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Im Juli des Jahres 1903 erlebte das Glogauer Land eine der größten Hochwasserkatastrophen. Das Hochwasser richtete in der Stadt und auf dem Lande großen Schaden an. Die nachstehenden Bilder machen dieses Hochwasser besonders anschaulich.
Das Bild zeigt eine Aufnahme von der Gefahr bei Schrepau. Am 18. Juli 1903, mittags 11.30 Uhr war hier die Gefahr durch einen eingetretenen Dammrutsch am größten. Das Heben der Dammkrone an ungeahnter Stelle wurde durch einen Unteroffizier bemerkt. Nur durch die unermüdliche Arbeit der hier eingesetzten Kräfte war es möglich, einen vollständigen Dammrutsch zu verhüten.
Eine Schilderung der Hochwasserkatastrophe liegt uns auch aus Beuthen vor. Der bekannte Heimatpfleger des Städtchens, Rektor Schiller, berichtete seinerzeit:
An einem heißen Julitage des Jahres 1903 strich der warme Südwestwind, der die schäumenden Wildbäche durch wolkenbruchartige Regengüsse bis an den Rand gefüllt hatte, über die Würbitzer Höhen dahin. Er schlug zierliche Bogen in die Beuthener Getreidefelder, spielte leicht mit den Weidenspitzen des Angers, kletterte fast lautlos den Oberdamm empor, legte sich sanft und weich auf die Wellen des hochangeschwollenen Stromes und stieg dann mühsam zu den Wipfeln der Taleichen hoch, die bis an die untersten Äste im Wasser standen.
Auf der Krone des Beuthener Deiches stand der Ratmann Fritz Klante und schaute sorgenvoll den Strom aufwärts. So weit das Auge sehen konnte, gewahrte es nichts als trübe, gelbe Wassermassen. Die Talsohle zwischen Beuthen und Nenkersdorf bildete einen einzigen See. Unaufhörlich grollten die Wasser in der Tiefe, schlugen mit lautem Getöse gegen die Krone des Deiches, bespritzten mit schmutzigem Schaum die Männer, die mit Erde, Sandsäcken und Dünger seit Tagen den Damm gegen die wilde Angriffslust der Fluten verteidigten. Furchtbar wütete der Wellentod. Was in seine Nähe kam, wurde überrascht, umzingelt und unbarmherzig vernichtet. In endloser Linie zogen Äste, Zweige, Bäume, Balken, Rohrstücke, Binsen und allerlei Schwemm-Material der Ostsee zu. Ratmann Klante richtete sich auf, seine scharfen Augen schweiften den Damm entlang. Überall nagten die Wellen an dem Deichrande. Bald entstand eine Höhlung, durch die ein Gewirr von Mäusegängen bloßgelegt wurde. Auf diese stürzten sich die zischenden Wasserzungen, wühlten sich in das weiche Erdreich, sprengten, rissen und zerrten, bis ein Deichstück in die Tiefe stürzte und die Flut im sinnverwirrenden Strudel sich über den Anger ergoss. Eichenklötze sprangen auf schnellen Wellen gegen den Rand der Deichlücke und schlugen wie riesige Hämmer dagegen. Nach kurzem Widerstand legte sich der Rand auf beiden Seiten um und verschwand in der Flut des Angers, in der es arbeitete und brodelte, als wäre es kochende Lava.
Nach einigen Tagen verlief sich die Flut. Der Anger tauchte wieder empor, aber sein Antlitz war voller Sand und Steine. Die Aufräumungsarbeiten begannen und endeten mit der Anlage von Weidekulturen.
Von der Glogauer Oderbrücke aus konnte man immer gut das Heranwälzen der Wassermassen beobachten: Ältere Glogauer werden das Bild deutlich vor Augen haben, das sich ihren Augen bot, als noch die alte Zugbrücke stand. Das war vor 1917, also entweder im Sommer 1916 oder 1915. Die Oder stieg und stieg, immer drohender zeigte der Pegel den Wasserstand, und ernste Sorge erfüllte die Verantwortlichen, ob wohl die altersschwache Brücke dem Ansturm gewachsen sein würde. Die Vorsicht gebot Maßnahmen; so wurde denn der rechtsseitige Laufsteg mit Steinquadern belegt, um dem Druck des Wassers Widerstand leisten zu können, und die Brücke hielt den letzten Angriff aus, den die Oder gegen sie unternahm.
Ein zweiter Sturm des Stromes erfolgte 1930. Wieder stieg das Wasser bis auf über fünf Meter, aber diesmal war keine Holzbrücke bedroht, über die Oder spannte sich der mächtige Brückenbogen, die alten morschen hölzernen Eisböcke waren beseitigt, und frei zog das Wasser unter der Hindenburgbrücke hindurch. Freilich - ganz ohne seine Macht zu zeigen, ging jenes Hochwasser doch nicht vorüber. Bis nach Oberau dehnte sich ein See, genau wie vor 1917, die Dombewohner hatten das Wasser in den Kellern, und für die Fußgänger hieß es auf schmalen Laufplanken den Weg zu gehen, ohne ins Wasser zu fallen. Unsere Bilder zeigen Aufnahmen von jener Überschwemmung.
