Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 6, Juni 2009

Simbsen
Beschreibung seiner Bewohner und deren Heimat
nach Aufzeichnungen
des Müller- und Bäckermeisters Arthur Hoch +
aus dem schlesischen Dorf Simbsen im Kreis Glogau

1. Fortsetzung aus NGA 6/09

von Martin Baumgart

 

Ende Januar 1958

Es ist kaum zu glauben, dass sieben Jahre vergangen sind, seit ich den Versuch begann, etwas über unser altes Simbsen aufzuschreiben. Die Arbeit und die leidige Gesundheit haben es verhindert, dass ich meine Aufzeichnungen fortführen konnte.
Ich habe mir mit einer kleinen Landwirtschaft eine zufriedenstellende Existenz aufgebaut. Jetzt hört man allenthalben von Zusammenschlüssen von Bauern zu Produktionsgenossenschaften. Das ist nach der Bodenreform wieder mal eine Kehrtwendung um 180 Grad. Die Auswirkungen auf uns Bauern bleiben abzuwarten. Ich fürchte nur, dass man unsere Selbstständigkeit noch mehr als bisher untergraben wird.
Doch nun weiter zu unserem Dorf Simbsen.

Der Hof Nummer 21 ist der Viertelhübnerhof. Warum Viertelhübner?
Es war ein Anwesen, dass nur ungefähr ein Viertel (Arthur Hoch schreibt ein Drittel) so groß war wie eine Bauernstelle. Es fehlten die Bauernwiesen.
Heinrich Bierwagen vergrößerte den Hof durch Zukauf von Albert Kliem. Seine Tochter heiratete den Paul Greulich, und diese beiden waren die letzten deutschen Besitzer des Hofes. Deren Tochter Gretel hätte den Hof einmal geerbt. Sie hatte Otto Dittmann aus Kreidelwitz geheiratet. Ihr Vater Paul Greulich ist inzwischen verstorben und hat seine letzte Ruhestätte in Wildenau, Kreis Auerbach gefunden.
Der Hof Nummer 22 war eine Gärtnerstelle. Es war nicht eine Gärtnerei im herkömmlichen Sinne. Es waren Einrichtungen der früheren Gutsherren. Sie stellten den Einwohnern Grund und Boden zur Verfügung, und als Gegenleistung mussten die, die diese Flächen nutzten, dem Gut ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Der letzte Besitzer war Alfred Zimmer.
Dieses Anwesen wechselte ständig durch Zu- und Verkauf von Äckern seine Größe. Alfred Zimmer hatte vier Kinder. Sein ältester Sohn, ein ruhiger, der Mutter nachgearteter Mensch, hätte den Hof mit Sicherheit ordentlich weiter geführt.
Zu diesem Hof gehörte außerdem, was den Besitz so wertvoll machte, das Hofgrundstück des Kothehofes Nummer 23. Dessen Besitzer hatte das Haus um die Jahrhundertwende angezündet und sich selbst das Leben auf den Bauernwiesen genommen. Der größte Teil seiner Äcker gehörte zu meinen Feldern. Ein Teil führt noch den Namen „Kotheacker“.
Der Hof Nummer 24 wurde zu meiner Zeit von unserem Ernst Karl betrieben. Man nannte ihn „starker Mann“, obwohl er beileibe kein Herkules war. Der Hof stammte von seiner Frau, einer geborenen Bienert. Deren Vater war Tischlermeister. Er ist im ersten Krieg gefallen. Ihre Mutter kam aus Rostersdorf, sie war eine geborene Hannig.
Als der Kothehof brannte, sind die Gebäude vom Hof Nummer 24 mit eingeäschert worden. Dabei wäre auch beinahe Fritz Berthold, damals noch ein kleines Kind, mit ums Leben gekommen.
