Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 2, Februar 2010

Querverbindungen Glogau - Fraustadt

 

 

von Herrn Schröter

 

Bis vor einigen Jahren hatten wir eine Schwesternzeitschrift, die sich „Fraustädter Ländchen" nannte. Unter diesem Namen war sie allerdings schon viele Jahre vor der Vertreibung von dem Fraustädter Gymnasialprofessor Dr. Schober eingerichtet und redigiert worden. Vor der Flucht berichtete sie über kulturelle und historische Ereignisse im Nachbarkreis Fraustadt. Nach der Vertreibung führte (mein Englisch-Lehrer von einst) Prof. Dr. Schober sie bis ins hohe Alter mehrere Jahre in Liebe weiter. Sie wurde weiterentwickelt zu einem Blatt für die Fraustädter Flüchtlinge.

Es gab schon immer kreisüberschreitende Beziehungen zwischen beiden Kreisen
Das „Fraustädter Ländchen" hatte einen kleineren Berichts- und Verbreitungsbereich als unser Neuer Glogauer Anzeiger. Der Kreis Fraustadt war ja auch kleiner als der Kreis Glogau. Vor einigen Jahren musste dieses Heimatblatt leider sein Erscheinen aus mancherlei Gründen einstellen. Die Verbindungen zwischen Fraustadt und Glogau und zwischen den beiden Kreis-Institutionen waren fast immer gut. Manche einstigen Bewohner des Kreises Fraustadt sind danach Leser unserer Zeitschrift geworden.

Das Beispiel Schlichtingsheim
Als eine gute Querverbindung zwischen den Kreisen Fraustadt und Glogau sehe ich es an, dass die Nachrichten und auch einige etwas umfangreichere Aufsätze, die sich mit dem Bezirk um Schlichtingsheim befassen (der ja verwaltungstechnisch nahe bei Glogau lag, aber zum Kreis Fraustadt gehörte ), schon seit langem in unserem Neuen Glogauer Anzeiger erscheinen. Deshalb dürfen und wollen wir in unserem Blatt auch weiterhin über einige weitere Querverbindungen sprechen.
Auch über andere Geschehnisse aus dem Kreis Fraustadt, insbesondere jene, die unsere beiden Kreise grenzübergreifend betrafen, haben wir gelegentlich geschrieben - wie einst umgekehrt das „Fraustädter Ländchen" früher auch über uns.

Tägliche „Grenzgänger" waren die Fahrschüler aus der Schlawaer und Deutschecker Ecke
Heute soll es um eine wichtige tägliche Querverbindung zwischen beiden Kreisen gehen. Sie wurde von der Schuljugend hergestellt und bis zum Schluss, das heißt bis zur Vertreibung, aufrechterhalten. Ich gehörte von 1935 bis 1943, also von Sexta bis zum Abitur zu jenen „Grenzgängern".
Für viele junge Leute, die in der„Schlawaer -Altstrunzer Ecke" wohnten, also aus Schlesiersee, Laubegast, Morgenstern bei Linderei, Salisch, Altstrunz und Neustrunz kamen, hatten insbesondere die Mittelschule und das Gymnasium in der Nachbar-Kreisstadt Fraustadt eine große Bedeutung. Nicht wenige neun- bis zwanzigjährige Schüler von dort besuchten täglich eine der beiden Schulen im Nachbarkreis. Und sie fuhren am Nachmittag nach der Unterrichtszeit in ihre Heimatorte im Kreis Glogau zurück. Manche (wie auch ich) hatten allerdings noch vom Aussteige-Bahnhof aus eine Fuß- oder Fahrrad-Strecke zurückzulegen, sodass sie erst gegen 15 Uhr daheim ankamen. Bei meinen Brüdern und mir waren es immerhin 4 Kilometer.

Früher war es anders!
Das war nicht immer so. Am Beginn der dreißiger Jahre besuchten viele Schüler aus diesem Bereich die weiterführenden Schulen in unserer Kreisstadt Glogau. Weshalb gab es auf einmal in den dreißiger Jahren diese große Umstellung der Bevorzugung von Fraustadt? Die Antwort ist nach so vielen Jahrzehnten zwar nicht leicht, aber doch möglich.

