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Nun zum Hof Nummer 35
Als wir auf die Flucht gingen, gehörte er Kurt Wuttig. Vorher war ein August Berthold der Besitzer. Der hatte sechs Kinder, zwei Töchter und vier Buben. Der älteste Sohn Albert war erst bei der Schutztruppe, dann Berufssoldat, und schließlich machte er sich in Festenberg als Besitzer eines Gasthofes und einer Fleischerei selbstständig. Nach Festenberg heiratete auch Anna und zwar einen Frisör. Fritz hatte sich in seiner Jugend zu Dummheiten hinreißen lassen, was ihn in seinem späteren Leben Hemmnisse in den Weg legte. Er ist beim Volkssturm verschollen. Kurt fiel im ersten Weltkrieg, er hatte Bäcker gelernt. Emil war in meinem Alter und ist mit mir zur gleichen Zeit in Glogau in die Lehre gegangen. Er lernte dort das Fleischerhandwerk. Den letzten Pfiff muss er aber von seinem Meister nicht mitbekommen haben, denn sein Geschäft in Simbsen florierte nicht besonders. Der Viehhandel reichte auch nur aus, um sich gerade über Wasser zu halten. Eines Tages musste er die Segel streichen. Er hinterließ seiner Schwester Frieda den Hof und im Dorf eine Menge Schulden. Er ging dann nach Waldenburg, wo er geblieben ist, als die Polen von unserer Heimat Besitz ergriffen haben. Dort ist er auch in den fünfziger Jahren verstorben. Frieda heiratete meinen Freund Kurt Wuttig. Über deren Schicksal hatte ich schon berichtet.
Haus Nummer 36 gehörte der Lina Klose. Sie war die Tochter aus der zweiten Ehe des Müllermeisters Wilhelm Klose. Der starb 1925 und hinterließ aus dieser Ehe drei Mädels, Meta, Lina und Erna, sowie zwei Söhne, Artur und Erich. Artur blieb im zweiten Weltkrieg. Erich lebt meines Wissens in Westdeutschland. Aus erster Ehe von Wilhelm Klose waren zwei Kinder da, Else und Richard. Letzterer ging nach dem ersten Weltkrieg zum Militär, starb aber kurz danach. Wo die anderen geblieben sind, kann ich nicht sagen.
Die zum Hause Klose gehörende Windmühle wurde 1925 abgebrochen. Diese Mühle hatte im vorigen Jahrhundert in Priedemost gestanden. W. Reich hatte sie dort abgebaut und in Simbsen wieder aufgebaut. Aus dem Holz der Klosemühle sind nach 1925 alle meine Möbel hergestellt worden.
1. Osterfeiertag 1964
Die Zeit läuft mir davon. Ich will mich nicht lange mit einer Vorrede aufhalten.
Vom Hof Nummer 36 war der Besitzer Richard Habedank. Seine Frau war eine geborene Kuhn. Der Hof Nummer 36 war wohl der größte in der Gemeinde, da Richard Habedank die Felder von seinem Vaterhof mit in die Ehe eingebracht hatte. Dieser Hof war einer von drei abgebrannten Wirtschaften, angezündet von einem Bettler. Sie wurden wieder neu aufgebaut.
Richard und Emma Habedank wohnen hier in Triptis und werden in ihrem Alter liebevoll von der jüngeren Tochter gepflegt. Ein Sohn starb mit jungen Jahren, der älteste fiel in Russland. Die älteste Tochter heiratete hier in Thüringen einen Alfred Schmidt aus Noßwitz. Beide sind Bauern geblieben. Sie betreiben in Moderwitz eine Landwirtschaft.
Beim Aufbau der drei niedergebrannten Bauernhöfe drückte man den von Paul Neumann nach hinten raus. Sein Sohn Fritz war vor der Hofübernahme Stellmacher auf dem Gut. Sein Bruder Albert ist im Krieg gefallen. Wo die fünf Schwestern geblieben sind, weiß ich nicht. Fritz ist nach seiner Entlassung aus der französischen Gefangenschaft in Frankreich geblieben. Er soll aber heute in Westdeutschland leben.
