Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2010

Pfingstausflügler in Schwusen

 

von Brigitte Max, geb. Lindwart

 

Wenn alle Höfe sauber gefegt, alle Gartenwege ordentlich geharkt und überall an Toren, Türen und Pforten die Maibäume (junge Birkenstämmchen) aufgestellt waren, dann konnte man mit Goethe sagen: „Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen". Gar so einfach war es für viele freilich nicht, für das Fest gerüstet zu sein. Ich denke da an unser „Mielchen", die gewiss bis spät in die Nacht an ihrer Nähmaschine sitzen musste, um alle weiblichen Kunden, die sich gerade zu Pfingsten hübsch machen wollten, noch in letzter Minute vor einer großen Enttäuschung zu bewahren. Auch im Strandhotel herrschte ein emsiges Treiben; man erwartete dort Gäste.
Wenn es zu Ostern meist noch kühl und unbeständig ist, so kann man auf das Pfingstwetter schon andere Erwartungen setzen, und deshalb hatte sich manche Glogauer Familie eine Dampferfahrt nach Schwusen vorgenommen. Dieses Dorf an der Mündung der Bartsch in die Oder war für die Besucher ein lohnendes Ziel, denn an landschaftlicher Schönheit und geschichtlicher Vergangenheit hatte es eine Menge zu bieten. Da war das hohe Ufer mit dem geschützten Wanderweg, auf dessen Böschung im Frühjahr die vielen Veilchen ihren wunderbaren Duft verströmten. Auch auf den Deichkronen, die das Land gegen drohende Hochwasser schützen sollten, konnte man herrlich wandern. Auf dem Weg nach Hockenau kam man durch reizvollen Mischwald bis zur Dreigrenzenbrücke, wo die Kreise Glogau, Fraustadt und Guhrau zusammentrafen. Etwas ganz Besonderes war der Schwusener Schlosspark. Für Ordnung sorgten hier wie stumme Wächter Schilder mit der Aufschrift; „5000 Augen habe du, aber keine Hand dazu!". Hier konnte man lustwandeln, wie in einem Kurpark, auf weißen Bänken Ruhe finden, seltene Bäume bewundern, oder vor dem japanischen Vogelhäuschen und den Blumenschalen gleichen Ursprungs verweilen. Vom Park führte eine schwankende Hängebrücke über die Bartsch in den Eichenwald. Der stets feuchte Boden hatte gerade zu dieser Zeit seinen weißgrünen Teppich, der aus unzähligen Maiglöckchen bestand, ausgerollt. Dieser „Teppich" wurde von einem Heer von Mücken streng bewacht, die ebenfalls in diesem feuchten Klima bestens gediehen. Wer also einen Strauß von diesen schön duftenden Blümchen, die wir „Springauf" nannten, mit nach Haus nehmen wollte, der musste den Kampf mit diesen kleinen Bestien aufnehmen und durfte sich nicht vor zerstochenen Armen und Beinen fürchten. War man des Laufens müde, setzte man sich auf eine der weit in den Strom hinausragenden Buhnen, um dem schnell dahinziehenden Wasser nachzuträumen und in die vielen Strudel zu schauen, die der Schwimmer fürchtete. Der geschichtlich Interessierte fand in 5chwusen eine Anzahl sehenswerter Baudenkmäler. In der Mitte des Ortes hatte der Dreißigjährige Krieg eine Kirchenruine zurückgelassen, die nun Stammsitz
eines Storchenpaares war, das alljährlich treu wiederkehrte. Die steinerne Bartschbrücke hatte vor nicht allzulanger Zeit eine alte Holzbrücke abgelöst, die auf Veranlassung Friedrich II. hier gebaut worden war, um den Salztransport auf dem Landweg durchführen zu können. Schwusen muss zu damaliger Zeit ein Umschlagplatz gewesen sein, wofür drei große Speicher aus Feldsteinen Zeugnis ablegten. Einer davon war noch erhalten und diente als Getreidespeicher. Auch das dazugehörende Verwaltungsgebäude mit seinen hohen Räumen und den breiten