Warum wurde auf einmal Fraustadt als Schulort bevorzugt?
Einmal hatte das natürlich damit zu tun, dass es von Schlawa nach Fraustadt nur knapp 24 Bahnkilometer waren, die man fahren (und bezahlen) musste. Nach Glogau (von Schlawa aus) dagegen waren es über 31 km. Die Fahrkarte nach Fraustadt war deshalb natürlich billiger.
Um es ganz persönlich zu machen: Warum ging mein Bruder Johannes, der 13 Jahre älter war als ich, am Anfang der 30erJahre von seiner Schule, dem Glogauer Gymnasium, ab und wechselte nach Fraustadt über?
Ich vermute, dass es (neben der Fahrpreis-Verbilligung) allein damit zusammenhing, dass ab den dreißiger Jahren die (damalige) Reichsbahn zwar ihren ersten Morgenzug von Schlawa nach Fraustadt schulkinderfreundlich im Fahrplan platziert hatte, nicht aber den Zug nach Glogau.

Hauptargument für die Neuausrichtung nach Fraustadt war also der schülerfreundlich gewordene Reichsbahn-Fahrplan!
Vergleichen wir die früheren, die Fahrpläne Schlawa-Glogau und Schlawa-Fraustadt von 1913 miteinander und dann die zwei Jahrzehnte späteren, dann entdecken wir, dass in dem Jahr vor dem Ersten Weltkrieg (1913) der erste Zug von Schlawa nach Glogau bereits um 5.11 Uhr abfuhr. Er war bereits um 6.15 Uhr in Glogau. Was sollten die Kinder und Jugendlichen, die zu nachtschlafender Zeit ihr Elternhaus hatten verlassen müssen, um diese Zeit in der Kreisstadt, obwohl der Unterricht erst fast 2 Stunden später begann, nämlich um 8 Uhr?! (Der nächste Zug aus Schlawa kam erst um 10.35 Uhr in Glogau an.)
Aber auch der erste und zweite Zug von Schlawa nach Fraustadt waren, wie der folgende Aufsatz zeigt, im Jahr 1913 schulungeeignet. Auch dieser erste fuhr viel zu zeitig ab! Und der zweite viel zu spät.
Ich weiß, dass mein ältester Bruder Johannes, der Gymnasiast in unserer Kreisstadt war (13 Jahre älter als ich) deshalb zeitweise in Glogau in Pension lebte. Er war übrigens dort bei einer Nenn-Tante mit Namen Seidel untergebracht, die auch zur Landeskirchlichen Gemeinschaft in Glogau gehörte, von der ich aber sonst nichts mehr weiß.
Die Schüler-Situation änderte sich für die Strecke nach Fraustadt (wahrscheinlich) erst am Anfang der dreißiger Jahre. Der genaue Zeitpunkt der Umstellung lässt sich heute nicht mehr ermitteln. Der neue Fahrplan von Schlawa nach Glogau blieb schulunfreundlich (ab Schlawa 5.45 Uhr, an Glogau 6.49) . Der erste Zug nach Fraustadt dagegen sah bereits am Beginn der dreißiger Jahre so aus, wie er nach 1937 gestaltet wurde, als aus Schlawa ein Schlesiersee geworden war und viele andere Orte neue Namen angenommen hatten.
Der Morgenzug fuhr nun erst um 6.40 Uhr, in einigen Jahren sogar erst um 6.50 Uhr in Schlesiersee ab und traf „schulfreundlich" in Fraustadt ein. Da wir dort noch ca. zwei Kilometer Schulweg vom Bahnhof zur Penne, dem Gymnasium, zu laufen hatten, kamen wir rechtzeitig kurz vor Schulbeginn an.
Die Mädchen, die damals zumeist auf die Fraustädter Mittelschule (Realschule) gingen, die wir frechen Buben respektlos die „Gänsepenne" nannten, hatten etwa 200 m mehr zu laufen als wir Jungen.
Jene Mädchen, die weiterlernen wollten, wechselten übrigens erst nach der Mittleren Reife auf die Untersekunda unserer Jungenschule über, deren untere Klassen ihnen zunächst verschlossen waren. Später aber war die Wahl - ob Gymnasium oder Mittelschule - für alle Kinder von Anfang an frei. Doch auch für die Fahrschüler-Mädchen beider Schulen reichte die Zeit bis zum Unterrichtsbeginn!
Der Wandel zeigte sich auch in der Namensgebung: Als ich in die Sexta kam, hieß meine Schule „Reform-Realgymnasium", später dann „Oberschule für Jungen" und zuletzt einfach „Oberschule".
Ich nehme an, dass meinem Vater, einem Dorf-Schulmeister mit kleinem Einkommen, die Pensionskosten für meinen ältesten Bruder in Glogau einfach zu hoch wurden, sodass er die Gelegenheit nutzte und Johannes nach Fraustadt umschulte. Denn wir waren ja sechs Kinder! Wir jüngeren wurden gleich in Fraustadt eingeschult. Der Morgenzug machte es möglich!