Der dritte von den abgebrannten Höfen war der Härtelhof, auf dem meine Großmutter geboren wurde. Die Härtels müssen eine uralte Simbsener Familie gewesen sein. August Härtel, den ich noch als Kind gekannt hatte, starb, wie auch seine Frau, eine geborene Neumann aus Rettkau, sehr jung. Zu diesem Zeitpunkt war nur seine älteste Tochter mündig. Sie heiratete den aus Rietschütz stammenden Hermann Tscheu. Hermann Tscheu starb 1963 und ruht in schlesischer Erde in Ullersdorf im Kreis Niesky. Dieser Ehe entstammen zwei Kinder. Die Tochter Gertrud heiratete meinen Bruder Martin und Willi Tscheu, der letzte Besitzer des Hofes, heiratete Meta Püschel aus Bautsch. Sie haben den erworbenen Reichshof mit bewirtschaftet. Die Feldgröße war ansehnlich, allerdings ließ der Zustand der Gebäude viel zu wünschen übrig. Nach dem Krieg haben beide in der Nähe von Leipzig eine Landwirtschaft betrieben. Jetzt unterhält Willi Tscheu ein Fuhrunternehmen in Markkleeberg.
Der nächste Hof gehörte Hermann Brand. Er hat den Tod seines Sohnes in Russland nicht verkraftet. Er starb kurz danach. Hermann Brand war ein Bauer, von dem man etwas lernen konnte. Mit seiner Frau Ida, einer geborenen Pätzold, hatte er sechs Kinder. Die älteste hat sich meinen Freund und Vetter Artur Dittmann geheiratet. Die zweite Tochter Alma ist am Karfreitag des Jahres 1924 oder 1925 auf leichtsinnige Art und Weise erschossen worden. Der älteste Sohn Gerhard wurde Lehrer und soll in der Nähe von Berlin unterrichten. Von Richard habe ich schon gesagt, dass er in Russland gefallen ist. Er war ein guter Freund von mir, obwohl er 14 Jahre jünger war. Die dritte Tochter Hilde heiratete einen Stellmacher. Sie wanderten nach Kanada aus. Sohn Helmut, nun der Hoferbe, war durch eine Verwundung nicht mehr wehrfähig. Er heiratete Friedel Hein, die einzige Erbin einer kleinen Landwirtschaft. In Pillingsdorf bewirtschafte sie ein kleines Anwesen, dessen Felder inzwischen nun wohl auch in die LPG eingebracht werden mussten.
Paul Sander war der letzte Besitzer des nun folgenden Hofes. Sanders waren eine alteingesessene Simbser Familie. Eine Urgroßmutter mütterlicherseits stammte aus diesem Hof. Eine Schwester von Paul Sander hatte in Bautsch einen Fritz Weimann geheiratet, eine andere einen gewissen Conrad aus Drogelwitz.
Alle Sanders zeichneten sich durch unermüdlichen Fleiß und äußerste Sparsamkeit aus. Paul hatte zuerst im Oderbruch gesiedelt, sich dann aber in Engelsdorf bei Leipzig sesshaft gemacht. Eine ledig gebliebene Schwester verstarb hier in Miesitz. Eine Tochter von Paul wohnt hier in Kopitsch.
Die Pfarrwiedemuth wäre als nächstes an der Reihe. Hier wirkte unser Totengräber, der gute August Wagner. Zwei Söhne und sechs Töchter schenkte ihm seine getreue Frau Anna. Reichtümer konnten sie in ihrem Leben nicht erwerben. Ein Sohn ist in Russland geblieben. August selbst ruht in Triptis auf dem Friedhof. Anna lebt bei einer Tochter in Leubsdorf. Tochter Irmgard ist mit einem Bauern in der Nähe von Pößneck verheiratet.
