Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 11,November 2009

Ein tragisches Ereignis

von Hans-Joachim Breske

 

Dieser Titel bezieht sich auf die „alte Zeit" die schon ca. 187 Jahre zurückliegt. Mit Bedacht habe ich das Adjektiv „gute" nicht verwendet, denn nach heutigen Maßstäben waren damals die Lebensverhältnisse primitiv, trotzdem, die Menschen kamen zurecht. Da zu jener Zeit die Person eines Lehrers, als gebildeter Mensch, mehr geachtet war als jetzt, ist es verständlich, dass das Schicksal dieser Amtsperson (auch Küster und Organist) in der „Chronik der Gemeinde Groß Kauer" den entsprechenden Vermerk gefunden hat. Der Chronikschreiber - wahrscheinlich sein Nachfolger - schildert so realistisch die tragischen Vorkommnisse, die diesen Lehrer betreffen, dass diese Notizen wie ein Krimi gelesen werden können. Man kann mit Leichtigkeit die Geschehnisse sich bildlich vor Augen führen und miterleben. Den Text habe ich bis auf kleine Korrekturen wörtlich abgeschrieben. Versetzen Sie sich jetzt in das Jahr 1822.

Chronikauszug

Eine der traurigsten Begebenheiten, die den damals an hiesiger kath. Schule amtierenden Lehrer Wilhelm Thiem betraf, ereignete sich am 5-ten Dezember 1822. Es war zu dortiger Zeit etwas nicht Ungewöhnliches, wenn Lehrer bei öffentlichen Tanzvergnügungen musizierten. Diese Freuden endeten dann in der Regel, wie es ja selbst heut zu Tage trotz aller öffentlicher Sicherheit nur zu oft vorkommt, mit ungestümmn Toben, Zank etc, und es berührt mich nur zu unangenehm, wenn ich berichten muss, dass auch mein seliger Vorfahre in einen folgenden Streit verwickelt wurde.
Dieses in dem mir unbekannten Gasthause vorgefallene Ärgernis hatte für Wilhelm Thiem zur Folge, dass derselbe zu vierundzwanzigstündiger Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Um der an ihn ergangenen Order nachzukommen, begab er sich mittwochs den 4-ten Dezember nachmittags in das Inquistoriat (Gefängnis) nach Glogau. Donnerstagnachmittag wurde er wieder seiner Haft entlassen und trat alsbald seinen Rückweg an. Unterwegs gesellte sich unfern von Herrndorf ein Unbekannter zu ihm, der sich auf dasFfreundlichste mit ihm unterhielt und vorgab, dass auch er denselben Weg zu passieren habe, und deshalb sich dem W. Thiem als Begleiter anbot.
Sie setzten nun in Gesellschaft ihre Reise weiter fort, bis sie die Hälfte des Weges zwischen Samitz und Mangelwitz erreicht hatten. Auf die Worte des Lehrers Thiem „nun sehe ich ja schon das Licht meiner Mutter (Frau) ", blieb der Unbekannte unter dem Vorwande, einmal stehen zu bleiben, etwas zurück. Während des Zurückbleibens hatte aber der Fremde sein eigenes Halstuch abgebunden und schlang dasselb,e nachdem er nach einigen Schritten W. Thiem eingeholt hatte, um den Hals des gar nichts Schlimmes ahnenden Lehrers, zog das Tuch fest zusammen und glaubte schon nach einigen Minuten, seine grässliche Tat vollendet zu sehen.
Da aber sein ersonnener Mordversuch den Tod nicht schnell genug herbeiführte, so wurde der Unglückliche von seinem Mörder niedergerissen und die Absätze der Stiefel so lange in die Schläfen des W. Thiem vertieft, bis derselbe seinen Geist aufgab.
Wie sehr nur die verwitwete Frau am folgenden Morgen der Ankunft ihres Mannes geharrt haben mag, da ja derselbe zu der feierlichen im Advent in hiesiger kath. Kirche freitags gehaltener Roratemesse zu spielen und außerdem noch andere Amts-Verrichtungen vorhatte, davon kann man sich leicht einen Begriff machen. Wiederholt visierte Pfarrer Friedrich Geiger (von Groß Kauer) mit seinem Fernrohr den nach Glogau führenden Weg, das alles vergebens. Bald nach dem Gottesdienste hatte sich aber indessen die Kunde verbreitet, dass die evangelischen Schulkinder von Samitz in Mangelwitzer Sandgrube, in welche der Mörder die entseelte Leiche des W. Thiem geschleift hatte, einen Toten gefunden haben. In kurzer Zeit hatte sich eine große Menschenmenge an dem bekannten Orte versammelt, wohin auch die in banger Ahnung harrende Witwe des W. Thiem gerufen wurde.