ausgetretenen Treppen wurde zu meiner Zeit noch bewohnt. Ebenso standen die alten ehrwürdigen Maulbeerbäume noch, doch von der dazugehörenden Seidenraupenzucht, die hier heimisch werden sollte, gab es schon lange keine Spur mehr. Von den Windmühlen, natürlich nicht aus grauer Vorzeit, am Eingang des Dorfes ging so etwas wie ein romantischer Zauber aus. Ja, und auf das stattliche Schloss inmitten gepflegter Blumenanlagen rund um den Springbrunnen, auf das Torhaus, der Nachbildung eines Tores in Rothenburg ob der Tauber, und die breite Lindenallee konnten wir Schwusener auch mit Recht stolz sein. Kurz, wir hatten etwas vorzuzeigen, und es lohnte sich, den Dampfer nach Schwusen zu besteigen. Der Hauptanziehungspunkt für die meisten Ausflügler wird aber doch. das Strandhotel gewesen sein, das im Freien, unter überdachten Laubengängen und im geschlossenen Raum vielen Gästen Platz bot. Wer gern tanzen wollte,
fand in einem großen Saal, an dessen Wänden sich riesige Kriegsbilder des Malers Knötel verirrt hatten, reichlich Gelegenheit. Wir Kinder waren natürlich immer dazwischen, denn wir mussten ja dort sein, wo etwas „los" war. So bewunderten wir die feingeputzten Städter, wenn sie an Land stiegen und an den Kaffeetischen Platz nahmen. Wir schauten sehnsüchtig auf ihre Kuchenteller und verscheuchten hier und da ein Huhn, was wohl die gleichen Gedanken wie wir haben möchte. Der Eintritt in den Tanzsaal aber war uns verwehrt. So konnten wir uns nur an den niedrig gelegenen rückwärtigen Fenstern herumdrücken -und, auf Zehenspitzen stehend, den Platz gegen die anderen Neugierigen mit den Ellenbogen verteidigen, um einen Blick in die Welt der Erwachsenen, die uns so begehrenswert erschien, zu werfen. Ganz kühne Kletterer erreichten auch die höher gelegenen Fenstersimse und bezogen dort ungestört ihren Beobachtungsposten. Noch waren wir „Ausgeschlossene", aber eines Tages, so trösteten wir uns, würden auch wir mittun dürfen. Die Melodie des Schlagers der dreißiger Jahre „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein.." ließ uns nicht mehr los und gaukelte uns das Erwachsensein in verlockenden Tönen vor. Es gab auch Schießbuden und Wettspiele aller Art, wobei den Gewinnern Papierblumen und Orden angesteckt wurden. So „verziert", glich mancher Sieger einem Pfingstochsen, der, als Leittier geschmückt, nach dem langen Winterquartier im Stall zum erstenmal wieder den Weideplatz betritt.

Schloss Schwusen
Doch nicht immer hielt das Pfingstwetter, was es versprach. Es gab leider auch völlig verregnete Festtage, an denen unsere Dorfstraßen menschenleer blieben und uns Kinder die Langeweile plagte. Doch erinnerte ich mich, dass einmal eine Glogauer Jugendgruppe ihr Pfingstlager in der Kiesgrube bei den schon erwähnten Maulbeerbäumen trotz Regenwetters aufschlug. Zuerst hatten sie wohl noch Hoffnung auf Wetterbesserung, aber der Regen rann von morgens bis abends und auch des Nachts unaufhörlich an den Zelten herab, die nur verlassen werden konnten, um eine warme Mahlzeit oder warme Getränke in „Haus Henne" abzuholen. Dennoch gaben sie als echte Jungens nicht auf. Sie hielten aus - und ich denke, dass auch diese Pfingstgäste Erinnerungen an Schwusen mitgenommen haben, die sie nicht missen wollten und die heute vielleicht noch irgendwo lebendig sind.
So entbiete ich allen denen, die in Schwusen gelebt, die Schwusen gesehen und die es geliebt haben, meine herzlichsten Pfingstgrüße!

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