Der Hof Nummer 24 hat im Laufe der Geschichte oft den Besitzer gewechselt. Jetzt wäre er sicher in bodenständige Hände gelangt, denn Ernst Karl hatte vier Kinder, zwei Jungen und zwei Mädchen. In den zweiten Weltkrieg musste Ernst Karl nicht. Heute ist er Stadtgärtner in Triptis.
Der Hof Nummer 25 wurde früher Tobiashof genannt. Sein Besitzer war Paul Schild, der sich aber ein neues Haus mit der Nummer 34a gebaut hat. Im Tobiashof wohnten bis zur Flucht Herrmann und Marta Hein sowie Frau Jany, geborene Pütz, mit ihren zwei Kindern.
Das nächste Anwesen war der ehemals Tschesche-Schneidersche Hof, der aber schon 1905 abgebrannt war. Der Besitzer Emil Hein hat ihn aber nicht wieder aufgebaut, sondern das dahinter befindliche Grundstück erworben und darauf ein neues Haus gebaut. Dort hat er auch bis zum Ende des Krieges gewohnt. Emil Hein ist nicht mit auf die Flucht gegangen. Er ist in Simbsen verstorben. Er war langjährig unser Straßenwärter, der seinen Beruf ernst nahm. Bei Wind und Wetter war er auf der Straße zu finden. Gleichzeitig war er unser Wetterprophet. Seine Vorhersagen verblüfften durch hohe Genauigkeit. Seine Frau Maria ist die zurzeit älteste Simbserin. Sie wohnt bei ihrer Tochter Meta in Lautawerk. Der Sohn Arthur ist schon 1957 in Görlitz verstorben.
Im Haus Nummer 28 wohnte Arnold Hein, ein Bruder von Emil Hein. Der war von Beruf Maurer. Seine zweite Frau Ernestine war eine geborene Sprenger, seine erste eine geborene Walter aus Rietschütz. Dort wohnte Arnold Hein bis zum Tode seines Vaters, der Schäfer war. Aus der ersten Ehe gingen zwei Kinder hervor, Sohn Hermann und Tochter Emma. Hermann Hein wohnte mit seiner Frau Marta mit mir unter einem Dach. Hermann hatte noch zu Hause bei unserem Meister Jackisch Schmied gelernt, später im Tiefbau gearbeitet und sich im letzten Krieg als Wehrmachtsangestellter durchgeschlagen.
An das Haus Nummer 29 werden sich die wenigsten erinnern können. Es stand einmal im Garten von Schmiedemeister Jackisch. Es war das alte Gemeinde- und Armenhaus. Schmiedemeister Jackisch gehörte auch das Haus Nummer 30. Er ist übrigens der zurzeit älteste Simbsener. Sein Vater war auch schon Schmied gewesen. Allerdings lag sein Betrieb auf dem Grundstück Nummer 31. Vater Jackisch starb 1906. Seine Frau war eine sehr liebe und verständnisvolle Person.
Schmiedemeister Gustav Jackisch hatte drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Letzterer war Berufssoldat. Die älteste Tochter führte zu Hause den Haushalt, die jüngere war Angestellte bei der Reichsbahn.
Meister Jackisch war weit und breit als exzellenter Tierheilkundiger bekannt. Vor allem bei Pferden konnte ihm keiner das Wasser reichen. Seine Diagnosen stimmten immer. Für die Therapien baute er die mannigfaltigsten Heilkräuter an. Und diese halfen in den meisten Fällen ohne Nebenwirkungen.
Gustav Jackisch verbringt heute seinen Lebensabend in Schönborn bei Triptis.

