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Auch in unserem Dorf war die Ruhe dahin. Die Front kam näher. Um Weihnachten hörten wir erstmals Kanonendonner vom Osten her und überall war die bange Frage: „Wird unser Gebiet geräumt?" Besonders die östliche Seite der Oder war gefährdet. Langsam sickerten Gerüchte durch, die Deutschen aus dem Warthegau sind schon auf der Flucht. Müssen auch wir unsere Heimat verlassen? Nur wir Kinder waren noch unbekümmert. Wir konnten die ganze Tragweite des Geschehens noch nicht begreifen.
Anfang Januar 1945 wurde von der Gemeindeverwaltung eingeteilt, welcher Bauer im Ernstfall zusätzlich noch eine Familie, die kein Gespann hatte, mit ihren Sachen mitnehmen musste. Noch hieß es, alle Planungen seien nur vorsorglich. Bei dringender Gefahr sollten wir auf die linke Oderseite evakuiert werden. In unsere Häuser kämen nur deutsche Soldaten, und wenn alles vorbei sei, könnten wir wieder zurück.
Mitte Januar wurde es ernst: die ersten Flüchtlingstrecks aus dem Warthegau kamen von Kuttlau aus durchs Dorf. Vereinzelt nur, auch nachts, Wagen mit wenig Gepäck, die Menschen verstört, kaum zu Gesprächen bereit. Ihr ganzes Sinnen und Trachten war nur weiter, weiter über die Oder und nach Westen. Das Knarren und Quietschen der Räder auf dem gefrorenen und schneebedeckten Sandweg klingt mir noch heute in den Ohren.
Am Sonntag, den 21. Januar 1945 wurde in der Gastwirtschaft Gärtner eine Gemeindeversammlung abgehalten, in deren Verlauf u.a. die Versorgung der durchziehenden Trecks aus dem Osten besprochen wurde und auch einige Anweisungen für die eventuelle Räumung des eigenen Dorfes bekannt gegeben wurden. So sollten nur wichtige Sachen, warme Kleidung, Verpflegung und Viehfutter aufgeladen werden.
Noch wollte es keiner so richtig glauben, da traf schon am Montag, den 22. Januar, nachmittags von der Kreisleitung in Glogau der Befehl zur Räumung des Dorfes ein. Alle Treckwagen sollten winterfest gemacht und beladen werden und am Dienstag, den 23. Januar, frühmorgens um 3 Uhr in Richtung Amalienhof auf der Dorfstraße Aufstellung nehmen.
Ich selbst musste die Bewohner von Landskron, einen zu Lindenkranz gehörenden Weiler, benachrichtigen. Da die dortigen Bewohner weniger von der allgemeinen Lage gehört hatten, war das Wehklagen besonders groß.
Nach der Bekanntgabe des Räumungsbefehls am Montagnachmittag brach für die Dorfbewohner die Welt zusammen. Es war niederschmetternd. Wie konnte so etwas möglich werden, und so mancher Vorwurf an die Parteileute wurde gemacht. Ein heilloses Durcheinander entstand. Der Platz auf den Treckwagen war begrenzt. Wie können die alten Leute, die kleinen Kinder, sogar Babys waren dabei, von der grimmigen Kälte geschützt werden. Welche Dinge waren wichtig, welche unwichtig. Betten wurden auf jeden Fall aufgeladen. Für die eingeteilten Nachbarn ohne Gespann musste Platz gelassen werden. Ich glaube, manche haben es überhaupt nicht geschafft, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen. Die Situation im Dorf war gespenstisch, alles eilte hin und her.
Gedanken, sich dem Räumungsbefehl zu widersetzen, wurden in Erwägung gezogen, aber wieder verworfen. Die Angst, in das Kriegsgeschehen hineingezogen zu werden, war zu groß.
Von der Gemeindeverwaltung war unsere Familie dem Nachbar „Sandfröhlich" zugeteilt worden, der uns mitnehmen sollte. Das waren meine Mutter (45Jahre), die 65 jährige Großmutter Berta, meine Schwestern Gertrud und Christa, 17 und 16 Jahre, und der Pole Andreas. Mein Vater, der Ukrainer Viktor und ich mussten beim Volkssturm zurückbleiben.
Zusätzlich musste die Familie Hein, noch ein weiterer Nachbar, mit aufladen: Vater August Hein (75Jahre) und Tochter Berta Körber, geb. Hein (39 Jahre).
