Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 7, Juli 2009

Ein vergessenes Jubiläum

 

von Hans-Joachim Breske

 

Die Überschrift bezieht sich auf ein vergessenes Ereignis in Glogau. Vor ca. 102 Jahren wurden die ersten 28 elektrischen Straßen-Bogenlampen eingeschaltet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es noch Zeugen gibt, die diesen Abend erlebt haben. Auch höre ich die Frage: „Was Elektrizität? Das gibt es doch schon seit einer Ewigkeit!" Nein, gibt es nicht. Erst im Jahr 1906 bis '07 wurde in Glogau, unter der Leitung des Herrn Theodor Linke, am linken Oderufer, zwischen der Lissaer und Breslauer Bahnstrecke, das Elektrizitätswerk errichtet.
Die Lokalisation des Kraftwerkes wurde gut durchdacht gewählt. Man hatte gute Zufuhr des notwendigen Brennstoffes (Kohle) gesichert, und das Kühlwasser floss reichlich nebenan. Auch der 45m hohe Schornstein verteilte die Abgase - damals bestimmt noch ungefiltert, überwiegend in östliche Richtung und nicht über die Stadt.
Zwei Dampfmaschinen erzeugten ab 1910 Gleichstrom, um zunächst nur die Stadt Glogau zu versorgen. Schnell hatte man die Vorteile der Energie „aus der Steckdose" erkannt, und man wollte auf elektrischen Strom nicht verzichten. Auch umliegende Dörfer wollten vom Fortschritt profitieren. Da man festgestellt hatte, dass Gleichstrom zum Verschicken auf Entfernungen, also über Land, sich nicht eignet (hohe Verluste), hat man nach dem Ersten Weltkrieg das E-Werk auf Wechselstrom umgerüstet. An das ausgebaute Wechselstromnetz konnten, dank dem Verbund mit anderen E-Werken (z.B. E-Werk Primkenau), weiter gelegene Dörfer angeschlossen werden. Das wiederum hatte zur Folge, dass Generatoren mit größerer Leistung nötig wurden. Ja, sogar der Schornstein des E-Werkes musste auf 76 Meter erhöht werden. Die genaue Geschichte der Elektrifizierung in Glogau-Stadt und -Land hat Herr Georg Prietzel schon im NGA Nr. 2/84 genau beschrieben, und ich kann nichts Neues hinzufügen.
Um die Überlandspannung (zuerst 10kV- und ab 1919 schon 20kV-Leitungen) auf nutzbare 220V/380V umzuformen, mussten Transformatorenhäuschen in jedem noch so entfernten Dorf gebaut werden. Man kann sich leicht vorstellen, was vor hundert Jahren durch die Stromeuphorie nicht nur im Kreise Glogau bewirkt werden musste. Aber das Neue (auch Fortschritt genannt) ließ sich schon damals, wie auch jetzt, nicht aufhalten. Schnell fanden sich Enthusiasten und begeisterte Befürworter, zu denen auch ein junger, tüchtiger Lehrer gehörte.
Herr Hermann Kurzbuch hatte am 19.08.1917 die Stelle als Lehrer und Kantor in Groß Kauer übernommen, und da er verpflichtet war, auch die Chronik der Gemeinde schriftlich zu führen, können wir jetzt zum Thema „Elektrifizierung" folgende Einträge nachlesen. Nur am Rande möchte ich erwähnen, dass Herr Kurzbuch 1943 mein erster und der letzte deutsche Lehrer in Groß Kauer war.
So schreibt er etwas enttäuscht:
„Am 6. Febr. 1919 schlossen sich die fünf Dörfer: Groß Kauer, Samitz, Mangelwitz; Seppau und Dalkau zu einer Elektrizitätsgenossenschaft zusammen. Die Hoffnung auf baldige elektrische Beleuchtung genannter Ortschaften wurde aber arg getäuscht, da sich die Verhandlungen mit den als Stromlieferanten in Frage kommenden Werken in die Länge zogen. "
Aber schon ein Jahr später schreibt er (bestimmt mit großer Freude) folgendes:
„Im Jahr 1920 wurde endlich an den Ausbau der elektrischen Leitungen in den beteiligten Dörfern der Elektrizitätsgenossenschaft herangegangen.
Am 8. April 1920 wurde den Siemens-Schuckert-Werken der Bau der Ortsanschlüsse Groß Kauer, Dalkau, Seppau, Mangelwitz und Samitz übertragen. Die erforderlichen Masten wurden in den Waldungen von Dalkau und Tschepplau frisch geschlagen und seitens des Herrn von Hindersin - Dalkau und des Grafen von Schlabrendorf von und zu Seppau der Genossenschaft zum Preis von 100 M für das Stück käuflich überlassen. Leider ließ sich der Einbau von imprägnierten Masten nicht ermöglichen, da diese nur außerörtlich schwer zu beschaffen und außerdem zu teuer waren. Am 8. Mai begannen die Absteckungsarbeiten in Mangelwitz. Die eigentlichen Bauarbeiten begannen erst am 16. Aug. 1920 in Samitz. Der Ausbau wurde im Laufe des Herbstes beendet. Die fünf Transformatorenhäuschen baute die Firma Fitzner und Bothe aus Neustädtel. Weihnachten gab es allerdings noch kein Licht, da die von der Strom-Einkauf-Genossenschaft Glogau-West in Brieg finanzierte Hochspannungsleitung erst am 17.01.1921 unter Strom gesetzt werden konnte, so dass endlich am 19.01. die Ortschaften Mangelwitz und Groß Kauer und am 20.01. auch Samitz und am 21 01. Seppau und Dalkau eingeschaltet werden konnten. Ein Schritt weiter in kultureller Richtung war gemacht worden, wenn auch unter erheblichen Opfern der Einwohner, denn jeder Beteiligte hatte nicht nur die Kosten der elektrischen Installation seines Besitzes zu tragen, sondern auch anteilig die Kosten der Ortsnetz- und Hochspannungsleitungen zu decken. Auch das Pfarrhaus, Kirche und Schule wurden an die elektrische Leitung angeschlossen und zwar erfolgte der Innenausbau ebenfalls durch die Siemens-Schuckert-Werke.