Hochwasser der Oder sind in der Geschichte der Heimat und ihres Stromes
durchaus keine Seltenheit gewesen. Blättern wir sie durch, so stoßen wir auf Schilderungen, die zeigen, dass sich die Oder nicht immer damit begnügte, das flache Land bis nach Oberau oder westlich vom Dom das Gebiet um Rabsen unter seine Fluten zu setzen. Es gab Hochwasser, die geradezu katastrophalen Charakter annahmen. Die erste Nachricht darüber liegt bereits aus dem Jahre 1583 vor, spätere Angaben berichten, dass besonders das Dorf Zerbau schon bei einigermaßen ansteigendem Wasser sehr gefährdet war; als die Preußen 1813 Glogau belagerten, war die Gegend am Brückenkopf infolge eines Dammbruchs überflutet, das Hochwasser hatte auch an den Festungswerken schweren Schaden angerichtet. 1831 erlitt das Dorf Wettschütz durch Dammbrüche großen Schaden. Am schlimmsten aber war wohl die Überschwemmung im Jahre 1838, denn vom 8. bis 11. März jenen Jahres standen im Kreise Glogau nicht weniger als 31 Ortschaften unter Wasser. 16 Menschen fanden hierbei den Tod in den Fluten, Wilkau wurde gänzlich zerstört, ein tiefer See bedeckte den Ort, aus dem 33 Häuser mit Vieh, Hab und Gut der Bewohner verschwunden waren. 4000 Menschen irrten, erzählt die Geschichte, obdachlos umher.
Eine Heimatfreundin erinnert sich:
Meine Eltern wohnten auf der Schmiedestraße, also unmittelbar am Hafen. Dort bekamen wir das Hochwasser der Oder immer aus erster Hand zu spüren. Das erste Hochwasser erlebte ich im Juli 1903, da ich erst fünf Jahre zählte. Deutlich erinnere ich mich, dass ich mit meinem Spielgefährten Paul Anders - er war der Sohn eines Eisenbahners - in einem Waschzuber im Hofe des Hauses Kahn fahren durfte. Selbstverständlich beaufsichtigten uns die Erwachsenen dabei, so dass wir mit unserem Kahn nicht etwa umkippten: Aber es war ja Sommerszeit und ein unfreiwilliges Bad hätte uns gewiss nichts geschadet. Unser Hauswirt - der Fischermeister Gleinig - ließ später an dem Hause eine Erinnerungstafel anbringen, mit welcher die Höhe des Wasserstandes angezeigt wurde.
Zwölf Jahre später - im Herbst 1915 - erlebte ich wieder eine Überflutung unserer Dominsel durch ein Hochwasser. Ich erlernte zu jener Zeit das Schneiderhandwerk bei meiner Meisterin, Frau Lange, auf der Niederlagstraße. Eines Tages wollten wir nun zum Mittagessen nach Hause gehen. Aber das war gar nicht möglich, denn die Dominsel war bereits völlig überschwemmt, das Wasser stand schon bis zu unserer Haustüre und die Laufstege, die aus Brettern immer gelegt wurden, wenn unser Stadtteil von einem Hochwasser heimgesucht wurde, führten noch nicht bis zu meinem Elternhause.
Wir hätten gar nicht gewusst, wie wir nach Hause und zu dem Tisch mit dem Mittagessen gelangen sollten, wenn nicht gerade ein paar Einjährige vom Artillerie-Regiment 41 gekommen wären. Die wollten nämlich ebenfalls zum Mittagessen gehen und erklärten sich bereit, uns „junges Gemüse" bis zum Laufsteg am Steinweg zu tragen. Erst zierten wir uns mächtig mit „ach nein" und „was sollen denn die Leute sagen". Aber ungewöhnliche Verhältnisse - und die hatten wir ja schließlich - machen auch Ungewöhnliches möglich. Die Einjährigen nahmen uns „Huckepack" und trugen uns bis zum Laufsteg. In überschwenglicher Weise bedankten wir uns, und als die Mittagspause vorüber war, da waren die Laufstege bereits soweit gelegt, dass wir trockenen Fußes zur Arbeit gehen konnten.
Ich erinnere mich auch, dass bei unserem Bäckermeister Kuhpfahl das Wasser im Hausflur stand. Die Mehlsäcke, die dort ihren Platz hatten, mussten etwa dreiviertel Meter hoch auf aufgebockte Bretter gestellt werden. Die alte Zugbrücke war mit Sandsäcken und Steinblöcken beschwert worden, auf dass sie der Gewalt des Stromes widerstehen könne. Bei der neuen Brücke war das dann nicht mehr nötig.
Im Laufe einer Woche verlief sich das Wasser wieder, nur auf den Oderwiesen standen noch lange die Wassertümpel. |
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