Neuer Glogauer Anzeiger, Nummer 5, Mai 2009

Wandel durch Erinnerung

 

von Prof. Dr. A. Palissa

 

Unter diesem Motto hatte die CDU/CSU- Bundestagsfraktion für den 18. März 2009 in ihren Sitzungssaal im Reichstag nach Berlin eingeladen. Der Saal war mit etwa 300 angemeldeten Teilnehmern voll ausgelastet. Hochrangige Politiker und Gesprächsteilnehmer gaben der Tagung ein besonderes Gepräge. Die Gesamtleitung hatte der Vorsitzende der Gruppe der Vertriebenen, Flüchtlinge und Aussiedler der CDU/CSU Bundestagsfraktion, J.-K. Fromme. Die Einführung zur Thematik der Tagung übernahm der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder. 3 Themenkomplexe wurden im Verlaufe des Tages behandelt.
1. Die gesellschaftliche Realität von Flucht und Vertreibung in der Bundesrepublik - Kriegskinder und Enkelgeneration.
2. Deutsche Spätaussiedler - „Eingebürgerte" 1. Klasse? Aktuelle Integrationsfrage in der Kontroverse.
3. 60 Jahre Vergangenheitsbewältigung: ein heilsamer Prozess für Deutschland.

In seinem Eingangsreferat betonte V. Kauder, dass die Auseinandersetzung mit der Erinnerung und ihre Bewältigung bei den Vertriebenen die Voraussetzung für eine versöhnliche Gestaltung der Beziehungen mit unseren Nachbarn ist. Dabei bleibt die Aussage, dass jede Vertreibung Unrecht ist, dass sie Unglück über viele Menschen bringt. Und, man darf nicht ein Unrecht mit einem anderen begründen oder es gegenseitig aufrechnen. Es hat sich gezeigt, dass die Gründe für eine Vertreibung immer politische Instabilität sind. Deshalb muss unser Bestreben sein, in Europa dauerhaft stabile politische Verhältnisse zu bewahren.
Die Podiumsdiskussion zum 1. Themenkomplex leitete Herr St. Mayer (CDU/CSUBundestagsfraktion). Besonders bemerkenswert war die Feststellung von Prof. Dr. med. H. Radebold, dass auch bei gelungener äußerer Integration der Vertriebenen eine körperliche Anfälligkeit, eine körperliche „Erinnerung" an erlittenes Unheil, Brutalität usw. bleibt.
Im zweiten Themenkomplex wurde vom Vorsitzenden der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Adolf Fetsch, bemängelt, dass die Spätaussiedler aus Russland in den letzten Jahren von der CDU/CSU vernachlässigt wurden, was sich dann auch in ihrem Wahlverhalten niedergeschlagen hat. Die Russlandsdeutschen werden oft bis heute noch verunglimpft. Es gibt unter ihnen viele Fachkräfte, und allgemein ist es nötig, Qualifikation und Fähigkeiten der Migranten mehr zu nutzen. Das ist effektiver, als hochdotierte ausländische Fachkräfte anzuwerben. Das Problem wird heute von den Politikern offenbar auch gesehen, aber vielleicht ist es für viele Migranten schon zu spät, um sie gebührend eingliedern zu können.
Nicht alle Deutschen aus den östlichen Nachbarländern sind nach der BRD emigriert. Es gibt in den Herkunftsländern noch Inseln mit deutschstämmigen Bewohnern. Die Bundesregierung muss sich bemühen, die Kulturarbeit bei ihnen zu verstärken, und dazu gehört auch und besonders der Erhalt bzw. die Verbesserung der deutschen Sprachkenntnisse.
Die Einführung zum letzten Themenkomplex wurde von der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, gegeben. Sie wurde von den Anwesenden mit starkem Beifall begrüßt. Frau Steinbach wies darauf hin, dass die Heimatvertriebenen einen wesentlichen Anteil an der Nachkriegsentwicklung in Deutschland haben. Sie haben schon 1950 in der Charta der Vertriebenen ihre Aufgaben und den Verzicht auf irgendwelche Grenzkorrekturen festgeschrieben. Und der Bund der Vertriebenen steht auch heute noch trotz aller Anfeindungen und Verunglimpfungen dazu. Die Podiumsdiskussion zu diesem Thema war besonders geprägt durch zwei Personen: Prof. Dr. H. Karasek und Prof. Dr. M. Stürmer. Es gab viele interessante Gesichtspunkte, aber sie waren alle sehr theoretisch, zu wenig sachbezogen. Das Aufarbeiten der Erinnerung ist zwar wichtig, aber es muss auf die Zukunft ausgerichtet sein. Zwar wurde auch die mangelnde Geschichtskenntnis und als Folge das fehlende Geschichtsbewusstsein der Deutschen und insbesondere der Jugend angesprochen. Aber es fehlten die Ansatzpunkte für eine Verbesserung, z.B. durch bessere Lehrpläne in der Schule. Eine Diskussion zu dieser Thematik war aus Zeitmangel leider nicht möglich.
Zum Ende der Tagung konnte auch unsere Kanzlerin begrüßt werden. Frau Merkel erinnerte an die Vertreibung von 15 Millionen Deutschen nach dem 2. Weltkrieg; die Erinnerung daran ist auch Teil der Gesamtgeschichte Deutschlands. Deshalb dürfen Flucht und Vertreibung nicht vergessen werden, und sie dürfen als Mittel der Politik nicht missbraucht werden. Die Bundeskanzlerin stellte sich voll hinter die Position der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Frau Steinbach, und ihr Engagement für ein Denkmal für die Vertriebenen und gegen die Vertreibung in Berlin.
Mit dem Deutschlandlied ging eine Tagung zu Ende, die viele Aspekte der aktuellen Situation und der Politik für die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler aufgezeigt hat und die den Teilnehmern neue Impulse gab bei ihrem Einsatz für alle, die ihre Heimat verlassen mussten.

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