Was die Umschulung nach Fraustadt mit einer Goldenen Hochzeit in unserer Familie zu tun hat!
Die Umschulung von Johannes von Glogau nach Fraustadt sollte sich übrigens im nachhinein noch in einer anderen Hinsicht als (vorausschauend) sehr positiv erweisen. Denn in der neuen Klasse in Fraustadt fand Johannes bereits die Tochter des Pfarrers Alexander Klinkert, Erdmut Klinkert, aus Altstrunz (Deutscheck) vor. Mit ihr konnte er 1939 die Hochzeit und fünf Jahrzehnte später (im Jahr 1989) die Goldene Hochzeit feiern! Die Goldene allerdings nicht mehr in Schlesien, sondern in Hessen.
Aber das wussten Erdmut und Johannes damals natürlich noch nicht, als er die neue Klasse in Fraustadt betrat und damit erstmals seiner künftigen Frau begegnete. Beide ahnten nicht, was aus dieser schicksalhaften ersten Begegnung werden würde!

Reichsbahn-Fahrpläne aus verschiedenen Zeiten
Auch im Zusammenhang mit dem vorstehenden Aufsatz bringen wir einige Fahrplan-Besonderheiten aus verschiedenen Jahrzehnten. Sie hatten in einer Zeit, in der es noch keine oder sehr wenige Autos gab, eine große Bedeutung für die Verbindungen innerhalb der Landkreise und zwischen den Kreisen, wie z.B. zwischen den Kreisen Glogau und Fraustadt.
Am Anfang sollen zwei Reichsbahn-Fahrpläne aus dem Jahr 1913 stehen, also ein Jahr vor dem Beginn des Ersten Weltkriegs:
Da ist zuerst der Reichsbahn-Fahrplan aus dem Kursbuch von 1913. Schlawa lag an der Strecke Glogau-Kontopp und zurück. (Möglicherweise war die Strecke zwischen Kontopp und Züllichau-Schwiebus damals noch nicht gebaut worden. Ich kann es nicht mehr feststellen. Vielleicht ein anderer NGA-Leser?) Der erste Zug nach Glogau fuhr in Schlawa bereits um 5.11 Uhr ab.
Der erste Zug nach Fraustadt (Fahrplan auch von 1913) fuhr sogar noch 11 Minuten eher ab. Beide Züge waren deshalb für Fahrschüler, die eine weiterführende Schule besuchen wollten und in der „Altstrunz-Schlawaer-Ecke" unseres Kreises wohnten, in diesen Jahren wenig brauchbar.

Am Beginn der dreißiger Jahre waren alle Fahrzeiten in Richtung Fraustadt auf Dauer geeigneter für Schüler geworden als die nach Glogau. Daher blieb Glogau nicht mehr Schulbesuchs-Ort für junge Leute aus unserer Gegend. Fraustadt wurde das Ziel für jene Orte im Kreis Glogau, die den Zug nach Fraustadt erreichen konnten. Das waren Schüler aus: Schlawa, Laubegast, Pürschkau, Rädchen, Sperlingswinkel, Morgenstern bei Linderei, Deutscheck und Neustrunz. Und aus dem Forsthaus Thiergarten, das zu dem Dorf mit dem eigenartigen Namen „Mäusewinkel" gehörte. Dort wohnte übrigens die einzige mir bekannte Familie, die über ein Privatauto verfügte. Mit ihm fuhr der Förster Proposch seine beiden Kinder Wolfgang und Annerose an jedem Morgen vor Dienstantritt zum Bahnhof Schlawa.

Der Fahrplan von 1939 sorgte dafür, dass alltags viele Schüler aus der Gegend von Schlesiersee und Deutscheck zu den weiterführenden Schulen nach Fraustadt fahren konnten. Und dass außerdem sonntags viele Fraustädter den wunderschönen Schlesiersee, immerhin der größte See von Schlesien, und sein Erholungsgebiet besuchen konnten.

