Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 3, März 2010

Mehr als 100 Heimatfreunde gedachten der Flucht und Vertreibungsgeschehnisse vor 65 Jahren

 

 

 

Vor 65 Jahren begann Mitte Januar 1945 die Räumung der Stadt und des Landkreises Glogau vor den heranrückenden Truppen der Roten Armee. Etwa 80.000 Menschen lebten zu dieser Zeit in diesem Landstrich. In nimmer enden wollenden Trecks mussten sie ihre Heimat verlassen und auf überfüllten Straßen und Zügen gen Westen ziehen, mit unbekanntem Ziel und ungewisser Zukunft. Viele Menschen, vor allem Kinder und Ältere, starben auf diesem Weg. Am 30. Januar lud die Bezirksgruppe Franken zu einem Gedenkgottesdienst ein, der dem Beginn dar Flucht und Vertreibungsgeschehnisse und dem Verlust der Heimat gewidmet war.
Aus ganz Oberfranken fanden sich Mitglieder in der Dreieinigkeitskirche von Bad Staffelstein zu einem ökumenischen Gedenkgottesdienst ein. Bezirksgruppenleiter Thomas Kinzel rief in seinen einleitenden Worten bei den Anwesenden die Erinnerung zurück. Als sie, alle fast noch Kinder - damals in einem strengen Winter bei 28 Grad Kälte die Heimat verlassen mussten.


Für viele war dies ein tiefer und unumkehrbarer Einschnitt in ihr Leben. Heute ist die Heimat nur noch in der Erinnerung vorhanden, dennoch ein Teil ihres Lebens geblieben. Hfrd Kinzel ermunterte alle Anwesenden mit Reisen nach Schlesien, die Liebe zur Heimat zu erhalten und zu erneuern. Er verwies auf Kontakte mit der heute dort lebenden polnischen Bevölkerung und sah u.a. in den bisher errichteten Gedenkstätten ein Zeichen der Versöhnung.


Diese Gedenkstätten wurden als Endlos-Bildserie während des Gedenkgottesdienstes gezeigt. Der evangelischen Kirchengemeinde dankte Hfrd Kinzel für die herzliche Aufnahme, sowie der Pfarrerin Sabine Schmid-Hagen und Pastoralreferent Josef Rösler für den Gottesdienst.
In ihrem Willkommensgruß hob die Pfarrerin hervor, dass die Dreieinigkeitskirche in enger Beziehung zur Vertreibung der Schlesier steht. Denn es gäbe sie wahrscheinlich nicht, wenn nicht nach Kriegsende über 2000 evangelische Neubürger in Bad Staffelstein aufgenommen worden wären.
Nachdem Sabine Schmid-Hagen dem ersten Bürgermeister Jürgen Kohmann und seiner Gattin für die Teilnahme gedankt hatte, eröffnete sie den Wortgottesdienst mit dem Bibelwort; „Aus der Unruhe meiner Tage komme ich zu dir, nimm mich in deine Geborgenheit".
In ein Flugzeug lud Pastoralreferent Josef Rösler die Anwesenden gedanklich ein und ließ sie über den mittelalterlichen Stadtkern von Glogau schweben. Mit bewegter Stimme, da er selbst Heimatvertriebener ist, führte Josef Rösler die Frauen und Männer in ihre Kindheit und Heimat zurück, in der sie gerne weiter gelebt hätten. „Aber es sei nicht alles Glanz und Gloria gewesen", gab Rösler zu bedenken, denn ihre Generation hatte in der Kindheit meist nur von friedvollen Zeiten gehört, es habe ja schon sechs Jahre lang Krieg geherrscht. Flucht, Vertreibung, Hunger, Tod, dies alles führte zu Zweifeln an Gott: „Warum lässt du das zu?"
„Sind die Ereignisse von 1945 als Handschrift Gottes zu verstehen?", diese Frage ließ Josef Rösler im Raum stehen. Nach seinen Gedanken über Flucht und Vertreibung bat er die Heimatvertriebenen beim Lied des Gefangenenchores aus der Oper „Nabucco" alles Erlebte auf sich wirken zu lassen, vor allem aber den letzten Satz des Liedes: Lass die Sonne der Freiheit nicht untergeh'n ... lass die Heimat uns seh'n!
Pfarrerin Schmid-Hagen griff den Gedanken mit dem Flugzeug auf und startete zu einem Flug durch die neue Heimat. „Auch wenn mancher Einheimische die Flüchtlinge als Habenichtse bezeichnet habe, so habe es doch viele Menschen mit Mitgefühl und Verständnis gegeben."
Trotz Wehmut an die alte Heimat, sollten alle Gott für die gelungene Integration, ein Leben in Freiheit und wirtschaftlichem Erfolg danken. Sie rief die Anwesenden auf, Verständnis für die polnische Bevölkerung aufzubauen, deren Familien teilweise selbst Vertriebene sind. Nach einem Orgelstück von Johann Sebastian Bach entzündeten die Anwesenden für jeden, der ihnen aus ihrer Familie in die letzte Heimat vorausgegangen ist, eine Kerze.


Im Anschluss an den Gedenkgottesdienst tauschten die Heimatvertriebenen im evangelischen Gemeindehaus - bei Kaffee und schlesischem Kuchen - noch viele Erinnerungen aus. Eine Reise durch Schlesien, die von Hfrd. Friedhelm Haun aus Kulmbach anhand eigener Dias unternommen und mit vielen Pointen kommentiert wurde, bildete den Abschluss des denkwürdigen Zusammenseins.


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