Da der W. Thiem im Gesicht durch den fürchterlich erlittenen Tod und die Unterhosen und Unterjacke, die mit Blut befleckt waren, ganz unkenntlich war, so konnte man in den ersten Augenblicken den Entstellten nicht leicht erkennen, doch durch ein Federmesser, welches in der Brusttasche des Toten sich vorfand, wurde das Rätsel gelöst. Welch herzzerreißendes Wiedersehen dies für die Witwe, welche Mutter sechs unerzogener Kinder war, überlasse ich dem Gefühle des Lesers.
Die Leiche des W. Thiem wurde nach gesetzmäßig abgelaufener Frist feierlichst beerdigt.
Wenden wir uns zurück zum Mörder, dessen Name Speer war, und sehen wir ob auf Andrang seines bösen Gewissens er sich selbst in die Schranken des Richters stellte oder ob Speer durch die Wachsamkeit der Polizei etc. eingefangen wurde.
Da aber der Chronikschreiber jene Stunde, an welcher jene grässliche Tat verübt wurd,e nicht selbst durchlebt hat, so wiederhole ich nochmals, dass das Folgende die Nacherzählung derer ist, welche Augen- und Ohrenzeuge dieses bereits erzählten Ereignisses waren. Der Schreiber dieser Zeilen aber bürgte für die Wahrheit ihrer Aussagen. Unfern des Ortes, an dem Lehrer W. Thiem durch die Hand eines so furchtlosen Menschen enden musste, und welche Stelle heute vier hohe Pappeln im Quadrat, in deren Mitte ein Denkstein errichtet wurde, bezeichnen, befand sich zu dortiger Zeit eine Ziegelei. Bis dahin begab sich. Speer und legte sich dort, wie er später selbst aussagte, die geraubten Kleider des Gemordeten an. In diesem Anzuge wandte er sich nach der Gegend des Gebirges und versuchte, während seiner Reise noch einen Zweiten um das Leben zu bringen. Goldberg aber war die Stadt, die seinem ruchlosen Treiben durch die Gefangennahme in einem Kaufmanns-Laden ein Ende machte. Ob man Speer an den geraubten Kleidern des W. Thiem oder (wie man sagt) von dem zweiten Überfallenen, an welchem aber sein einfaches von ihm erprobtes Mord-Mittel fehl schlug, erkannte, weiß man nicht mit Bestimmtheit. Ich glaube, dass der erstere Fall annehmbarer als der zweite ist. Nachdem er festgenommen war, wurde er nach Groß Glogau in strenge Haft gebracht. Schon in seinem ersten Verhör gestand er sein schweres Verbrechen. Auf einem Wagen wurde er zu der verhängnisvollen Stelle, an welcher er das Verbrechen verübte, gebracht, erzählte alles umständlich, benahm sich aber gegen die fast unzählige Menschenmenge, die sich daselbst versammelt hatte, höchst unverschämt. Kurze Zeit darauf erhielt er den verdienten Lohn, indem sein Haupt vom Streichen des Henkers fiel. Ich glaube, dass Vorstehendes über so manches genügende Auskunft geben wird. (Chronik der Gemeinde Groß Kauer, Seite 32 bis 38).
Der Nachfolger des Herrn Thiem, der Lehrer Josepf Palutke, konnte noch im Dezember zwölf Schüler und das Schulgebäude übernehmen. Das Schulgebäude in Groß Kauer, wie es viele ehemalige Schüler und ich kennen (siehe auch NGA 10/2006 - Seite 9), wurde erst 1862 errichtet. Aufklärend möchte ich hinzufügen, das Gebäude vor 1862 war ein Holzhaus (Fachwerkbau) mit Lehmausfüllungen und mit Stroh gedeckt.
Das Schicksal der Witwe Thiem und der sechs Kinder ist in der „Chronik" nicht vermerkt worden.
Eigentlich braucht zu dieser Geschichte nichts hinzugefügt zu werden. Nur auf Eins möchte ich hinweisen - auf die wunderschöne Handschrift des Chronikschreibers. Seine exakt gezeichneten Buchstaben bewundere ich jedes Mal. Ein Ausschnitt ist beigefügt und könnte als Rätselfrage dienen: Welche Stelle im Text betrifft er?

Dom Glogau

zum Seitenanfang

zum Seitenanfang