Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 1, Januar 2010

Zu Besuch in meinem Heimatdorf Trebitsch

 

 

von Dr. Reinhard Winter

 

Zunächst einmal sei den Heimatfreunden Dieter Krems nebst Ehefrau und Wilfried Polte sehr herzlich gedankt. Ihrer Initiative und Einsatzfreude ist es nämlich zuzuschreiben, dass die Ortsgruppe Polkwitz/Niederpolkwitz im Glogauer Heimatbund mit mehr als 80 Personen ihrer schlesischen Heimat einen vielleicht letztmaligen Besuch abstatten konnte (vgl. darüber den Bericht im Glogauer Anzeiger Nr. 10/2009). Meine Frau und ich konnten sich dieser Heimatgruppe zu einem Besuch im sehr nahe gelegenen Trebitsch (ab 1936 Rodetal) anschließen. Das Besondere an diesem unsererseits wahrscheinlich ebenfalls letzten Heimatbesuch besteht darin, dass es der nach 1964 und 1993 inzwischen dritte Besuch war, und wir infolgedessen einige Vergleiche von einst und jetzt anstellen können. Über das alte „Vorkriegstrebitsch" bzw. Rodetal hat bereits Heimatfreundin Frau Martha Marquardt sehr liebevoll, originell und hochkompetent berichtet (vgl. dazu den Glogauer Anzeiger Nr. 8/1966). 1963 konnte ich noch mit meinen Eltern und 1993 mit meinem Vetter unserem Geburtsort und der Heimat unserer Kindheit und Jugend einen wenn auch kurzen, so doch sehr schönen und instruktiven Besuch abstatten.
Das wirklich Erfreuliche beider Besuche bestand darin, dass uns von den polnischen „Neutrebitschern" mit bemerkenswerter Freundlichkeit begegnet wurde. So konnten wir uns beispielsweise im ehemaligen Hause meines Vetters mit der Hilfe einer polnischen Dolmetscherin bei Kaffee und Kuchen sehr entspannt über unsere kriegsbedingt sehr verschiedenen Schicksale unterhalten. Deutlich wurde, dass auch manche der heutigen Dorfbewohner nicht ganz freiwillig ihre angestammte Heimat (z.B. ehemals Ostpolen) verlassen mussten, bzw. andere als ehemals sog. „Ostarbeiter" nach versuchter Heimkehr zum Bleiben in Trebitsch (heute
Trzebcz) genötigt worden waren. Generell fiel auf, dass sich 1964 und selbst noch 1993 relativ wenig am ehemaligen Ortsbild von Trebitsch verändert hatte. Gasthof, Schule und besonders der ehemalige Gutshof mit Schloss zeigten - z.T. bereits als Folge von Bergbauschäden – einige deutliche Verfallserscheinungen; für einige damals ungenutzte Häuser traf das verständlicherweise ebenfalls zu; das ehemalige Kriegerdenkmal war geschliffen worden; der Friedhof als solcher kaum noch erkennbar.
Was sahen und erlebten wir nun bei unserem jüngsten Besuch? Zunächst ist zu berichten, dass wir allerschönstes Wetter hatten. Nicht zuletzt auch deswegen präsentierte sich meine ehemalige Heimat - von der Polkwitzer Höhe kommend - als ein sehr idyllisch gelegenes und in üppiges Grün verpacktes kleines Dörfchen, das 1936 - wenn man vom politischen Hintergrund absieht - nicht ganz zu Unrecht von Trebitsch in Rodetal umbenannt worden war (unser Lehrer Gründer hatte uns immer erzählt, dass das alte Trebitsch im 30jährigen Krieg zerstört worden sei und erst nach Rodung des jetzigen Tales seinen heutigen Standort gefunden hätte!).
Bereits der erste Eindruck aus dem langsam in das Dorf rollende polnische Taxi überzeugte, dass sich seit 1964 und 1993 - unseren Erstbesuchen - zugunsten des Ortes Erhebliches verändert hat. Im „Neuen Glogauer Anzeiger", Heft 3/2004, ist ein langer Bericht zum unmittelbar benachbarten Polkwitz mit der Überschrift „Heerwegen im Wohlstand" tituliert worden. Für Trebitsch wäre eine gleichartige Kennzeichnung keinesfalls weniger berechtigt. Unser polnischer Gastgeber und nicht nur er haben sich sehenswert schöne Wohnhäuser gebaut (siehe Abb. 1); ehemalige Bauernhäuser sind zu ansehnlichen Wohngrundstücken umfunktioniert und entsprechend hergerichtet worden (siehe Abb.2): ältere Grundstücke aus der Vorkriegszeit sind gänzlich saniert, oft farbenfroh gestrichen und teilweise mit gepflegten Vor- bzw. Hausgärten verschönt worden. Die ehemals unbefestigte Dorfstraße verfügt durch das ganze Dorf über einen stabilen Belag, einen teilweise mit Ziersteinen gepflasterten Bürgersteig und häufig über gepflegte Blumenrabatten an ihren Seiten (siehe Abb. 3). Besonders erfreulich ist auch der nunmehrige Zustand des ehemaligen, ganz am Dorfende gelegenen deutschen Friedhofs. Bei meinem Erstbesuch von 1964 mit meinen Eltern sind mein Vater und ich noch durch das Unterholz gekrochen, um einige verbliebene Grabsteine - darunter auch die seiner Eltern - aufzurichten und zu stabilisieren. 