Am 25.01. wurde im Pfarrhaus und am 31.01.1921 im Schulhaus mit der Installation begonnen. Den Bemühungen des Kantors Kurzbuch gelang es, in seinen Verhandlungen als Schriftführer der Elektrizitätsgenossenschaft mit der Baufirma zu erringen, dass die Kirche von der Firma kostenlos installiert wurde, ebenso in gleicher Weise die evangelische Schule Dalkau, so dass der Schulverband Dalkau nur die Kosten zu zahlen hatte, welche die Installationskosten der Kirche zu Groß Kauer überschritten".
Der bei den Verhandlungen so erfolgreiche Lehrer Kurzbuch, als begeisterter Fürsprecher dieser neuen Energiequelle, ahnte zu Recht, wie sich diese technische Erfindung auf das ganze Leben der Gemeinde, aber auch auf viele Menschen auswirken wird.
Wie niederschmetternd muss es für ihn gewesen sein, als schon nach fünf Jahren (1925) folgendes in der Chronik vermerkt werden musste:
„Da es sich zeigte, dass ein Teil der erst 1920 gesetzten Elektrizitätsmasten vermorscht war, wurden in der Zeit vom Juni bis August 70 Masten gegen teerölimprägnierte Masten ausgewechselt. "
Ja, man hatte Masten ohne Vorbehandlung verwendet, was sich sofort gerächt hatte; die ins Erdreich eingelassenen Mastenenden verfaulten ungehindert.
Ein gut informierter Leser könnte jetzt die Frage stellen, weshalb wurde in Glogau so spät mit der elektrischen Stadtbeleuchtung begonnen? In Berlin wurde doch die erste elektrische Straßenlaterne schon 1884 eingeführt, also war Glogau so rückständig? Nein, rückständig war Glogau nicht!
Ich versuche das zu erklären: Erstens, die Installationskosten und Stromverluste waren am Anfang für dörfliche und private Haushalte viel zu hoch. Zweitens, die bekannte Edisonsche Vakuumlampe (mit Kohlefaden als Glühmittel) hatte nur eine kurze Lebensdauer und war dadurch unpraktisch. Das „neue Licht" war noch nicht ausgereift, und man suchte weltweit eifrig nach einer besseren technischen Lösung. Besonders war man bemüht, ein Metall zu finden, das einen hohen Schmelzpunkt hat und im Vakuumbehälter helleres Licht gibt. Erst 1913 wurde die Glühbirne mit dem noch heute verwendeten Glühdraht in Form einer Wolfram-Drahtspirale vom Amerikaner Irving Langmuir (Nobelpreisträger 1932 in Chemie) erfunden und weltweit erfolgreich eingeführt.
Aus dem Vergleich der Daten kann man sehen, dass die Verantwortlichen in Glogau bestens informiert waren.
Da an der Richtigkeit der Daten aus der „Chronik" kein Zweifel besteht, konnte ich ausrechnen, dass genau nach 24 Jahren (im Jan. 1945) das elektrische Licht in der Glogauer Gegend und so auch im Pfarrhaus von Groß Kauer (wo ich wohnte) ausgegangen war; es näherte sich die Front! Plötzlich waren die Winterabende für uns lang und dunkel. Das Einzige, was zur Verfügung stand, waren Kerzen, Petroleum- und Karbidlampen.
Für die Stadt Glogau hatte man nach der Kapitulation trotz allgemeiner Zerstörung eine provisorische Stromquelle einrichten können. In der Brauerei Berthold hatte man einen alten noch brauchbaren Generator gefunden, und dank einiger ehemaliger Angestellter des E-Werkes versorgte dieser schon ab 03.07.1945 stundenweise die wenigen Gebäude und einige Kreuzungen in der Stadt mit Strom. Das E-Werk wurde energisch aufgebaut, und im Juni 1946 nahm es die Stromproduktion wieder auf. Weiterhin wurde das E-Werk erweitert. Als es 1963 vom Netz genommen und stillgelegt wurde, konnte es bis 6,5 MW liefern und beschäftigte 122 Angestellte und Arbeiter. Eine Zeitlang war das E-Werk der größte Arbeitgeber der Stadt Glogau. Zurzeit befinden sich in den Gebäuden des ehemaligen E-Werkes die Umspann- und Verteilerstation 220/20 kV und 110/20kV. (*)
Für Groß Kauer dauerte der „dunkle" Zustand bis Frühjahr 1948. Erst dann wurde das Dorf, das zu der Zeit Siekacze Wielkie hieß und jetzt Kurów Wielki heißt, ans Stromnetz angeschlossen. Vorher aber musste alles, was in den fast drei Jahren devastiert war, neu installiert werden. Aber das ist eine andere Geschichte.
(*) ikV= 1000Volt

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