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Die Erfindung der Fotografie hatte wohl gerade die ersten Versuche hinter sich, mit Apparaten so groß und ungelenk wie ein Kohlenkasten, als dem Fotografen eine Aufnahme mit diesem Motiv gelang. Immerhin, dieses erste Bemühen, unsere Stadt fotografisch zu archivieren, erlaubt es uns heute, Ansichten zu reproduzieren, die weit in die Glogauer Vergangenheit zurückreichen.
Unserem Heimatfreund Thomas Kinzel ist es zu danken, dass so ein seltenes Motiv in Form einer Postkarte in meine Hände kam.
Es dürfte, so ist zu vermuten, kaum ein Glogauer unter uns sein, der dieses Stadtbild so gesehen hat, wie es sich auf der Titelseite präsentiert. Von Pietrkowski, Ecke Markt Mälzstraße bis hin zum Kaufhaus Scheyer, das den Abschluss dieser Ansicht bildet, fand hier die Glogauer Lebendigkeit statt. Noch heute könnten beide Häuser den Ansprüchen eines Kaufhauses genügen.
Aus dem Kaufhaus Scheyer wurde später das Kaufhaus Tietz und danach folgend zog der Kaufhof dort ein. Die Kaufmannsfamilien Herrmann und Leonhard Tietz gehörten, wie auch der Gründer des Hauses, der jüdischen Gemeinde zu Glogau an.
Scheyer selbst kam als fliegender Händler in die Stadt. Seine Verkaufserfolge erlaubten es ihm, zunächst ein kleines Gebäude zu errichten, welches sehr bald aus allen Nähten platzte, bis er es zu der uns bekannten Größe ausbauen ließ.
Wie es im Glogau unserer Tage möglich war, Verkaufsflächen dieser Größenordnung erfolgreich zu führen, hat verschiedene Ursachen. Vor allem aber ist es die zentrale Lage in einem großen Umfeld. Außer den beiden genannten Häusern gab es, wie wir wissen, einige andere. Zum Beispiel: Ludwig Haurwitz, Kreuzberger, Gorek, Richard Breslauer, Kaufhaus Exner, Linke und Seidel. Auch der Lederwaren und der Schuhverkauf hatte einiges zu bieten, als da wären: Schuh-Nowak, mit einer Spezial Salamander Filiale. Nowak beschäftigte allein 12 Mitarbeiter. Das Schuhhaus Wegener und Tack machten Glogau vollends zu einem Einkaufszentrum. Das Einzugsgebiet für die Geschäfte der Stadt war weit in den Kreis reichend. Es war letztlich der Schlüssel für den florierenden Handel.
Der Blick in die Mälzstraße gelang mir persönlich aus der ersten Reihe, denn ich habe die letzten Jahre meiner Glogauer Zeit in dieser Straße gewohnt. Vom Markt kommend, im dritten Haus auf der rechten Seite, war meine Bleibe. Meine Eltern bewohnten dort die 3. Etage, deren Ausdehnung bis weit in die Tiefe des Hofgebäudes reichte. Sogar einen Fahrstuhl gab es bereits. Da er aber im Schlafzimmer meiner Eltern Station machte, wurde auf diesen Komfort verzichtet.
Von meinem Jugendzimmer konnte ich die Uhrzeit des hochragenden Rathausturms ablesen, als wäre sie für mich gemacht. Unten an der Straße, die Schaufenster von Pietrkowski. Daneben gab es Pralinen und Schokolade in allen Varianten. Der Optiker Dressler und ein Pelz- und Hutgeschäft Matern folgten, während die Firma
Weißstein Spielwaren in 2 Schaufenstern zeigte. Wie oft haben wir Kinder wohl einige Zeit dort verbracht und ganze Armeen Linolsoldaten zu Fuß und Ross, samt Fahnen und Kanonen ins Manöver marschieren gesehen. Die Abteilung mit den Käthe-Kruse-Puppen interessierte mich hingegen weniger. Viel mehr war es das Jo-Jo, das unsere Aufmerksamkeit in Bewegung brachte. Das Auf und Nieder der rollenden Scheiben beherrschte eine zeitlang nicht nur den Spieltrieb von uns Kindern. Bis hin zum greisen Opa sah man dieses vertrackte Spiel im Kampf mit der Schnur, an der die Scheiben hingen, und manch einer von uns brachte es zu meisterschaftlicher Virtuosität.
Hier an der Weißstein-Ecke kreuzte die Mohrenstraße, und auf der anderen Seite gab es die Firma Prasse, die aus drei Branchen bestand. Der alte Herr Prasse dirigierte die in der Mohrenstraße befindliche Weinstube, eine edle Adresse unter den Kennern der edlen Tropfen. Daneben, über die Ecke gelegen, Zigarren, Zigaretten und Tabake in jeder Form und Qualität. Juno rund, 6-er Packung 20 Pfennig, und Salem, mit oder ohne Mundstück.
Der dritte Zweig der Prassefirma war das Kaffeegeschäft in der Mälzstraße, gleich nebenan. Es war, wie ich mich erinnere, sehr edel eingerichtet. Alles in edlem Holz und Messingbeschlägen. Aus den großen Messingtrommeln entnahm Herr Prasse dann das Viertel zu achtzig, gemahlen oder ungemahlen. Meine Mutter schickte mich oft zu Herrn Prasse, und ich ging gern dorthin, weil es immer auch eine Zugabe in Form eines Bonbons gab - oder sagten wir Katscher?
Bis hin zum Kaufhaus Scheyer gab es beiderseits der Mälzstraße noch eine Reihe kleiner Geschäfte, Gasthäuser und sogar ein Hotel, den Preußischen Hof. Ein Geschäft für Kinderwagen, die Firma Pierschke, möchte ich noch erwähnen, denn so mancher von uns ist sicher in einer Pierschke-Karosse durch die Glogauer Straßen gefahren worden.
Eine Besonderheit der Gastwirtschaften in der Mälzstraße war die Ausspannung. Da viele Stadtbesucher aus dem Umland mit eigenem Gespann kamen, wurde der Wagen am Straßenrand abgestellt und die Pferde in den zur Verfügung gehaltenen Stall gebracht.
Den Abschluss der Mälzstraße bildet nun das Scheyer'sche Kaufhaus.
Es ist vergleichbar mit einem mittelgroßen Kaufhaus unserer Zeit. Sogar einen Fahrstuhl mit Fahrstuhlführer gehörte zum Angebot und ein Erfrischungsraum, so sagte man damals, ein Cafe also mit eigener Konditorei. Mir hatte es besonders das Eis angetan. Aber bitte mit Sahne!
Etwa 8 Wochen bevor ich zum Arbeitsdienst eingezogen wurde, habe ich als Leiter der Deko.-Abteilung im Kaufhof gearbeitet. Diese sehr frühe Karriere war natürlich nur möglich, weil sich bereits ein Personalmangel bemerkbar machte. Dieser verfluchte Krieg zerstörte schon sehr früh und ohne die Möglichkeit des Widerspruchs die beruflichen Wege bis hin zu Vernichtung und Tod.
Auf der Nordseite der Mälzstraße möchte ich noch das Hutgeschäft Jensen erwähnen, Schuh-Nowak, die Bäckerei Georg Skobel und ein Uhren- und Goldwarengeschäft Hoffmann.
Von der Mälzstraße blieb nichts stehen. Die gesamte Bebauung ist so vollständig zerstört worden, als gab es einen Sonderauftrag dafür.
Die Erinnerung daran und all das Schöne, was dieses Stück Glogau uns gab, ist noch heute so lebendig wie eine alte Liebe. |
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