Aus dem nächsten Haus sehe ich im Geiste immer noch den alten Hillmann-Großvater heraustreten. Aber wie lange ist das nun schon her? Das Hillmannhaus wurde an einen Gustav Dittmann, wir sagten an den „Berliner Dittmann“ verkauft. Der hatte dort auch viele Jahre gewohnt. Das Haus wurde dann an Erich Pohl, vorher aber noch an den Schuhmacher Schwieger vermietet. Erich Pohl war zusammen mit seiner Frau Elli, einer geborenen Bierwagen, beides Simbser Kinder, die letzten Bewohner. Erich ist aus dem Krieg nicht mehr heimgekehrt. Seine Frau wohnt hier in Mittelpöllnitz, zusammen mit dem angenommenen Pflegekind Wolfgang, genannt Bübel. Die beiden leiblichen Kinder wohnen im Westen.
Nun komme ich zum Hof von Hermann Reich, der seit 1907 oder 1908 in seinem Besitz ist. Vorher gehörte er einem Bauern, namens Großer, der aus der Liegnitzer Gegend stammte. Er führte hier den Zwiebel– und Gurkenanbau ein Das fand bald in der Gemeinde viele Nachahmer. Seine beiden Töchter führten nach seinem Tode die Landwirtschaft nicht mehr weiter. Sie heirateten beide Lehrer. Die Felder wurden einzeln verkauft. Hermann Reich kaufte das Restgut. Sein Vater Wilhelm Reich hätte besser einen technischen Beruf ergriffen, denn er experimentierte sein Leben lang immer an irgendwelchen Sachen herum, zum Nachteil der kleinen Landwirtschaft. Er blieb bis zu seinem Tod ein verschlossener Sonderling. Hermann Reich aber konzentrierte sich schließlich nur auf die Landwirtschaft, was der natürlich gut bekam. Seine Ehe blieb kinderlos. Sie haben ein Mädchen angenommen, das soll in Hoyerswerda verheiratet sein. Frau Reich ist in Hasla verstorben und liegt auf dem Friedhof in Kopitzsch begraben. Hermann weilt auch nicht mehr unter den Lebenden. Wo er seine letzte Ruhestätte gefunden hat, weiß ich nicht. Zu erwähnen wäre auch die Hausgehilfin von Reiches, namens Elli, die lange Jahre bei ihnen lebte. Sie ist hier in Miesitz verheiratet.
Heimatverbunden waren sie alle, diese schlesischen Bauern. Und dass sie einmal ihre letzte Ruhestätte in fremder Erde finden würden, das hätte wohl niemand für möglich gehalten.
Gehen wir also in Gedanken über die Straße, hinüber zum Friedhof mit der Kirche.
Hier, dicht an der Kirchhofsmauer steht das Haus von Kosmehl. Er war unser Kaufmann. Von diesem Haus sind die Kindheitserinnerungen am ausgeprägtesten, waren sie doch verbunden mit dem ersten Einkauf im Leben, dem Erstehen von Süßigkeiten und, was natürlich die Hauptsache war, dem anschließenden Genuss. Hierher gingen wir auch zur Kirmes und zu Fassnacht. Vorher hatten wir den Eltern und Großeltern ein paar Pfennige oder sogar ein paar Sechser abgebettelt. Oft wandelte sich die Freude schnell in Enttäuschung um, wenn man beim Paschen sein Geld verloren hatte.
August Kosmehl und seine Frau, eine geborene Berthold, zogen fünf Söhne groß, alle viel älter als ich. Der vorletzte Sohn Adolf übernahm den Laden und das Grundstück. Dieser Laden gewann durch die Errichtung der Molkerei im Jahre 1901 an Bedeutung. Vorher fuhren die Bauern auf den Markt nach Glogau und kauften dort in den Geschäften den täglichen Bedarf ein. Mit der Milchanlieferung zur Molkerei hörte die Selbstbutterei auf und damit die Notwendigkeit, zum Markt zu fahren. Jetzt war man froh, wenn man bei Kosmehl das eine oder das andere einkaufen konnte.