Die Familie Fröhlich waren die Großmutter Emma (67 Jahre), die Bäuerin Emma (30 Jahre), die Tochter Christa (5 Jahre), die polnischen Landarbeiter Alois und Stephanie, 25 und 30 Jahre, mit ihrem einjährigen Kind. Der Bauer Hermann war an der Front.
Um für die drei Familien einigermaßen Platz zu haben, musste noch ein weiterer Wagen angehängt werden, der bei den winterlichen Straßenverhältnissen zusätzliche Probleme verursachte. Alois hat das Fuhrwerk bis Vogtsgrün bei Zwickau gelenkt. Nach Kriegsende mussten sich die polnischen Arbeiter in einem Sammellager melden.
Die angesetzte Abfahrtszeit am Dienstag, den 23. Januar 1945, frühmorgens 3 Uhr konnte nicht eingehalten werden. Erst bei Tagesanbruch setzten sich die ersten, von mehr als 100 Treckwagen in Richtung Beuthen in Bewegung. Es war bitterkalt und ein eisiger Wind pfiff von Nordosten. Die Straße war durch die vielen eisenbereiften Fuhrwerke spiegelglatt, und so mancher rutschte in den Straßengraben und musste mit vereinten Kräften wieder flott gemacht werden. Nur kleine Kinder und alte Leute konnten, in Betten eingepackt, auf dem Wagen sitzen. Alle anderen mussten laufen oder schoben ein Fahrrad vor sich her.
Durch unser verspätetes Aufbrechen kamen auch die am gleichen Tag, nur etwas später evakuierten Skeydener in Amalienhof auf die gleiche Straße und vor der Oderbrücke auch noch die Carolather und Hohenborauer. Das führte immer wieder zu Stauungen.
Irgendwie schafften es doch alle im Laufe des 23. Januar, die Beuthener Oderbrücke zu überqueren, und der Lindenkranzer Treck war auf der linken (westlichen) Oderseite. Trotz allen Jammers, der Räumungsbefehl kam rechtzeitig, die russische Armee war noch weiter weg, und es brach keine Panik aus.
In Beuthen konnten wir nicht bleiben und mussten Platz für weitere Trecks machen. Und so begann nun mitten im Winter der Weg in eine ungewisse Zukunft.
Die erste Unterkunft fanden die Lindenkranzer nach ungefähr zehn Kilometern spätabends in Döringau, Kreis Freystadt. Am zweiten Tag wurde nur eine kurze Strecke bewältigt bis Großenborau, und am dritten Tag erreichten sie Schönbrunn, Kreis Sprottau. Dort blieben sie einige Tage, und es kam die Hoffnung auf, hier ca. 50 km vom Heimatort entfernt, könnten wir eine vorläufige Bleibe finden und, wenn der Krieg vorbei ist, wieder zurückkehren. Aber das war ein großer Trugschluss!
Mein Vater, einige ältere Männer, zuverlässige Fremdarbeiter und ich mussten im Dorf bleiben. Wir sollten das Vieh füttern. Das war aber gänzlich unmöglich und nicht zu schaffen. Wir haben teilweise nur das Vieh losgebunden.
Im Haus Hellwig (Zweigpostamt) war unsere gemeinsame Unterkunft. Wir schliefen auf Stroh. Zum Essen war genug da. Es wurde in der Zeit sogar ein Schwein geschlachtet. Die Männer waren meistens Teilnehmer am 1. Weltkrieg und wussten, wo es lang geht. Gewehre und Munition waren auch da, aber kämpfen wollte keiner mehr. In dem großen Dorf mit mehr als 200 Hausnummern war es gespenstisch leer. Immer noch übernachteten durchziehende Trecks in den jetzt unbewohnten Häusern. Man sah nur noch fremde, verängstigte Gesichter. Deutsche Soldaten waren nicht zu sehen. Nur hoch zu Ross oder mit Panjewagen tauchten Soldaten der Wlassow-Armee auf. Ihr ganzes Sinnen und Trachten war, westwärts zu gelangen, um nur nicht in die Hände der Sowjetarmee zu fallen.
Besonders mutige Dorfbewohner machten sich in den ersten Tagen von Großenborau und Schönbrunn aus mit dem Fahrrad zurück über die Oder auf den Weg, um wichtige Dinge nachträglich zu holen, die am Fluchttag vergessen worden waren. Manchmal war es auch nur schnell geschlachtetes Geflügel.