30. Mai 1959

Ich will meine Erinnerungen fortsetzen mit dem Hof Nummer 31. Er gehörte der Familie Knauer.
Gustav Knauer war unser langjähriger Bürgermeister, Standesbeamte und Amtsvorsteher. Fast 40 Jahre hat er diese Ämter ausgeübt, in einer korrekten Art und Weise, die ihresgleichen sucht. Er ist 90 Jahre alt geworden, und er hat seine letzte Ruhestätte hier in Wittchenstein gefunden.
Schon seine Eltern waren auf dem Hof ansässig, wo, wie wir wissen, die Schmiede stand und auch eine Bäckerei betrieben wurde. Würde Vater Knauer noch leben, er wäre bestens über alles im Dorf informiert und mir sicher eine große Hilfe beim Anfertigen dieser Niederschriften gewesen. Sein Sohn Erich ist im Krieg gefallen, aber er lebt in seinen drei Kindern fort.
Dies war nun der letzte Hof vor dem Rittergut oder Dominium, wie wir sagten. Darüber werde ich später berichten.
Die drei Höfe, die südlich vom Dominium lagen, waren die drei Mühlenhöfe, denn Simbsen hatte in der Vergangenheit drei Windmühlen.
Der erste dieser drei Höfe gehörte der Familie Liebich. Die dazu gehörige Windmühle stand am Weg nach Rietschütz, dort wo der Weg nach Gaffron abzweigte. Diese Mühle war 1749 erbaut worden und hat bis 1908 gestanden. Der Besitzer Paul Liebich, ein kleiner schmächtiger Mann, wurde vom Schicksal mehr als schwer geprüft. Seine Frau Berta, geborene Bienert, starb in jungen Jahren. Sie hinterließ ihm einen Sohn und zwei Töchter. Der Sohn war so alt wie ich und starb mit 12 Jahren nach einer schweren Krankheit. Sein Vater, obwohl selbst nicht von kräftiger Natur, hat ihn aufopferungsvoll jahrelang gepflegt. Frieda, die jüngste Tochter, blieb ledig. Selma hat den Hof übernommen und meinen Freund Gustav Dittmann geheiratet. Aus dieser Ehe gingen drei Kinder hervor. Erich, der Älteste, ist im Krieg gefallen. Werner hatte Stellmacher gelernt. Er kam heil aus dem Krieg zurück. Adelheid ist inzwischen auch verheiratet.
Gustav Dittmann wohnt heute in Lederhose, Kreis Gera, und bewirtschaftet dort eine bescheidene Landwirtschaft. Selma ist etwas kränklich und kann nicht mehr so recht fort.

3. April 1960

Wenn ich das bisher zu Papier Gebrachte besehe, muss ich feststellen, dass die Zeitabstände zunehmen, während die Zeilen abnehmen. Ich werde aber dennoch versuchen, die Aufzeichnungen, so gut es eben geht, zu Ende zu bringen. Meine alte Kriegsverletzung ist wieder aufgebrochen, und so wird man an die Vergänglichkeit erinnert.