1993 waren bei dem Besuch mit meinem Vetter nur noch einige umgestürzte sowie mit Erde und Gestrüpp verdeckte Steine ausfindig zu machen. Inzwischen hat sich der Heimatfreund Gerhard Schwabe aus Wetter (Ruhr) das nicht hoch genug zu würdigende Verdienst erworben, unter Einsatz eigener Geldmittel für eine im Rahmen des Möglichen symbolische Friedhofsgedenkstätte zu sorgen (siehe Abb. 4). Besonders zu schätzen ist dieses Verdienst auch deshalb, weil es nicht unwesentlich gegen Vorbehalte polnischer „politischer Obrigkeiten" durchgesetzt werden musste und hoffentlich weiterhin von Bestand ist.
Von den im Ganzen außerordentlich schönen Eindrücken sind aber auch einige weniger erfreuliche bzw. persönlich berührende zu nennen. Dazu gehören der derzeitige Leerstand des erst 1936 erbauten und zum Verkauf anstehenden Hauses meiner Eltern und besonders auch der sichtlich zunehmende Verfall der Mühle und Bäckerei des Familienbetriebes meiner Großeltern und Eltern, der Stätte meiner Geburt und meiner unvergesslichen Kinder- und Jugendjahre. Die Mühle und Bäckerei sollen bereits in den 1950er Jahren im Gefolge eines Frühjahreshochwassers mit Dammbruch des „Müllerteiches" in den Wassermassen „untergegangen" und in der Folge irreparabel geworden sein. Das Objekt ist dann in der Folgezeit zu einem Bergarbeiterwohnheim ausgebaut worden, dessen Funktion sich aber in den letzten Jahren offenbar zunehmend erübrigt hat und nur noch teilweise genutzt wird. - Gestaunt habe ich auch darüber, dass von den ehemals mehreren Teichen - den Vergnügungsstätten besonders unserer Kindheit im Sommer und Winter - kaum noch etwas oder gar nichts mehr übrig geblieben ist. Nach unserer und anderer Meinung ist dafür der seit den 1950er Jahren betriebene Kupferbergbau verantwortlich zu machen, der unter anderem zu einem erheblichen Absinken des Grundwasserspiegels und damit auch zum zunehmenden „Austrocknen" der ehemaligen Teiche und Bäche führt. An ihrer Stelle hat die Natur dankenswerterweise für die eingangs erwähnte üppige Begrünung von Trebitsch gesorgt und damit dazu beigetragen, dass wir nach einem wunderschönen Tagesbesuch in meiner ehemaligen Heimat doch freudig bewegt Abschied nehmen konnten. -
Zu dem damit verbundenen Treffen der mehr als 80 Heimatfreunde - bis aus den USA - muss unbedingt noch gesagt werden: Es gab dort keine „Wessis" und „Ossis", keine „Rechten" und keine „Linken" und schon gleich gar nicht irgendwelche „Revanchisten", sondern überwiegend ältere, aber erstaunlicherweise auch jüngere Leute, die sich unter Heimatfreunden vielfach verbunden fühlten und es sehr bedauern würden, wenn ein solches Unternehmen tatsächlich das letzte gewesen sein sollte.

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Abb. 1: Der in der Fertigstellung befindliche Neubau unseres polnischen Gastgebers

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Abb. 2: Der ehemalige Bauernhof ist zu einem ansehnlichen Wohngrundstück umgebaut worden

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Abb. 3: Die Straße inmitten des Dorfes mit Bürgersteig und Blumenrabatten

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Abb. 4: Die kleine Gedenkstätte auf dem ehemaligen deutschen Friedhof mit restlichen Grabsteinen und drei Ruhebänken

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