Auf dem Gut in Amalienhof waren noch Zugochsen und im Dorf ein gummibereifter Milchwagen stehengeblieben. Unser Ukrainer Viktor schlug meinem Vater vor, drei Ochsen einzuspannen, noch einige nützliche Dinge aufzuladen und dem Treck nachzufahren. So geschah es auch. Zusammen mit den letzten Volkssturmmännern erreichte diese Gruppe Schönbrunn, wo sich der Haupttreck aus unserem Dorf aufhielt.
Nun waren wir, Paul Prüfer, mein Vater und ich, die letzten deutschen Einwohner von Lindenkranz und sollten den Telefondienst zwischen Glogau und Neusalz aufrechterhalten. Aber schon nach zwei Tagen, es muss der 2. Februar 1945 gewesen sein, erhielten wir von Glogau die Anweisung, sofort abzuhauen, der Russe ist bei Steinau über die Oder vorgestoßen. Paul Prüfer hatte im allgemeinen Chaos für diesen Zweck bereits zwei leichte Pferde requiriert. Diese wurden sofort in einen leichten Wagen eingespannt und ich glaube bis Beuthen sind wir nur im Trab gefahren.
Bei unserem Haus haben wir noch einmal kurz gehalten. Vater hat unsere Kuh losgebunden, die Schafe rausgelassen und die Kleintierställe aufgemacht. Wie ihm da zumute gewesen sein mag? Alles stehen und liegen zu lassen. Nicht abzuschließen, einfach fortzugehen. Und trotz allem hatten wir immer noch die Hoffnung, bald wieder zurückzukehren.
Als wir in Beuthen die Oderbrücke überqueren konnten, waren wir doch froh. Den Rat einiger Volkssturmmänner, die die Brücke bewachten, die Gewehre wegzuwerfen, haben wir sofort hinter Beuthen befolgt. Als nicht reguläre Wehrmachtsangehörige hätte das gefährlich werden können. Spät nachts kamen wir in Schönbrunn an und waren mit der Mutter, Großmutter und den beiden Schwestern wieder beisammen.
Wir konnten nun unsere Sachen von Sandfröhlichs abladen und auf unseren nun eigenen Wagen umladen. Auch Fröhlichs waren froh darüber. Schon beim nächsten Quartier ließen sie den zweiten Wagen stehen. Das Fahren mit nur einem Wagen war bei den winterlichen Straßenverhältnissen doch einfacher.
Bis Schönbrunn ist unser großer Treck mit mehr als 100 Fuhrwerken im großen und ganzen beisammen geblieben. Von dort an bildeten sich kleinere Gruppen. Das war auch bitter nötig, wir hätten miteinander nie Unterkunft gefunden.
Wegen unseres Ochsengespanns fand sich beizeiten eine recht kleine Treckgruppe zusammen: Storchfröhlich Heinrich mit zwei Pferden, sein Sohn Paul Fröhlich mit zwei Ochsen, Paul Kandale auch mit zwei Ochsen und wir mit unseren drei Ochsen. Wir sind bis Bayern zusammengeblieben.
Wir mussten nun von Schönbrunn schweren Herzens Richtung Westen aufbrechen, immer weiter weg von unserem Heimatort.
So verlief unser Fluchtweg durch den Nachbarlandkreis Sprottau nach Schleife, Kreis Rothenburg in der Oberlausitz. In Schleife und Umgebung trafen wir uns alle nach und nach wieder, und so entstand bei uns der Eindruck, hier können wir bleiben. Aber es waren nur acht Tage, dann mussten wir weiter. Schon beizeiten hatten alle Wagenbesitzer ihre Fuhrwerke mehr oder weniger winterfest gemacht. Mit Latten, Brettern und Dachpappe wurden Aufbauten errichtet und mit Matratzen, Betten und Decken abgedichtet. So waren die Kinder und alten Leute doch geschützter.
Noch waren wir in den Landkreisen Rothenburg und Hoyerswerda in Schlesien. Bald jedoch erreichten wir mit dem Kreis Großenhein Sachsen und überquerten in Riesa die Elbe. In diese Zeit fielen auch die furchtbaren Bombenangriffe auf Dresden. Unser Fluchtweg verlief nun weiter in südwestliche Richtung durch die Landkreise Oschatz, Grimma, Borna, Glauchau, Zwickau, Reichenbach und Plauen. Unser polnischer Arbeiter Andreas ist in Sachsen bei einem Bauern zurückgeblieben.