An der Reihe wäre nun mein eigener Hof.
Mein Großvater, er kam aus Gramschütz, wo seine Eltern eine Graupenmühle betrieben hatten, kaufte unseren Hof im Jahre 1859. Doch was hatte er damals wirklich erstanden?
Ein strohgedecktes Lehmfachwerkhaus, drei Morgen Land und eine vernachlässigte, kaum intakte Mühle ohne jeden Kunden.
Der Großvater, ein kleiner, drahtiger Mann, hat die Ärmel hochgekrempelt und gearbeitet, wie wir uns das heute kaum noch vorstellen können.
Als er im Jahre 1896 das Anwesen an meinen Vater übergab, gehörten schon über sieben Morgen Eigenland dazu. Gebaut war auch ein massives Wohnhaus mit Back- und Ausgedingestube, ein geräumiger Kuhstall, ein kleiner Pferdestall, eine Futterkammer und eine Scheune mit beiderseitigem Bansen. Zwischen Scheune und den Stallungen lag auch noch ein massiver Schuppen mit einem Schweinestall. Die alte Scheune diente nun als Holz- und Wagenschuppen sowie als Kohlebunker.
Das alles hat Großvater geschafft, obwohl Großmutter immer kränkelte und schon im Alter von 43 Jahren starb. Durch eiserne Sparsamkeit, nie ermüdenden Fleiß, begünstigt allerdings durch eine lange 37-jährige Wirtschaftszeit, konnte dies schließlich erreicht werden.
Mein Vater hatte es da etwas leichter gehabt. Aber auch seine Pläne, immer mit der Mutter abgestimmt, waren auf Vergrößerungen und Verbesserungen ausgerichtet. Noch vor der Hofübernahme hatte er 5 Morgen Land gekauft. 1897 stockte er die Windmühle um fast zwei Meter auf und ließ in die Flügel einen Jalousiezug einbauen. 1900 kaufte er von der Kothe-Wirtschaft 5 oder 6 Morgen dazu. 1903 wurde die Scheune erweitert. Zur gleichen Zeit kaufte er die 12 Morgen Feld von der Wuttig-Wirtschaft. 1905 wurde der Schweine- und Pferdestall erweitert und eine Futter- bzw. Waschküche eingerichtet. Jetzt war aus dem ehemaligen Mühlenhof mit seinen drei Morgen Land ein ansehnlicher Bauernhof geworden, zumal im Jahre 1907 noch einmal sechs Morgen Land von der Großerwirtschaft hinzukamen.
Nun wurde aber der Platz im Wohnhaus knapp. Wir waren inzwischen eine sechsköpfige Familie geworden. So entschlossen sich meine Eltern, ein neues Backhaus anzubauen. Sie hatten den Geländestreifen zwischen unserem Haus und dem Liebigschen Grundstück durch Tausch gegen das sogenannte Müllerroden erworben. Es entstanden so eine geräumige Backstube mit Schiebeküche, ein Verkaufsraum und zwei Gesellenstuben. Die alte Backstube wurde zu Wohnzwecken umgebaut.
1911 kam ich aus der Schule und drei Jahre später aus der Bäckerlehre von Glogau zurück. Die Bäckerei führte ich bis 1916 die Einberufung kam. Ich müsste lügen, wenn ich sagte, ich wäre nicht gern gegangen. Mein Vater und meine Großmutter konnten das nicht verwinden. Sie starben beide in den letzten Kriegsjahren. Hier muss ich meine beiden Schwestern einmal lobend erwähnen, die durch ihr unermüdliches Schaffen, den Geschäftsbetrieb aufrecht erhielten.
Im Januar 1919 kam ich nach Simbsen zurück. Viel Arbeit galt es zu bewältigen. Die Mühle hatte durch Vaters Tod ein ganzes Jahr gestanden. Die Kunden waren weg. Hinzu kam noch die Fessel der Zwangsbewirtschaftung. Aber auch diese Zeit, voran die Inflation, ging vorüber.
Schon 1925 baute ich, da Klose mit dem Mahlen aufgehört hatte, einen Dieselmotor in meine Windmühle ein. Nun waren wir nicht mehr vom Wind abhängig, und der Kundenkreis wuchs rasch. 1929 entschloss ich mich, d. h. mein Bruder Martin war die treibende Kraft, eine Motormühle an das neue Backhaus anzubauen. Die vielen Sorgen, die auf mich zukamen, waren dann doch viel größer, als ich mir das vorgestellt hatte.
1931 hatte ich noch neun Morgen Land hinzugekauft, weil ich mich mit dem Gedanken trug, meinem Bruder die Geschäfte zu überlassen. Ich hätte mich dann mit der Landwirtschaft begnügt. Aber dazu kam es dann nicht mehr, da sich mein Bruder eine Mühle in Schabenau, im Kreise Guhrau, kaufte. Hierzu musste ich erst einmal die Mittel aufbringen, um ihm noch ein Startkapital auf den Weg zu geben.
Ich selbst war zu dieser Zeit krank und fast ein halbes Jahr arbeitsunfähig. In diese Zeit fällt auch der Tod von unserer Mutter, die mir im Geschäft und Haushalt eine große Hilfe gewesen war. Wie wir das damals trotzdem alles geschafft haben, ist mir heute fast ein Rätsel. Es kam ja in diesen Jahren noch der Kohlenhandel hinzu. Zum Glück standen uns in diesen schweren Zeiten zwei Menschen zur Seite, auf die ich mich voll und ganz verlassen konnte, mein Vetter Gerhard Schorsch in der Bäckerei und Fritz Pavel in der Mühle. Auch meinen Vetter Max Dittmann möchte ich nicht unerwähnt lassen, der uns von 1933 bis 1938 ein treuer Helfer war und sich dann in Rietschütz selbständig machte.
Mit dem Jahr 1939 rückte das Unheil langsam aber unaufhörlich näher. Ich wurde wieder Soldat und verlebte eine relativ ruhige und sorglose Zeit in Polen. Aber die Berichte von daheim klangen immer besorgniserregender, und so war es gut, dass ich im Februar 1940 wieder entlassen wurde. Nicht nur im eigenen Geschäft und in der Landwirtschaft wurde ich gebraucht, auch andere Organisationen streckten ihre Hände nach mir aus. So forderten die Feuerwehr, die Ortsbauernschaft, die Spar- und Darlehenskasse, die SA und die vormilitärische Ausbildung Zeit, Kraft und viel Nerven. Überall standen ja nur Aushilfskräfte zur Verfügung.
Zu meinem Glück arbeitete in der Mühle ein französischer Kriegsgefangener, der sehr tüchtig war. Leider verunglückte er im Jahre 1941. Nun war ich alles in einer Person: Bäcker, Müller, Bauer und Kaufmann. Mehr als einmal wünschte ich mich zurück in die sorglose Zeit in Posen.
Über das bittere Ende im Januar 1945 hoffe ich, noch gesondert berichten zu können.