Adolf hatte mit seiner Frau zwei Töchter, Gerda und Lieselotte. Als wir Simbsen verlassen mussten, war Adolf beim Volkssturm. Am Ende der Odyssee landeten alle in Tömmelsdorf bei Triptis. Gerda starb jung an den Folgen einer Operation. Lieselotte ist heute die Ehefrau des Bäckermeisters Müller in Triptis.
Gleich gegenüber lag der Gasthof.
Paul Hillmann hatte den Gasthof und die Landwirtschaft, die frühere alte Brauerei, gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts gekauft. Seine Frau Valeska, geborene Scholz, stammte wie Paul selbst aus Kreidelwitz. Es fällt auf, dass Simbsen und Kreidelwitz, mehr als gewöhnlich, verwandtschaftliche Bande knüpften.
Paul Hillmann hat das Gehöft, das Gasthaus und einen schönen Saal neu aufgebaut und alles seinem Sohn Fritz übergeben, bevor er noch vor dem Krieg seine letzte Ruhestätte auf dem Simbsener Friedhof fand.
Man hätte sich das Dorfleben ohne diese Gaststätte nicht vorstellen können. Hier wurden die Versammlungen abgehalten, die Feuerwehr- und Kriegerfeste sowie Hochzeiten gefeiert. Es gab dort auch Theatervorführungen, und hier fanden auch am Ende eines jeden Lebens die Leichenbegängnisse ihren Abschluss.
Fritz Hillmann ruht irgendwo in Russland. Seine Frau, eine geborene Dittmann aus Kreidelwitz, hat uns auf der Flucht bis hierher nach Kopitzsch mit ihren beiden Kindern, Horst und Christa, begleitet. Hier hat sie auch ihre Schwiegermutter bis zu deren Lebensende aufopferungsvoll gepflegt. Der ältere Bruder von Paul, Max Hillmann, ein lieber Mensch und guter Freund, lebt auch nicht mehr. Er hatte ja nach Weißholz in die Maiwaldsche Gastwirtschaft eingeheiratet. Nach dem Krieg hat er hier in Lederhose ein Grundstück erworben. Den Lohn für den Ausbau des Hauses hat er nicht mehr ernten können, denn kurz nach der mit viel Mühe erfolgten Fertigstellung starb Max. Er wurde auf dem Friedhof von Lederhose zur letzten Ruhe gebettet. Er wurde nicht einmal 65 Jahre alt. Seine Schwester Ida hatte den Klempnermeister Nixdorf aus Gramschütz geheiratet.
Nun wieder zurück auf die andere Seite der Straße. Gegenüber stand der Hof von Gustav Wuttig. Ursprünglich war er im Besitz der Familie Röhr. Gustavs Mutter war eine geborene Röhr. Sie war die Nichte meiner Stiefgroßmutter. Gustav Wuttig hat sehr spät die Simbsener Anna Klamm geheiratet. Deren Vater war Kutscher auf dem Dominium. Er ist beim Getreideeinfahren tödlich verunglückt.
Gustav Wuttig liegt auf dem Friedhof von Oberpöllnitz begraben. Anna wohnt in Triptis bei ihrer Pflegetochter Rita. Die Enkeltochter ist auch schon verheiratet. Die Zeit schwindet dahin, man glaubt es kaum.
Der nächste Hof war wieder ein Dittmannhof. Die letzten Besitzer waren Albert Dittmann und seine Frau Minna, eine geborene Jänsch aus Drogelwitz. Die Eltern von Albert haben beide ein biblisches Alter erreicht, obwohl sie sich von früh bis spät geschunden haben, um aus dem Anwesen eine gesunde Bauernnahrung zu machen. Albert und seine Frau hatten drei Kinder. Einen Sohn und zwei Töchter. Sie wohnen hier in Großebersdorf. Der Sohn ist Zimmermann. Er hat sich in Geroda ein schönes Hausgrundstück hergerichtet. Die jüngste Tochter hat sich einen Bauern im Westen geheiratet. Sie ist dort mit Leib und Seele Bäuerin, sehr zum Leidwesen der Mutter, die von solcher Berufskarriere nichts wissen wollte.
Fortsetzung folgt . . . |
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