Bald zeigte sich, dass die einzelnen Teiltrecks unterschiedlich schnell vorankamen. Krankheit von Mensch und Tier waren oft die Ursache. Vielleicht spielte auch der Gedanke, nicht zu weit nach Westen zu kommen, eine Rolle. Damals im Februar/ März 1945 dachten wir alle noch, im Frühjahr, wenn alles vorbei ist, können wir wieder zurück. Dass ganz Ostdeutschland unter polnische Verwaltung gestellt werden sollte und die Oder-Neiße-Grenze als Demarkationslinie festgelegt wird, davon wussten wir nichts.
Mit unseren Ochsen kamen wir etwas langsamer voran. Dafür waren sie nicht so anfällig wie die Pferde. Es machte ihnen nichts aus, jeden Abend in einem anderen Stall zu stehen und manchmal war nicht einmal ein solcher vorhanden. Inzwischen hatten wir die Ochsen auch beschlagen lassen, sonst hätten sie sich wund gelaufen. Nur mit einem Ochsen hatten wir Schwierigkeiten, weil er bei Gefällstrecken keinen Schritt weiterlief und immer ausgespannt werden musste. Wir kamen doch aus dem Flachland und voll funktionierende Bremsen waren uns fremd. Wir mussten uns mit eiligst in Sachsen gefertigten Hemmschuhen behelfen.
So zogen wir nun Tag für Tag durch Sachsen, manchmal nur durch einen Ruhetag unterbrochen. Das Wetter wurde auch langsam besser und so war alles erträglicher. Ein Vorteil war, dass die staatliche Ordnung immer noch funktionierte. Die Fahrroute wurde meistens von Kreisstadt zu Kreisstadt festgelegt. Die abendliche Unterkunft war von Anfang an ein Problem, aber wurde immer wieder gelöst und wenn es auch nur ein Massenquartier mit Stroh war. Wir haben auch schöne Erlebnisse gehabt und Gastfreundschaft gespürt. Aber nicht nur die abendliche Unterkunft war wichtig, Verpflegung wurde auch gebraucht. Am Anfang war das von daheim Mitgebrachte sehr hilfreich. Wir bekamen aber auch unterwegs Lebensmittelkarten und
gute Menschen gab es überall. Genauso verhielt es sich mit dem Viehfutter, das oft erstritten werden musste. Manchmal gelang es nur .mit Hilfe der Behörden. Es war ja irgendwie verständlich. Die Bauern längs des Fluchtweges hatten ja auch nur Futter für ihr eigenes Vieh im Frühjahr vorrätig. Das alles trotzdem gelöst wurde, ist fast schon ein Wunder, denn es waren doch in den letzten Kriegswochen Hunderttausende unterwegs.
Im Raum Zwickau/Plauen überflogen uns zum ersten Mal Tiefflieger und wir mussten Deckung suchen. Gott sei Dank ist nie etwas passiert. Wir waren nicht allein auf der Straße. Im Vogtland zogen Kolonnen von Kriegsgefangenen und Häftlinge in die gleiche Richtung. Vielleicht sind wir deshalb von Tieffliegern verschont geblieben. Es war schon ein Elend in diesem Frühjahr 1945.
So kamen wir nun nach Kleinfriesen, einem Ortsteil von Plauen. Dort waren wir einige Tage in einem Gasthaus untergebracht. An ein Bleiben war nicht zu denken. Laufend war Fliegeralarm und die Stadt erlebte einen Luftangriff nach dem anderen. So spannten wir wieder unsere Ochsen an und fuhren über eine Wiese direkt auf die nah vorbeiführende Autobahn. So etwas war seinerzeit einfach möglich. Die Freude war kurz, schon nach wenigen Kilometern versperrte uns die noch nicht fertiggestellte Brücke bei Pirk den Weg und wir mussten die Autobahn verlassen. Die riesige Brücke hat mich als Flachländer sehr fasziniert und nach der Wende war eines meiner ersten Besuchsziele diese Stelle.
Ab Pirk benutzten wir die damalige Reichsstraße und jetzige B 173. In Ramoldsreuth konnten wir übernachten. Das Dorf ist als Einzugsgebiet der Talsperre Dröda in den fünfziger Jahren eingeebnet worden und ich habe es nicht mehr gefunden.