Nun habe ich mich doch etwas länger mit meinem eigenen Anwesen beschäftigt. Aber das ist wohl verständlich.
Hof Nummer 34.
Mein Nachbar war ein gewisser Kugas. Es war ein Umsiedler nach dem ersten Weltkrieg aus der Provinz Posen. Er hatte fünf Kinder. Die älteste, ein hübsches Mädchen, hat nach Kreidelwitz geheiratet. Die Jüngste hat sich Willi Wuttig genommen, das war der Enkel vom ehemaligen Besitzer dieses Hofes. Kurt Wuttig, der in meinem Alter war, hat Frieda Berthold geheiratet, und da er die Felder mitgenommen hat, besaßen die beiden eine schöne Bauernwirtschaft. Ich komme beim Hof Nummer 35 noch auf beide zurück.
Im Gegensatz zu seinen Geschwistern, die aus Simbsen fortzogen, ist Kurt Wuttig in Simbsen sesshaft geblieben. Er war mir in der schweren Zeit der Flucht ein treuer Helfer. Leider ist er, genau wie ich, zum Schluss noch Soldat geworden und in amerikanischer Gefangenschaft gestorben. Ihm ist jedoch viel Leid erspart geblieben, denn seine Tochter ist hier in Stadtroda verstorben und sein Sohn leidet an der gleichen unheilbaren Krankheit.
Der jüngste Sohn, ein ruhiger, gern gelittener Mensch, war lungenkrank. Er hatte das Müllerhandwerk erlernt und mir geholfen, meine Mühle in Gang zu halten. Aber schon 1941 mussten wir ihn zu Grabe tragen. Die jüngste Tochter, das Lieschen, hat sich Willi Wuttig geheiratet. Mit ihren drei Kindern ist sie mit uns aus Simbsen fort. Willi Wuttig kam aus der Gefangenschaft als völlig veränderter Mensch wieder. Ich brauche nicht zu betonen, in welcher Richtung sich die Veränderung vollzogen hatte. Heute ist er Bürgermeister in der Nähe von Meißen.
Nun zum Haus Nummer 34a.
Es gehörte Paul Schild, einem Zimmermeister, der es erst 1930 oder 1931 erbaut hatte. Leider hat er sich von der Flucht nach Westen abhalten lassen. Vielleicht hat er es auch geglaubt, was die russische Propagande verbreitete. Von Frau Sabisch wurde er in diesem Glauben sicher noch bestärkt, dass die Befreier kämen, und dann wäre die Not zu Ende. So ist er, zusammen mit seiner Frau Luise, deren Tochter mit Sohn, seinem Schwager mit Frau, Emil und Maria Hein, dem Kantor Anna, Frau Walli Günter und Frau Schwieger, die zwei letztgenannten mit je drei Kindern, in Simbsen zurück geblieben. Die letzten deutschen Soldaten konnten die Familien Günter und Schwieger noch überzeugen, dass ein Weggehen unbedingt besser sei, als zu bleiben. Und so flohen sie noch mit den letzten deutschen Soldaten aus Simbsen.
Vom vielen guten Essen, dass die „Befreier“ mitbrachten, waren die meisten Zurückgebliebenen bald so satt, dass sie es bei dem großen Überfluss bald nicht mehr aushielten und beschlossen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. So starben Paul Schild und seine Tochter, Max Sabisch und seine Frau. Die Tochter von Paul Schild hatte vorher noch ihrem Sohn die Pulsadern aufgeschnitten. Doch das Schicksal wollte nicht noch mehr Opfer. Der Junge wurde gerettet. Auch Frau Schild überlebte. Sie war eine korpulente Person und klagte immer über zu wenig und zu schlechtes Essen. Von den 120 kg, die sie am Anfang wog, blieben am Ende nur 60 kg übrig, nachdem sie die von den Russen und Polen verordnete Entfettungskur hinter sich hatte. Sie musste von Simbsen bis nach Cottbus unter schrecklichen Bedingungen zu Fuß marschieren.

Fortsetzung folgt . . .

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