung. Weiter folgt eine Balustrade mit umfassender Brüstung. Soweit entspricht der heutige Zustand (nach dem Wiederaufbau) dem Bild vor Kriegsende und der Zerstörung.
Den Abschluss der Türme bildeten vor 1945 die eigenartigen Turmhauben. Es waren achteckige 6,30 m hoch gezogene Mauerwerke. Darüber befand sich auf jedem Turm eine Turmbekrönung in Form einer runden, mit Kupferblech gedeckten Kuppel. Auf dieser Kuppel befand sich der imposante Turmschmuck: Um eine Kugel (ø 64 cm) windelte sich eine Schlange mit offenem Rachen, darüber stand ein Kelch (97 cm), der von einem Kreuz (1,20 m) überragt war (s. Foto). Die Türme waren bis zur Kreuzspitze 49,05 m hoch, aber das ist Geschichte.


Zurzeit sind beide Kirchtürme nur bis zur Balustrade komplett aufgebaut und stilgerecht restauriert worden. Bis zum Balustraden-Fußboden sind die Türme jetzt 36,24 m hoch. Der Dachfirst der Kirche ist 29,82 m hoch. Leider fehlen auf jedem Turm die Turmhaube, die Kuppel, die Kugel, der vergoldete Kelch und das Kreuz (siehe Foto).
Jetzt, da ich diese Zusammenstellung der geschichtlichen Ereignisse angefertigt habe, betrachte ich das Foto, das die schrecklichen Zerstörungen von 1945 zeigt. Das Wort „schrecklich“ ist eigentlich – im Vergleich zur damaligen Wirklichkeit – noch sehr bescheiden ausgedrückt.


Als ich 1951 bis `55 als Gymnasiast in Glogau weilte, konnte ich sogar die einzelnen Einschläge an den Mauern und im Inneren von ganz nah betrachten. Zu der Zeit war niemand (von den Warnungen der Lehrer abgesehen) zuständig, der uns Jugendlichen das Rumstöbern in der Kirchenruine hätte verweigern können.
Glücklicherweise wurde schon 1956 über den Kirchenaufbau gesprochen, aber das Gotteshaus musste auf den ersten Schaufelstich noch einige Zeit warten. Sicher, es ist schon viel vollbracht. Die Kirche mit dem ehemaligen Kollegium präsentieren sich seit 1960 hervorragend, aber noch kann einiges getan werden. Der Zustand der Türme ist noch nicht vollendet, es fehlt der würdige, dem Barock entsprechende Abschluss der Türme; es fehlt die 6,30 m hohe, gemauerte Turmhaube und der imposante Turmschmuck.

Jesuitenkirche heute

Ich bin der Meinung, dass die fehlenden Turmhauben mit dem Turmschmuck leicht ergänzt werden können. Es bietet sich doch an, dass in der Mitte der Stadt, am schön aufgebauten Markplatz, ein weiteres Gebäude – als Gegengewicht zum politischen Machtsymbol (dem Rathaus) – die ihm zustehende Pracht zurückerhält.

Quellen: - „Die Glogauer Jesuitenkirche“ – Kretschmer, 1935.
- „Encyklopedia Ziemi G?ogowskiej“, Heft 16, 18, 19.
- „Geschichte d. Stadt Glogau“ – Blaschke, 1913.

zum Seitenanfang

zum Seitenanfang