Von Ramoldsreuth aus fuhren wir in Richtung Süden bis auf einmal der Name Ulitz, Kreis Hof auftauchte. Wir waren in Bayern!
In Hof musste sich mein Vater als Treckführer bei der Kreisleitung - Amt für Volkswohlfahrt - melden und erhielt am 14. März 1945 den erlösenden Bescheid mit folgendem Wortlaut: „Treck vom Heimatort Lindenkranz Kreis Glogau, Treckführer Herman Radenz mit 15 Personen, 2 Pferden, 7 Ochsen und 4 Wagen, ist im Auftrag der Gauverwaltung Bayreuth dem Kreis Kulmbach zur Quartiernahme zugewiesen." Ein erster Hinweis, dass unser langer Fluchtweg ein Ende nehmen soll!
Zunächst verlief unsere Wegstrecke durch Hof und auf der 2 bis Konradsreuth, wo wir endlich eine Übernachtungsmöglichkeit fanden. Am nächsten Tag schafften wir es nur bis Schlegel. Von dort fuhren wir durch Münchberg auf der 289 in Richtung Kulmbach. Unser nächster Übernachtungsort war am 17. März Marktleugast. Zum ersten mal stand im Ortsschild „Kreis Stadtsteinach". Ein Name, der in den Nachkriegsjahren einige Bedeutung für uns haben sollte.
Nach einem Tag Ruhepause in Marktleugast setzten wir am 19. März unseren Weg in Richtung Kulmbach fort. In Kupferberg verließ uns aller Mut und alle Kraft. Wieder lag vor uns eine längere Gefällstrecke und wieder das Problem mit unserem jungen Ochsen, der jedesmal bergab ausgespannt werden musste. Irgendwie waren wir so nahe an Kulmbach am Ende. 500 Kilometer hatten wir hinter uns gebracht und nun wollte es nicht mehr weitergehen. Mein Vater suchte sich ein Telefon und rief die Kreisleitung in Kulmbach an. Und dort fand man eine Lösung: Wir waren ein kleiner Treck und so wurde uns Gösmes und Walberngrün, Kreis Stadtsteinach, als vorläufiger Aufenthaltsort zugewiesen. Wir wussten nicht, was auf uns zukommen würde, aber wir waren froh, endlich einmal irgendwo bleiben zu können!
In Kupferberg wendeten wir und fuhren zurück nach Marktleugast. Dort blieben wir noch eine Nacht. Am 20. März schafften wir es gerade bis Wüstenselbitz, um noch einmal zu übernachten. Am 21 März 1945 brachen wir auf und der Weg führte uns von Wüstenselbitz über Helmbrechts und Ort nach Gösmes und Walberngrün.
So sind wir am 21. März 1945 in Gösmes angekommen. Dort verblieb die Familie Paul Kandale mit ihrem Ochsengespann. Die Familien Heinrich Fröhlich, Paul Fröhlich und wir fuhren weiter nach Walberngrün, wo uns Bürgermeister Karl Wirth und Wolf Hohenberger begrüßten. Der erste Ausspruch von Wolf war: "Bei uns braucht man im Sommer fei Hendschich."
500 Kilometer war unser langer Weg von Osten her. In all dieser Zeit hat unser Ukrainer Viktor das Gespann geführt und die Ochsen betreut. Weder ich noch mein Vater hätten es gekonnt. Er hat zur Familie gehört und oft hat er mit mir in einer Scheune geschlafen. Wir sind ihm zu großem Dank verpflichtet. Die Fremdarbeiter mussten sich im Mai bei einer Sammelstelle melden. Wir haben nie mehr was von ihm gehört.
Am 23. Januar 1945 mussten wir unsere Heimat bei Frost, Schnee und Eis verlassen und fanden am 21. März 1945 in Walberngrün, 500 km westwärts, eine vorläufige Bleibe. Es war ein langer Weg, voller Not und Entbehrungen, aber wir haben alles überstanden.
Es gab aber auch Familien, die mit ihren Treckwagen nicht schnell genug vorankamen und vom Kriegsgeschehen überrollt wurden. Sie haben dann versucht, in ihre Heimat zurückzukehren, was einigen auch gelang. Sie sind aber im Sommer 1945 unter großen Strapazen von den Russen und Polen ohne Habe und ohne Gespann erneut vertrieben worden
Es ist auch 1945 wieder Frühling geworden!
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