Dieser Fahrplan aus der Zeit nach der Namens-Umstellung von 1937 zeigt auch, dass werktags der erste Zug Schlesiersee, wie Schlawa nun hieß, nicht mehr wie bis dahin um 5.00 Uhr, sondern erst um 6.40 Uhr verließ und über Linderei - Deutscheck (wie die einstigen separaten Orte Salisch, Merzdorf und Altstrunz nun insgesamt hießen) - Weigmansdorf und Lissen das Ziel Fraustadt um 7.24 Uhr erreichte. Dieser Schülerzug war früh genug in Fraustadt, so dass die Gymnasiasten und Mittelschüler („Gänsepenne") noch rechtzeitig ihre Schulen vor 8 Uhr erreichen konnten.
Der Zug fuhr damals natürlich auch am Samstag, denn - im Gegensatz zu heute - war jeder Samstag auch ein Schultag wie alle anderen. Allerdings abgesehen von wenigen Monaten nach der Machtübernahme Hitlers, als der gesamte Samstag als „Staatsjugend-Tag“ unterrichtsfrei und für den Hitlerjugend-Dienst reserviert war. Der Druck der Öffentlichkeit und der Pädagogen beendete bald dieses Zwischenspiel. Ich habe es aber selber als Sextaner oder Quintaner kurze Zeit hindurch erlebt.

Auch der Sonntags-Fahrplan hatte seine Bedeutung.
Wenn man diesen Fahrplan genauer studiert, fragt man sich, weshalb sonntags ein erster Zug ausgerechnet zu einer zunächst sehr ungünstig erscheinenden Zeit wie 8.20 Uhr Fraustadt verließ und um 9.03 Uhr in Schlesiersee ankam.
Die Antwort ist leicht: Schlawa hatte sich, vor allem als Schlesiersee, immer mehr zu einem kleinen „Bade - und Erholungsort" gemausert, den auch Fraustädter gern, insbesondere sonntags, im Sommer, besuchten. Der Schlawaer See, der sich nun Schlesiersee nannte, war mit seinen 12 km Länge und 3 km Breite immerhin der größte See von Schlesien. Und nicht nur die Städter besuchten ihn gern, auch andere Sportinteressierte und Erholungssuchende von der Strecke Fraustadt-Schlesiersee.
Autos waren damals doch sehr selten und in den Kriegsjahren nur wenigen amtlichen Personen vorbehalten.

Als Kotzemeusche! seinen Namen verlor
Interessant ist ein Vergleich der beiden Fahrpläne von 1934 und 1939. Beide beschreiben die gleiche Strecke! Aber viele Namen haben sich auch auf der Strecke von Schwiebus nach Glogau über Schlawa/Schlesiersee geändert. Man erkennt dies, wenn man die Namen vergleicht. Viele sind neu „erfunden" worden.
1937 war das Jahr, in dem viele schlesische Ortsnamen verschwanden und neue
an ihre Stelle rückten.
In einem Falle war die Ursache wohl die Tatsache, dass der Name von vornherein unschön, hässlich wirkte. Wer wollte schon in „Kotzemeuschel" wohnen?! Da war natürlich „Dammfeld", der neue Name, etwas lieblicher.
Der Grund für fast alle anderen? Man wollte jene Namen verschwinden lassen, hinter denen man einen slawischen Ursprung vermutete.
Im Einzelnen änderten sich die Namen bei den Orten an der Bahnstrecke so: aus Tschicherzig bei Züllichau wurde Odereck, aus Radewitsch entstand Früchtenau. Schussenze (bei Kontopp, das seinen Namen merkwürdigerweise behalten durfte) hieß nun Ostlinde, der Nachbarort Schenawe dagegen wurde in Schönforst benannt.
Dass Schlawa als zu slawisch empfunden wurde und ab 1937 Schlesiersee hieß, ist verständlich. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die kleine Stadt auch heute noch so heißt wie vor 1937, wenngleich sie auch Slava geschrieben wird. Das ist ja voll slawisch!
Aus Tschepplau wurde Langemark und aus Klein-Gräditz bei Glogau der Ort Niederfeld.
Zum Abschluss bringen wir, stellv. für die hier aus platzgründen nicht veröffentlichten Fahrpläne, kommentarlos den größten Teil aus dem Fahrplan von Breslau - Glogau -(Cüstrin - Stettin) von 1913, als noch die „Preußischen Staatsbahnen" dafür verantwortlich waren, und zwar den Abschnitt bis Neusalz. Es gibt wahrscheinlich mehrere Leser aus unserem Kreis Glogau, die gern in ihm (mit ihren Augen) „spazieren gehen"!
Fahrplan

 

Gymnasium Fraustadt

Das Gymnasium in Fraustadt, das in der Zeit von 1935 bis 1945 dreimal seinen Namen wechselte: Zuerst hieß es „Reform-Realgymnasium", dann „Oberschule für Jungen" und zuletzt nur noch „Oberschule". Viele Kinder und Jugendliche aus dem Kreis Glogau besuchten diese Schule. Die Aufnahme stammt aus dem Jahre 1985. Heute ist es noch immer eine weiterführende Schule, (wahrscheinlich) mit dem Namen „Lyzeum".

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